Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IV 145



104 IV 145

35. Urteil des Kassationshofes vom 4. September 1978 i.S. K. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Regeste

    Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 und 5 StGB; bedingter Strafvollzug.

    1. Zeit, während welcher ein Verurteilter, dem der bedingte
Strafvollzug gewährt wurde, unter Probe steht, wenn die ursprüngliche
Probezeit erst nach ihrem Ablauf verlängert wird (Erw. 1, 2).

    2. Frist für den Widerruf des bedingten Strafvollzugs (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 24. Juni 1968 hatte das Obergericht des Kantons Zürich
K. wegen Betruges zu 10 Monaten Gefängnis verurteilt. Es hatte ihm den
bedingten Strafvollzug mit einer Probezeit von vier Jahren gewährt. Am 7.
August 1974 wurde die Probezeit um zwei Jahre verlängert.

    B.- Vom 15. November 1975 bis 21. Oktober 1976 war K. Geschäftsführer
der E. AG in Zürich. In dieser Eigenschaft beging er - teilweise vor
dem 7. August 1976 - wiederholte und fortgesetzte Veruntreuung im Sinne
von Art. 140 Ziff. 1 StGB im Deliktsbetrag von mindestens Fr. 44 398.10,
ebenso wiederholte und fortgesetzte Urkundenfälschung gemäss Art. 251
Ziff. 1 StGB.

    Am 9. März 1978 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich K. wegen
dieser neuen Verfehlungen zu 16 Monaten Gefängnis als Zusatzstrafe zu
einem Urteil des Amtsgerichts Luzern vom 22. September 1977. Es gewährte
ihm für diese neue Strafe wiederum den bedingten Strafvollzug mit einer
Probezeit von vier Jahren. Hingegen ordnete es mit gleichzeitigem Beschluss
den Vollzug der zehnmonatigen Gefängnisstrafe vom 24. Juni 1968 an.

    C.- Gegen die Anordnung dieses Strafvollzugs hat K. kantonale
Nichtigkeitsbeschwerde ergriffen. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich
ist mit Beschluss vom 25. Mai 1978 nicht darauf eingetreten.

    D.- Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde ficht K. nur den
Beschluss des Obergerichts vom 9. März 1978 an, durch den der bedingte
Strafvollzug der vom Obergericht am 24. Juni 1968 ausgesprochenen
Gefängnisstrafe widerrufen wurde. Er macht geltend, die neuen strafbaren
Handlungen, derentwegen der bedingte Strafvollzug widerrufen wurde,
fielen nicht mehr in die Probezeit.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Streitig ist die Zeit, während welcher ein Verurteilter, dem
der bedingte Strafvollzug gewährt wurde, unter Probe steht, wenn die
ursprüngliche Probezeit erst nach ihrem Ablauf verlängert wird. Dass
eine Verlängerung der ursprünglichen Probezeit nach ihrem Ablauf an sich
möglich ist, wird mit Recht nicht bestritten. Der Beschwerdeführer macht
aber geltend, die Probezeit könne insgesamt nur um die Hälfte verlängert
werden. Das gelte auch dann, wenn die ursprüngliche Probezeit bereits
abgelaufen sei. Die Zeitspanne, während der er in der Zwischenzeit
eine formell angeordnete Probezeit nicht bestanden habe, sei in die
Verlängerung einzurechnen. Eine andere Regelung wirke stossend,
was gerade der vorliegende Fall beweise. Vom Urteil des 24. Juni
1968, das den bedingten Strafvollzug gewährte, bis zur Anordnung des
Strafvollzugs durch den Beschluss des Obergerichts seien fast 10 Jahre
verstrichen. Das Obergericht habe das Verfahren über Widerruf bzw.
Verlängerung der Probezeit entgegen BGE 78 IV 10 nicht ununterbrochen
durchgeführt, ihn vielmehr von 1969 bis 1974 hinausgeschoben. An dieser
Unterbrechung trage der Beschwerdeführer keine Schuld. Das Verfahren
vor den luzernischen Behörden wegen Veruntreuung, welches zu dieser
rund vierjährigen Sistierung geführt habe, habe im Revisionsprozess vor
Obergericht Luzern zum Freispruch geführt.

Erwägung 2

    2.- Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. "Verlängert" im
Sinne von Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB ist die Probezeit, wenn der
Verurteilte länger unter Probe gestellt wird, als es im Urteil über
den bedingten Strafaufschub geschehen ist. Die zusätzliche Probezeit
muss nicht unmittelbar an die ursprüngliche anschliessen (BGE 79 IV 113
E. 4). Sie kann es auch nicht, wenn sie erst nach Ablauf der ursprünglichen
Probezeit angeordnet wird. Denn der Verlängerungsbeschluss kann nicht
zurückwirken. Der Verurteilte muss wissen, dass er unter Probe steht,
damit er sich entsprechend verhalten kann. Eine Rückwirkung wäre auch
mit einer allfälligen Anordnung der Schutzaufsicht und mit der Erteilung
von Weisungen unvereinbar.

    Hinzu kommt, dass der Beschluss des Obergerichts vom 7. August 1974
die Probezeit "vom Datum dieses Beschlusses an gerechnet um zwei Jahre
verlängert" hat. Dieser Beschluss wurde nicht angefochten und ist in
Rechtskraft erwachsen. Auf ihn kann der Beschwerdeführer nicht mehr
zurückkommen.

    Der Beschwerdeführer stand somit vom 25. Juni 1968 bis 24. Juni 1972
unter der ursprünglichen und vom 8. August 1974 bis 7. August 1976 unter
der verlängerten Probezeit. Die Probezeit betrug somit nicht mehr als
sechs Jahre. In der Zwischenzeit stand er nicht unter Bewährung.

    Die neuen Taten, welche die Vorinstanz zum Widerruf des bedingten
Strafvollzugs veranlassten, hat der Beschwerdeführer in der Zeit vom 15.
November 1975 bis 21. Oktober 1976 verübt. Ein grosser Teil von ihnen
fällt somit in die verlängerte Probezeit. Dieser Teil ist offensichtlich
so schwer, dass er zum Widerruf des bedingten Strafvollzugs führen
musste. Die Vorinstanz hat überdies gefunden, nur der Vollzug der am
24. Juni 1968 ausgefällten Gefängnisstrafe von 10 Monaten sei imstande,
für die Zukunft eine günstige Prognose zu stellen und den Aufschub des
Vollzugs der neuen Gefängnisstrafe von 16 Monaten zu rechtfertigen, womit
sinngemäss die günstige Prognose ohne Vollzug der ersten Strafe verneint
wurde. Ein Grund für eine Rückweisung der Sache zur Ausscheidung der
Strafe für die in die Probezeit fallenden Delikte (in analoger Anwendung
von BGE 101 Ib 154) besteht daher nicht.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer beklagt sich darüber, dass vom Urteil
des 24. Juni 1968, das ihn unter Probe stellte, bis zur Anordnung des
Strafvollzugs durch die Vorinstanz beinahe 10 Jahre verstrichen. Das
Widerrufsverfahren sei durch Sistierung des Verfahrens ohne sein
Verschulden hinausgeschoben worden.

    Je weiter Tat und Urteil zurückliegen, umso mehr schwindet das
Bedürfnis nach einer Sanktion. Das hat den Gesetzgeber veranlasst,
die Verjährung (Art. 70 ff. StGB) einzuführen und den Zeitablauf vor
Verjährungseintritt bei Wohlverhalten strafmildernd zu berücksichtigen
(Art. 64 vorletzter Absatz StGB). Mit der Revision vom 18. März 1971 ist
der Gesetzgeber einen Schritt weiter gegangen. Der Vollzug der bedingt
aufgeschobenen Strafe kann nicht mehr angeordnet werden, wenn seit Ablauf
der Probezeit fünf Jahre verstrichen sind (Art. 41 Ziff. 3 Abs. 5 StGB).

    Zu Recht beruft sich der Beschwerdeführer nicht auf diese
Befristung. Geht man vom Wortlaut des Gesetzes aus, läuft die fünfjährige
Begrenzung der Widerrufsmöglichkeit vom Ablauf der Probezeit an. Die am
7. August 1974 um zwei Jahre verlängerte Probezeit ist somit am 7. August
1976 abgelaufen. Von diesem Datum an gerechnet war aber am 9. März 1978,
dem Tag, an dem der Strafvollzug wegen Nichtbewährung angeordnet wurde,
die fünfjährige Widerrufsfrist noch lange nicht abgelaufen.

    Aber selbst dann, wenn man die zwischen dem Ablauf der ursprünglichen
Probezeit und der später erfolgten Verlängerung der Probezeit verstrichene
Zeit zur fünfjährigen Frist hinzuzählte, wäre im vorliegenden Fall die
Strafe mit Recht widerrufen worden. Denn am 9. März 1978 war die um die
sechsjährige Probezeit verlängerte fünfjährige Frist (insgesamt 11 Jahre)
seit dem am 24. Juni 1968 gefällten Urteil noch nicht abgelaufen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.