Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IV 170



104 IV 170

41. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. September 1978 i.S. S.
gegen Generalprokurator des Kantons Bern Regeste

    Art. 181 und 182 StGB. Nötigung und Freiheitsberaubung.

    Der Täter, der sein Opfer während mindestens zweieinhalb Stunden
festhält und ernsthaft bedroht in der Absicht, es einerseits von der Abwehr
tätlicher Angriffe sowie von Hilferufen abzuhalten und ihm andrerseits
eine Flucht zu verunmöglichen, ist wegen Nötigung und Freiheitsberaubung
strafbar. Die Handlungsweise erschöpft sich nicht in der Körperverletzung.

Sachverhalt

    A.- Am Abend des 31. Mai 1976 begaben sich S. und R., nachdem sie
in einem Restaurant bereits gemeinsam Alkohol konsumiert und in einer
andern Wirtschaft noch 2 Flaschen Bier gekauft hatten, in die Wohnung
des R. Dort warf sich S. in angetrunkenem Zustand plötzlich auf den
auf seinem Bett liegenden R. und hielt ihn von ungefähr 23.30 Uhr bis
02.00 Uhr fest, indem er rittlings auf seine Brust sass und ihm mit den
Knien die Arme auf das Bett drückte. In diesen 2 1/2 Stunden versetzte
er R. mindestens 15 Faustschläge auf den Kopf, da dieser ihm angeblich
seine Freundin "ausgespannt" hatte, und bedrohte ihn zeitweilig mit einem
Stellmesser. R. musste in der Folge einen Arzt aufsuchen, der ihn wegen
einer Gehirnerschütterung, Quetschungen an an den Unterlidern und an den
Lippen sowie einer kleinen Risswunde an der Unterlippe für eine Woche
arbeitsunfähig erklärte.

    R. zog den am 17. Juli 1976 gegen S. gestellten Strafantrag wegen
einfacher Körperverletzung nach Abschluss eines Vergleichs zurück.

    B.- Am 19. Oktober 1977 sprach das Strafamtsgericht Trachselwald
S. von der Anklage der Freiheitsberaubung und der Nötigung frei,
erklärte ihn aber wegen einer Schlägerei und Anpöbeln von Passanten,
begangen in der Nacht vom 1. auf den 2. Januar 1977 in H., des fortgesetzt
unanständigen Benehmens in angetrunkenem Zustand schuldig und verurteilte
ihn zu einer bedingt aufgeschobenen Haftstrafe von 12 Tagen, verbunden
mit den Weisungen, sich jeglichen Alkohols zu enthalten, regelmässig
Antabus einzunehmen und sich der Betreuung und Anordnung des zuständigen
sozial-medizinischen Dienstes zu unterziehen.

    Auf Berufung der Anklagebehörde stellte das Obergericht des Kantons
Bern am 16. Februar 1978 fest, die Schuldigsprechung von S. wegen
fortgesetzt unanständigen Benehmens sei in Rechtskraft erwachsen, und
verurteilte ihn überdies wegen Nötigung und Freiheitsberaubung zu drei
Monaten und 20 Tagen Gefängnis unter gleichzeitiger Anordnung einer
ambulanten trinkerfürsorgerischen Behandlung für die Zeit während und
nach dem Strafvollzug.

    C.- S. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Schuldspruch
des Obergerichtes wegen Nötigung und Freiheitsberaubung sei aufzuheben und
die Sache zur Strafzumessung bezüglich des rechtskräftigen Schuldspruchs
wegen fortgesetzt unanständigen Benehmens, eventuell zur Festsetzung
einer geringeren Strafe an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Der Beschwerdeführer ersucht überdies um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege für die Gerichts- und Anwaltskosten.

    Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Vorinstanz nimmt an, der Beschwerdeführer habe R.  durch
Anwendung physischer Gewalt und durch die Bedrohung mit dem Stellmesser
gezwungen, die Schläge zu dulden, ohne sich zur Wehr zu setzen oder um
Hilfe zu rufen, und damit Art. 181 StGB erfüllt.

    Dem hält S. entgegen, die genannte Bestimmung schütze die
Freiheit der Willensbildung und -betätigung. Sie komme nur zum Zuge,
wo die Handlungsfreiheit durch Normen zum Schutze anderer Rechtsgüter
nicht mehr gewährleistet sei. Im vorliegenden Fall trete die vom
Beschwerdeführer bewirkte Willensbeschränkung als Tätlichkeit, eventuell
einfache Körperverletzung zutage und erschöpfe sich in ihr. So werde
beispielsweise in seiner Handlungsfreiheit auch eingeschränkt, wer als
Opfer vor Faustschlägen am Kragen oder sonstwie festgehalten werde. Diese
Beschränkung der Handlungsfreiheit werde jedoch durch die Rechtsnormen zum
Schutz von Leib und Leben ausreichend mit Strafe bedroht. Im vorliegenden
Fall sei der Strafantrag wegen Körperverletzung zurückgezogen worden. Es
könne nun nicht der Sinn des StGB sein, dass das Verletzungsdelikt als
Ganzes der Strafverfolgung entzogen sein solle, nicht aber ein Teil
seiner Ausführung. Der Beschwerdeführer habe im übrigen nur Schläge
austeilen wollen.

Erwägung 2

    2.- Dem Beschwerdeführer ist zuzugestehen, dass in dem von ihm
angeführten Beispiel (Festhalten am Kragen vor Austeilung von Schlägen)
die der eigentlichen Tätlichkeit oder Körperverletzung vorausgehende
Beeinträchtigung der Willensfreiheit des Opfers mit den Schlägen eine
Handlungseinheit bildet und mit der Bestrafung wegen des Verletzungsdelikts
abgegolten wird. Ist dieses als Antragsdelikt mangels Strafantrag nicht
strafbar, ist es auch die Beschränkung der Handlungsfreiheit nicht.

    Ob indessen im vorliegenden Fall der vom Beschwerdeführer während
mindestens zweieinhalb Stunden auf das Opfer ausgeübte physische und
psychische Druck mit dem Ziel, jenes von vornherein von jeder Abwehr der
Angriffe oder von Hilferufen abzuhalten und damit die Schläge wehrlos
zu dulden, in gleichem Masse Teil der Körperverletzungen bildete wie die
Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit in dem in der Beschwerde angeführten
Beispiel, erscheint bereits auf den ersten Blick höchst zweifelhaft. Schon
die Tatsache, dass das nötigende Verhalten des Beschwerdeführers
über mindestens zweieinhalb Stunden anhielt, während die ca. fünfzehn
Faustschläge, deren Ausführung sich jeweils in wenigen Sekunden erschöpfte,
sich mit zeitlichen Unterbrüchen auf jene lange Dauer verteilten, weist
auf einen rechtlich erheblichen Unterschied hin. Bildet in dem genannten
Beispiel die gewaltmässige Beeinträchtigung der Willensbetätigung des
Opfers eine blosse Begleiterscheinung des Schlagens, so kann davon im
vorliegenden Fall nicht mehr die Rede sein. Vielmehr erscheint hier die
durch Gewalt und Drohung bewirkte Beeinträchtigung als etwas über den
Tatbestand des Körperverletzungsdeliktes Hinausgehendes, das mit jenem
keine Handlungseinheit mehr bildet und von ihm auch nicht abgegolten wird
(vgl. BGE 98 IV 106 oben und 315). Das Gesagte wird auch durch die für
den Kassationshof verbindliche Feststellung der Vorinstanz bestätigt
(Art. 277bis Abs. 1 BStP; BGE 101 IV 50), der Beschwerdeführer habe
gewusst, dass R. die Schläge nur wegen möglicherweise noch heftigerer
Gewaltanwendung und wegen der Drohung mit dem Messer widerstandslos
erduldete, und er habe mit dem Willen gehandelt, diese Wirkung zu
erzielen. Soweit der Beschwerdeführer abweichend davon behauptet, er habe
nur den Willen gehabt, den andern zu schlagen, ist er deshalb nicht zu
hören (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Nach dem Gesagten sind sowohl die
objektiven wie die subjektiven Voraussetzungen von Art. 181 StGB erfüllt.

Erwägung 3

    3.- Das Obergericht verurteilte S. überdies wegen Freiheitsberaubung,
weil er die Bewegungsfreiheit des R. während der zweieinhalb Stunden
zumindest zeitweise vollständig aufgehoben habe. Das sei nicht die Wirkung
der Faustschläge und damit deren blosse Nebenfolge gewesen. S. sei es
nicht nur um die Körperverletzung an sich gegangen, sondern auch um den
Freiheitsentzug. Er habe sich das Opfer während längerer Zeit zur Verfügung
halten und die Voraussetzung für ein allfälliges, nach Lust und Laune
nötig erachtetes Vertiefen der "Lektion" schaffen wollen. Deshalb habe
er einerseits das Opfer für den Fall von "Nebenscherzen", nämlich von
Widerstand und Flucht, mit dem Stellmesser bedroht, und es andrerseits
bei dem einmaligen Gang zur Toilette bewacht. Damit habe S., so stellt
die Vorinstanz ausdrücklich fest, R. die Möglichkeit der freien
Ortsveränderung genommen und es hätten die von der ersten Instanz
angenommenen Flucht- und Widerstandsmöglichkeiten nur "theoretisch"
bestanden.

    Geht man von diesen für den Kassationshof verbindlichen tatsächlichen
Feststellungen aus, so ist der Tatbestand der Freiheitsberaubung
erfüllt. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, erschöpft sich
im wesentlichen in einer von jenen verbindlichen Annahmen abweichenden
Darstellung des Sachverhalts, sowie im Einwand, es gehe auch der Tatbestand
des Art. 182 StGB im Körperverletzungsdelikt auf. Die ersteren Vorbringen
sind unzulässig, und der letztgenannte Einwand ist aus den schon im
Zusammenhang mit der Nötigung gemachten Ausführungen und auch deswegen
unbegründet, weil - wie bereits ausgeführt - nach dem angefochtenen
Urteil die Aufhebung der Bewegungsfreiheit nicht die Folge der Schläge
gewesen ist und es S. gerade auch auf den Freiheitsentzug abgesehen
hatte (STRATENWERTH, Schweiz. StGB, I S. 96). Schliesslich sei noch
festgehalten, dass die Hemmnisse nach Art. 182 StGB keine unüberwindlichen
sein müssen (GERMANN, Verbrechen, S. 315 N. 2 zu Art. 182).

Erwägung 6

    6.- Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann nicht entsprochen
werden, weil es am Nachweis der Bedürftigkeit gebricht (Art. 152 OG). Mit
dem Hinweis darauf, dass dem Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren ein
amtlicher Verteidiger bestellt wurde, ist jener Nachweis nicht erbracht.
Die amtliche Verteidigung wurde in casu gemäss Art. 41 Abs. 1 Ziff. 3c
StV/BE nur angeordnet, weil eine freiheitsentziehende Massnahme in Aussicht
stand und nicht, weil S. prozessarm gewesen wäre.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.