Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 II 119



104 II 119

20. Urteil der I. Zivilabteilung vom 19. Juni 1978 i.S. Rankl und
Mitbeteiligte gegen Leder-Locher AG und Mitbeteiligte Regeste

    Vorsorgliche Massnahmen in Streitigkeiten über Marken; kantonales
Verfahren.

    1. Art. 29 und Art. 31 MSchG. Diese Bestimmungen hindern die Kantone
nicht, in Streitigkeiten über Marken die zum Erlass vorsorglicher
Massnahmen zuständigen Behörden zu bezeichnen und deren Entscheid durch
eine obere Instanz überprüfen zu lassen (E. 1 und E. 2).

    2. Art. 68 Abs. 1 lit. a OG. Machen die Kantone von dieser Möglichkeit
Gebrauch, so lässt sich nicht sagen, dass ihre Behörden kantonales Recht
anstelle des massgebenden eidgenössischen anwenden (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Rankl ist Inhaber einer am 30. Mai 1974 unter Nr. 406'434
international registrierten und am 31. Dezember 1975 unter Nr. 418'966 für
zusätzliche Warenklassen eingetragenen Bildmarke, die aus einem bestimmt
ausgestalteten A besteht. Die Etienne Aigner International AG und die
Etienne Aigner (Suisse) AG sind Lizenznehmerinnen für die Herstellung
und den Vertrieb der mit dieser Marke versehenen Waren. Rankl und die
beiden Lizenznehmerinnen sind der Meinung, die Leder-Locher AG und deren
Verwaltungsräte Hans und Mathilde Locher verletzten die Rechte an dieser
Marke dadurch, dass sie seit Dezember 1977 Lederwaren unter einem ähnlichen
Zeichen in Verbindung mit den Worten "Leder-Locher (exclusive)" verkaufen.

    Am 9. Januar 1978 ersuchten sie den Einzelrichter im summarischen
Verfahren am Handelsgericht des Kantons Zürich, der Leder-Locher AG sowie
Hans und Mathilde Locher vorsorglich zu verbieten, Waren mit diesem
Zeichen herzustellen oder herstellen zu lassen, zu vertreiben oder
vertreiben zu lassen oder dafür zu werben. Der Einzelrichter hiess das
Gesuch am 3. Februar 1978 gut und setzte den Klägern zwanzig Tage Frist,
um die ordentliche Klage anhängig zu machen.

    B.- Auf Nichtigkeitsbeschwerde der Beklagten hin hob das
Kassationsgericht des Kantons Zürich diesen Entscheid am 14. April 1978 auf
und wies das Begehren der Kläger um Anordnung vorsorglicher Massnahmen ab.

    Das Kassationsgericht führte insbesondere aus, nach Art. 31 MSchG
und § 222 Ziff. 3 ZPO setze die Anordnung vorsorglicher Massnahmen die
Glaubhaftmachung des geltend gemachten Anspruchs voraus. Dabei sei
zu berücksichtigen, dass die Kläger mit ihrem Gesuch die vorzeitige
Vollstreckung ihres angeblichen Unterlassungsanspruches erstrebten. Die
begehrte Massnahme stelle also einen schweren Eingriff dar. Daher müssten
an die Glaubhaftmachung des Anspruches strenge Anforderungen gestellt
werden. Der Einzelrichter dürfe diesfalls nicht dem ordentlichen Verfahren
vorgreifen. Ein vorläufiges Verbot der Verwendung der Marke der Beklagten
wäre daher nur zulässig, wenn genügend glaubhaft gemacht wäre, dass dieses
Zeichen die Marke der Kläger verletze. Das sei nach dem Gesagten nicht
der Fall. Das vorsorgliche Verbot des Einzelrichters verletze unter den
gegebenen Umständen einen wesentlichen Verfahrensgrundsatz.

    C.- Die Kläger haben gegen den Beschluss des Kassationsgerichts
ausser einer staatsrechtlichen Beschwerde auch Nichtigkeitsbeschwerde
eingereicht. Sie beantragen, den Beschluss aufzuheben und die Sache zu
neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Kläger sehen den Nichtigkeitsgrund der Anwendung kantonalen
statt eidgenössischen Rechts (Art. 68 Abs. 1 lit. a OG) darin, dass das
Kassationsgericht die Verletzung des wesentlichen Verfahrensgrundsatzes
(§ 281 Ziff. 1 ZPO) ausschliesslich aus materiellen markenrechtlichen
Überlegungen zu Schutzwürdigkeit und Verwechselbarkeit der Zeichen
ableite und dabei Erwägungen treffe, welche die Aufhebung des Entscheides
des bundesrechtlich als einzige Instanz geforderten Einzelrichters nicht
einmal unter dem Gesichtspunkt der Verletzung klaren materiellen Rechtes (§
281 Ziff. 3 ZPO) rechtfertigen würden. Sie machen geltend, es gehe nicht
an, dass das Kassationsgericht, dessen materielle Eingriffsmöglichkeiten
jedenfalls auf "klares Recht" beschränkt seien (§ 281 Ziff. 3 ZPO), unter
Berufung auf kantonales Verfahrensrecht (§ 281 Ziff. 1 ZPO) sozusagen zur
(ausserordentlichen) Berufungsinstanz werde und den Vollzug vorsorglicher
Massnahmen hindere, die in Anwendung materiellen Bundesrechts von einer
bundesrechtlich berufenen einzigen Instanz angeordnet wurden.

Erwägung 2

    2.- Es ist den Kantonen nicht verwehrt, in Streitigkeiten betreffend
das geistige Eigentum, die sie auf Grund der einschlägigen Bundesgesetze
von einer einzigen kantonalen Instanz beurteilen lassen müssen, die
Zuständigkeit, vor der Einleitung des Hauptprozesses vorsorgliche
Massnahmen zu treffen, besonders zu regeln. So wurde entschieden, dass
Art. 49 des Bundesgesetzes von 1907 betreffend die Erfindungspatente
dem Kanton Zürich nicht verbiete, vor der Anhängigmachung der Zivilklage
gestellte Begehren um Erlass vorsorglicher Verfügungen statt durch das
im Hauptprozess zuständige Handelsgericht durch den für das summarische
Befehlsverfahren vorgesehenen Richter beurteilen zu lassen (BGE 56
II 327). Gleiches gilt unter der Herrschaft des Art. 78 Abs. 2 PatG,
wonach die Kantone die zum Erlass vorsorglicher Verfügungen zuständigen
Behörden bezeichnen. Auf demselben Boden steht ausdrücklich auch Art. 53
URG. Für das Markenschutzgesetz, das über die Zuständigkeit zum Erlass
vorsorglicher Verfügungen nichts sagt, ergibt sich der nämliche Grundsatz
unmittelbar aus Art. 64 Abs. 3 BV. Diese Bestimmung verbietet, aus Art. 29
oder 31 MSchG zu schliessen, die Kantone dürften den vor Einleitung des
Hauptprozesses für vorsorgliche Massnahmen zuständigen Richter nicht frei
bestimmen. Art. 29 und 31 MSchG untersagen ihm das nicht ausdrücklich
und sind eng, d.h. verfassungskonform, nicht verfassungswidrig auszulegen.

    Das Recht der Kantone, den zuständigen Richter zu bestimmen, schliesst
die Befugnis in sich, die von ihm getroffenen Massnahmen durch eine Obere
Instanz überprüfen zu lassen. Art. 29 Abs. 1 MSchG steht dem nicht im
Wege. Diese Bestimmung regelt den Instanzenzug nur für "zivilrechtliche
Streitigkeiten", d.h. für den auf endgültige Beurteilung abzielenden
Prozess, nicht auch für das Verfahren auf Erlass vorsorglicher Massnahmen
(DAVID, Kommentar zum MSchG, 2. Auflage, N. 2 und 3 zu Art. 29). Sie
ist das Gegenstück zu Art. 29 Abs. 2 MSchG und Art. 45 lit. a OG (früher
Art. 62 a OG), welche die Berufung in Streitigkeiten über den Schutz der
Fabrik- und Handelsmarken ohne Rücksicht auf den Streitwert zulassen. Das
Gesetz will verhindern, dass in diesen Fällen, weil sie stets an das
Bundesgericht weitergezogen werden können, mehr als eine kantonale
Instanz materiell urteile. Entscheide über vorsorgliche Massnahmen
können nicht mit der Berufung an das Bundesgericht angefochten werden;
sie gelten nicht als in "Zivilstreitigkeiten" ergangen, da sie das
Rechtsverhältnis der Parteien nicht endgültig regeln (BGE 69 II 125). Der
Grundgedanke des Art. 29 Abs. 1 MSchG trifft daher auf solche Entscheide
nicht zu. Der Bundesgesetzgeber hat keinen Anlass, eine obere kantonale
Instanz zur Überprüfung von Entscheiden, die nicht mit der Berufung an
das Bundesgericht angefochten werden können, zu untersagen.

Erwägung 3

    3.- Der angefochtene Beschluss des Kassationsgerichtes ist daher nicht
in Missachtung "massgebenden eidgenössischen Rechts" im Sinne von Art. 68
Abs. 1 lit. a OG ergangen. Ob das Kassationsgericht zu Recht annimmt, der
Einzelrichter des Handelsgerichts habe durch Bejahung der Glaubhaftmachung
der Markenrechtsverletzung einen wesentlichen Verfahrensgrundsatz verletzt
(§ 281 Ziff. 1 ZPO), oder ob es den einzelrichterlichen Entscheid nur auf
"Verletzung klaren materiellen Rechts" (§ 281 Ziff. 3 ZPO) hin überprüfen
durfte, ist ausschliesslich eine Frage des kantonalen Rechts und daher im
vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht zu entscheiden. Bundesrecht hätte
ihm selbst dann nicht verboten, über Verstösse gegen Verfahrensvorschriften
zu urteilen, wenn der Einzelrichter des Handelsgerichts von Bundesrechts
wegen einzige Instanz wäre (BGE 56 II 68). Auch erlaubt Art. 68 OG dem
Bundesgericht nicht, über die richtige Anwendung des materiellen Rechts
zu befinden. Die Kläger verlangen das auch nicht.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.