Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IV 281



104 IV 281

64. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 12. Dezember 1978 i.S. F.
gegen Regierungsrat des Kantons Zürich Regeste

    Art. 38 StGB. Bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug.

    Im Rahmen der Gesamtwürdigung sind neben dem gesamten Vorleben und
der Persönlichkeit vor allem die neuere Einstellung, der Grad der Reife
einer allfälligen Besserung und die nach der Entlassung zu erwartenden
Lebensverhältnisse des Täters zu prüfen.

Sachverhalt

    A.- F., geboren 1952, wurde insgesamt fünfmal wegen Widerhandlungen
gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt. Am 15. Juni 1971 büsste
ihn die Bezirksanwaltschaft Zürich mit Fr. 200.-. Sodann verurteilte
ihn das Bezirksgericht Zürich am 10. Januar 1973 wegen wiederholter
und fortgesetzter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu
einem Monat Gefängnis und erteilte ihm die Weisung, sich therapeutisch
behandeln zu lassen. Eine weitere Verurteilung zu 15 Monaten Gefängnis
erlitt er am 6. Februar 1974. Nach teilweiser Verbüssung der beiden
Gefängnisstrafen wurde ihm am 15. August 1974 die bedingte Entlassung
gewährt. Bereits am 28. Januar 1975 musste er vom Bezirksgericht Zürich
erneut wegen wiederholten und fortgesetzten Drogenmissbrauchs zu sechs
Monaten Gefängnis und schliesslich am 4. April 1977 zu zwei Jahren
Zuchthaus verurteilt werden.

    F. verbüsst seit dem 28. März 1977 in der kantonalen Strafanstalt
Regensdorf die beiden letzten Strafen sowie den restlichen Teil der zwei
zuvor verhängten Gefängnisstrafen. Das ordentliche Strafende fällt auf den
29. Juli 1979, zwei Drittel der Strafzeit waren am 5. August 1978 verbüsst.

    B.- Sein Gesuch um bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug wurde
am 29. Juni 1978 von der Direktion der Justiz und am 9. August 1978 vom
Regierungsrat des Kantons Zürich abgewiesen.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt F. die Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege und die Gutheissung des Gesuchs um bedingte
Entlassung.

    Die Justizdirektion des Kantons Zürich und das Eidgenössische Justiz-
und Polizeidepartement beantragen Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Hat der zu Zuchthaus oder Gefängnis Verurteilte zwei Drittel der
Strafe verbüsst so kann ihn die zuständige Behörde bedingt entlassen,
wenn sein Verhalten während des Strafvollzuges nicht dagegen spricht und
anzunehmen ist, er werde sich in der Freiheit bewähren (Art. 38 Ziff. 1
Abs. 1 StGB).

    Der Beschwerdeführer hat zwei Drittel der Strafzeit verbüsst und
sein Verhalten in der Strafanstalt steht nach der Feststellung des
Regierungsrates der bedingten Entlassung nicht entgegen. Die kantonalen
Behörden fanden hingegen, das Vorleben, insbesondere die von grosser
Rückfälligkeit gekennzeichneten Vorstrafen, erlaubten nicht, die Aussicht
auf künftige Bewährung günstig zu beurteilen.

Erwägung 2

    2.- Die Prognose erfordert eine Gesamtwürdigung, in welcher das gesamte
Vorleben, die Täterpersönlichkeit, das deliktische und sonstige Verhalten
des Täters (BGE 103 Ib 27) und die zu erwartenden Lebensverhältnisse zu
prüfen sind. Das Verhalten in der Anstalt und die Art der Straftaten sind
in dieser Hinsicht nur insoweit beachtlich, als sie Rückschlüsse auf das
künftige Verhalten erlauben.

    Der Schluss von diesen Tatsachen auf das künftige Verhalten ist
Ermessensfrage, die zu entscheiden der kantonalen Entlassungsbehörde
obliegt. Das Bundesgericht kann den kantonalen Entscheid nur auf
Verletzung von Bundesrecht und Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens
überprüfen; ist die Vorinstanz, wie hier, eine Verwaltungsbehörde,
erstreckt sich die Überprüfungsbefugnis auch auf die Feststellung des
Sachverhalts (Art. 104 und 105 OG).

Erwägung 3

    3.- a) Eine falsche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
sieht der Beschwerdeführer in der Annahme der Vorinstanz, wonach
anlässlich der bedingten Entlassung vom August 1974 dieselben Umstände
wie heute vorgelegen hätten. Diese Feststellung widerspreche dem Schreiben
von Dr. Guggenheim vom Sozialpsychiatrischen Dienst der Psychiatrischen
Universitätsklinik und dem Schreiben von Pfarrer Kern.

    Die Vorinstanz führt im Anschluss an die beanstandete Feststellung
aus, dass weder die frühere psychotherapeutische Behandlung noch die
Arbeitsstelle bei seinem Vater und die Schutzaufsicht genügt hätten,
um den Beschwerdeführer der Drogenszene zu entziehen. Es sei daher
äusserst zweifelhaft, ob ihn nun seine Freundin den Drogen fernhalten
könnte. Einzig die gute Entwicklung der heutigen Therapie verspreche eine
bessere Prognose, doch ergebe sich daraus noch keine Rechtfertigung der
bedingten Entlassung.

    Nach diesen Erwägungen anerkennt die Vorinstanz, dass neben
den erwähnten gleichen Umständen auch Unterschiede im Zustand des
Beschwerdeführers bestehen. Nur in der Bewertung dieser Umstände weicht
sie von den Ansichten von Dr. Guggenheim und Pfarrer Kern ab. Eine
falsche Sachverhaltsfeststellung ist damit nicht gegeben.

    b) In der Beschwerde wird sodann eingewendet, der Beschwerdeführer habe
entgegen dem Anschein, der im angefochtenen Entscheid fälschlicherweise
erweckt werde, seit dem Herbst 1976, als er sich der Polizei gestellt
habe, nicht mehr delinquiert. Dieser Einwand richtet sich gegen
die vorinstanzliche Feststellung, der Beschwerdeführer habe sich
zwar nach seinem Aufenthalt in Italien der Polizei gestellt, was auf
einen Gesinnungswandel hinweisen würde, doch habe er seine bisherigen
Beteuerungen, sich in Zukunft wohlzuverhalten, nicht eingehalten. Dieser
Satz kann sich auf den Vorfall vom April 1977 beziehen, als der
Beschwerdeführer disziplinarisch bestraft wurde, weil er nach dem
Besuch seiner Freundin Haschisch auf sich getragen hat. Auch wenn diesem
Disziplinarfall, weil er sich zu Beginn des Strafvollzuges ereignete,
keine allzu grosse Bedeutung beigemessen wurde, bewies er dennoch eine
gewisse Haltlosigkeit, für die auch die häufigen früheren Rückfälle
zeugen, die ebenfalls gemeint sein könnten. So oder anders betrachtet,
erweist sich die Rüge als unbegründet.

Erwägung 4

    4.- Die Vorinstanz hat zunächst auf die Vorstrafen und die häufige
Rückfälligkeit abgestellt und diese stärker gewichtet als das Verhalten des
Beschwerdeführers in der Strafanstalt. Ist die Abwägung der Rückfälligkeit
gegen das Wohlverhalten in der Anstalt Ermessenssache, so verstiesse es
gegen den Grundsatz der Gesamtwürdigung, nur diese beiden Elemente zur
Stellung der Prognose heranzuziehen. Wichtig ist vor allem die neuere
seelische Einstellung, der Grad der Reife einer allfälligen Besserung
sowie die voraussichtlichen Lebensverhältnisse nach der Entlassung, die
während der Probezeit durch Schutzaufsicht und Weisungen beeinflusst
werden können. Diese Umstände hat die Vorinstanz indessen nicht
übersehen. Zu prüfen bleibt, ob in dieser Hinsicht ein Missbrauch oder
eine Überschreitung des Ermessens vorliegt.

    a) Die Vorinstanz hat dem Vorhandensein einer Arbeitsstelle bei
seinem Vater und der Anordnung einer Schutzaufsicht keine entscheidende
Bedeutung beigemessen mit der Begründung, diese Umstände hätten den
Beschwerdeführer bereits nach der letzten bedingten Entlassung aus der
Strafhaft im August 1974 trotz psychotherapeutischer Behandlung nicht
der Drogenszene entziehen können. Diese Erwägung hält sich im Rahmen
des Ermessens, das der kantonalen Entlassungsbehörde zusteht.

    b) Als weitere für die Entlassung günstige Faktoren erwähnt die
Beschwerde den Einfluss seiner Freundin und den Umstand, dass der
Beschwerdeführer im August 1976 freiwillig aus Italien zurückgekehrt sei
und sich der Polizei gestellt habe. Dagegen ist der Regierungsrat der
Meinung, es sei äusserst zweifelhaft, ob ihn seine Freundin den Drogen
fernhalten könnte. Diese Überlegung lag nahe, hat die Freundin doch mit
dem Beschwerdeführer in Italien Betäubungsmittel konsumiert, nachdem
sie schon früher unabhängig vom Beschwerdeführer mit Drogen Berührung
hatte. Als Anlass, in die Schweiz zurückzukehren und sich der Polizei zu
stellen, gab der Beschwerdeführer vor Gericht an, er habe sich in Italien
verlobt und ständig Angst gehabt, verhaftet zu werden; nie mehr als ein
paar Tage habe er an einem Ort bleiben können. Die Aussichtslosigkeit
dieses Fluchtlebens konnte zwar den Beschwerdeführer und seine Freundin
im Versuch bestärken, von der Droge freizukommen. Mehr als einen Anfang
der Besserung musste aber die Vorinstanz darin nicht erblicken.

    c) Die Vorinstanz nimmt in Übereinstimmung mit Dr. Guggenheim
und Pfarrer Kern an, der Zustand des Beschwerdeführers habe sich im
Vergleich zu jenem im Jahre 1974 infolge der Therapie gebessert. Sie
hält jedoch dafür, die sich anbahnende Besserung habe noch keine
genügenden Fortschritte gemacht, um eine günstige Prognose stellen zu
können. Dr. Guggenheim befürwortet die bedingte Entlassung denn auch
weniger mit einer entsprechenden Reifung und Festigung der Persönlichkeit
als mit der Befürchtung, eine längere Haft könnte eine eingetretene
rückläufige Entwicklung zur Depression verstärken; das aber vermag eine
günstige Prognose nicht zu begründen.

    Wenn die kantonalen Behörden unter den gegebenen Umständen eine
ausreichende Festigung der Persönlichkeit, die eine günstige Prognose
rechtfertigen könnte, verneinten, so haben sie ihr Ermessen nicht
überschritten. Die Beschwerde ist deshalb abzuweisen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.