Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IV 49



104 IV 49

16. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 12. Mai 1978
i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden Regeste

    Art. 18 Abs. 3, 125 Abs. 2 StGB.

    Fahrlässige Verursachung eines Flugunfalles, begangen dadurch, dass
der Flugzeugführer vor dem Sichtflug über den Julierpass ins Engadin
pflichtwidrig unvorsichtig die Flugwetterprognose nicht prüfte und die
Sicht- und Wetterverhältnisse nicht sorgfältig abklärte.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Fahrlässig begeht ein Verbrechen oder Vergehen gemäss Art. 18
Abs. 3 StGB, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger
Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder nicht darauf Rücksicht genommen hat.
Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht
beobachtet hat, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen
Verhältnissen verpflichtet ist.

    Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer weder vor dem Hinflug
nach Zürich noch vor dem Rückflug nach Samedan in die Flugwetterprognosen
für die Schweiz vom 20. Februar 1972 Einsicht nahm. Aus dieser war
ersichtlich, dass der Julier für Sichtflüge gesperrt war. Davon hatte
der Beschwerdeführer nach der verbindlichen tatsächlichen Feststellung
der Vorinstanz keine Kenntnis. Gemäss Art. 5 der Verfügung des EVED über
die Verkehrsregeln für Luftfahrzeuge in der Fassung vom 20. Mai 1967 hat
sich der Kommandant eines Luftfahrzeuges vor Beginn eines Fluges mit allen
für diesen massgebenden und verfügbaren Unterlagen vertraut zu machen und
insbesondere die neuesten verfügbaren Wetterberichte und Wettervorhersagen
zu prüfen. Er darf ausserdem nach Art. 43 der Verfügung des EVED über
die Betriebsregeln für Luftfahrzeuge im gewerbsmässigen Luftverkehr in
der Fassung vom 16. November 1962 einen Flug nach Sichtflugregeln erst
beginnen, wenn sich aufgrund der Wettervorhersagen voraussehen lässt,
dass die Wetterverhältnisse längs der Strecke und auf dem Zielflugplatz
einen solchen erlauben. Zu den für einen Flug massgebenden Unterlagen
gehört also in erster Linie die allgemeine Flugwetterprognose, welche
vom Kommandanten eines Luftfahrzeuges zu prüfen ist und die Grundlage
für die Entscheidung bildet, ob die Wetterverhältnisse einen Flug nach
Sichtflugregeln überhaupt zulassen, zumal dann, wenn in dieser angemerkt
wird, ob eine bestimmte Route für den Flugverkehr gesperrt ist, und eine
solche Kenntnis wie im vorliegenden Fall auf anderem Wege nicht beschafft
werden konnte. Wenn der Beschwerdeführer die ihm sowohl in Samedan wie
in Zürich zur Verfügung stehenden Flugwetterprognosen für die Schweiz
ausser acht liess, so verletzte er eine ihm bekannte, normierte Pflicht,
deren Erfüllung für die Gewährleistung der Flugsicherheit, namentlich im
Gebirge, von grundlegender Bedeutung war. Er hat somit durch die Wahl
einer gesperrten Flugroute, die er bei Anwendung der gebotenen und ihm
zumutbaren Sorgfalt hätte meiden müssen, pflichtwidrig unvorsichtig im
Sinne des Art. 18 Abs. 3 StGB gehandelt.

    Die Berufung des Beschwerdeführers auf seine eigenen
Wetterbeobachtungen und die erhaltenen Auskünfte vermag ihn nicht zu
entlasten. Beim Abflug in Zürich verfügte er weder über besondere eigene
noch fremde Kenntnisse über die Wetterverhältnisse auf der Julierroute. Die
ihm bekannten Beobachtungen anderer Piloten betrafen ausnahmslos das
Gebiet des Unterengadins, wo er auf dem Hinflug selber festgestellt
hatte, dass die Verhältnisse einen Sichtflug über den Albulapass nicht
zuliessen. Über das Wetter im Raum St. Moritz-Silvaplana-Julier hatte er
nur unvollständige und unzuverlässige Wahrnehmungen machen können. Wie
die Vorinstanz verbindlich feststellt, konnte er dieses Gebiet auf dem
Hinflug nur teilweise einsehen und war für ihn nicht feststellbar, dass
auf dem Julier Schnee fiel und Nebel herrschte.

    Ausserdem lagen seine Wahrnehmungen rund 1 1/2 Stunden zurück. Auf sie
war daher angesichts der Tatsache, dass sich das Wetter bei Südstaulagen
kurzfristig verschlechtern konnte, kein Verlass. Aus den gleichen
Gründen konnten auch aus den Auskünften des Flugplatzes Samedan und
des Wetterberatungsdienstes Zürich, die Wetterlage habe sich im Raum
Samedan-St. Moritz nicht verändert bzw. sie werde voraussichtlich gleich
bleiben, keine verbindlichen Schlüsse auf die Verhältnisse im Gebiet des
Julierpasses gezogen werden. Unter diesen Umständen wäre es unerlässlich
gewesen, sich über das Wetter und die Sicht im gesamten Bereich der zu
befliegenden Strecke Klarheit zu verschaffen. Der Beschwerdeführer ist
dieser Pflicht zur Erkundung aber nicht nachgekommen und hatte deshalb
beim Rückflug keine Gewissheit, ob die gegenwärtigen Wetterverhältnisse
auf der Julierstrecke einen Flug nach Sichtflugregeln gestatteten. Der
Vorwurf der Vorinstanz, er habe den Rückflug ohne genügende Unterlagen und
ohne sorgfältige Abklärung der Wetterlage angetreten, ist somit begründet.

    Die Vorinstanz ist entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht
davon ausgegangen, er hätte wegen der Möglichkeit einer kurzfristigen
Wetterverschlechterung den Rückflug nicht antreten dürfen. Eine Pflicht zur
Absage des Fluges nahm sie nur für den Fall an, dass er um die Sperrung
des Julier gewusst hätte, was sie jedoch verneinte. Lediglich im Rahmen
des Vorwurfes, der Beschwerdeführer habe den Flug nach ungenügender
Vorbereitung ausgeführt, hielt sie ihm vor, er hätte als mit den
Wetterbedingungen im Gebirge vertrauter Pilot bedenken müssen, dass sich
bei Südstaulagen die Wetterverhältnisse rasch verschlechtern können. Dieser
Vorhalt ist nicht zu beanstanden, hat der Beschwerdeführer doch einen
Sichtflug über den Julier einzig aufgrund seiner unvollständigen und
unzuverlässigen Wahrnehmungen auf dem Hinflug für möglich gehalten. Seine
Behauptung, selbst rasch eintretende Wetterverschlechterungen liessen
bei Südstaulagen regelmässig noch eine Durchflugmöglichkeit in der
Talmitte offen, ist demgegenüber unbehelflich. Der Beschwerdeführer ist
nicht wie auf dem Hinflug durch ein offenes Tal geflogen, sondern hat
einen Alpenpass überquert, also eine Bergkette, an der sich Staulagen zu
entwickeln pflegen. Er sah sich denn auch nach dem Überfliegen des Passes
einer geschlossenen schwarzen Wolkenwand gegenüber, die ihn zwang, tief
über dem Silvaplanersee eine Umkehrkurve zu fliegen, um festzustellen,
ob er die Wolkenwand allenfalls unterfliegen könne oder wieder über den
Julier zurückkehren müsse.

    Zutreffend hat die Vorinstanz auch angenommen, der ortskundige
Beschwerdeführer hätte den Flug im Raum Rona-Marmorera, wo er die Maschine
noch ohne Gefahr hätte wenden können, abbrechen müssen. Von dort aus musste
eine geschlossene Wolkendecke unterflogen werden, deren Untergrenze bei
2700 bis 3000 Meter über Meer lag und aus der einzelne Hangwolken bis
auf 2000 m hinunterreichten. Damit war erkennbar, dass der Anflug zum
2284 m hohen Julierpass eine zunehmende Verminderung der Flughöhe über
Grund zur Folge hatte und zu einer stets grösseren Einengung des möglichen
Flugbereiches führen musste, was beim abgewinkelten Talverlauf zusätzliche
Schwierigkeiten und eine erhöhte Gefahrenlage voraussehen liess. Wird
ferner berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer über die Wetterlage im
Gebiet des Julier und südlich davon keine verlässlichen Kenntnisse besass
und unter den gegebenen Wetterverhältnissen mit der Möglichkeit eines
Absinkens der Mindestsichtwerte unter das zulässige Mass rechnen musste,
so war eine gefahrlose Fortsetzung und Beendigung des Fluges nicht mehr
gewährleistet. Der Entschluss, den Flug trotz den zu erwartenden und nicht
abschätzbaren Gefahren fortzuführen, widersprach daher der objektiv und
subjektiv gebotenen Vorsicht und war pflichtwidrig. Dass die Gefahr eines
Absturzes sich nicht schon während des Fluges über die Passhöhe, sondern
erst über dem Silvaplanersee verwirklicht hat, ändert am pflichtwidrigen
Verhalten nichts.