Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 II 222



104 II 222

37. Auszug aus dem Urteil der staatsrechtlichen Kammer vom 31. Mai 1978
i.S. G. gegen Obmann des Arbeitsgerichts des Bezirks Bremgarten/AG und
Inspektionskommission des Obergerichts des Kantons Aargau Regeste

    Art. 4 BV; Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis: Unentgeltlichkeit
des Verfahrens.

    Art. 343 Abs. 3 OR über die Unentgeltlichkeit des Verfahrens gilt
auch in Streitigkeiten über prozessuale Nebenpunkte.

Sachverhalt

    A.- In einem beim Arbeitsgericht Bremgarten/AG anhängigen Streitfall
lud der Obmann des Arbeitsgerichts am 18. Oktober 1977 die Parteien zur
Vermittlungsverhandlung vor dem Obmann auf den 21. Oktober 1977 vor. Mit
Aufsichtsbeschwerde vom 21. Oktober 1977 an die Inspektionskommission des
Obergerichts des Kantons Aargau beantragte die Klägerin G. im wesentlichen,
die Vorladungsverfügung aufzuheben, da sie in gesetzwidriger Weise auf
eine zu kurze Frist erlassen worden sei, und das Klagebegehren nicht
nur vom Obmann, sondern vom gesamten Arbeitsgericht beurteilt werden
müsse. Die Inspektionskommission wies die Beschwerde ab und auferlegte
der Beschwerdeführerin die Verfahrenskosten von insgesamt Fr. 70.-. Der
Kostenspruch wurde nicht näher begründet.

    Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt Frau G. sinngemäss, den
Kostenspruch des vorinstanzlichen Urteils aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin macht zunächst geltend, der Kostenspruch des
angefochtenen Entscheides verletze Art. 343 Abs. 3 OR. Diese Rüge betrifft
die Anwendung von Bundeszivilrecht. Das Bundesgericht kann im Verfahren
der staatsrechtlichen Beschwerde nicht die Funktion einer gesetzlich
nicht vorgesehenen Berufungsinstanz übernehmen (vgl. BGE 96 I 41 E. 2).
Vielmehr prüft es in solchen Fällen nur, ob die kantonale Instanz das
Recht willkürlich angewendet oder die Rechtsgleichheit verletzt hat (BGE
96 I 9 E. 2; 90 I 139 E. 2). Willkürlich ist nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichts ein Entscheid, der eine Norm oder einen klaren und
unumstrittenen Rechtssatz offensichtlich verletzt oder in stossender
Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 100 Ia 6 E. b, 468).

    a) Gemäss Art. 343 Abs. 3 OR dürfen in Streitigkeiten aus dem
Einzelarbeitsvertrag bis zu einem Streitwert von Fr. 5'000.- den Parteien -
ausser im Falle mutwilliger Prozessführung - weder Gebühren noch Auslagen
des Gerichts auferlegt werden. Das Bundesgericht hat wiederholt ausgeführt,
dass diese Regel in allen Verfahrensstufen und vor allen Instanzen
Anwendung findet (BGE 100 Ia 129 E. 6; 98 Ia 567 E. 6 a). Es kann sich
nur fragen, ob dies auch in Streitigkeiten über prozessuale Nebenpunkte
gelten muss.

    b) Der Wortlaut des Art. 343 Abs. 3 OR schränkt den sachlichen
Geltungsbereich dieser Bestimmung in keiner Weise ein. Die
Entstehungsgeschichte zeigt, dass der Bundesrat und die eidgenössischen
Räte die Kostenlosigkeit des arbeitsgerichtlichen Prozessverfahrens
als sozialpolitische Massnahme im Interesse der Rechtsverwirklichung
betrachteten, die es den am Arbeitsverhältnis Beteiligten, namentlich dem
Arbeitnehmer als schwächerer Partei, ermöglichen sollte, ohne Kostenrisiko
um ihr Recht zu kämpfen. Der Bundesrat führte in seiner Botschaft vom
25. August 1967 zum Bundesgesetz über die Revision des Zehnten Titels
und des Zehnten Titels bis des Obligationenrechts namentlich folgendes aus:

    "Würden für Streitigkeiten, wie sie bis anhin aus dem

    Fabrikarbeitsverhältnis, aus dem landwirtschaftlichen Arbeitsverhältnis
   oder aus dem Heimarbeitsverhältnis entstanden sind, die Regeln des
   gewöhnlichen Zivilprozessrechts gelten, so wäre der Arbeitnehmer in
   vielen Fällen gar nicht in der Lage, zur Durchsetzung seiner

    Ansprüche den Richter anzurufen." (BBl 1967 II 406.)  Soll der
sozialpolitische Gehalt des Art. 343 Abs. 3 OR voll wirksam werden, so
muss diese Vorschrift klarerweise nicht nur im Verfahren der Hauptsache,
sondern auch in Streitigkeiten über prozessuale Nebenpunkte zur Anwendung
gelangen (vgl. ZR 1972 Nr. 75 E. 4 b). Andernfalls sähe sich der Richter
immer wieder gezwungen, schwer begründbare Abgrenzungen zu treffen,
für welche Art. 343 Abs. 3 OR keinerlei Anhaltspunkte liefert.

    c) Die Kostenregelung im angefochtenen Urteil verstösst nach dem
Gesagten gegen den klaren Sinn von Art. 343 Abs. 3 OR. Die Beschwerde
ist daher gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann, und der
angefochtene Kostenspruch ist aufzuheben.