Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IB 103



104 Ib 103

19. Urteil vom 19. Mai 1978 i.S. Polizeidepartement des Kantons Schwyz
gegen Grätzer und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz Regeste

    Vorsorgliche Verweigerung der Abgabe des Lernfahrausweises.

    Die Sperrung des Lernfahrausweises auf unbestimmte Zeit, verfügt
gegen eine Person unter 18 Jahren wegen Fahrens ohne den erforderlichen
Ausweis (Art. 95 Abs. 1 Satz 1 SVG), entbehrt der gesetzlichen Grundlage
(Erw. 1). Bewirbt sich diese Person nach Erreichen des Mindestalters um
den Ausweis, kann sie nicht grundsätzlich als charakterlich untauglich
im Sinne von Art. 14 Abs. 2 lit. d SVG eingestuft werden (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Stefan Grätzer, geboren am 21. Februar 1960, fuhr am 5.  Juli 1977
mit einem selber gebastelten Kleinmotorrad auf der Grotzenmühlestrasse
in Einsiedeln Richtung Möösli - Bolzberg. Stefan Grätzer besass keinen
Führerausweis, sein Motorrad wies keine Kontrollschilder auf, und eine
Haftpflichtversicherung dafür hatte er keine abgeschlossen. Gegenüber
der Polizei anerkannte Grätzer, bereits früher zweimal mit dem selben
Motorrad auf öffentlicher Strasse Fahrten unternommen zu haben.

    Am 18. August 1977 verfügte das Polizeidepartement des Kantons Schwyz
(Polizeidepartement), gestützt auf Art. 14 Abs. 2 lit. d SVG sei Grätzer
die Abgabe eines Lernfahrausweises auf unbestimmte Zeit zu verweigern.

    Mit Beschwerde vom 20. August 1977 an das Verwaltungsgericht des
Kantons Schwyz (Verwaltungsgericht) beantragt der Vater von Grätzer
sinngemäss, diese Verfügung sei aufzuheben. Am 18. Oktober 1977 hiess
das Verwaltungsgericht die Beschwerde gut und hob die angefochtene
Verfügung auf.

    Gegen diesen Entscheid hat das Polizeidepartement beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Es stellt das Begehren, der
Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und Grätzer sei der
Lernfahrausweis auf unbestimmte Zeit zu verweigern.

    Das Verwaltungsgericht beantragt Abweisung der Beschwerde.

    Die Polizeiabteilung des Eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartementes beantragt ebenfalls Abweisung der Beschwerde mit
der Begründung, dass im vorliegenden Fall die gesetzliche Grundlage für
eine Verweigerung des Lernfahrausweises fehle. Bis anhin, d.h. auch
noch in ihrer Vernehmlassung an das Verwaltungsgericht, hatte die
Polizeiabteilung die Meinung vertreten, die vorsorgliche Verweigerung
eines Lernfahrausweises sei zulässig, auch wenn noch kein Gesuch um
Erteilung des Ausweises vorliege.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 14 Abs. 2 lit. d SVG darf der Lernfahrausweis nicht
erteilt werden, wenn der Bewerber nach seinem bisherigen Verhalten
nicht Gewähr bietet, dass er als Motorfahrzeugführer die Vorschriften
beachten und auf die Mitmenschen Rücksicht nehmen werde. Das Führen
eines Motorfahrzeuges ohne den erforderlichen Ausweis bedeutet ein
gewichtiges Indiz dafür, dass die charakterliche Eignung zum Führen
eines Motorfahrzeuges fehlt. In der Praxis gilt deshalb die Regel,
dass Personen, die vor ihrer Bewerbung um den Lernfahrausweis
wegen Führens eines Motorfahrzeuges ohne Ausweis bestraft worden
sind, den Lernfahrausweis erst nach Ablauf von 6 Monaten seit der
Widerhandlung erhalten sollen (Ziff. 226 der Richtlinien über die
Administrativmassnahmen im Strassenverkehr der Interkantonalen Kommission
für den Strassenverkehr). Die Beschwerdeführerin vertritt die Ansicht,
die gesetzliche Regelung sei insofern nicht abschliessender Natur, als
sie ebenfalls die Verweigerung des Lernfahrausweises zulasse, ohne dass
ein Gesuch um dessen Erteilung eingereicht worden sei. Dabei beruft sie
sich auf die konstante Praxis mehrerer Kantone und die damalige Auffassung
der Polizeiabteilung.

    Die Verweigerung des Lernfahrausweises wegen Fahrens ohne
den erforderlichen Ausweis kommt in ihrer Wirkung dem Entzug des
Führerausweises insofern gleich, als es sich um eine administrative
Massnahme handelt, die um der Verkehrssicherheit willen angeordnet wird
(vgl. BGE 101 I b 273, 96 I 772). Eine solche Verweigerung wird wie der
Entzug eines bereits erteilten Ausweises an die Strassenverkehrsämter
der anderen Kantone mitgeteilt, was eine beträchtliche Belastung des
automobilistischen Leumundes auf Jahre hinaus zur Folge hat. Auch kommt
die verschärfte Strafandrohung von Art. 95 Abs. 2 SVG auf den von einer
solchen vorsorglichen Verweigerung Betroffenen zur Anwendung; die Kosten
des Verwaltungsverfahrens muss er ebenfalls tragen.

    Mit ihrer Wirkung muss die Massnahme - gleich wie der Entzug eines
bereits erteilten Führerausweises - wie eine Strafe empfunden werden
(BGE 96 I 772). Aus den beschriebenen Konsequenzen ist ersichtlich,
dass Grätzer von der umstrittenen Verfügung des Polizeidepartementes auf
jeden Fall erheblich belastet wurde. Nach dem allgemeinen Rechtsgrundsatz
gesetzmässiger Verwaltung darf ein solcher Eingriff nicht ohne gesetzliche
Grundlage erlassen werden (BGE 84 I 93, 65 I 300; IMBODEN/RHINOW,
Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl., S. 300, VII).

    Weder Wortlaut noch Sinngehalt von Art. 14 Abs. 2 lit. d SVG lassen
jedoch auf die erforderliche Ermächtigung des Polizeidepartementes zu
der von ihm verhängten Präventivmassnahme schliessen.

Erwägung 2

    2.- Die angerufene Praxis beinhaltet, dass das Polizeidepartement
die Verweigerung des Lernfahrausweises für Personen unter 18 Jahren auf
unbestimmte Zeit ansetzt. Sobald der Betroffene 18 Jahre alt wird, kann
auf sein Gesuch hin die Verweigerung auf sechs Monate begrenzt werden.
Nach Ablauf dieser sechs Monate kann auf weiteres Gesuch hin die
Verweigerung beseitigt und der Ausweis erteilt werden. Nach den Angaben
der Beschwerdeführerin bezweckt dieses Vorgehen eine Gleichstellung
der noch nicht 18jährigen und der über 18jährigen Personen, die wegen
Fahrens ohne den erforderlichen Ausweis bestraft worden sind; denn nach der
erwähnten Ziff. 226 der Richtlinien der Interkantonalen Kommission für den
Strassenverkehr wird den Delinquenten über 18 Jahren der Lernfahrausweis
erst nach Ablauf von 6 Monaten seit der Widerhandlung erteilt.

    Es ist nun nicht ersichtlich, warum diese sechsmonatige Sperrfrist in
der oben beschriebenen Weise auf Delinquenten unter 18 Jahren angewendet
werden soll. In vielen Fällen verfliessen mehr als 6 Monate, bevor sich
solche Personen überhaupt für den Lernfahrausweis bewerben können. Das war
auch bei Grätzer der Fall, der zur Zeit seiner gesetzwidrigen Fahrten etwa
17 Jahre und 4 Monate alt war. Erliegt, als Extrembeispiel, ein 15Jähriger
der Versuchung, auf öffentlicher Strasse ein Motorrad zu fahren, so kann
unmöglich behauptet werden, ihm müsse mit 18 Jahren unter allen Umständen
für seine Verkehrstauglichkeit eine schlechte Prognose im Sinne von
Art. 14 Abs. 2 lit. d SVG gestellt werden. In solchen Fällen drängt sich
eine Beurteilung von Fall zu Fall auf. Art. 14 Abs. 2 SVG verpflichtet
denn auch die Behörden dazu, die Eignung eines Bewerbers, oder deren
Fehlen, auf Grund aller zur Zeit der Gesuchstellung bekannten Tatsachen
und vorhandenen Indizien abzuklären. Dabei stellt eine allfällige frühere
Straffälligkeit ein wichtiges Indiz dar. Eine Praxis, die jeden Bewerber,
der vor Erreichen des Mindestalters nach Art. 95 Abs. 1 Satz 1 SVG
bestraft worden ist, grundsätzlich als charakterlich untauglich im Sinne
von Art. 14 Abs. 2 lit. d SVG einstuft und ihm eine weitere Sperrfrist
von sechs Monaten auferlegt, ist jedoch sachlich nicht gerechtfertigt.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin macht zugunsten ihrer Praxis Gründe
der administrativen Zweckmässigkeit geltend. Nur die vorsorgliche
Verweigerungsverfügung mache die automatische Meldung an die
Strassenverkehrsämter der anderen Kantone überhaupt möglich. Nur wenn
zusätzlich zum Strafurteil eine Administrativmassnahme verhängt werde,
könne beim Wohnsitzwechsel eines Gesuchstellers die Behörde des anderen
Kantons von dessen früherer Straffälligkeit Kenntnis erhalten.

    Nach Art. 12 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen
und Fahrzeugen zum Strassenverkehr vom 27. Oktober 1976 (VZV) hat jeder
Bewerber für einen Lernfahrausweis ein Gesuchsformular nach Anhang 4 VZV
wahrheitsgemäss und unter Androhung administrativer und strafrechtlicher
Folgen auszufüllen. Dieses Formular enthält auch eine Frage nach
dem früheren Wohnort. Gemäss Art. 13 Abs. 1 VZV lässt die Behörde die
Personalien überprüfen und zieht nötigenfalls bei früheren Wohnsitzkantonen
Informationen ein. In einem zweifelhaften Fall kann sie sich mit der
Frage nach einem früheren Wohnort auch an die Einwohnerkontrolle wenden.

    Daraus ergibt sich, dass die Strassenverkehrsämter nicht auf
die Verweigerungsverfügung angewiesen sind, um bei der Erteilung des
Lernfahrausweises den ihnen vom Gesetz übertragenen Abklärungsauftrag
zu erfüllen. Ist eine Person vor Erreichen des Mindestalters wegen
Fahrens ohne Ausweis bestraft worden, und stellt diese Person später
- nach Vollendung des 18. Altersjahres - ein Gesuch um Erteilung
des Führerausweises, so hat die zuständige Behörde zum Zeitpunkt der
Gesuchstellung zu überprüfen, ob die charakterliche Eignung zum Führen
eines Motorfahrzeuges vorhanden ist.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.