Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IV 293



104 IV 293

67. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 19. Dezember 1978 i.S. P.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Regeste

    Art. 19 Ziff. 1 Abs. 8 BetmG.

    Öffentliche Bekanntgabe der Gelegenheit zum Erwerb oder Konsum von
Betäubungsmitteln; Begriff.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- (Gekürzt) Wer öffentlich zum Betäubungsmittelkonsum auffordert
oder öffentlich Gelegenheit zum Erwerb oder Konsum von Betäubungsmitteln
bekanntgibt, wird, wenn er fahrlässig handelt, mit Gefängnis bis zu einem
Jahr, Haft oder Busse bestraft (Art. 19 Ziff. 1 Abs. 8 in Verbindung mit
Ziff. 3 BetmG).

Erwägung 2

    2.- a) Durch den hier in Frage stehenden Tatbestand soll ein Weg,
der zum Drogenmissbrauch führen kann, verschlossen werden.

    b) Öffentlich bekanntgegeben werden muss nach dem deutschen
Gesetzestext eine "Gelegenheit" zum Erwerb oder Konsum von
Betäubungsmitteln. Der französische und der italienische Text lauten:
"révèle des possibilités", "rivela la possibilità".

    aa) Mit dem deutschen und italienischen und gegen den französischen
Text ist anzunehmen, dass schon die Bekanntgabe einer einzigen Gelegenheit
zur Strafbarkeit genügt. Sie kann allein ebensoviel oder mehr Schaden
anrichten als ein einzelner Kauf, Verkauf oder Genuss von Drogen.

    bb) Dem Worte "Gelegenheit" könnte man einschränkend entnehmen,
das Gesetz erfasse bloss konkrete, einzelne und auch zeitlich nahe
Möglichkeiten, Betäubungsmittel zu erwerben oder zu konsumieren. Der
französische und italienische Gesetzestext lassen aber eine Möglichkeit
schlechtweg genügen, sodass darunter zwanglos auch Herstellungsverfahren
und Konsumarten von Betäubungsmitteln verstanden werden können. Diese
letztere Auslegung entspricht dem Sinn des Gesetzes besser. Denn die
öffentliche Bekanntgabe von praktikablen Herstellungs- und Konsumformen
kann mitunter schädlicher sein als die öffentliche Bekanntgabe einer
konkreten Gelegenheit zu einem einmaligen Erwerb oder Konsum, die sich
von selbst erschöpft oder ein für allemal unterbunden werden kann.

    c) aa) Die Vorinstanz sieht in Art. 19 Ziff. 1 Abs. 8 einen Spezialfall
der öffentlichen Aufforderung zu Verbrechen. Diese verlange aber eine mit
einer gewissen Dringlichkeit erfolgende Einladung zu einem bestimmten
Verhalten, eine intellektuelle Einwirkung auf andere, die sie zur
Verbrechensbegehung veranlassen soll, oder aber, dass die Äusserung nach
Form und Inhalt geeignet sei, den Willen der Adressaten zu beeinflussen
und zu bestimmten Handlungen zu veranlassen. Das gelte grundsätzlich auch
für das Betäubungsmittelgesetz. Doch genügten hier auch schon subtile
Beeinflussungsmethoden, wenn sie psychisch wirksam seien. Denn hier gehe
es nicht darum, eine Masse stimmungsmässig in Bewegung zu setzen, sondern
um Menschen, die infolge Drogenabhängigkeit, Jugend oder Unerfahrenheit
gefährdet seien.

    Die Verteidigung knüpft ebenfalls an die "Aufforderung" an, die
dem Willen des Gesetzgebers entspreche, der gegen die Propaganda zum
Drogenmissbrauch habe einschreiten wollen. Die Aufforderung setze aber
Vorsatz und Eindringlichkeit voraus, die beide im eingeklagten Artikel
fehlten.

    bb) Das Gesetz bestraft neben der öffentlichen Aufforderung zum
Drogenkonsum auch die öffentliche Bekanntgabe einer Gelegenheit zum
Drogenkonsum (und -erwerb). Daraus folgt klar, dass die öffentliche
Bekanntgabe einer Gelegenheit zum Drogenkonsum nicht die schärferen
Formen der Aufforderung annehmen muss, ansonst es überflüssig gewesen
wäre, neben der generelleren Tatform der öffentlichen Aufforderung zum
Drogenkonsum auch jene speziellere noch besonders zu erwähnen, welche
mit der öffentlichen Aufforderung zum Konsum gleichzeitig auch noch eine
Gelegenheit zum Konsum nennt. Im einen Fall liegt das unterscheidende
Tatunrecht in der Intensität der Einwirkung auf den Willen zum Konsum
(Aufforderung), im andern Fall in der Bekanntgabe von Mitteln und Wegen,
wie man zum Konsum gelangt. Das eine ist vom andern verschieden. Beides
ist strafwürdig und vom Gesetz unter Strafe gestellt. Es geht daher
nicht an, aus dem Tatbestand der öffentlichen Bekanntgabe einer
Gelegenheit zum Betäubungsmittelkonsum auf dem Wege der Auslegung ein
Aufforderungsdelikt zu machen. Gilt dies für die öffentliche Bekanntgabe
einer Gelegenheit zum Drogenkonsum, muss dies auch für den entsprechend
formulierten Tatbestand der öffentlichen Bekanntgabe einer Gelegenheit
zum Drogenerwerb gelten. Richtiger wäre es, was die objektive Tatseite
angeht, die Veröffentlichung von Gelegenheiten zur Unzucht (Art. 210
StGB) vergleichsweise heranzuziehen. Diese verlangt keine Aufforderung
im technischen Sinne, wie es auch Art. 19 BetmG nicht verlangt, weil
die Bereitschaft, jede tauglich erscheinende Gelegenheit zu nutzen,
bei Drogengefährdeten so weit verbreitet ist, dass sie, auch ohne
Aufforderung dazu, strafwürdig erscheint. Die öffentliche Bekanntgabe
einer Gelegenheit zum Erwerb oder Konsum von Betäubungsmitteln bedarf
daher nicht der besonderen Intensität der Einwirkung auf die Personen,
an die sich die Veröffentlichung richtet. Sie setzt auch nicht notwendig
den Willen voraus, andere zum Erwerb oder Konsum von Betäubungsmitteln
zu veranlassen. Die Tat kann vielmehr auch fahrlässig verübt werden.

    d) Doch kann die blosse öffentliche Bekanntgabe einer Möglichkeit
zum Erwerb oder Konsum von Betäubungsmitteln nicht genügen. Darin ist der
Vorinstanz zuzustimmen. Die Bekanntgabe muss auch objektiv geeignet sein,
den Erwerb oder Konsum von Drogen zu fördern, Drogengefährdeten einen
ersten oder neuen namhaften Anstoss zu geben, auf die bekanntgegebene
Art und Weise den Erwerb oder den Konsum von Betäubungsmitteln zu
beginnen oder fortzusetzen. Nur so verstanden, trifft der Tatbestand ein
Verhalten, welches das geschützte Rechtsgut gefährden kann. Ähnlich kann
dem Wort "Gelegenheit" in anderer als der früher abgelehnten Hinsicht
(vgl. oben Erw. b bb) eine entsprechende Einschränkung entnommen
werden. In einer seiner Nuancen bedeutet es eine Möglichkeit, die für
einen Menschen irgendwie etwas Neues ist, zuvor nicht vorhanden war
oder nicht erstrebt wurde, oder etwas, das erst gesucht oder erreicht
werden muss oder das sich ohne eigenes Zutun nun als neue Möglichkeit
eröffnet. So wird etwa gesagt, die Gelegenheit zur bösen Tat sei zu
meiden, die Gelegenheit schaffe Diebe, Selbstbedienungsläden gäben
Gelegenheit zum Diebstahl usf. Vernünftiges Ermessen muss entscheiden,
ob eine öffentliche Bekanntgabe nach Inhalt, Form und Verbreitung im
Einzelfall geeignet erscheint, den Drogenmissbrauch namhaft auszudehnen
oder einzuengen. Die Veröffentlichung von (am Verbreitungsort) allgemein
bekannten Tatsachen wird den Drogenmissbrauch, wenigstens in der Regel,
nicht fördern. An ein breiteres Publikum gerichtete Veröffentlichungen
sind entsprechend vorsichtig abzufassen, wie umgekehrt amtliche,
wissenschaftliche oder berufliche Zwecke weitergehende Angaben über die
Möglichkeiten, Betäubungsmittel zu erwerben oder zu konsumieren, verlangen
und rechtfertigen können (vgl. z.B. entsprechende Vorbehalte von HAFTER,
BT S. 511/12, und LOGOZ, BT S. 447, zu Art. 226 Ziff. 3 StGB).