Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 V 87



102 V 87

21. Auszug aus dem Urteil vom 27. April 1976 i.S. Camenzind gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Kantonsgericht des Kantons
Zug Regeste

    Ende der Versicherung. Arbeitszeitguthaben aus gleitender Arbeitszeit
beinhalten keinen Lohnanspruch im Sinne des Art. 62 Abs. 2 KUVG.

Sachverhalt

                      Aus dem Tatbestand:

    A.- Der 1950 geborene, ledige Markus Camenzind verunfallte am
8. September 1973 abends beim Abstieg vom Piz Badile tödlich. Er hatte
als Bauzeichner in einem Architekturbüro in Zug gearbeitet und zuletzt
einen monatlichen Bruttolohn von Fr. 2'000.-- verdient, bei einer - im
Rahmen der gleitenden Arbeitszeit - wöchentlichen Sollzeit von 42 1/2
Stunden; sein jährlicher Ferienanspruch hatte 3 Wochen betragen. Markus
Camenzind hatte vor Antritt seiner 3wöchigen Ferien, die am 16. Juli 1973
begannen, um einen zusätzlichen, unbezahlten Urlaub von 2 Wochen gebeten;
am 17. August 1973 hatte er seinen Arbeitgeber ersucht, ihm den Urlaub
um weitere 3 Wochen zu verlängern; er hätte die Arbeit am 10. September
1973 wieder aufnehmen müssen. Der Arbeitgeber richtete ihm den Lohn für
den Monat Juli von Fr. 1'890.-- aus; im September 1973 bezahlte er für
das aus gleitender Arbeitszeit noch vorhandene Arbeitszeitguthaben einen
Betrag von Fr. 945.-- sowie eine Todesfallentschädigung von Fr. 2'000.--.

    Mit Verfügung vom 7. November 1973 lehnte die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gestützt auf Art. 62 Abs. 2
KUVG die Ausrichtung von Versicherungsleistungen, namentlich der
Hinterlassenenrenten für die Eltern ab.

    B.- Das Kantonsgericht des Kantons Zug wies durch Entscheid vom 2. Juli
1975 eine von den Eltern Camenzind erhobene Beschwerde ab. Das Gericht
stellte im wesentlichen fest, der Lohnanspruch des verunfallten Markus
Camenzind sei am letzten Tag der bezahlten Ferien, d.h. am 4. August
1973, zu Ende gegangen. Die 30tägige Frist des Art. 62 Abs. 2 KUVG
habe am 5. August 1973 begonnen und sei demnach am 3. September 1973
abgelaufen. Zur Zeit des Unfalles sei Markus Camenzind somit nicht mehr
versichert gewesen.

    C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde lassen die
Eltern des Verstorbenen beantragen, die SUVA sei zu verpflichten, ihnen
die gesetzlichen Leistungen aus dem tödlichen Unfall ihres Sohnes vom
8. September 1973 auszurichten.

    Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss dem bis zum 31. Dezember 1973 gültig gewesenen Art. 62
Abs. 2 KUVG, der auf den vorliegenden Fall noch Anwendung findet, endet
die Versicherung mit dem Ablauf des dreissigsten Tages nach dem Tage, an
dem der Lohnanspruch aufhört. Die Anstalt ist befugt, für die Fortführung
der Versicherung über diesen Zeitpunkt hinaus besondere Abreden zu treffen.

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall steht fest, dass Markus Camenzind am
13. oder 14. Juli 1973 zum letzten Mal gearbeitet und die ordentlichen
3wöchigen Ferien angetreten hat, welche am 4. oder 5. August 1973 beendet
waren. Anschliessend bezog er einen 5wöchigen unbezahlten Urlaub und hätte
die Arbeit am 10. September 1973 wieder aufnehmen müssen; am 8. September
1973 verunfallte er tödlich.

    Es ist ferner erwiesen, dass für die Zeit des unbezahlten Urlaubs eine
Verlängerung der Nichtbetriebsunfallversicherung durch Abrede unterlassen
worden ist; der Arbeitgeber hatte dazu als Zeuge glaubhaft erklärt,
dass eine schriftliche Belehrung über die Möglichkeit einer solchen
Verlängerung in Anschlagsform an einem allgemein zugänglichen Ort des
Betriebes angebracht war. Im übrigen kann entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführer nicht gesagt werden, die Globalorientierung der SUVA
sei ungenügend gewesen.

    Unbestritten ist endlich, dass Markus Camenzind den letzten Lohn
im Betrage von Fr. 1'890.-- Ende Juli 1973 bezogen hatte und dass der
Arbeitgeber seinen Eltern ein "halbes Monatssalär" von Fr. 945.-- sowie
eine Todesfallentschädigung von Fr. 2'000.-- ausrichtete.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführer machen geltend, die 30tägige Frist des
Art. 62 Abs. 2 KUVG sei - entgegen der vorinstanzlichen Feststellung
- nicht am 3. September, sondern erst nach dem 8. September 1973
abgelaufen; die Vorinstanz habe es zu Unrecht unterlassen, Markus
Camenzind ein Arbeitszeitguthaben von mindestens 5 Tagen im Anschluss an
die 3wöchige Ferienperiode im August anzurechnen. Es fragt sich somit,
ob Arbeitszeitguthaben aus gleitender Arbeitszeit Lohnansprüche gemäss
Art. 62 Abs. 2 KUVG beinhalten.

    Der kantonale Richter hat zutreffend entschieden, dass die Bildung
eines Arbeitszeitguthabens auf den Lohnanspruch keinen Einfluss hat, weil
der Lohn auf der Basis der Sollzeit ausbezahlt wird. Mit der gleitenden
Arbeitszeit sollen nämlich grundsätzlich nicht Arbeitszeitguthaben
geschaffen werden, die später durch Lohnzahlung abgegolten oder
durch bezahlte Freizeit ausgeglichen werden können. Vielmehr ist das
"Gleitzeitpolster" durch Verkürzung der Arbeitszeit - und nur im Rahmen
der Gleitzeit - wieder abzubauen.

    Selbst unter der Annahme, dass in einem Fall wie dem vorliegenden bei
gleitender Arbeitszeit ein Arbeitszeitguthaben durch bezahlte Freizeit
kompensiert werden könnte, führt ein solches Guthaben nach einem Beschluss
des Gesamtgerichts vom 9. Januar 1976 nicht zu einer entsprechenden
Verlängerung des in Art. 62 Abs. 2 KUVG erwähnten Lohnanspruchs; diese
Kompensation durch bezahlte Freizeit stellt auch keine Ferien dar. Mit
der Bestimmung über das Ende der Versicherung sollen Deckungslücken zwar
soweit als möglich verhindert werden. Dies kann aber nicht dazu führen,
dass durch Bildung von Arbeitszeitguthaben Lohnansprüche hinausgeschoben
werden. Art. 62 Abs. 2 KUVG bezweckt nämlich auch, beweismässig klare
Verhältnisse zu schaffen (vgl. MAURER, Recht und Praxis der schweizerischen
obligatorischen Unfallversicherung, 2. Aufl., S. 70).

Erwägung 4

    4.- Nach dem Gesagten braucht nicht geprüft zu werden, wie hoch
das Arbeitszeitguthaben aus gleitender Arbeitszeit tatsächlich war.
Unerheblich ist auch, dass der Arbeitgeber den Beschwerdeführern Fr. 945.--
als "halbes Monatssalär" ausgerichtet hat. Vielmehr steht fest, dass
Markus Camenzind im Zeitpunkt seines Todes am 8. September 1973 nicht
mehr versichert war; denn die 30tägige Frist des Art. 62 Abs. 2 KUVG
begann nach Ende der 3wöchigen Ferien entweder am 5. oder 6. August 1973
und endete somit spätestens am 4. September 1973 ...

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.