Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IA 43



104 Ia 43

11. Urteil vom 25. Januar 1978 i.S. Politische Gemeinde Egg gegen
Regierungsrat des Kantons Zürich Regeste

    Gemeindeautonomie; Standort von Abfalldeponien (Zürich).

    1. Voraussetzung für die Anerkennung eines geschützten
Autonomiebereiches (E. 1).

    2. Umfang der Entscheidungsfreiheit der zürcherischen Gemeinden bei der
Festlegung des Standortes von Abfalldeponien nach bisherigem Recht und nach
dem neuen kantonalen Planungs- und Baugesetz vom 7. September 1975 (E. 2).

    3. Der Regierungsrat kann aufgrund der ihm zustehenden
Zweckmässigkeitskontrolle einer kommunalen Vorschrift, welche in die im
Gange befindliche kantonale Richtplanung eingreift und zu vorbereiteten,
aber noch nicht in Kraft befindlichen kantonalen Rechtsnormen in
Widerspruch treten könnte, die Genehmigung verweigern (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Im Sommer 1976 reichte Dr. Max Glauser zuhanden der
Gemeindeversammlung Egg eine Initiative ein, wonach die kommunale
Bauordnung (BO) durch folgenden Art. 37bis ergänzt werden sollte:

    "Abfalldeponien sind nur im übrigen Gemeindegebiet und nur
   insoweit zulässig, als sie keine Beeinträchtigung für Landschaft und

    Anwohner darstellen. Sie bedürfen einer Bewilligung des Gemeinderates,
   die zum Schutz von Landschaft und Anwohner mit entsprechenden

    Auflagen zu versehen ist.

    Das Volumen einer Abfalldeponie darf gesamthaft 50'000 -

    70'000 m3 nicht übersteigen. Im Umkreis von zwei Kilometern einer

    Abfalldeponie darf weder gleichzeitig noch zu einem späteren Zeitpunkt
   eine weitere Abfalldeponie bewilligt oder betrieben werden.

    Die für den Betrieb von Abfalldeponien geltenden Vorschriften
   werden vom Gemeinderat in einer separaten Deponieverordnung geregelt."

    Die Initiative wurde in der Gemeindeversammlung vom 4. Oktober 1976
mit grossem Mehr angenommen. Der Regierungsrat verweigerte jedoch mit
Beschluss vom 9. Februar 1977 dem neuen Art. 37bis BO die Genehmigung, im
wesentlichen mit der Begründung, dass eine derartige kommunale Vorschrift
in die im Gange befindliche kantonale Richtplanung eingreife und daher
nicht zweckmässig sei.

    Die Gemeinde Egg führt hiegegen wegen Verletzung der Gemeindeautonomie
staatsrechtliche Beschwerde. Das Bundesgericht weist diese ab aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Zuerkennung eines geschützten Autonomiebereiches setzt voraus,
dass das massgebende kantonale Verfassungs- und Gesetzesrecht der Gemeinde
im betreffenden Sachgebiet eine "relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit"
belässt, sei es durch Einräumung der Befugnis zum Erlass und Vollzug
eigener kommunaler Vorschriften oder sei es durch Offenhaltung eines
entsprechenden Spielraumes der freien Gestaltung bei der Anwendung
kantonalen Rechtes. Im vorliegenden Falle steht ein Eingriff in die
kommunale Gesetzgebungsbefugnis in Frage. Ein geschützter Bereich autonomer
Rechtsetzungsbefugnis liegt dann vor, wenn die Gemeinde nach dem kantonalen
Verfassungs- oder Gesetzesrecht in einem bestimmten Sachbereich zum
Erlass eigener kommunaler Normen ermächtigt ist und bei deren Gestaltung
eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit geniesst. Trifft dies zu,
so kann sich die Gemeinde mittels Autonomiebeschwerde dagegen zur Wehr
setzen, dass die Kantonsregierung den erlassenen kommunalen Normen die
allenfalls erforderliche Genehmigung zu Unrecht verweigert. Sie kann die
materielle Haltbarkeit dieses Entscheides bestreiten und gegebenenfalls
auch geltend machen, die Genehmigungsinstanz habe sich in Verletzung
des einschlägigen kantonalen Verfahrensrechtes eine zu weit gehende
Prüfungsbefugnis angemasst. Soweit nicht die Auslegung und Anwendung
spezieller Normen des eidgenössischen oder kantonalen Verfassungsrechtes
in Frage steht, beurteilt das Bundesgericht den Entscheid der kantonalen
Behörde nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür (BGE 102 Ia 71, 169 f.;
101 Ia 260 f., 264 f., 518 E. 4c mit Hinweisen).

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 48 Abs. 1 der zürcherischen Kantonsverfassung
sind die Gemeinden befugt, "ihre Angelegenheiten innerhalb der
Schranken der Verfassung und Gesetze selbständig zu ordnen". Dass der
angefochtene Entscheid in unmittelbar verfassungsrechtlich gewährleistete
Rechtsetzungsbefugnisse eingreife, wird nicht behauptet. Es bleibt somit
zu prüfen, ob das kantonale Gesetzesrecht in der fraglichen Materie den
Gemeinden einen geschützten Bereich autonomer Rechtsetzung gewährt.

    b) Die Beschwerdeführerin ist eine der zürcherischen Gemeinden, die
sich dem kantonalen Baugesetz für Ortschaften mit städtischen Verhältnissen
vom 23. April 1893 unterstellt haben. Im Zeitpunkt, als der angefochtene
Regierungsratsbeschluss erging, war aber das Baugesetz von 1893 zum Teil
bereits ersetzt durch die Vorschriften des neuen kantonalen Planungs-
und Baugesetzes vom 7. September 1975 (PBG). Die Rechtsprechung des
Bundesgerichtes hat anerkannt, dass die zürcherischen Gemeinden unter der
Herrschaft des Baugesetzes von 1893 bei der Ausgestaltung ihrer Bau- und
Zonenordnungen eine erhebliche Entscheidungsfreiheit besitzen und daher
den Schutz der Autonomie beanspruchen können (BGE 96 I 236 f., 93 I 160
f.). Es kommt ihnen nach der bisherigen Rechtslage auch hinsichtlich
der Errichtung von Abfalldeponien eine gewisse Gestaltungsfreiheit
zu. § 26 des zürcherischen Einführungsgesetzes vom 8. Dezember 1974
zum eidg. Gewässerschutzgesetz (EGzGSchG) überträgt die Erstellung
und den Betrieb von Abfallbeseitigungsanlagen den Gemeinden (vgl. dazu
Art. 27 Abs. 2 eidg. GSchG). § 26 Abs. 3 dieses Einführungsgesetzes
sieht allerdings bereits vor, dass sich die Gemeinden zur Erfüllung
dieser Aufgabe in der Regel regional zusammenzuschliessen haben. Sodann
verpflichtet § 28 EGzGSchG den Regierungsrat, für die Abfallbeseitigung
ein "Gesamtkonzept" festzusetzen; er kann dabei den Standort regionaler
Abfallbeseitigungsanlagen verbindlich festsetzen, wenn die Gemeinden hiezu
trotz dringendem Bedürfnis nicht bereit oder in der Lage sind. Die in §
26 EGzGSchG in diesem Bereich im Prinzip anerkannte kommunale Autonomie
kann somit schon nach der bestehenden Gewässerschutzgesetzgebung vom
Kanton unter bestimmten Voraussetzungen aufgehoben werden.

    Der Regierungsrat des Kantons Zürich hat in der Folge ein
Gesamt-Deponiekonzept ausarbeiten lassen, mit einem Teilkonzept über die
Multikomponentendeponien als wesentlichem Bestandteil. Dieses kantonale
Teilkonzept wurde vom Regierungsrat am 1. Oktober 1975 genehmigt. Es
sieht die Anlage von 12 Deponieplätzen vor; einer dieser Plätze, mit einem
Leervolumen von 70'000 m3, soll in der Gemeinde Egg errichtet werden. Die
definitiven Standorte sind dabei noch nicht bestimmt; sie sollen in einem
Vernehmlassungsverfahren mit den betroffenen Gemeinden diskutiert werden.

    c) Das neue PBG vom 7. September 1975 enthält einlässliche Vorschriften
über die Richtplanung (§§ 18-35). Träger dieser Richtplanung können neben
dem Kanton und andern Organisationen auch die Gemeinden sein. Nach § 16 PBG
haben jedoch die Planungen unterer Stufen denjenigen der obern Stufe und
Nutzungsplanungen jeder Art und Stufe der Richtplanung zu entsprechen. §
23 PBG sieht als Teilrichtplan einen Landschaftsplan vor, der u.a. die
Gebiete für Materialgewinnung und für Materialablagerung zu bezeichnen
hat (§ 23 Abs. 1 lit. f). Ein weiterer Teilrichtplan (Versorgungsplan)
legt ferner die bestehenden und vorgesehenen Anlagen und Flächen für
die Beseitigung, Aufbereitung und Wiederverwertung von Abfällen und
Schadstoffen fest (§ 25 Abs. 1 lit. e PBG). Sodann bestimmt § 308 PBG,
dass grössere Anlagen für die Gewinnung oder Ablagerung von Materialien
örtlich und zeitlich nur nach den "Festlegungen im Landschaftsplan"
zulässig sind. Diese Vorschrift ist allerdings noch nicht in Kraft. Es
ist anzunehmen, dass nach § 31 PBG auch die Gemeinden einen eigenen
Landschaftsplan aufstellen und darin die Gebiete für Materialablagerungen
bezeichnen können. Doch sind sie dabei nicht frei, sondern an die
übergeordneten regionalen und kantonalen Richtpläne gebunden. Stellt ein
übergeordneter Planungsträger über die Standorte der Deponieplätze gemäss
§ 23 Abs. 1 lit. f in Verbindung mit § 308 Abs. 1 PBG einen Richtplan
(Landschaftsplan) auf, so besteht für abweichende kommunale Richt-
und Nutzungspläne kein Raum mehr (§ 16 PBG). Ob bei dieser Rechtslage
noch angenommen werden kann, dass der Gemeinde bei der Festlegung des
Standortes von Deponieplätzen im Sinne der Autonomierechtsprechung
eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit zukomme, ist fraglich. Im
vorliegenden Fall ist immerhin zu berücksichtigen, dass zur Zeit, als
der angefochtene Beschluss erging, § 308 PBG noch nicht in Kraft war und
noch kein rechtskräftiges kantonales Deponiekonzept vorlag. Selbst wenn
man wenigstens für dieses Übergangsstadium das Vorliegen einer kommunalen
Autonomie in diesem Bereich noch bejahen wollte, vermöchte die Beschwerde,
wie sich nachfolgend zeigen wird, nicht durchzudringen.

Erwägung 3

    3.- a) Wann die Nichtgenehmigung eines kommunalen Erlasses
die Gemeindeautonomie verletzt, hängt von der der kantonalen
Genehmigungsbehörde zustehenden Kognition ab. Es ist unbestritten,
dass der Regierungsrat des Kantons Zürich genehmigungsbedürftige
Gemeindevorschriften auf "Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und
Angemessenheit" prüft (so § 5 PBG; zur bisherigen Rechtslage: BGE 93 I
162). Er kann daher einer kommunalen Norm, selbst wenn sie noch innerhalb
des rechtlich Zulässigen liegt, die Genehmigung verweigern, ohne dadurch
die Autonomie der Gemeinde zu verletzen. Gegenüber einer mit umfassender
Prüfungsbefugnis ausgestatteten Genehmigungsbehörde besteht der Schutz
der Gemeindeautonomie einzig darin, dass der von der kantonalen Behörde
vertretene Standpunkt nicht willkürlich sein darf. Nur wenn der mit der
Nichtgenehmigung verbundene Eingriff in die kommunale Gestaltungsfreiheit
jeder vernünftigen sachlichen Begründung entbehrt, kann sich die Gemeinde
mit Erfolg über eine Verletzung ihrer Autonomie beschweren (BGE 102 Ia
171 f.).

    b) Als der Regierungsrat der Ergänzung der BO die Genehmigung
verweigerte, war die kantonale Deponieplanung noch nicht rechtskräftig,
aber weitgehend zu Ende geführt. Es ist vorgesehen, einen entsprechenden
Plan - im Rahmen eines kantonalen Gesamtplans - auf den 1. April
1978 in Kraft zu setzen. Wenn der Regierungsrat annimmt, es sei nicht
zweckmässig, dass eine Gemeinde über den Standort von Deponieplätzen zum
jetzigen Zeitpunkt noch Normen erlasse, welche zu der vorbereiteten und in
absehbarer Zeit in Rechtskraft tretenden kantonalen Planung in Widerspruch
stehen könnten, verfällt er nicht in Willkür. Die Beschwerdeführerin wendet
allerdings ein, wenn Art. 37bis BO das zulässige Volumen von Deponien und
den zwischen verschiedenen Deponien einzuhaltenden Abstand normiere, so
werde damit nicht in die übergeordnete Richtplanung eingegriffen; es sei
klar, dass sich Art. 37bis BO nur insoweit "aktualisiere", als Deponien auf
dem Gebiete der Gemeinde Egg nach dem Inhalt der Landschaftspläne überhaupt
zulässig seien. Der Regierungsrat hält dem in seiner Vernehmlassung jedoch
entgegen, dass sich die kantonale Richtplanung nicht darauf beschränke,
die für die Materialablagerung ungeeigneten Gebiete auszuscheiden, sondern
dass nach dem PBG - im Sinne einer "Positivplanung" - auch festzulegen sei,
wo innerhalb der für eine Materialablagerung allenfalls in Frage kommenden
Gebiete Deponieplätze errichtet werden sollen (§ 23 Abs. 1 lit. f und §
308 PBG). Die Möglichkeit, dass die beanstandete kommunale Vorschrift mit
der kantonalen Richtplanung kollidieren könnte, ist damit gegeben. Das
geht auch aus den Ausführungen in der staatsrechtlichen Beschwerde
hervor: Es wird wohl geltend gemacht, dass durch Art. 37bis BO die
Verwirklichung der vom Kanton geplanten regionalen Multikomponentendeponie
"Unter Neuhus" mit rund 70'000 m3 Leervolumen nicht erschwert werde. Die
Gemeinde bezeichnet es jedoch als ihre legitime Absicht, das Entstehen
eigentlicher Grossdeponien auf ihrem Gemeindegebiet nach Möglichkeit
zu verhindern. Mit dem Verbot, im Umkreis von zwei Kilometern einer
Abfalldeponie weitere Deponien zu errichten, will sie sicherstellen,
dass die volumenmässige Beschränkung (50'000 - 70'000 m3) nicht durch
etappenweises Betreiben einzelner Deponien im gleichen Gebiet umgangen
werden könne. Wie weit diese Befürchtung praktisch überhaupt gerechtfertigt
ist, ist hier nicht zu untersuchen. Der Regierungsrat konnte jedenfalls
ohne Willkür annehmen, Art. 37bis BO greife seinem Gegenstand und
Zweck nach in die im Gange befindliche kantonale Richtplanung ein, und
demzufolge den Erlass einer solchen kommunalen Vorschrift im jetzigen
Zeitpunkt als unzweckmässig ansehen. Die Rüge der Autonomieverletzung
erweist sich damit als unbegründet.