Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 II 307



104 II 307

53. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. November 1978 i.S.
X., Y. und Z. gegen W. Regeste

    1. Künftiger Invaliditätsschaden: Kapitalisierung auf Grund der
Aktivitätstafel (E. 9a-c).

    2. Berücksichtigung des sogenannten Quotenvorrechtes (Art. 100 KUVG)
(E. 9d-f).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 9

    9.- Nach dem angefochtenen Urteil besteht beim Kläger eine Lähmung,
die als endgültig zu betrachten ist. Dank grossen Anstrengungen und starkem
Willen gehe er trotz seiner schweren Behinderung in erheblichem Umfang
weiterhin seiner Berufsarbeit nach. Die Behinderung beeinträchtige aber
seine Verdienst- und Aufstiegschancen, weshalb er infolge des Unfalls
trotz SUVA-Rente nicht das gleiche Einkommen erreichen könne wie ein
Gesunder unter den gleichen Voraussetzungen. Das alles wird mit der
Berufung nicht bestritten.

    a) Die Beklagten richten sich aber gegen die Berechnung des künftigen
Invaliditätsschadens. Das Kantonsgericht geht von einem möglichen
Monatsverdienst von Fr. 5'000.- aus gegenüber einem tatsächlichen
Monatslohn von Fr. 3'000.-. Von der daraus sich ergebenden Differenz
von Fr. 2'000.- zieht es die SUVA-Rente von Fr. 889.- ab. Demnach kommt
es auf eine Erwerbseinbusse von Fr. 1'111.- im Monat oder Fr. 13'332.-
im Jahr. Für die Kapitalisierung geht das Kantonsgericht vom Alter 38
im Urteilszeitpunkt aus und wendet sodann den Kapitalisierungsfaktor
1831 gemäss Aktivitätstafel 20 nach STAUFFER/SCHÄTZLE (Barwerttafeln,
3. Auflage, Zürich 1970) an, was ein Kapital von Fr. 244'109.- ergibt.

    b) Die Beklagten bringen mit ihrer Berufung vor, dass nur eine
Verminderung der Erwerbsfähigkeit, nicht schon die medizinische
Invalidität Ersatzansprüche auslöse. Das trifft zu, doch ermittelt
das angefochtene Urteil gerade die mutmassliche Erwerbseinbusse, ohne
dabei auf den Invaliditätsgrad als solchen abzustellen. Diese konkrete
Bemessungsgrundlage wird von den Beklagten mit keinem Wort angefochten.

    c) Die Beklagten beanstanden im übrigen die Kapitalisierung nach
der Aktivitätstafel 20 von STAUFFER/SCHÄTZLE. Richtigerweise wäre, so
meinen sie, die Tafel 23 betreffend temporäre Renten anzuwenden gewesen;
es sei nämlich anzunehmen, dass der Kläger sich mit 65 Jahren aus dem
Erwerbsleben zurückziehen werde; das führe für die Zeit vom 38. bis
65. Altersjahr zu einem Kapitalisierungsfaktor 1656. Nach Ansicht
der Vorinstanz liesse sich das Abstellen auf Tafel 23 vertreten,
doch sei es richtiger, mit der SUVA von Tafel 20 auszugehen. Wohl
werde der Kläger mit einiger Wahrscheinlichkeit mit 65 Jahren seine
Erwerbstätigkeit einstellen. Weil aber nach dem medizinischen Gutachten
seine Lebenserwartung nicht eingeschränkt sei und weil er als Behinderter
weniger Betätigungsmöglichkeiten habe, sei durchaus denkbar, dass er über
dieses Alter hinaus arbeiten werde. Es sei deshalb angezeigt, auf die
durchschnittliche Aktivität abzustellen. Nach Meinung des Klägers handelt
es sich hier um das Bundesgericht bindende tatsächliche Feststellungen. Das
trifft dafür zu, dass die Lebenserwartung des Klägers durch den Unfall
nicht beeinträchtigt wurde. Was die Wahrscheinlichkeit eines Rückzugs
aus dem Erwerbsleben mit 65 Jahren und für die danach bestehenden
geringeren Betätigungsmöglichkeiten betrifft, handelt es sich aber um
eine Würdigung der Umstände des vorliegenden Falles nach der allgemeinen
Lebenserfahrung. Eine vom Bundesgericht zu prüfende Rechtsfrage ist es
deshalb, auf welche Weise der dem Kläger erwachsende Erwerbsausfall zu
kapitalisieren ist.

    Die Aktivitätstafel 20 von STAUFFER/SCHÄTZLE beruht auf der im
Durchschnitt zu erwartenden Erwerbstätigkeit. Demgegenüber erfasst die
Tafel 23 "temporäre Renten" für eine bestimmte Anzahl Jahre. Wendete
man die Tafel 23 an, so ginge man deshalb von einer berechenbaren Dauer
der Erwerbseinbusse aus. In Fällen wie dem vorliegenden ist aber -
von ausserordentlichen Umständen abgesehen - das zuzusprechende Kapital
grundsätzlich nach einer Aktivitätstafel zu berechnen, da die Dauer der
Erwerbstätigkeit im Einzelfalle nicht mit genügender Sicherheit abgeschätzt
werden kann. Die Lösung, einfach auf das allgemeine Pensionierungsalter
abzustellen, wäre zu starr. Nicht berücksichtigt würde dergestalt vor
allem, dass nach der Pensionierung Erwerbstätigkeiten in andern als
den bisherigen beruflichen Funktionen durchaus denkbar sind (vgl.
STAUFFER/SCHÄTZLE, aaO, S. 131 und 132; OFTINGER, Schweizerisches
Haftpflichtrecht, Band I, 4. Auflage, S. 208 und 215; DESCHENAUX/TERCIER,
La responsabilité civile, Bern 1975, S. 226). Zutreffend tut die Vorinstanz
denn auch dar, dass gerade im Falle des Klägers mit einer Erwerbstätigkeit
über das 65. Altersjahr hinaus zu rechnen ist. Dass ein Tiefbautechniker
in leitender Stellung über diesen Zeitpunkt hinweg freiberuflich tätig
ist, indem er etwa Begutachtungen und dergleichen übernimmt, ist ohnehin
nicht ungewöhnlich. Vorliegend ist jedenfalls kein hinreichender Grund
dafür ersichtlich, von der Aktivitätstafel 20 abzugehen. Die Berufung
erweist sich somit auch in diesem Punkte als unbegründet.

    d) Der Berechnungsweise der Vorinstanz ist aber in anderer
Hinsicht nicht zu folgen. So rechnet sie die SUVA-Rente des
Klägers voll auf den Schaden an und setzt entsprechend die
Ersatzpflicht der Beklagten herab. Gemäss Art. 100 KUVG tritt die
SUVA "bis auf die Höhe ihrer Leistungen" in die Rechte ein, die dem
Versicherten und seinen Hinterlassenen gegenüber einem für den Unfall
haftenden Dritten zustehen. Wird einem Geschädigten der Schaden durch
Versicherungsleistungen nicht voll gedeckt, so können sodann nach Art. 88
SVG Versicherer ihre Rückgriffsrechte gegen die Haftpflichtigen oder
deren Haftpflichtversicherer nur geltend machen, soweit der Geschädigte
nicht benachteiligt wird. Diese Vorschrift des SVG ist nach neuerer
Rechtsprechung auf alle von Art. 100 KUVG beherrschten Fälle sinngemäss
anwendbar. Die SUVA kann deshalb gegen den Schädiger nur dann und insoweit
Rückgriff nehmen, als ihre Leistungen und jene des haftpflichtigen Dritten
oder dessen Versicherer zusammen den ganzen Schaden übersteigen. Dem
Geschädigten gereicht somit ein Selbstverschulden erst dann zum Nachteil,
wenn es so schwer ist, dass seine Schadenersatzansprüche geringer sind als
der von der SUVA nicht gedeckte Schaden (BGE 98 II 133 E. 1a, 97 II 130
E. 4, 96 II 360 E. III). Der Kläger verlangt vor Bundesgericht zwar nicht,
dass dieses sogenannte Quotenvorrecht berücksichtigt werde. Entscheidend
ist aber, dass er die Herabsetzung seines Schadenersatzanspruches wegen
Selbstverschuldens ablehnt und entsprechenden Antrag stellt. Ob diesem
Antrag trotz Selbstverschuldens wegen des Quotenvorrechtes zu entsprechen
ist, ist eine vom Bundesgericht von Amtes wegen zu entscheidende
Rechtsfrage; an die Begründung der Parteianträge ist es nicht gebunden
(Art. 63 Abs. 1 und 3 OG). Mangels konkreter Vorbringen des Klägers in der
Anschlussberufung sind die entsprechenden Korrekturen aber nur insoweit
vorzunehmen, als sie sich auf Grund der Feststellungen des angefochtenen
Urteils aufdrängen.

    e) Für die Zeit zwischen Unfalltag und 30. April 1968 berechnet
die Vorinstanz den Lohnausfall des Klägers auf Fr. 7'300.- und für
die Zeit zwischen 1. Mai 1968 und Tag des kantonsgerichtlichen Urteils
auf Fr. 38'960.-. Beide Beträge kürzt sie wegen Selbstverschuldens um
20% und spricht Fr. 5'840.- bzw. Fr. 31'168.-, zusammen Fr. 37'008.-
zu. Da die SUVA dem Kläger seit dem 1. Mai 1968 eine Rente ausrichtet,
ist die Frage des erwähnten Quotenvorrechtes nur hinsichtlich des
zweiten Teilbetrages zu prüfen. Aus den Erwägungen von Kantonsgericht und
Bezirksgericht, auf die das Kantonsgericht verweist, ergibt sich eindeutig,
dass die Rentenleistungen der SUVA in der Zeit zwischen 1. Mai 1968 und
Urteilstag in vollem Umfange angerechnet wurden. Nach den Feststellungen
der Vorinstanz bezog der Kläger in der fraglichen Zeitspanne monatliche
SUVA-Renten zwischen Fr. 613.- und Fr. 889.-. Da die von der SUVA
ausgerichteten Beträge somit den vom Kläger infolge Selbstverschuldens
zu übernehmenden Schadensteil bei weitem übersteigen, kann gemäss der
aufgezeigten Rechtsprechung nach Berücksichtigung der SUVA-Rente bei
der Schadensberechnung nicht noch ein Abzug wegen Selbstverschuldens
vorgenommen werden. Für die Zeitspanne zwischen dem 1. Mai 1968 und dem
Urteilstag sind dem Kläger somit unter dem Titel Lohnausfall Fr. 38'960.-
zuzusprechen, was zusammen mit dem Teilbetrag für die Zeit vor dem 1. Mai
1968 einen Gesamtbetrag von Fr. 44'800.- ergibt.

    f) Entsprechendes gilt bei der Bemessung des Schadenersatzes
für die künftige Invalidität. Hier geht das angefochtene Urteil aus
von einer monatlichen Lohneinbusse von Fr. 2'000.-, bringt darauf
Fr. 889.- SUVA-Rente in Abzug und kapitalisiert die verbleibende
Differenz von Fr. 1'111.- im Monat bzw. Fr. 13'332.- im Jahr. Der
so errechnete Kapitalbetrag von Fr. 244'109.- wird sodann um den
Selbstverschuldensanteil von 20% auf Fr. 195'287.20 herabgesetzt und
dem Kläger zugesprochen. Bei dieser Berechnungsweise wird wiederum zu
Unrecht ein voller Rückgriffsanspruch der SUVA angerechnet. Richtigerweise
ist von einer Lohneinbusse von Fr. 2'000.- monatlich als Schaden des
Klägers auszugehen. Nach Kürzung um 20% Selbstverschulden hat er den
Beklagten gegenüber noch Ersatz in der Höhe von monatlich Fr. 1'600.- zu
beanspruchen. Da diese Kürzung geringer ist als die Rente von Fr. 889.-,
kann der Kläger von den Beklagten Deckung seines vollen, nach Abzug der
Rente verbleibenden Schadens von Fr. 1'111.- im Monat verlangen, während
sich der Rückgriffsanspruch der SUVA entsprechend vermindert. So erhält
der Kläger von der SUVA und den Beklagten zusammen Fr. 2'000.- pro Monat,
während die Beklagten ihrerseits dem Kläger Fr. 1'111.- und der SUVA
Fr. 489.-, zusammen die Fr. 1'600.- schulden. Kapitalisiert entspricht
daher der Ersatzanspruch des Klägers gegenüber den Beklagten dem von der
Vorinstanz ungekürzt ermittelten Betrag von Fr. 244'109.-. Dieser Betrag
ist dem Kläger zuzusprechen.