Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 II 145



104 II 145

24. Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. März 1978 i.S. A. gegen A.
Regeste

    Art. 142 Abs. 2 ZGB; Widerspruchsrecht gegen die Scheidungsklage des
überwiegend schuldigen Gatten.

    Grundsätzlich kommt es nicht darauf an, aus welchen Gründen sich
ein Ehegatte der Scheidungsklage des überwiegend schuldigen Teils
widersetzt. Hat jedoch der Gatte, der sich auf sein Widerspruchsrecht
gegen die Scheidungsklage beruft, selber jede wirkliche Bindung an die
Ehe verloren und hält er nur noch der Form halber am Eheband fest, so
muss er ein schützenswertes Interesse an der Fortdauer der Ehe geltend
machen können, um die Abweisung der Scheidungsklage zu erreichen. Ist
dies nicht der Fall, erscheint die Anrufung von Art. 142 Abs. 2 ZGB
als rechtsmissbräuchlich.

Sachverhalt

    A.- Josef A., geboren 1909, und Emilie F., geboren 1899, heirateten am
14. März 1935 in Zürich. Durch die Heirat wurde der bereits am 28. Januar
1934 geborene Sohn legitimiert. Der am 22. August 1935 geborene zweite
Sohn der Eheleute starb im Jahre 1949.

    Seit dem 1. Januar 1945 leben die Eheleute getrennt. Der Ehemann
erhob beim Bezirksgericht Zürich Klage auf Scheidung, der sich die Ehefrau
widersetzte. Mit Urteil vom 17. Juni 1947 wies das Bezirksgericht diese
Klage wegen überwiegenden Verschuldens des Ehemannes ab. Der Kläger
reichte gegen das Urteil Berufung an das Obergericht ein, zog diese in
der Folge aber wieder zurück. Auch nach Beendigung des Prozesses nahm der
Ehemann das Zusammenleben mit seiner Frau nicht wieder auf. Im Jahre 1949
übersiedelte er nach Genf, währenddem die Ehefrau mit dem Sohn in Zürich
wohnhaft blieb. In Genf klagte der Ehemann erneut auf Scheidung. Auch
diese Klage wurde aber am 17. Mai 1951 abgewiesen. Hierauf wanderte er am
23. Juni 1953 nach Australien aus. Dort heiratete er am 31. Juli 1953 die
ihm nach Australien gefolgte Schweizerin Gertrud Z., mit der er bereits in
Genf zusammengelebt hatte. Dieser Verbindung entsprossen zwei Töchter. Am
30. Juli 1963 erwarb der Kläger die australische Staatsbürgerschaft,
wobei er das Schweizerbürgerrecht beibehielt.

    B.- Am 23. Dezember 1975 reichte Josef A. beim zuständigen Gericht
seines Heimatkantons Luzern gegen Emilie A. Scheidungsklage ein. Zur
Begründung berief er sich einerseits auf Umstände, die bereits Gegenstand
der früheren Scheidungsprozesse gebildet hatten. Andererseits machte
er geltend, dass er seit seiner Auswanderung nach Australien keinerlei
Kontakt mehr mit der Beklagten gehabt habe, wenn man von Schmähbriefen und
-karten absehe, welche die Beklagte ihm in den ersten Jahren habe zukommen
lassen. Zwischen den Parteien, die sich seit mindestens 23 Jahren nicht
mehr gesehen hätten, sei eine völlige innere Entfremdung eingetreten,
welche die Möglichkeit eines sinnvollen Zusammenlebens ausschliesse. Unter
diesen Umständen habe die Ehe aber jeglichen Sinn als Lebensgemeinschaft
verloren.

    Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Für den Eventualfall
der Scheidung stellte sie verschiedene Anträge vermögensrechtlicher
Natur. Sie machte geltend, die vom Kläger in Australien geschlossene Ehe
sei nach schweizerischem Recht nichtig und daher unbeachtlich. Der Kläger
habe heute noch viel weniger einen Scheidungsanspruch als früher, da er
der alleinschuldige Teil sei. Sie sei bereit, ihn zu jeder Zeit wieder
aufzunehmen. Sie liebe ihn noch; für die Wiederaufnahme der ehelichen
Gemeinschaft sei es noch nicht zu spät.

    Das Amtsgericht hiess mit Urteil vom 24. November 1976 die Klage
gut. Es schied die Ehe der Parteien und verpflichtete den Kläger zur
Bezahlung eines monatlichen Unterhaltsbeitrages von Fr. 100.- an die
Beklagte. Die weitergehenden Begehren wies es ab.

    C.- Die Beklagte appellierte gegen dieses Urteil an das Obergericht
des Kantons Luzern. Sie hielt an ihrem Antrag auf Abweisung der Klage fest
und verlangte für den Fall der Scheidung einen höheren Unterhaltsbeitrag
sowie die Bezahlung eines Betrages von Fr. 25'000.- als Vorschlagsanteil.

    Mit Urteil vom 12. September 1977 bestätigte das Obergericht das
erstinstanzliche Urteil im Scheidungspunkt. Zusätzlich zu dem bereits
von der ersten Instanz zugesprochenen Unterhaltsbeitrag verpflichtete
es den Kläger, der Beklagten Fr. 23'000.- als Vorschlagsanteil zu
bezahlen. Das Obergericht bejahte das Vorliegen einer tiefen und
unheilbaren Zerrüttung. Es vertrat sodann die Auffassung, dass heute
nicht mehr von einem überwiegenden Verschulden des Klägers an dieser
Zerrüttung gesprochen werden könne; diese sei ebensosehr auf das Verhalten
der Beklagten und auf Objektive Umstände zurückzuführen. Selbst wenn der
Kläger aber nach wie vor als überwiegend schuldiger Teil betrachtet werden
müsste, wäre die Scheidung trotzdem auszusprechen, da der Widerstand der
Beklagten gegen die Scheidung als rechtsmissbräuchlich erscheine.

    D.- Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung an das Bundesgericht
erhoben. Sie beantragt, die Scheidungsklage sei abzuweisen.

    Der Kläger hat keine Berufungsantwort eingereicht.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Kläger hat seinen Wohnsitz in Australien. Er
ist Schweizerbürger und besitzt daneben die australische
Staatsbürgerschaft. Die kantonalen Instanzen haben unter diesen Umständen
die Zuständigkeit des schweizerischen Heimatrichters zur Beurteilung
der Scheidungsklage und die Anwendbarkeit des schweizerischen Rechts auf
Grund von Art. 7 g NAG mit Recht bejaht (BGE 84 II 472 ff.).

Erwägung 2

    2.- Die Berufung richtet sich ausschliesslich gegen die Gutheissung
der Scheidungsklage durch die Vorinstanz, nicht aber gegen die Regelung
der Nebenfolgen im Falle der Bestätigung des Scheidungsurteils. Die
Beklagte wirft der Vorinstanz vor, ihre Einrede des überwiegenden
Verschuldens des Klägers zu Unrecht verworfen und dadurch Art. 142
Abs. 2 ZGB verletzt zu haben. Auch sie bestreitet hingegen nicht, dass
die Ehe der Parteien objektiv tief zerrüttet ist. Das Vorhandensein einer
solchen Zerrüttung könnte denn auch kaum ausgeprägter sein als hier, wo
die Parteien seit vielen Jahren keinerlei Kontakt mehr miteinander haben
und sich in verschiedenen Teilen der Welt einen selbständigen Lebenskreis
geschaffen haben. Die Beklagte macht jedoch geltend, die Zerrüttung der
Ehe sei allein auf das Verschulden des Klägers zurückzuführen, weshalb
diesem kein Scheidungsanspruch zustehe; Rechtsmissbrauch könne ihr sodann
nicht vorgeworfen werden, wenn sie sich der Scheidungsklage unter Berufung
auf Art. 142 Abs. 2 ZGB widersetze, da es der Kläger zu vertreten habe,
dass eine Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft nicht möglich sei.

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz hat den Widerspruch der Beklagten gegen die
Scheidungsklage zunächst deshalb als unbegründet betrachtet, weil heute
nicht mehr von einem überwiegenden Verschulden des Klägers gesprochen
werden könne. Sie stellt in diesem Zusammenhang fest, dass während der
Zeit des Zusammenlebens nicht nur der Kläger Fehler gemacht habe; die
Beklagte ihrerseits habe durch ihre am Anfang der Ehe an den Tag gelegte
Streitsucht und ihre Tätigkeit als Kupplerin Ursachen zur Zerrüttung
gesetzt. Wenn die Versuche des Klägers, in Zürich und später in Genf die
Scheidung zu erlangen, gescheitert seien, so offensichtlich nur deshalb,
weil er im Zeitpunkt dieser Scheidungsprozesse wegen seiner Beziehungen
zu andern Frauen als überwiegend schuldiger Teil gegolten habe. Für die
Folgezeit falle aber ins Gewicht, dass die Beklagte keinerlei Bemühungen
unternommen habe, um dem Kläger die Türe zur Rückkehr in die eheliche
Gemeinschaft offenzuhalten. Sie habe auch nicht die Nichtigerklärung
der vom Kläger in Australien abgeschlossenen Ehe angestrebt. Wenn die
Beklagte dem Kläger noch neun Jahre nach der faktischen Trennung eine
hasserfüllte, beleidigende Karte zugestellt habe, so habe sie damit
dokumentiert, dass sie ihrerseits die Brücken zu einer Versöhnung und damit
zu einer allfälligen späteren Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft
abgebrochen habe. Berücksichtige man die Unversöhnlichkeit der Beklagten
im Zusammenhang mit der sehr langen Dauer der faktischen Trennung, so
überwiege heute das Verschulden des Klägers an der Zerrüttung jenes der
Beklagten sowie die objektiven Zerrüttungsursachen nicht mehr.

    Was die beiden Urteile anbetrifft, mit denen zwei frühere
Scheidungsklagen des Klägers abgewiesen worden waren, hat die Beklagte
diese Entscheide im kantonalen Verfahren zwar angeführt, ohne aber
ausdrücklich die Einrede der Rechtskraft zu erheben. Die Vorinstanz hat
trotzdem im wesentlichen auf jene Urteile abgestellt, wenn sie ausführt,
dass wohl auch die Beklagte während der Zeit des Zusammenlebens Fehler
gemacht und dadurch Zerrüttungsursachen gesetzt habe, dass der Kläger
jedoch wegen seiner Beziehungen zu andern Frauen als überwiegend schuldiger
Teil gegolten habe. Ob die materielle Rechtskraft von Urteilen, mit denen
eine Scheidungsklage abgewiesen wurde, in einem späteren Scheidungsprozess
zwischen den gleichen Parteien kraft Bundesrechts von Amtes wegen
oder bloss auf Einrede hin zu beachten ist, wurde in BGE 95 II 643/644
offengelassen. Diese Frage braucht auch heute nicht entschieden zu werden,
da die Vorinstanz die Verbindlichkeit der beiden zwischen den Parteien
ergangenen Urteile nicht etwa in Frage gestellt, sondern sich die damalige
Beurteilung der Verschuldensfrage im wesentlichen zu eigen gemacht hat.

    Nicht zu überzeugen vermag das angefochtene Urteil indessen, wenn
es das Überwiegen des Verschuldens des Klägers an der Zerrüttung unter
Hinweis auf die seitherige Entwicklung der Dinge glaubt verneinen zu
können. Das Verhalten des Klägers, der sich nach der Abweisung seiner
Scheidungsklagen nicht nur weigerte, zu seiner Familie zurückzukehren,
sondern mit einer andern Frau zusammenlebte, mit dieser nach Australien
auswanderte und dort mit ihr eine neue Familie gründete, ohne sich
je um das Schicksal der in der Schweiz zurückgelassenen Ehefrau zu
kümmern, wird mit keinem Wort gewürdigt. Der Beklagten wird hingegen
der Vorwurf gemacht, keinerlei Bemühungen zur Rückkehr des Klägers
in die eheliche Gemeinschaft unternommen und die Nichtigerklärung der
vom Kläger in Australien geschlossenen Ehe nicht angestrebt zu haben.
Diese Betrachtungsweise wird der Sachlage nicht gerecht. Soweit im
geschilderten Verhalten der Beklagten überhaupt ein Verschulden erblickt
werden kann, ist dieses jedenfalls erheblich geringer als jenes des
Klägers. Die Vorinstanz übersieht, dass es der Kläger war, der nach
der Abweisung seiner Scheidungsklagen die Brücken zur Beklagten völlig
abgebrochen hat. Mit seiner Auswanderung nach Australien, seiner dortigen
Heirat und der Einstellung jeglicher Beitragsleistungen an die Beklagte
hat er mit nicht zu überbietender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht,
dass er alle Verbindungen mit der Beklagten für dauernd lösen wolle. Die
von der Vorinstanz zitierte Karte, welche die Beklagte dem Kläger etwa ein
Jahr nach dessen Auswanderung nach Australien schrieb, muss unter diesen
Umständen als Reaktion einer verbitterten Ehefrau auf das erlittene Unrecht
verstanden werden und fällt deshalb verschuldensmässig nicht stark ins
Gewicht. Angesichts des Verhaltens des Klägers kann auch die lange Dauer
des Getrenntlebens nicht als selbständige Zerrüttungsursache objektiver
Natur betrachtet werden, welche geeignet wäre, den Anteil des Verschuldens
des Klägers an der Zerrüttung zu vermindern. Die lange Trennungsdauer
und die dadurch bewirkte zusätzliche Entfremdung zwischen den Parteien
sind nichts anderes als die Folge der bewussten Abwendung des Klägers von
der Beklagten. Sie vermögen daher den Kläger verschuldensmässig nicht zu
entlasten. Ist der Kläger aber auch heute noch als überwiegend schuldiger
Teil zu betrachten, verletzt das angefochtene Urteil Bundesrecht, wenn es
die Anwendbarkeit von Art. 142 Abs. 2 ZGB mit der Begründung verneint,
das Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe sei nicht grösser
als jenes der Beklagten und die objektiven Zerrüttungsursachen.

Erwägung 4

    4.- Die Vorinstanz hat die Scheidungsklage jedoch nicht nur mit dieser
Begründung gutgeheissen, die vor dem Bundesrecht nicht standhält. Sie hat
vielmehr Art. 142 Abs. 2 ZGB auch deshalb als unanwendbar betrachtet,
weil sie in der Anrufung dieser Bestimmung durch die Beklagte einen
Rechtsmissbrauch erblickte. Sie führte in diesem Zusammenhang aus, es
sei anzunehmen, dass die Beklagte den Kläger entgegen ihren prozessualen
Beteuerungen seit langem als Partner einer ehelichen Gemeinschaft ablehne.
Anders sei ihr Verhalten während der Trennung nicht zu erklären;
eine andere Haltung wäre auch menschlich kaum einfühlbar. Es sei nicht
einzusehen, wie sich die Parteien heute nach 32-jähriger Trennung, nach
völliger Entfremdung und dem Aufbau verschiedener Lebenskreise sowie
angesichts ihres vorgerückten Alters (die Beklagte 78-jährig, der Kläger
68-jährig) erneut zu einer Gemeinschaft zu finden vermöchten. Andere
schützenswerte Interessen der Beklagten für das Festhalten an der Ehe,
insbesondere solche finanzieller Natur, seien nicht ersichtlich.

    Die Beklagte wendet demgegenüber ein, der Kläger habe ihr keine
Gelegenheit gegeben, die Lebensgemeinschaft mit ihm je wieder aufzunehmen,
sondern durch seine in Australien erfolgte Heirat unmissverständlich zum
Ausdruck gebracht, dass er von ihr nichts mehr wissen wolle. Trotzdem
habe sie aus ideellen Gründen immer an der Ehe festgehalten. Heute sei
sie 78-jährig und leidend. Mit Rücksicht auf ihr hohes Alter und ihre
Altersbeschwerden sei eine Scheidung erst recht nicht mehr angebracht. Der
Kläger habe die Scheidungsklage im übrigen nur eingereicht, weil die für
die AHV zuständige schweizerische Behörde einen entsprechenden Entscheid
verlangt habe.

    Das in Art. 142 Abs. 2 ZGB gewährleistete Recht auf Widerspruch gegen
die Scheidungsklage eines ausschliesslich oder überwiegend schuldigen
Ehegatten beruht auf dem Gedanken, dass aus eigenem Verschulden kein
Scheidungsanspruch soll ab geleitet werden können. Die betreffende
Bestimmung will somit eine missbräuchliche Ausübung des Klagerechts
verhindern. Wie jedes Recht findet aber auch diese dem unschuldigen
oder weniger schuldigen Ehegatten verliehene Möglichkeit, sich der
Scheidungsklage des andern Teils zu widersetzen, ihre Schranke am
allgemeinen Verbot des Rechtsmissbrauchs (Art. 2 Abs. 2 ZGB). Das
Bundesgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung die Unzulässigkeit
der Anrufung von Art. 142 Abs. 2 ZGB wegen Rechtsmissbrauchs allerdings
nur mit grosser Zurückhaltung bejaht. Als rechtsmissbräuchlich wird die
Ausübung des in dieser Bestimmung gewährleisteten Widerspruchsrechtes
grundsätzlich nur dann betrachtet, wenn der die Scheidung ablehnende
Ehegatte nicht gewillt ist, die eheliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen,
obwohl der andere Teil hiezu bereit wäre und sein ehewidriges
Verhalten aufgäbe (BGE 92 II 76). Die zurückhaltende Anwendung des
Rechtsmissbrauchsverbotes rechtfertigt sich mit Rücksicht auf den
absoluten Charakter des Art. 142 Abs. 2 ZGB. Es kann grundsätzlich
nicht darauf ankommen, aus welchen Beweggründen sich ein Ehegatte der
Scheidungsklage des überwiegend schuldigen Teils widersetzt und ob die
Scheidung bei Berücksichtigung aller in Betracht fallenden Interessen
die vernünftigste Lösung wäre (BÜHLER, N. 143 und 149 zu Art. 142 ZGB;
HINDERLING, Schweizerisches Ehescheidungsrecht, 3. Auflage, S. 53 ff.,
je mit Zitaten). Eine Interessenabwägung bei der Anwendung von Art. 142
Abs. 2 ZGB würde unweigerlich zu einer Relativierung dieser Bestimmung
führen, die mit deren Wortlaut und Sinn nicht vereinbar wäre (HINDERLING,
Die rechtsmissbräuchliche Berufung auf Art. 142 Abs. 2 ZGB, in Festgabe
Simonius, S. 123 ff.; vgl. auch BGE 92 II 76/77).

    Im vorliegenden Fall fehlt dem Kläger offensichtlich die Bereitschaft,
seine in Australien gegründete Familie zu verlassen, um zur Beklagten
zurückzukehren. Die Beklagte ihrerseits hat im kantonalen Verfahren
und vor Bundesgericht erklären lassen, sie sei zur Wiederaufnahme der
ehelichen Gemeinschaft bereit. Nach der bisherigen bundesgerichtlichen
Rechtsprechung wären somit die Voraussetzungen für die Bejahung
einer rechtsmissbräuchlichen Anrufung von Art. 142 Abs. 2 ZGB nicht
gegeben. Indessen kann man sich fragen, ob es sich bei dieser Erklärung
nicht um ein blosses Lippenbekenntnis handelt, das nicht dem wirklichen
Willen der Beklagten entspricht, da nicht zu übersehen ist, dass hier eine
ausgesprochene Ausnahmesituation vorliegt. So hat auch die Vorinstanz
angenommen, dass die Beklagte entgegen ihren prozessualen Beteuerungen
den Kläger als Partner seit langem ablehne. Diese Äusserung stellt zwar
nicht eine tatsächliche Feststellung dar, die für das Bundesgericht
verbindlich wäre, sondern eine auf der allgemeinen Lebenserfahrung
beruhende Schlussfolgerung, die frei überprüft werden kann (BGE 99 II
329 mit Hinweisen). Doch stützt sich diese Schlussfolgerung wiederum
auf feststehende Tatsachen, nämlich, dass die Parteien seit 32 Jahren
getrennt sind, sich völlig entfremdet und verschiedene Lebenskreise
aufgebaut haben, ferner dass sie sich heute beide in vorgerücktem Alter
(die Beklagte beinahe 80-jährig und der Kläger beinahe 70-jährig) befinden.

    Im Hinblick auf diese tatsächlichen Feststellungen ist es völlig
undenkbar, dass sich die Parteien selbst bei entsprechender Bereitschaft
neuerdings zu einer Lebensgemeinschaft zusammenfinden könnten. Es
überstiege die menschlichen Möglichkeiten beider Parteien, nach all dem,
was sich während des Getrenntlebens ereignet hat, nochmals ein gemeinsames
Leben zu beginnen. Unlösbar wäre nur schon die Frage, welches gemeinsame
Domizil die Parteien wählen könnten, nachdem sich die Beklagte in Luzern
und der Kläger in Australien einen selbständigen Lebenskreis geschaffen
haben. Vor allem aber ist die innere Kluft zwischen den Parteien heute
so gross, dass sie auch mit gutem Willen nicht mehr überwunden werden
könnte. Das gilt nicht nur für den Kläger, sondern ebensosehr für die
Beklagte. In ihr hat sich in den langen Jahren des Alleinseins eine
grosse Enttäuschung und Verbitterung über den Kläger aufgestaut, wie
die im angefochtenen Urteil wiedergegebene Karte eindrücklich zeigt. Es
ist schlechterdings nicht vorstellbar, dass die Beklagte diese Gefühle
überwinden könnte, falls sich der Kläger wider alles Erwarten entschlösse,
sich von seiner neuen Familie zu lösen und zu ihr zurückzukehren. Wie
ernst die Bereitschaft der Beklagten zur Wiederaufnahme der ehelichen
Gemeinschaft gemeint war, braucht unter diesen Umständen nicht weiter
geprüft zu werden. Auf jeden Fall verkennt sie die Wirklichkeit, wenn
sie sich zutraut, mit dem Kläger eine neue Lebensgemeinschaft aufbauen
zu können.

    Angesichts dieser besondern Verhältnisse muss in Übereinstimmung mit
der Vorinstanz davon ausgegangen werden, dass die Beklagte ungeachtet
der vom Kläger eingenommenen Haltung jede wirkliche Bindung an die
Ehe und den Kläger verloren hat und daher nur noch der Form halber am
Eheband festhält. Die Verhinderung der Scheidung gestützt auf Art. 142
Abs. 2 ZGB dient in einem solchen Fall nur der Aufrechterhaltung einer
völlig inhaltslosen Ehe. Will sich die Beklagte trotzdem mit Erfolg auf
ihr Widerspruchsrecht berufen, muss von ihr verlangt werden, dass sie
ein schützenswertes Interesse an der Fortdauer der Ehe geltend machen
kann. Finanzielle Interessen, die als schützenswert anzuerkennen wären,
sind nicht vorhanden. Die Beklagte hat während des ganzen Prozesses nie
geltend gemacht, dass sich ihre wirtschaftliche Lage im Falle einer
Scheidung verschlechtern würde. Insbesondere hat sie nie behauptet,
dass sich ihre AHV-Rente und die entsprechenden Ergänzungsleistungen im
Vergleich zu ihren heutigen Bezügen verringern würden. Unterhaltsbeiträge
konnte sie auch bisher nicht erhältlich machen. Selbst erbrechtlich dürfte
sich für sie im Hinblick auf die vom Kläger in Australien abgeschlossene
und dort auch anerkannte Ehe nichts ändern.

    Die Beklagte macht zur Begründung ihres Widerspruchs gegen
die Scheidungsklage ausschliesslich ideelle Gründe geltend und
beruft sich überdies auf ihr hohes Alter sowie ihren geschwächten
Gesundheitszustand. Sie legt indessen nicht näher dar, worin diese ideellen
Gründe für die Aufrechterhaltung der Ehe im einzelnen bestehen. Auch der
Hinweis auf das hohe Alter und die geschwächte Gesundheit der Beklagten
reicht für sich allein nicht aus, um ein schutzwürdiges Interesse an
der Fortdauer der nur mehr auf dem Papier bestehenden Ehe darzutun. Ein
ausreichendes Interesse der Beklagten an der Aufrechterhaltung der
Ehe ist somit nicht ersichtlich. Die Anrufung von Art. 142 Abs. 2
ZGB erscheint unter diesen Umständen als rechtsmissbräuchlich. Die
Auffassung der Vorinstanz, dass die Ausübung des Widerspruchsrechts durch
die Beklagte im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB keinen Rechtsschutz finden
könne, verstösst damit nicht gegen Bundesrecht. Das angefochtene Urteil
ist daher zu bestätigen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Luzern vom 12. September 1977 bestätigt.