Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IA 321



104 Ia 321

49. Auszug aus dem Urteil vom 27. September 1978 i.S. Näf gegen Knaff,
Stolz und Obergericht (2. Zivilabteilung) des Kantons Aargau Regeste

    Art. 4 BV. Rechtliches Gehör.

    Verletzung des rechtlichen Gehörs bei ausgangsgemässer Regelung
der Kosten- und Entschädigungsfolgen im Zivilprozess ohne Prüfung des
begründeten Antrags der unterliegenden Partei auf Kostenteilung.

Sachverhalt

    A.- Heinz Näf kaufte 1968 mehrere unerschlossene Bauparzellen, wobei
er sich gemäss Kaufvertrag an den Erstellungskosten der Zufahrtsstrasse zu
beteiligen hatte. 1971 erwarben Knaff und Stolz je ein an die inzwischen
erstellte Zufahrtsstrasse anstossendes Grundstück vom Bauunternehmer Marty,
mit welchem sie gleichzeitig Bauverträge abschlossen. Während die Käufer
gemäss den Grundstückskaufverträgen die noch offenstehenden Anteile
am Strassenbau separat zu bezahlen hatten, sahen die Bauverträge eine
Pauschale für Erschliessungs- und Umgebungsarbeiten vor. Unter Berufung auf
diese Bauverträge lehnten Knaff und Stolz in der Folge eine Beteiligung an
den Erstellungskosten der Strasse ab, welche von Näf und zwei weiteren
Anstössern bezahlt worden waren. Näf klagte Knaff und Stolz auf die
Bezahlung eines Kostenanteils ein. Das zuständige Bezirksgericht wies die
Klage ab, wobei es der Ansicht war, Knaff und Stolz seien weder aus Vertrag
noch aus Geschäftsführung ohne Auftrag bzw. ungerechtfertigter Bereicherung
zur Übernahme eines Kostenanteils gegenüber Näf verpflichtet. Das
Obergericht des Kantons Aargau bestätigte dieses Urteil. Gegen seinen
Entscheid erhob Näf staatsrechtliche Beschwerde, unter anderem weil im
Zusammenhang mit der Kosten- und Entschädigungsregelung Art. 4 BV verletzt
worden sei. Das Bundesgericht gelangt in diesem Punkte zur Gutheissung
der Beschwerde aus folgender

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägung:

Erwägung 3

    3.- Die weiteren Rügen des Beschwerdeführers richten sich gegen
die Kosten- und Entschädigungsregelung für das kantonale Verfahren; das
Obergericht auferlegte ihm Fr. 850.- Gerichtskosten und Fr. 769.- und
638.- Parteientschädigungen und bestätigte die ihm ebenfalls auferlegten
Fr. 900.- Gerichtskosten und Fr. 1599.- bzw. 100.- Parteientschädigungen
erster Instanz.

    a) Der Beschwerdeführer legt dem Obergericht eine Missachtung der
Begründungspflicht gemäss § 138 der Zivilprozessordnung des Kantons Aargau
vom 12. März 1900 (ZPO) und zugleich des verfassungsmässigen Anspruchs
auf rechtliches Gehör zur Last, weil das angefochtene Urteil auf seinen
Antrag, auch bei Klageabweisung die Kosten zu teilen, nicht eintrete. Das
Obergericht begründet in der Tat seinen Kostenspruch unter Hinweis auf §
53 ZPO nur damit, dass der Beschwerdeführer im Verfahren unterlag. Die
Pflicht zur Begründung richterlicher Entscheide wird grundsätzlich vom
kantonalen Verfahrensrecht bestimmt; der Gehörsanspruch aus Art. 4 BV
hat demgegenüber nur subsidiäre Bedeutung und darf deshalb auch nicht zu
streng gehandhabt werden (BGE 102 Ia 6, 101 Ia 305 und frühere). Nach §
138 ZPO soll ein Endurteil u.a. "d) die Erwägungen" enthalten; auch wenn
der Kostenspruch - anders als bei "e) Entscheidungen" in Verbindung mit §
140 ZPO - nicht ausdrücklich erwähnt wird, dürfte doch auch diesbezüglich
die Begründungspflicht zu bejahen sein. Dieser Pflicht ist das Obergericht
jedoch nachgekommen, wenn auch in knappster Form. Insoweit ist die
Beschwerde unbegründet.

    b) Der Beschwerdeführer meint denn auch wohl gar nicht das
Fehlen jeglicher Begründung, sondern will rügen, dass auf die von ihm
vorgetragenen Argumente nicht eingegangen worden sei, was ebenfalls eine
Verweigerung des rechtlichen Gehörs ergeben kann (TINNER in ZSR 83/1964 II
S. 358 und 362; vgl. auch BGE 96 I 723, 101 Ia 296 und 552); die Erwägungen
sollen auch eine Würdigung der Parteivorbringen enthalten (EICHENBERGER,
Beiträge zum Aargauischen Zivilprozessrecht, S. 206 zu lit. d). In der
Verhandlung vor Obergericht beantragte der Anwalt des Beschwerdeführers
unter Berufung auf § 54 lit. b und c ZPO im Falle seines Unterliegens
Kostenteilung, weil er in guten Treuen prozessiert habe, entsprechend
der vorprozessual überblickbaren Rechtslage, in schuldloser Unkenntnis
der massgebenden Tatsachen, nach klarer und eindeutiger Verpflichtung
der Beklagten im Brief Marty und in den Kaufverträgen, während die
Bauverträge erst im Prozess und unvollständig eingereicht worden seien.
Nach § 54 ZPO kann denn auch der Richter die Kosten wettschlagen oder
verhältnismässig teilen:

    "a)...

    b) wenn die Streitsache nach dem Ermessen des Richters derart ist,
   dass die unterliegende Partei in guten Treuen zur Führung des

    Rechtsstreites veranlasst war,

    c) wenn die unterliegende Partei die Tatsache, die den Grund des

    Urteils ausmacht, nicht kannte und zu kennen nicht verbunden war."

    Indem das Obergericht sich nur auf die Regel des § 53 ZPO stützte,
wonach die unterliegende Partei kostenpflichtig wird, ohne überhaupt auf
die Frage einzutreten, ob der Beschwerdeführer sich zu Recht auf einen
der gesetzlichen Ausnahmefälle gemäss § 54 ZPO berief, hat es diesem
das rechtliche Gehör verweigert. Daran ändert auch nichts, dass § 54 ZPO
weitgehend auf richterliches Ermessen verweist. Das muss zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils führen, soweit es die erst- und zweitinstanzlichen
Kosten- und Entschädigungsfolgen regelt.

    c) Auf die weitere Rüge, dass vorliegend § 54 lit. b und c ZPO
willkürlich nicht angewandt worden seien, braucht bei diesem Ausgang
nicht eingegangen zu werden.