Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 II 156



104 II 156

26. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Juni 1978 i.S. F.
gegen A. Regeste

    Auflösung des ehelichen Vermögens infolge des Todes eines Ehegatten;
Berechnung des Vorschlags (Art. 214 ZGB).

    Aktien, die während der Ehe aus Mitteln der Errungenschaft und aufgrund
von Bezugsrechten alter, zum eingebrachten Gut gehörender Aktien erworben
wurden, sind der Errungenschaft zuzuweisen und unterliegen damit der
Vorschlagsteilung. Dem eingebrachten Gut steht für die beim Ankauf der
neuen Aktien zur Verfügung gestellten Anteilsrechte eine Ersatzforderung
an die Errungenschaft zu (Präzisierung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Am 20. Juni 1965 starb J. F. Als gesetzliche Erben hinterliess
er seine Schwester, J. A.-F., und seine Ehefrau. In seiner letztwilligen
Verfügung vom 30. Januar 1957 hatte er seiner überlebenden Ehefrau einen
Viertel des Nachlasses zu Eigentum und die restlichen drei Viertel zur
Nutzniessung zugewiesen, Teilungsvorschriften aufgestellt und Anordnungen
getroffen für den Fall, dass seine Ehefrau sich wieder verheiraten oder
auf das ihr in seiner Liegenschaft eingeräumte Wohnrecht verzichten sollte.

    Zwischen der Schwester des Erblassers und seiner überlebenden Ehefrau
entstand in der Folge ein Streit über den Bestand des Nachlasses, der
sich u.a. auf die Höhe des Vorschlags bezog.

    Mit Klageschrift vom 5. Februar 1968 erhob die Schwester des Erblassers
beim Bezirksgericht Zürich eine Erbteilungsklage gegen die überlebende
Ehefrau. Das Bezirksgericht erliess am 12. Juli 1974 ein Vorurteil,
gegen das beide Parteien Berufung erklärten.

    Das Obergericht des Kantons Zürich stellte mit Urteil vom 14. Oktober
1977 den Nachlass des Erblassers per Todestag (Dispositiv Ziff. 1),
das Frauengut der Beklagten (Dispositiv Ziff. 2) sowie den Nachlass
als Teilungsmasse (Dispositiv Ziff. 3) fest und traf Anordnungen für
die Teilung. Dispositiv Ziff. 1 lit. i bezifferte den Vorschlagsdrittel
der Beklagten auf Fr. 24'426.60. Dispositiv Ziff. 2 umschrieb, welche
Aktiven der Beklagten als Frauengut zugewiesen werden.

    Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung an das Bundesgericht
erhoben, mit der sie u.a. beantragt, ihre Forderung auf Vorschlagsanteil
um 1/3 von Fr. 32'080.15, also um Fr. 10'693.38 zu erhöhen und Dispositiv
Ziff. 1 lit. i sowie Dispositiv Ziff. 2 entsprechend zu ändern.

    Die Klägerin stellt Antrag auf Abweisung der Berufung und eventuell,
für den Fall der Gutheissung des Berufungsantrags bezüglich des
Vorschlagsanteils, auf Ergänzung der vom Bundesgericht in BGE 82 II 492
niedergelegten Praxis.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut, hebt
Dispositiv Ziff. 1 lit. i, Ziff. 2 und Ziff. 3 (Vorschlagsdrittel) des
angefochtenen Urteils auf und weist die Sache zur allfälligen Ergänzung
und zur Ausfällung eines neuen Entscheids im Sinne der Erwägungen an die
Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Zum eingebrachten Gut des Erblassers gehörten Aktien, die ihm
unter anderem ein Anrecht auf den Erwerb weiterer Aktien vermittelten. Der
Erblasser übte dieses Bezugsrecht während der Ehe aus, kaufte zudem aus
Errungenschaftsmitteln neue Anrechte und liberierte die neu erworbenen
Aktien aus der Errungenschaft. Streitig ist, ob die so erworbenen neuen
Aktien zum eingebrachten Gut oder zur Errungenschaft gehören und in die
Vorschlagsberechnung einzubeziehen seien.

Erwägung 5

    5.- a) Das Bundesgericht entschied in einem ähnlichen Fall, dass die
neuen Aktien in die Vorschlagsberechnung einzubeziehen seien. Es begründete
seinen Entscheid mit den folgenden Überlegungen: Das während der Ehe
ausgeübte Zeichnungsrecht sei Teil der in die Ehe eingebrachten Aktien
und gehöre somit zum eingebrachten Gut. Es stelle eine Kompensation dar
für eventuelle Verluste an Wert und Einfluss und erlaube dem Aktionär,
seine finanzielle Position und seinen Einfluss in der Verwaltung der
Gesellschaft zu bewahren. Wenn aber gestützt auf das Bezugsrecht neue
Aktien erworben würden, bestünden diese unabhängig von den alten. Das
Eigentum an den alten Aktien bei Eheabschluss schliesse nicht notwendig
die Zeichnung und Liberierung neuer Aktien ein. Die während der Ehe
neu erworbenen Aktien seien juristisch etwas anderes als die alten
Aktien. Wohl könne mit Bezug auf sie das Zeichnungsrecht nur gestützt auf
die alten, eingebrachten Aktien ausgeübt werden; aber um sie zu erwerben,
müsse ein bestimmter Betrag aufgewendet werden. Wenn der Eigentümer der
eingebrachten Aktien diesen Betrag aus Mitteln der Errungenschaft bezahle,
dann gehörten die während der Ehe gezeichneten und liberierten Aktien
nicht zum eingebrachten Gut, sondern zur Errungenschaft (BGE 82 II 493 f.).

    b) Dieser Entscheid stiess in der Literatur auf Kritik. LEMP (ZBJV
93/1957, S. 293 Anm. 1) bezeichnete das angeführte bundesgerichtliche
Urteil als falsch. Er hielt dafür, dass dem eingebrachten Gut, wenn die
neu erworbenen Aktien der Errungenschaft zuzurechnen seien, für das mit den
alten Aktien verbundene eingebrachte Zeichnungsrecht eine Ersatzforderung
an die Errungenschaft zugesprochen werden müsse; wenn die neu erworbenen
Aktien dagegen als Surrogate des Zeichnungsrechts der alten Aktien dem
eingebrachten Gut zuzurechnen seien, schulde dieses der Errungenschaft
für das aus ihr bezahlte Aufgeld Ersatz.

    MERZ (ZBJV 94/1958, S. 9) wies bei der Besprechung des
bundesgerichtlichen Urteils 82 II 493 f. darauf hin, wenn die neuen
Aktien unentgeltlich ausgegeben würden, gehörten sie zum eingebrachten
Gut des Eigentümers der alten, eingebrachten Aktien, dem sie aufgrund
des mit den alten Aktien verbundenen Zeichnungsrechts zugewiesen worden
seien. Aber auch wenn für die neuen Aktien ein Liberierungsbetrag bezahlt
werden müsse, liege ihrer Zuteilung das Bezugsrecht zugrunde, an dessen
Stelle sie träten. Es sei lediglich noch ein Barbetrag aufzubringen. Die
Vermögensmasse, welcher dieser Betrag entnommen werde, erwerbe eine
entsprechende Ersatzforderung gegen das eingebrachte Gut des Eigentümers
der neuen Aktien. Dass es sich so verhalten müsse, ergebe sich besonders
deutlich, wenn angenommen werde, der Eigentümer der Bezugsrechte habe diese
verkauft, statt neue Aktien zu zeichnen. Der Verkaufserlös gehöre in diesem
Fall unzweifelhaft zum eingebrachten Gut. Gleich müsse es sich verhalten,
wenn der Eigentümer der alten Aktien von der Zuwendung der Gesellschaft
dadurch profitiere, dass er das zum eingebrachten Gut gehörende Bezugsrecht
statt gegen Barmittel gegen neue Aktien eintausche. Dass er dabei noch
in gewissem Umfang Bargeld aus der Errungenschaft aufwende, werde dadurch
berücksichtigt, dass dieser eine Ersatzforderung an das eingebrachte Gut
zugestanden werde.

    In der Folge scheint sich Lemp der Betrachtungsweise von Merz
angeschlossen zu haben. Er führte in seinem Kommentar zum Eherecht aus,
was aufgrund eines zum eingebrachten Gut gehörenden Rechts erworben
werde, davon werde vermutet, dass es zum eingebrachten Gut gehöre; neu
erworbene Aktien seien teilweise Ersatz für das Zeichnungsrecht, was das
Bundesgericht in BGE 82 II 492 verkannt habe (LEMP, N. 36 zu Art. 196 ZGB).

    c) Beide Vorinstanzen haben im Sinne der Ausführungen von Merz die
vom Erblasser neu erworbenen Aktien seinem eingebrachten Gut zugewiesen
und der Errungenschaft für die Bezahlung der Aktien und den Ankauf von
Anrechten eine Ersatzforderung an das Mannesgut zugesprochen.

    Die Beklagte beantragt mit knapper, aber doch ausreichender Begründung,
die aufgrund der eingebrachten Anrechte zugewachsenen Aktien seien im
Sinne von BGE 82 II 493 als Errungenschaft zu behandeln. Die Klägerin
hält demgegenüber die vorinstanzliche Begründung für richtig und beantragt
für den Fall der Gutheissung der Berufung in diesem Punkt, die bisherige
bundesgerichtliche Praxis in dem Sinne zu korrigieren bzw. zu ergänzen,
dass dem eingebrachten Gut eine Ersatzforderung an die Errungenschaft
zugesprochen werde.

Erwägung 6

    6.- a) Es lassen sich für beide Lösungen, sowohl für die vom
Bundesgericht in seinem Urteil aus dem Jahre 1956 gewählte als auch für
die von Merz vertretene, gute Gründe anführen. Unbestritten dürfte sein,
dass neue Aktien, die aufgrund von Anteilsrechten eingebrachter Aktien
erworben und mit Mitteln des eingebrachten Guts liberiert werden, zum
eingebrachten Gut gehören. Ebenso ist Merz beizupflichten, dass der Erlös
aus dem Verkauf von Anteilsrechten, die zum eingebrachten Gut gehörten,
ebenfalls diesem Gut zuzurechnen ist.

    Anders verhält es sich indessen, wenn beim Erwerb neuer Aktien
durch Geltendmachung des Anteilsrechts alter Aktien noch zusätzlich
ein bestimmter Betrag aus der Errungenschaft aufgezahlt wird. Dabei
kann zwar der Wert des Anteilsrechts sehr hoch und der zur Aufzahlung
benötigte Betrag sehr gering sein. Umgekehrt kann aber auch der Wert
der Anteilsrechte gering sein und der zur Aufzahlung benötigte Betrag
stark überwiegen. Man könnte daher daran denken, die Zugehörigkeit der
neuen Aktien verschieden zu beurteilen, je nachdem ob für ihren Erwerb
vorwiegend Mittel der Errungenschaft oder des eingebrachten Guts eingesetzt
werden. Eine solche Lösung erscheint indessen nicht als befriedigend,
zumal möglicherweise in derselben Auseinandersetzung Aktien der einen
wie der andern Art vorhanden sein können. Entscheidend ist nun aber,
dass die gestützt auf Anteilsrechte und mit Mitteln der Errungenschaft
erworbenen neuen Aktien - entgegen der Ansicht von Merz - nicht blosses
Surrogat des Anteilsrechts der alten Aktien sind. Dies ergibt sich schon
daraus, dass ein Anteilsrecht nicht in jedem Falle den Erwerb neuer Aktien
zur Folge hat. Wie in BGE 82 II 493 zutreffend festgestellt wurde, sind
die neuen Aktien rechtlich etwas anderes als die alten, etwas Neues und
Zusätzliches, das neben den alten Aktien besteht und nicht etwa bisherige
Titel aus dem eingebrachten Gut ersetzt. Diese Überlegung spricht dafür,
die neuen Aktien nicht dem eingebrachten Gut, sondern der Errungenschaft
zuzurechnen, sofern eine Aufzahlung aus der Errungenschaft geleistet wurde.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kommt die Wertvermehrung
bei Liegenschaften, die in die Ehe eingebracht wurden und während der Ehe
durch Investitionen aus der Errungenschaft oder durch eine den Rahmen der
gewöhnlichen Verwaltung übersteigende Tätigkeit in ihrem Wert gestiegen
sind, dem ehelichen Vorschlag zu (BGE 96 II 306 ff. und 88 II 143/144;
nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 26. Mai 1977 i.S. B.,
E. 4 lit. e, S. 9/10). Wird diese Regel analog auf den vorliegenden
Fall zur Anwendung gebracht, so sind die neu erworbenen Aktien der
Errungenschaft zuzuweisen. Schliesslich fällt hier in Betracht, dass der
Erblasser neue Aktien nicht nur gestützt auf Anteilsrechte alter Aktien,
sondern auch aufgrund von neuen, aus Mitteln der Errungenschaft gekauften
Anrechten erworben hat. Die aus der Errungenschaft stammenden Mittel
waren also beim Erwerb der neuen Aktien nicht unbedeutend, so dass es
sich auch unter diesem Gesichtspunkt rechtfertigt, die neuen Aktien als
Bestandteil der Errungenschaft zu betrachten.

    Alle diese Umstände sprechen dafür, an der in BGE 82 II 493
niedergelegten Praxis grundsätzlich festzuhalten und die im umschriebenen
Sinne neu erworbenen Aktien der Errungenschaft zuzurechnen. Diese
Lösung entspricht auch eher dem heute allgemein verbreiteten Gedanken,
dass bei Werten, die während der Ehe ganz oder teilweise aus Mitteln der
Errungenschaft erworben oder vergrössert worden sind, nach Möglichkeit
beide Ehegatten im Rahmen der Vorschlagsteilung am Wertzuwachs teilhaben
sollen. Auch das Bundesgericht hat diesem Gedanken in jüngster Zeit
in verschiedenen Entscheiden wiederholt zum Durchbruch verholfen (vor
allem die beiden bereits erwähnten Entscheide: BGE 96 II 311 E. 1c und
das Urteil vom 26. Mai 1977 i.S. B.; vgl. auch BGE 100 II 275 E. 4 und
5 und 99 II 11 ff.).

    b) Sind die Aktien, die während der Ehe aus Mitteln der Errungenschaft
und aufgrund von Bezugsrechten alter, zum eingebrachten Gut gehörender
Aktien erworben wurden, der Errungenschaft zuzuweisen, so drängt sich eine
Ergänzung der mit BGE 82 II 493 begründeten Rechtsprechung auf. Es ist
der Kritik von LEMP (ZBJV 93/1957, S. 293 Anm. 1) Rechnung zu tragen und
dem eingebrachten Gut für die beim Ankauf der neuen Aktien zur Verfügung
gestellten Anteilsrechte eine Ersatzforderung an die Errungenschaft
zuzusprechen. Das Bundesgericht hatte eine solche Ersatzforderung im
erwähnten Urteil (S. 494 unten) zu Unrecht abgelehnt.

    Damit sind in diesem Punkt die Berufung der Beklagten und der
Eventualantrag der Klägerin gutzuheissen. Die Höhe der Ersatzforderung
entspricht dem Wert der vom eingebrachten Mannesgut zur Verfügung
gestellten Anrechte bei den verschiedenen Kapitalerhöhungen. Das
angefochtene Urteil enthält darüber keine Feststellungen tatsächlicher
Art. Die Klägerin räumt ein, das massgebende Quantitativ der
Ersatzforderung sei von den Vorinstanzen nicht ausgerechnet worden. Die
Akten sind deshalb zur Ergänzung und Ausfällung eines neuen Entscheids
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Klägerin vertritt allerdings die Meinung, das Bundesgericht könne
den Wert der Anrechte der alten, eingebrachten Aktien aufgrund von Art. 64
Abs. 2 OG selbst errechnen. Sie stellt in ihrer Berufungsantwort eine
Berechnung an und kommt auf eine Ersatzforderung von Fr. 25'752.- und
damit auf einen der Beklagten zustehenden zusätzlichen Vorschlagsanteil
von Fr. 8'512.65. Zur Erläuterung dieser Rechnung macht sie Ausführungen
auf insgesamt fünf Seiten. Derart umfangreiche Abklärungen tatsächlicher
Art vorzunehmen, ist indessen Sache des Tatsachenrichters und nicht des
Bundesgerichts als Berufungsinstanz. Würde das Bundesgericht selbst
entscheiden, würde der Beklagten in diesem Punkt der Rechtsweg um
eine Instanz verkürzt und es würde ihr insofern das rechtliche Gehör
verweigert. Es bleibt demnach nichts anderes übrig, als die Sache zur
allfälligen Ergänzung und zur Ausfällung eines neuen Entscheids im Sinne
der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen, auch wenn dadurch der
Prozess, der bereits über zehn Jahre gedauert hat, nochmals in unliebsamer
Weise verlängert wird.