Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 V 14



104 V 14

4. Urteil vom 17. März 1978 i.S. Krankenkasse INTRAS gegen Schmuckli und
Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft Regeste

    Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 KUVG und Art. 1 der Verfügung 8 des
Eidgenössischen Departementes des Innern über die Krankenversicherung.

    - Die psychotherapeutische Behandlung durch nichtärztliche
Psychotherapeuten und Psychologen stellt keine Pflichtleistung im Sinne
des KUVG dar (Erw. 2).

    - Zur Auslegung von Kassenbestimmungen (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Schmuckli schloss am 10. April 1975 mit der "Genfer
Lebensversicherungs-Gesellschaft" eine Spitalversicherung ab; zusätzlich
versicherte er sich bei der Krankenkasse INTRAS für Arzt- und Arzneikosten.

    Mit Zeugnis vom 29. Juni 1976 bestätigte Dr. med. M., Schmuckli
benötige wegen hochgradiger vegetativer Dystonie eine Kur mit autogenem
Training. Er wies den Versicherten an Dr. phil. F., welcher in der Zeit von
Mai bis Juli 1976 während insgesamt 22 Stunden Psychotherapie durchführte
und hiefür Rechnung im Betrag von Fr. 2'200.- stellte.

    Die Krankenkasse lehnte eine Kostenübernahme der Behandlung ab mit der
Begründung, Dr. F. sei kein Arzt im Sinne von Art. 21 KUVG. Auf Einsprache
des Versicherten erliess sie am 31. August 1976 eine gleichlautende
Verfügung (Art. 30 Abs. 1 KUVG).

    B.- Das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft hiess eine
hiegegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 24. November 1976 gut und
verpflichtete die Kasse, die Kosten der psychotherapeutischen Behandlung
zu übernehmen. Als massgebend hiefür erachtete das Gericht eine Bestimmung
des Kassenreglementes, gemäss welcher die Kosten psychotherapeutischer
Behandlungen von der 30. Sitzung an lediglich noch im Rahmen der
gesetzlichen Bestimmungen und der geltenden kantonalen Arzttarife
vergütet werden. Mangels einer Bestimmung, wonach nur ein Arzt für solche
Behandlungen in Betracht falle, müsse hieraus geschlossen werden, dass
die Kosten der vorangehenden Behandlung ohne Einschränkungen übernommen
würden. Selbst wenn das Reglement nicht als eindeutig zu erachten wäre,
dürfe es nicht zum Nachteil des Kassenmitgliedes ausgelegt werden. Dem
Vertrauensprinzip komme um so grössere Bedeutung zu, als die Versicherung
bei der Krankenkasse INTRAS zusätzlich zu einer Spitalversicherung bei
einer Privatversicherungsgesellschaft abgeschlossen worden sei.

    C.- Die Krankenkasse INTRAS erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
und beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides. Sie
macht geltend, nach Gesetz und Rechtsprechung seien die Kassen
nicht verpflichtet, die Kosten der Behandlung durch Psychologen zu
übernehmen. Unerheblich sei die Rechtsform der Kasse und deren allfällige
Zusammenarbeit mit einer Privatversicherungsgesellschaft. Im übrigen
begründe auch eine kantonale Bewilligung zur Berufsausübung noch keine
Leistungspflicht der Kasse.

    Schmuckli lässt sich dahingehend vernehmen, die Pflicht der Kasse zur
Übernahme der streitigen Behandlungskosten ergebe sich aus den gesetzlichen
Bestimmungen, jedenfalls aber aus dem massgebenden Kassenreglement.

    Das Bundesamt für Sozialversicherung äussert sich zur
Auslegung des Kassenreglementes und beantragt Gutheissung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Nach Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 KUVG haben die Leistungen der
Krankenversicherung bei ambulanter Behandlung mindestens zu umfassen die
ärztliche Behandlung (lit. a), die von einem Arzt angeordneten, durch
medizinische Hilfspersonen vorgenommenen wissenschaftlich anerkannten
Heilanwendungen (lit. b), die von einem Arzt verordneten Arzneimittel
(lit. c) und angeordneten Analysen (lit. d) sowie die Behandlung durch
einen Chiropraktor (lit. e).

    Als ärztliche Behandlung im Sinne von lit. a der Bestimmung gilt
gemäss Verfügung 8 des Eidgenössischen Departementes des Innern über
die Krankenversicherung vom 16. Dezember 1965 auch die Psychotherapie,
mit Ausnahme der analytisch-tiefenpsychologisch orientierten Methoden.

    b) Ärzte im Sinne des KUVG sind diejenigen Personen, welche das
eidgenössische Diplom besitzen (Art. 21 Abs. 1 KUVG). Personen, denen
ein Kanton auf Grund eines wissenschaftlichen Befähigungsausweises
die Bewilligung zur Ausübung des ärztlichen Berufes erteilt hat, sind
ihnen innerhalb der Schranken dieser Bewilligung gleichgestellt (Art. 21
Abs. 2 KUVG).

    Gestützt auf Art. 21 Abs. 6 KUVG hat der Bundesrat mit der Vo VI
über die Krankenversicherung vom 11. März 1966 nähere Bestimmungen über
die Zulassung von medizinischen Hilfspersonen in der Krankenversicherung
erlassen. Gemäss Art. 1 der Verordnung sind als medizinische Hilfspersonen,
die auf Anordnung eines Arztes wissenschaftlich anerkannte Heilanwendungen
im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. b KUVG vornehmen, Personen
zugelassen, die den Beruf eines Masseurs, Heilgymnasten, Physiotherapeuten,
einer Krankenschwester oder eines Krankenpflegers selbständig und
auf eigene Rechnung ausüben und die in der Verordnung genannten
Zulassungsbedingungen erfüllen.

Erwägung 2

    2.- Nach der gesetzlichen Ordnung gehört die Psychotherapie,
mit Ausnahme der analytisch-tiefenpsychologischen Methoden, zu den
Pflichtleistungen der Krankenkassen. Voraussetzung ist indessen,
dass sie durch einen Arzt im Sinne von Art. 21 Abs. 1 und 2 KUVG
vorgenommen wird. Keine gesetzliche Leistungspflicht besteht, wenn die
Behandlung von einem Psychotherapeuten oder Psychologen, der nicht Arzt
ist, durchgeführt wird. Die Tätigkeit dieser Personen kann nicht als
ärztliche Behandlung im Sinne des KUVG gelten. Psychotherapeuten und
Psychologen sind auch keine medizinischen Hilfspersonen nach Art. 12
Abs. 2 Ziff. 1 lit. b des Gesetzes und der Vo VI über die Zulassung der
medizinischen Hilfspersonen. Schliesslich hat ihnen der Gesetzgeber auch
nicht eine dem Chiropraktor vergleichbare Stellung als Medizinalperson
verliehen. Auf Grund dieser als abschliessend zu erachtenden Regelung
kann die Tätigkeit der nichtärztlichen Psychotherapeuten und Psychologen
zu keinen Pflichtleistungen im Sinne des KUVG Anlass geben. Unerheblich
ist, ob die Behandlung auf Anordnung eines Arztes erfolgt und ob der
Psychotherapeut oder Psychologe über eine kantonale Bewilligung zur
selbständigen Berufsausübung verfügt oder nicht. Entgegen der Annahme
des Beschwerdeführers besteht daher auch im vorliegenden Fall keine
Leistungspflicht der Kasse auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen.

Erwägung 3

    3.- Ausser den gesetzlichen Pflichtleistungen haben die Kassen auch
diejenigen Leistungen zu erbringen, zu welchen sie sich durch Vertrag
und Statuten verpflichtet haben.

    a) Während die Statuten der Krankenkasse INTRAS keine Bestimmungen zur
hier streitigen Frage enthalten, heisst es in Art. 10 des am 1. Januar 1976
in Kraft getretenen Reglementes betreffend die "Kombinierte Versicherung
der Arzt- und Arzneikosten" (Ziff. 10.1):

    "INTRAS vergütet:

    a) die Kosten für ärztliche Behandlung (Arzt- und Untersuchungskosten).

    Indessen werden die Kosten psychotherapeutischer Behandlungen
   von der 30. Sitzung an lediglich noch im Rahmen der gesetzlichen

    Bestimmungen und der geltenden kantonalen Arzttarife vergütet..."

    Der Beschwerdegegner macht geltend, daraus gehe e contrario hervor,
dass die Kasse für die Kosten psychotherapeutischer Behandlungen bis
zur 29. Sitzung vorbehaltlos aufzukommen habe. Die Vorinstanz hat dieser
Auffassung unter Hinweis auf den Grundsatz von Treu und Glauben im Ergebnis
beigepflichtet. Als massgebend hiefür erachtete sie, dass es im Reglement
an einer Bestimmung fehlt, dergemäss lediglich ein Arzt für eine solche
Behandlung in Betracht fällt.

    b) Es ist unbestritten, dass die Kasse auf Grund von Art. 10 des
Reglementes bei psychotherapeutischen Massnahmen Leistungen gewährt,
die über die gesetzlichen Pflichtleistungen hinausgehen. Streitig ist
der Umfang dieser freiwilligen Leistungen.

    Weil die anerkannten Krankenkassen auch mit Bezug auf die freiwilligen
statutarischen Leistungen den Grundsätzen des KUVG unterliegen, sind die
Kassenbestimmungen - jedenfalls soweit sich aus ihnen nicht eindeutig
etwas anderes ergibt - im Sinne der gesetzlichen Begriffe zu verstehen
(vgl. EVGE 1967, S. 131). Dies gilt im vorliegenden Fall um so mehr,
als Ziff. 1 der Reglementsbestimmung in der Systematik wie auch im
Wortlaut weitgehend mit Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 KUVG übereinstimmt. Die
Kostenübernahme von Psychotherapie wird in lit. a von Art. 10 Ziff. 1
geregelt, wo von den Kosten für ärztliche Behandlung die Rede ist. Es
spricht nichts dafür, die Kasse habe diesem Begriff eine andere Bedeutung
als der Gesetzgeber beigemessen und die psychotherapeutische Behandlung
auch bei Vornahme durch nichtärztliche Psychotherapeuten und Psychologen
übernehmen wollen. Anderseits lässt sich aus lit. b der Bestimmung nicht
schliessen, die Kasse habe diese Personen entgegen Art. 1 Abs. 1 der Vo
VI über die Krankenversicherung als medizinische Hilfspersonen anerkennen
wollen. Das Kassenreglement kann daher nur dahingehend ausgelegt werden,
dass die psychotherapeutische Behandlung durch einen Arzt bis zur
29. Sitzung ohne Einschränkungen hinsichtlich der Behandlungsmethode,
d.h. mit Einschluss der nicht als gesetzliche Pflichtleistung geltenden
analytisch-tiefenpsychologischen Methoden übernommen wird. Die gemäss
Kassenreglement erweiterte Kostenübernahme für Psychotherapie bezieht sich
somit auf die Art der Therapie und nicht auf die Person des Therapeuten.

Erwägung 4

    4.- An diesem Ergebnis vermag der auch im Sozialversicherungsrecht zu
beachtende Grundsatz von Treu und Glauben nichts zu ändern. Zwar sind nach
der Rechtsprechung kasseninterne Bestimmungen so auszulegen, wie sie der
Versicherte bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit verstehen kann (RSKV 1969,
S. 85), und es darf sich eine mangelnde Bestimmtheit der Kassenstatuten
nicht zum Nachteil des Versicherten auswirken (RSKV 1971, S. 67). Nach
dem Gesagten kann das massgebliche Reglement mit Bezug auf die vorliegende
Streitfrage jedoch nicht als unklar gelten. Auch unter Berücksichtigung des
Umstandes, dass die Versicherung bei der Krankenkasse INTRAS zusätzlich
zu einem Privatversicherungsvertrag erfolgte, geht die Schlussfolgerung
der Vorinstanz über das hinaus, was der Beschwerdegegner gestützt auf die
Reglementsbestimmung annehmen durfte. Es muss daher mit der Feststellung
sein Bewenden haben, dass die Kasse für die streitigen Massnahmen nicht
aufzukommen hat.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der
vorinstanzliche Entscheid aufgehoben.