Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IV 160



104 IV 160

39. Urteil des Kassationshofes vom 15. September 1978 i.S. H. gegen
Generalprokurator-Stellvertreter des Kantons Bern Regeste

    Art. 165 Ziff. 1 StGB. Leichtsinniger Konkurs und Vermögensverfall.

    1. Auch die Verschlimmerung der Vermögenslage muss durch eine der am
Anfang von Art. 165 Ziff. 1 StGB umschriebenen Verhaltensweisen verursacht
worden sein (E. 2a).

    2. Sowohl die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit wie die
Verschlimmerung der Vermögenslage durch den Schuldner sind als
Fahrlässigkeitsdelikte zu verstehen. Für die Erfüllung beider Tatbestände
ist indessen grobe Fahrlässigkeit erforderlich. Eine Schädigungsabsicht
gehört nicht zum subjektiven Tatbestand (E. 4a).

Sachverhalt

    A.- Im Jahre 1943 wurde die B. & Co. GmbH gegründet. H. trat zunächst
als Büroangestellter in den väterlichen Betrieb ein und übte später,
nachdem er selber Gesellschafter geworden war, vornehmlich die Tätigkeit
eines Vertreters aus. Nachdem sein Onkel G. aus der Gesellschaft
ausgeschieden war, holten die Gesellschafter im Jahre 1955 bei der
Treuhand- und Verwaltungs AG Bern einen "Bericht über die Möglichkeiten
zur rentableren Weiterführung des Unternehmens" ein. In dem Bericht wurde
den Gesellschaftern empfohlen, das Unternehmen zu liquidieren, falls es
nicht durch erhebliche Mehrumsätze oder durch Aufgabe der Fabrikation und
Beschränkung auf den Handel saniert werden könne. Die vorangegangenen
Geschäftsjahre hatten bereits mit Verlusten abgeschlossen, obwohl die
überalterten Anlagen vollständig abgeschrieben waren. Auch waren keine
Reserven vorhanden, noch hatten Rückstellungen gemacht werden können. Die
Gesellschafter konnten sich jedoch weder zu einer durchgreifenden Sanierung
noch zur Liquidation des Unternehmens entschliessen. Nachdem in der Folge
R. und S. aus der Firma ausgeschieden waren, führte H. das Unternehmen ab
1970 als Einmanngesellschaft weiter. Dabei blieb alles beim alten mit der
Folge, dass die Gesellschaft weiter mit Verlust arbeitete, der im Jahre
1972 Fr. 40 589.05, im Jahre 1973 Fr. 74 111.20 und 1974 Fr. 37 251.-
betrug. In diesem Jahr wurde die Liegenschaft, in der der Verkaufsladen
untergebracht war, verkauft. H. verwendete seinen Anteil am Verkaufserlös
sowie denjenigen aus einem anderen Liegenschaftsverkauf zur Tilgung
fälliger Gesellschaftsschulden, wobei seine Aufwendungen zugunsten der
Gesellschaft in deren Bilanzen jeweils als Darlehensschulden erschienen.

    Am 11. März 1976 eröffnete der Gerichtspräsident II von A. den Konkurs
über die B. & Co. GmbH. Nach der Verteilungsliste vom 20. Juli 1977
entstand ein Verlust von Fr. 78 156.15, der sich auf rund Fr. 298 000.-
belaufen hätte, wenn H. und seine Frau die der Gesellschaft im Verlauf
der Jahre gewährten Darlehen im Konkurs angemeldet hätten.

    B.- Am 6. Oktober 1977 verurteilte der Gerichtspräsident I von
A. H. wegen leichtsinnigen Konkurses und Vermögensverfalls zu einer
bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von 10 Tagen.

    Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte am 27. Januar 1978 den
erstinstanzlichen Entscheid.

    C.- H. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung

Erwägung 1

    1.- Die Vorinstanz verurteilte den Beschwerdeführer aufgrund des
an zweiter Stelle in Art. 165 Ziff. 1 StGB geregelten Tatbestandes des
Vermögensverfalls, weil er als Alleingesellschafter der B. & Co. GmbH die
Vermögenslage der Gesellschaft im Bewusstsein ihrer Zahlungsunfähigkeit
in arg leichtsinniger Weise verschlimmert und eine Gefährdung der
Gläubigerinteressen in Kauf genommen habe (Art. 165 Ziff. 1/172 Abs. 2
StGB).

    Der Beschwerdeführer bestreitet zunächst die ihm von der Vorinstanz
zur Last gelegte Vermögensverschlimmerung der GmbH. Diese ist indessen
nach verbindlicher Feststellung des Obergerichts (Art. 277bis Abs. 1
BStP) objektiv gegeben, belief sich doch der Verlustvortrag für die
Gesellschaft per 31. Dezember 1970 auf Fr. 233 927.54, per Ende 1974 aber
auf Fr. 418 193.19. Dass der Konkurs im Jahre 1976 nur mit einem Verlust
von Fr. 78 156.15 endete, ändert am Gesagten nichts. Dieses Ergebnis
erklärt sich einzig daraus, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau
die der Gesellschaft während Jahren gewährten Darlehen im Konkurs der
Gesellschaft nicht angemeldet haben. Tatsächlich aber war bis zu diesem
Zeitpunkt die Vermögenslage der Gesellschaft dennoch von Jahr zu Jahr
schlechter geworden, zumal auch das, was der Beschwerdeführer und seine
Ehefrau der Gesellschaft aus privaten Mitteln hatten zukommen lassen,
nicht als Schenkung in Erscheinung getreten, sondern in der Buchhaltung
der Gesellschaft stets als Darlehensschulden aufgeführt worden war. Es
kann deshalb der Beschwerdeführer nicht gehört werden, wenn er heute
behauptet, die fraglichen der Gesellschaft geleisteten Beiträge seien
von ihm und seiner Frau à fonds perdu erbracht worden.

Erwägung 2

    2.- Nicht im klaren war sich die Vorinstanz darüber, ob die
Verschlimmerung der Vermögenslage des zahlungsunfähigen Schuldners (oder
im vorliegenden Fall der zahlungsunfähigen Gesellschaft) nur strafbar
sei, wenn sie sich wie die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit auf
argen Leichtsinn, unverhältnismässigen Aufwand, gewagte Spekulation oder
grobe Nachlässigkeit in der Berufsausübung zurückführen lasse. In einer
Eventualbegründung wirft sie dem Beschwerdeführer jedoch vor, er habe die
Vermögenslage der GmbH in arg leichtsinniger Weise verschlimmert, da er
die Geschäftstätigkeit fortgesetzt habe, obwohl daraus seit Jahren nur
noch Verluste resultierten. Der Beschwerdeführer macht dagegen geltend,
in Anbetracht der von ihm als Privatmann an die Gesellschaft geleisteten
Zuschüsse rechtfertige sich dieser Vorwurf nicht.

    a) Wie schon in BGE 102 IV 22 ohne nähere Begründung festgestellt
wurde, muss auch die Verschlimmerung der Vermögenslage des
zahlungsunfähigen Schuldners (oder der zahlungsunfähigen juristischen
Person oder Handelsgesellschaft) durch eine der am Anfang von Art. 165
StGB umschriebenen Verhaltensweisen verursacht worden sein. An dieser
Auffassung ist festzuhalten. Nicht jede Verschlimmerung der finanziellen
Lage soll - sofern auch die subjektiven Voraussetzungen gegeben sind und
später der Konkurs eröffnet oder ein Verlustschein ausgestellt worden ist
- eine Bestrafung des Schuldners zur Folge haben, sondern nur diejenige,
die er durch ein besonders vorwerfbares Verhalten herbeigeführt hat.
Diese Auslegung entspricht sowohl dem wahren Sinn von Art. 165 StGB, der
unter dem Gesichtspunkt der Strafwürdigkeit kaum jede ungerechtfertigte
Vermögensverminderung des Schuldners bestraft wissen will (ebenso:
LOGOZ, Commentaire, N. 2b zu Art. 165; THORMANN/VON OVERBECK, N. 2
zu Art. 165). Sie wird aber auch durch seine Entstehungsgeschichte
gestützt. Die heutige Fassung des Artikels geht dem Grundsatz nach insoweit
auf einen Beschluss der 2. Expertenkommission aus dem Jahre 1913 zurück,
aus dem sich klar ergibt, dass die Voraussetzung des argen Leichtsinns
auch auf den 2. Tatbestand des Vermögensverfalls bezogen werden wollte
(vgl. Prot. 2. Expertenkommission IV, S. 118; siehe auch Botschaft des
Bundesrates an die Bundesversammlung zu einem Gesetzesentwurf enthaltend
das schweizerische Strafgesetzbuch vom 23. Juli 1918, BBl 1918 IV, S. 37).

    b) Wie bereits in Erwägung 1 erwähnt, stellte die Vorinstanz die
Vermögensverminderung bei der GmbH für den Kassationshof verbindlich fest.
Nicht zu hören ist deshalb der Einwand des Beschwerdeführers, er könne
die Verschlimmerung der Vermögenslage der Gesellschaft nicht durch argen
Leichtsinn herbeigeführt haben, da es schon an der Vermögensverminderung
fehle. Auch die Tatsache, dass er die entstehenden Verluste aus privaten
Mitteln deckte, vermag ihn nicht vom Vorwurf zu entlasten, er habe die
Vermögenslage der GmbH in arg leichtsinniger Weise verschlimmert. Die
Zuschüsse des Beschwerdeführers an die Gesellschaft waren in der
Gesellschaftsbuchhaltung als Darlehen verbucht. Sie bewirkten demnach,
auch wenn mit ihnen Gesellschaftsgläubiger befriedigt wurden, lediglich
eine Umverteilung der Schulden, indem sie den Beschwerdeführer zum neuen
Gesellschaftsgläubiger machten. Eine Verbesserung der Finanzlage oder gar
eine dauernde Sanierung der GmbH hatten sie nicht zur Folge. Zu Recht
wirft die Vorinstanz dem Beschwerdeführer deshalb vor, er habe, obwohl
er geschulter Kaufmann sei, die in der Bilanz mit aller Deutlichkeit
zum Ausdruck kommenden Warnzeichen jahrelang missachtet; er habe den Rat
von Buchhalter und Ehefrau, das Unternehmen zu liquidieren, in den Wind
geschlagen und sich der Hoffnung hingegeben, er könne die Schulden der
Gesellschaft begleichen, ohne im Unternehmen selber Sanierungsmassnahmen
zu treffen. Die Geschäftstätigkeit in Anbetracht dieser Umstände und
trotz Kenntnis von Art. 817 OR fortzuführen, muss mit der Vorinstanz
als arg leichtsinnig bezeichnet werden.

Erwägung 3

    3.- In subjektiver Beziehung verlangt Art. 165 StGB für die Erfüllung
des zweiten von ihm geregelten Tatbestandes vorerst ausdrücklich,
dass der Täter im Bewusstsein seiner bzw. als Organ einer juristischen
Person im Bewusstsein ihrer Zahlungsunfähigkeit gehandelt habe. Dieses
Bewusstsein hat die Vorinstanz in casu als Teil des inneren Sachverhalts
für den Kassationshof verbindlich festgestellt (Art. 277bis Abs. 1 BStP;
BGE 100 IV 221) und wird auch vom Beschwerdeführer nicht bestritten.

Erwägung 4

    4.- Nach Meinung der Vorinstanz erfüllte der Beschwerdeführer auch
die weitern subjektiven Erfordernisse von Art. 165 StGB, da er trotz
Kenntnis des misslichen Zustandes des Unternehmens dieses weitergeführt
und damit die Gläubigerinteressen eventualvorsätzlich gefährdet habe. Der
Beschwerdeführer wendet dagegen ein, das Obergericht gehe von einem
falschen Vorsatzbegriff aus. Die Benachteiligungsabsicht gehöre nicht
zum subjektiven Tatbestand von Art. 165 StGB. Der ihm nachgewiesene
Eventualvorsatz reiche deshalb nicht aus, um seine Verurteilung
aufrechtzuhalten. Da sich die Vorinstanz aber nicht zur Frage geäussert
habe, ob der Tatbestand des leichtsinnigen Konkurses und Vermögensverfalls
auch fahrlässig begangen werden könne, sei ihr Entscheid aufzuheben.

    a) Die Frage nach der Schuldform von Art. 165 StGB ist umstritten. Eine
Mehrheit von Autoren nimmt an, für eine Verurteilung wegen leichtsinnigen
Konkurses und Vermögensverfalls reiche neben der vorsätzlichen auch
eine grob fahrlässige Begehungsweise aus (GERMANN, Verbrechen, N. 3.2 zu
Art. 165; LOGOZ, Commentaire, N. 3 zu Art. 165; THORMANN/VON OVERBECK,
StGB, N. 5 zu Art. 165; SCHWANDER, SJK Nr. 1129, IV S. 4; STRATENWERTH,
Schweiz. Strafrecht I, S. 280). Soweit das Schrifttum zwischen den
beiden Tatbestandsvarianten von Art. 165 StGB unterscheidet, wird die
Meinung vertreten, bei der Verschlimmerung der Vermögenslage komme der
vorsätzlichen Begehungsform der Vorrang zu, sofern sie nicht sogar allein
in Betracht falle (CASPAR, Betrügerischer Konkurs, Pfändungsbetrug und
leichtsinniger Konkurs, in ZStR 1971 (87), S. 41; HAFTER, Bes. Teil I,
S. 349; LOGOZ, aaO N. 3a zu Art. 165).

    Ohne zwischen den beiden Tatbestandsvarianten zu unterscheiden,
vertrat das Bundesgericht bis jetzt die Auffassung, auch die fahrlässige
Begehungsweise werde von Art. 165 StGB erfasst. Es führte aus, einerseits
komme die Fahrlässigkeit schon in der Umschreibung des Tatbestandes
selbst zum Ausdruck, andrerseits sei der leichtsinnige Konkurs so sehr
Fahrlässigkeitsdelikt, dass seine vorsätzliche Begehung eher die Ausnahme
bilde (nicht publizierte Entscheide des Kassationshofes i.S. Grobéty,
13. November 1970; Zbinden, 15. November 1963; Muggler, 29. Februar
1952; Freymond, 20. September 1946). An dieser Rechtsprechung ist
insbesondere auch bezüglich des Tatbestandes des Vermögensverfalls
festzuhalten. Fahrlässigkeit im Falle von Art. 165 StGB nicht zu
bestrafen, hiesse den Sinn des Gesetzes verkennen, was sich auch
aus den Arbeiten der 2. Expertenkommission ergibt (vgl. E. 2a), denen
zufolge die Verschlimmerung der Vermögenslage durch den Schuldner ebenso
als Fahrlässigkeitsdelikt zu verstehen ist wie die Herbeiführung der
Zahlungsunfähigkeit. Dabei ist indessen nicht zu übersehen, dass - was
schon der Wortlaut der Bestimmung nahelegt - für die Erfüllung beider
Tatbestände nur grobe Fahrlässigkeit genügt, verlangt das Gesetz doch
"argen Leichtsinn" oder "grobe Nachlässigkeit". Nicht ausgeschlossen
wird dadurch freilich, dass der Täter gegebenenfalls auch vorsätzlich
handeln kann. Er ist in diesem Fall erst recht strafbar, doch gehört
eine Schädigungsabsicht nicht zum subjektiven Tatbestand (CASPAR,
aaO S. 36; HAFTER, aaO S. 348; LOGOZ, N. 2b zu Art. 165; R. MÜLLER,
Die Betreibungs- und Konkursdelikte in der Judikatur, in BlSchK 1956,
S. 35 unter Verweisung auf die Rechtsprechung des Obergerichts des Kantons
Zürich; a.M.: SCHWANDER, SJK 1129 S. 5; GERMANN, aaO S. 294).

    b) Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer zur Hauptsache eine
eventualvorsätzliche Begehung des Deliktes vor, weil er eine Gefährdung
der Gläubigerinteressen in Kauf genommen habe. Damit aber bezieht sie - wie
bereits ausgeführt - zu Unrecht die Absicht der Gläubigerbenachteiligung in
den Tatbestand von Art. 165 StGB ein. Dieser der Vorinstanz unterlaufene
Irrtum muss jedoch nicht zur Aufhebung des Urteils führen, weil dieses
jedenfalls mit der subsidiär gegebenen Begründung hält. Wie nämlich die
Vorinstanz darlegt, hätte der Beschwerdeführer wissen müssen, dass bei
einer Fortführung der Geschäftstätigkeit auch in den Jahren nach 1970
weitere Verluste unvermeidbar waren. Die Jahresbilanzen, von denen er
Kenntnis hatte, wiesen seit vielen Jahren Verlustvorträge aus, die das
Stammkapital bei weitem überstiegen. H. kannte somit den misslichen
Zustand des Unternehmens, führte dieses jedoch in der gewohnten Weise
weiter, obschon bereits ein treuhänderischer Bericht vom Jahre 1955
empfohlen hatte, das überalterte Unternehmen zu liquidieren, sofern nicht
in erheblichem Masse Sanierungsmassnahmen getroffen würden. Dazu kommt nach
dem angefochtenen Urteil, dass der Beschwerdeführer die Geschäftstätigkeit
auch entgegen den Empfehlungen des Buchhalters und dem Rat seiner Ehefrau
bei ständig zunehmenden Verlusten fortgesetzt hat, ohne seinen ihm nach
Art. 817/725 OR obgelegenen Pflichten nachzukommen. Diese Feststellungen
der Vorinstanz lassen ohne weiteres den Schluss auf grobe Fahrlässigkeit
zu. Die Beschwerde ist daher mit dieser Begründung abzuweisen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.