Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 V 168



104 V 168

40. Auszug aus dem Urteil vom 4. August 1978 i.S. W. gegen Eidgenössische
Militärversicherung und Versicherungsgericht des Kantons Bern Regeste

    Art. 1 Abs. 1 Ziff. 3 lit. a und Art. 3 MVG. Die Sekretäre der
sanitarischen Untersuchungskommissionen sind nur während der Dauer der
einzelnen Aushebung bzw. sanitarischen Musterung versichert.

Sachverhalt

                      Aus dem Tatbestand:

    A.- W. arbeitet als Sekretär einer sanitarischen
Untersuchungskommission, was ihn im Jahr während 8 bis 9 Monaten
beansprucht. Vorher schon Patient der Militärversicherung, wurde
er Ende 1971 wegen verschiedener Leiden bei der Militärversicherung
angemeldet. Im Oktober 1972 erfolgte eine neue Anmeldung wegen einer
beginnenden rechtsseitigen Pneumonie. Auf Grund umfangreicher Erhebungen
wurde mit Verfügung der Militärversicherung vom 27. Januar 1975 die
Bundeshaftung für die Rückenschädigung anerkannt, für die Lungenaffektion
und Prostata-Hyperplasie, weil in keinem Zusammenhang mit der Tätigkeit
als UC-Sekretär stehend, verneint.

    B.- Die gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde ist vom
Versicherungsgericht des Kantons Bern am 21. März 1977 abgewiesen worden.

    C.- W. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei
auch hinsichtlich der Lungenaffektion und der Prostata-Hyperplasie
die Bundeshaftung der Militärversicherung festzustellen und diese zu
den entsprechenden Leistungen zu verpflichten. Er stellt sich auf den
Standpunkt, in der Weisung des Oberkriegskommissariates vom 1. März
1973 über die Entschädigungsansätze für die Rekrutenaushebung würden
die UC-Sekretäre ohne jede Einschränkung als gegen Unfall und Krankheit
versichert erklärt. Diese Zusicherung berechtige nach dem Grundsatz von
Treu und Glauben zur Annahme, als UC-Sekretär sei er tatsächlich gegen
die wirtschaftlichen Folgen von Krankheiten und Unfall versichert. Zudem
wäre der gesetzliche Versicherungsschutz gegen Krankheitsfolgen bei
einem Arbeitsverhältnis wie demjenigen des UC-Sekretärs, wo Dienst
und Urlaub rasch aufeinanderfolgen, fast völlig illusorisch, wenn man
den Versicherungsschutz nur für die Dauer der dienstlichen Verrichtung
anerkennen wollte. Darum müssten die UC-Sekretäre voll dem Schutz der
Militärversicherung unterstellt sein, so dass die Art. 4 und 5 MVG zur
Anwendung gelangten.

    Die Militärversicherung beantragt die Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 1 Abs. 1 Ziff. 3 lit. a MVG ist gegen Krankheit und
Unfall versichert, wer zufolge eines Aufgebotes oder seiner amtlichen
Stellung an Aushebungen, pädagogischen Rekrutenprüfungen und sanitarischen
Musterungen teilnimmt. Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer
zu dieser Versichertenkategorie gehört. Er meint aber, als UC-Sekretär,
der "während drei Vierteln eines Jahres seine praktisch sämtlichen
Arbeitstage dem Militär zur Verfügung stellt", sei er nicht nur gerade
während der Ausübung seiner Funktionen (Art. 3 Abs. 1 MVG), sondern ohne
jede zeitliche Einschränkung gegen Krankheit und Unfall versichert.

    Das kantonale Versicherungsgericht weist darauf hin, dass bei
den in Art. 1 MVG aufgezählten Personenkategorien unterschieden
werden müsse zwischen zeitlich befristeten und zeitlich unbefristeten
Verhältnissen. In die Kategorie der unbefristeten Verhältnisse gehörten
beispielsweise die in Art. 1 Abs. 1 Ziff. 8 MVG erwähnten Angehörigen
des Instruktionskorps, des Festungswachtkorps usw., die während der
ganzen Dauer des Anstellungsverhältnisses, ohne Rücksicht auf einen
allfälligen Zusammenhang zwischen Krankheit bzw. Unfall und Dienst,
versichert seien. Dabei handle es sich um beruflich dienstleistende
Personen, um Funktionäre des Bundes, die den gleichen Gefahren ausgesetzt
seien wie die Angehörigen der Truppe und diesen darum richtigerweise
versicherungsrechtlich gleichgestellt seien. Solche Voraussetzungen würden
die UC-Sekretäre trotz ihrer jährlich etwa neunmonatigen Dienstzeit nicht
erfüllen, weshalb sich ihre Gleichstellung mit den Funktionären des Bundes
nicht rechtfertige. Dieser Argumentation ist umso mehr beizupflichten,
als sie offensichtlich auch mit den Absichten des Gesetzgebers im Einklang
steht, wie im folgenden darzutun ist.

    Bis zu seiner Revision im Jahre 1963 unterschied das MVG zwischen
Personen, die gegen Krankheit und Unfall, und solchen, die nur gegen Unfall
versichert waren. Aus der Überlegung, dass keine Notwendigkeit bestehe,
für Dienste, die in relativ kurzen Zeitabschnitten verrichtet werden,
auch die Krankheitsversicherung einzuführen, wurden bei der Revision
von 1949 in Art. 2 jene Personenkategorien aufgezählt, für welche die
Versicherung nur gegen Unfall genügt (BBl 1947 III 106). Damit wurde
die Unterscheidung beibehalten, die schon im früheren Gesetz ihren
Niederschlag gefunden hatte. Zur Begründung dieser Lösung wies der
Berichterstatter der nationalrätlichen Kommission darauf hin, dass es
sich bei den gegen Krankheit und Unfall Versicherten um Angehörige der
Armee handle, welche während längerer Zeit im Dienst stehen: "Hier ist es
möglich, durch sanitarische Eintrittsuntersuchungen und durch ärztliche
Überwachung eine Kontrolle zu haben. Der Zusammenhang einer Krankheit mit
dem Dienst ist dadurch eher zu ermitteln als bei Dienstpflichtigen, welche
nur einige Stunden oder nur kurze Zeit im Dienste stehen..."; bei diesen
bloss kurzfristigen dienstlichen Verrichtungen wäre der Nachweis eines
Zusammenhangs der Krankheit mit der betreffenden Tätigkeit in den meisten
Fällen ganz ausgeschlossen (Sten. Bull. des Nationalrates 1948 S. 542). In
der Folge stimmte das Parlament dem bundesrätlichen Entwurf zu Art. 2
Ziff. 2 zu, wonach nur gegen Unfall versichert ist, "wer zufolge eines
Aufgebotes oder seiner amtlichen Stellung teilnimmt an a. Aushebungen,
pädagogischen Rekrutenprüfungen und sanitarischen Musterungen..."

    Bei der Revision des Militärversicherungsgesetzes im Jahre 1963
wurden dann die soeben erwähnten und die übrigen in Art. 2 aufgeführten
Personenkategorien auch als gegen Krankheit versichert erklärt. Dazu
führte der Bundesrat in seiner Botschaft aus (BBl 1963 I 847):
"Diese Lösung dürfte nicht zum Missbrauch führen, denn je kürzer die
versicherte Tätigkeit ist, desto leichter würden die der Verwaltung
obliegenden Beweise zu erbringen sein (sichere Vordienstlichkeit der
Geuundheitsschädigung. Ausschliessung jeder der versicherten Tätigkeit
zuzuschreibenden Verschlimmerung); dagegen hätte es der Patient
seinerseits mit dem Nachweis umso schwerer (mindestens wahrscheinlicher
Zusammenhang der Gesundheitsschädigung mit Einflüssen während der
Versicherungsdauer)." Man wollte also offensichtlich trotz Ausdehnung des
sachlichen Geltungsbereiches am zeitlichen Geltungsbereich der Versicherung
nichts ändern (vgl. dazu den Bericht der Expertenkommission für die
Revision des MVG vom Dezember 1961 S. 27). National- und Ständerat stimmten
dem vom Bundesrat vorgeschlagenen zusätzlichen Versicherungsschutz,
wie er dann in Art. 1 Abs. 1 Ziff. 3 des geltenden Gesetzes verankert
worden ist, ohne Weiterungen zu.

    Im Entwurf der Expertenkommission vom September 1976 zu einem neuen
Militärversicherungsgesetz ist dieser Wortlaut ohne jegliche Weiterung
übernommen worden, wie auch für den zeitlichen Geltungsbereich, so
wie er im heutigen Art. 3 Abs. 1 MVG umschrieben ist, keine Änderung
vorgeschlagen wird.

    Die historische Entwicklung des persönlichen und zeitlichen
Geltungsbereiches zeigt, dass der Gesetzgeber schon im MVG von 1949
und wiederum in der Novelle von 1963 zwischen den an Aushebungen und
sanitarischen Musterungen teilnehmenden Funktionären einerseits und den
im eigentlichen Dienstverhältnis mit dem Bund stehenden Funktionären
klar differenzieren wollte. Aus den obigen Darlegungen ergibt sich
ferner, dass sich der Gesetzgeber bei der Ausdehnung des sachlichen
Geltungsbereiches auf Krankheiten im Jahre 1963 bewusst war, dass es für
den an Aushebungen und sanitarischen Musterungen teilnehmenden Funktionär
problematisch sein würde, den Zusammenhang einer Krankheit mit den
Einflüssen während der Dauer der einzelnen Verrichtung nachzuweisen. Wenn
er trotzdem den Geltungsbereich der Versicherung für die an Aushebungen
und sanitarischen Musterungen teilnehmenden Funktionäre nicht auf die
zwischen den einzelnen Verrichtungen liegenden Zeiten ausgedehnt hat,
so darf auch der Richter die gesetzliche Ordnung nicht im Sinne des
Postulats des Beschwerdeführers ergänzen. An dieser Ordnung vermögen auch
die Weisungen des Oberkriegskommissariates über die Entschädigungsansätze
für die Rekrutenaushebung nichts zu ändern. Übrigens wird in Ziff. 15
dieser Weisungen lediglich der Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 Ziff. 3 lit. a
MVG Wiedergegeben, mit der zusätzlichen Erklärung, dass diese Bestimmung
auch für die im Taggeld an Rekrutenaushebungen teilnehmenden Funktionäre
gelte. Von einer Verletzung des Vertrauensprinzips kann unter diesen
Umständen keine Rede sein.

Erwägung 2

    2.- Somit würde sich nun die Frage stellen, ob die Haftung der
Militärversicherung für die Folgen der Prostata-Hyperplasie und der
Lungenaffektion nach den Grundsätzen der Art. 4 bis 6 MVG gegeben ist. Wie
die Vorinstanz richtig ausgeführt hat, ist dies zu verneinen. Der kantonale
Richter legt zutreffend dar, dass zwischen dienstlicher Verrichtung als
UC-Sekretär und Prostata-Hyperplasie kein Zusammenhang besteht und dass die
Lungenaffektion sicher vordienstlich und nicht durch dienstliche Einflüsse
verschlimmert worden ist. Der Argumentation im angefochtenen Entscheid
ist daher auch in diesen Punkten beizupflichten. Mit Recht wird sie vom
Beschwerdeführer mit keinem Wort angefochten. Dieser begründet seinen
Standpunkt denn auch ausschliesslich damit, dass die Militärversicherung
für die genannten beiden Gesundheitsschädigungen deshalb hafte, weil er
zwischen den einzelnen dienstlichen Verrichtungen als UC-Sekretär ebenfalls
versichert sei. Dies trifft aber, wie in Erwägung 1 dargetan, nicht zu.
        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.