Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 V 76



102 V 76

19. Auszug aus dem Urteil vom 12. Mai 1976 i.S. Diethelm & Co. AG gegen
Bundesamt für Sozialversicherung und Eidgenössisches Departement des
Innern Regeste

    Art. 12 Abs. 6 KUVG, Art. 3 ff. Vo VIII und Art. 6 Abs. 1
Vf 10. Voraussetzungen der Aufnahme eines Heilmittels in die
Spezialitätenliste. Begriff der Wirtschaftlichkeit.

Sachverhalt

                      Aus dem Tatbestand:

    A.- Die Diethelm & Co. AG ersuchte am 23. Dezember 1968 um Aufnahme
des Präparates Fucidin-Salbe in die Spezialitätenliste gemäss Art. 3
ff. der Vo VIII über die Krankenversicherung vom 30. Oktober 1968. Dabei
handelt es sich um ein Staphylokokken-Antibiotikum, welches der lokalen
Therapie von Hautinfektionen dient.

    Am 20. Mai 1969 teilte das Bundesamt für Sozialversicherung der
Gesuchstellerin mit, dem Begehren könne nicht entsprochen werden, da
die Therapie sehr teuer sei und die Spezialität als unwirtschaftlich
bezeichnet werden müsse. Mit Verfügung vom 23. Mai 1972 wies das Bundesamt
ein Wiedererwägungsgesuch der Firma ab mit der Feststellung, das Präparat
sei "im Vergleich mit sämtlichen Spezialitäten der Gruppe Wundmittel mit
Antibiotika ... zu teuer und deshalb unwirtschaftlich".

    In einem erneuten Wiedererwägungsgesuch vom 15. Februar/21. Oktober
1974 machte die Firma geltend, in der Zwischenzeit sei das Präparat Iruxol
in die Spezialitätenliste aufgenommen worden; ein Preisvergleich zeige,
dass die Fucidin-Salbe um 31% billiger sei; im Herstellerland Dänemark
betrage der Publikumspreis umgerechnet Fr. 9.40. Am 27. November
1974 eröffnete das Bundesamt für Sozialversicherung der Firma, die
Eidgenössische Arzneimittelkommission lehne den angestellten Vergleich
ab, da Iruxol eine andere Wirksubstanz enthalte. Der Publikumspreis von
Fr. 10.20 für eine Tube Fucidin werde zwar mit Bezug auf den gestiegenen
Abgabepreis im Herstellerland nicht beanstandet, das angemeldete Präparat
bleibe jedoch mit dem erwähnten Preis "an sich viel zu teuer".

    B.- Gegen diesen Entscheid beschwerte sich die Diethelm & Co. AG beim
Eidgenössischen Departement des Innern mit der Begründung, die beiden
Präparate Fucidin und Iruxol hätten den gleichen Indikationsbereich
und seien daher hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit ohne weiteres
vergleichbar. Der Vergleich falle eindeutig zu Gunsten von Fucidin aus,
zumal sich in den meisten Fällen zusätzliche Antibiotikabehandlungen oder
gar chirurgische Eingriffe vermeiden liessen und die Behandlungsdauer
gegenüber derjenigen mit anderen Präparaten erheblich kürzer sei.

    Das Eidgenössische Departement des Innern wies die Beschwerde mit
Entscheid vom 20. Juni 1976 ab. In Übereinstimmung mit der Eidgenössischen
Arzneimittelkommission und der Vorinstanz müsse festgestellt werden,
dass die Fucidin-Salbe dem Erfordernis der Wirtschaftlichkeit nicht
zu genügen vermöge. Iruxol geniesse als ein erst 1972 bei der IKS
registriertes, kombiniertes Präparat mit neuartigem Hauptwirkstoff eine
preisliche Sonderstellung unter den Präparaten zur Behandlung von Ulcera
und Wunden. Demgegenüber gehöre die Fucidin-Salbe in die Gruppe der
antiinfektiösen Mittel gegen bakterielle Erreger, welche sich preislich
zwischen 4 und 6 Franken bewegten. Im Vergleich dazu sei der Preis von
Fucidin, auch wenn die gute Wirkung des Präparates anerkannt werde,
unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit eindeutig zu hoch.

    C.- Die Diethelm & Co. AG lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
erheben mit dem Antrag, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben
und die Fucidin-Salbe in die Spezialitätenliste aufzunehmen. Zur
Begründung wird auf die erstinstanzliche Beschwerdeeingabe verwiesen
und des weitern geltend gemacht, bei Fucidin handle es sich nicht
um ein übliches dermatologisches Antibiotikum, sondern um ein
Originalpräparat in Form eines hochqualifizierten Spezialtherapeutikums
gegen Staphylokokkeninfektionen der Haut. Wenn dem Präparat Iruxol
eine Sonderstellung eingeräumt werde, weil dessen gute Wirkung zu
einer Verkürzung der Heilungsdauer führe, müsse dies aus Gründen der
Rechtsgleichheit auch für Fucidin gelten, zumal die Preisdifferenz
gegenüber Präparaten der gleichen Gruppe bei Fucidin wesentlich geringer
sei als bei Iruxol.

    Das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. In der Vernehmlassung stellt das Amt
Preisvergleiche an mit ähnlichen antibiotischen Originalpräparaten. Hiezu
nimmt die Beschwerdeführerin in einer nachträglichen Eingabe vom 3. Oktober
1975 Stellung.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Streitig ist eine Verfügung des Bundesamtes für Sozialversicherung
betreffend Aufnahme eines Arzneimittels in die Spezialitätenliste gemäss
Art. 3 ff. der Vo VIII über die Krankenversicherung vom 30. Oktober
1968. Solche Verfügungen sind mangels einer anderslautenden Bestimmung
des KUVG durch Verwaltungsbeschwerde gemäss Art. 44 und 47 Abs. 1 lit. c
VwVG beim Eidgenössischen Departement des Innern anfechtbar. Dessen
Entscheide unterliegen nach Art. 98 lit. b in Verbindung mit Art. 128 OG
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht. Da
es nicht um Versicherungsleistungen im Sinne von Art. 132 OG geht,
sind sie vom Eidg. Versicherungsgericht nur hinsichtlich der Rüge
der Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder
Missbrauch des Ermessens, nicht aber auf Angemessenheit zu prüfen; an
die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhaltes ist das Gericht nicht
gebunden (Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 1 OG).

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 12 Abs. 6 KUVG bezeichnet der Bundesrat nach Anhören
der von ihm bestellten Arzneimittelkommission die Arzneimittel, die nicht
als Pflichtleistung gelten, deren Übernahme jedoch den Krankenkassen
empfohlen wird. Die Empfehlung erfolgt in Form einer vom Bundesamt
für Sozialversicherung herausgegebenen Spezialitätenliste (Art. 3 Vo
VIII). Nach Art. 4 Abs. 1 Vo VIII sind für die Aufnahme eines Arzneimittels
massgebend das medizinische Bedürfnis (lit. a), die Zweckmässigkeit
und Zuverlässigkeit in Bezug auf Wirkung und Zusammensetzung (lit. b)
sowie die Wirtschaftlichkeit (lit. c). Nach Abs. 6 der Bestimmung
ordnet das Eidgenössische Departement des Innern nach Anhören der
Arzneimittelkommission das Nähere über die Aufnahmebedingungen. Dies ist
mit der Verfügung 10 des Eidgenössischen Departementes des Innern über
die Krankenversicherung betreffend die Aufnahme von Arzneimitteln in die
Spezialitätenliste vom 19. November 1968 geschehen.

    Art. 6 Abs. 1 der Verfügung umschreibt den Begriff der
Wirtschaftlichkeit dahin, ein Arzneimittel gelte als wirtschaftlich, wenn
es die indizierte Heilwirkung mit möglichst geringem finanziellem Aufwand
gewährleiste. Nach Abs. 2 der Bestimmung fallen für die Beurteilung der
Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels in Betracht:

    a) dessen Wirksamkeit im Verhältnis zu andern Arzneimitteln gleicher
Indikation oder ähnlicher Wirkungsweise;

    b) die Kosten pro Tag oder Kur im Verhältnis zu den Kosten von
Arzneimitteln gleicher Indikation oder ähnlicher Wirkungsweise;

    c) die Kosten für Forschungsarbeiten, klinische Prüfung und
Ersteinführung auf dem Inlandmarkt bei einem Originalpräparat;
   d) die Preisgestaltung im In- und Ausland.

    Demzufolge beurteilt sich die Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels
teils unter dem Gesichtspunkt der vergleichenden Wertung mehrerer zum
gleichen Behandlungszweck zur Verfügung stehender Heilmittel, teils nach
der Höhe des Preises des in Frage stehenden Arzneimittels an sich. Über
die in der Verfügung genannten Kriterien hinaus muss der Preis eines
bestimmten Arzneimittels, bzw. einer Gruppe von solchen, auch in einem
vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Nutzen stehen. Je schwerer eine
Krankheit (und gegebenenfalls deren Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit)
im allgemeinen einzustufen ist, desto höhere Kosten dürfen für das
indizierte Arzneimittel verantwortet werden. Anderseits setzt der Begriff
der Wirtschaftlichkeit voraus, dass sich der Preis eines Arzneimittels
auch mit Bezug auf dessen Kosten (Herstellungskosten einschliesslich
der in Art. 6 Abs. 2 lit. b Vfg 10 genannten Kosten) in vertretbarem
Rahmen hält. Eine Preiskontrolle in dem Sinne, dass die Aufnahme eines
Arzneimittels in die Spezialitätenliste davon abhängig zu machen wäre, dass
der Preis des Präparates ausschliesslich nach Massgabe der Gestehungskosten
zuzüglich einer angemessenen Gewinnmarge festgesetzt wird, ginge allerdings
über Sinn und Zweck des Erfordernisses der Wirtschaftlichkeit hinaus. Der
Grundsatz der Wirtschaftlichkeit beinhaltet indessen einen Schutz vor
missbräuchlicher Ausnützung der freien Preisgestaltung.

Erwägung 3

    3.- Das Bundesamt für Sozialversicherung verneinte die
Wirtschaftlichkeit des streitigen Arzneimittels zunächst mit der
Begründung, das Präparat sei im Vergleich zu sämtlichen Spezialitäten
der Gruppe "Wundmittel mit Antibiotika" zu teuer (Verfügung vom 23. Mai
1972). Als die Beschwerdeführerin in der Folge auf das unter diesem
Titel in die Spezialitätenliste aufgenommene Präparat Iruxol hinwies,
dessen Preis je Mengeneinheit höher liegt als derjenige von Fucidin,
begnügte sich das Bundesamt für Sozialversicherung mit der Bemerkung,
Iruxol enthalte eine ganz andere Wirksubstanz (Verfügung vom 27. November
1974). Im vorinstanzlichen Entscheid wird in Übereinstimmung mit der
Vernehmlassung des Bundesamtes für Sozialversicherung ausgeführt, Iruxol
geniesse angesichts seiner vorzüglichen Wirkung als Originalpräparat
gegenüber anderen Präparaten der gleichen Gruppe eine Sonderstellung,
"die gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. c der ... Verfügung 10 noch vertretbar
erscheint". Diese Feststellung wird nicht näher begründet. Insbesondere
fehlt es an dem für die Beurteilung massgebenden Vergleich der beiden
Arzneimittel. Die eigentliche Begründung erschöpft sich im Hinweis, die
Fucidin-Salbe wäre in der Spezialitätenliste bei den Dermatologica in
die Gruppe "Antiinfektiöse Mittel" einzureihen. Der Preis von Fr. 10.20
sei aber im Verhältnis zu andern, in der gleichen Gruppe eingereihten
Mitteln, z.B. Aureomycin, Bacimycin, Batramycine und Nebacetin, mit
Preisen von 4 bis 6 Franken bei gleichem oder höherem Gewicht je Packung
zu hoch und damit nicht wirtschaftlich.

    Dieser Argumentation hält die Beschwerdeführerin mit Recht entgegen,
es sei ein blosser Preisvergleich vorgenommen worden, ohne dass zur Frage
der besseren Wirksamkeit des streitigen Präparates Stellung genommen
worden wäre. Die entsprechenden Vorbringen der Beschwerdeführerin
wurden im angefochtenen Entscheid erwähnt, jedoch nicht in Beurteilung
gezogen. Nicht ersichtlich ist, wie das Bundesamt für Sozialversicherung
in der Vernehmlassung zur Auffassung gelangt, die Beschwerdeführerin
habe sich "in der Beschwerdeschrift bei der Schilderung der Vorzüge von
Fucidin sehr wohl vor der Behauptung gehütet, dieses Präparat weise
im Verhältnis zu den genannten beiden andern Antibiotika der hier
massgebenden Untergruppe eine ganz wesentlich gesteigerte Wirksamkeit
auf". Die genannten Präparate (Achromycin und Chloromycetin) sind nämlich
vom Bundesamt für Sozialversicherung erstmals in der Vernehmlassung
zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde erwähnt worden, weshalb für die
Beschwerdeführerin schon aus diesem Grunde kein Anlass bestand,
hierauf Bezug zu nehmen. Dazu kommt, dass die Beschwerdeführerin in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, aber auch schon früher den Vergleich der
Wirksamkeit von Fucidin mit ähnlichen Heilmitteln gefordert hat.

Erwägung 4

    4.- Die Akten erlauben keine sichere Beurteilung dieses für die
Wirtschaftlichkeit des streitigen Arzneimittels wesentlichen Punktes. In
seiner Notiz zu Handen der Eidgenössischen Arzneimittelkommission vom 29.
Januar 1975 hat das Bundesamt die in der Beschwerde vom 27. Dezember
1974 geltend gemachten Gründe zusammengefasst und unter Hinweis auf
die rechtlichen Grundlagen festgestellt, die Kommission sollte sich
nun zu den Vorbringen der Beschwerdeführerin äussern und, "sofern ein
Kostenvergleich mit Iruxol weiterhin abgelehnt wird, hiefür die besonderen
Gründe angeben. Ferner interessiert, welche andern Vergleichspräparate
eventuell kostenmässig billiger, d.h. wirtschaftlicher wären." Ob und
inwieweit der Sachverhalt in der Folge unter diesem Gesichtspunkt geprüft
worden ist, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Jedenfalls genügen
die in den Protokollen der Eidgenössischen Arzneimittelkommission
enthaltenen Angaben nicht, um die Nichtaufnahme der Fucidin-Salbe in
die Spezialitätenliste wegen fehlender Wirtschaftlichkeit als sachlich
begründet erscheinen zu lassen.

    Es rechtfertigt sich daher, die Akten an das Bundesamt für
Sozialversicherung zurückzuweisen, damit es - in Verbindung mit der
Eidgenössischen Arzneimittelkommission - die von der Beschwerdeführerin
vorgebrachten Argumente näher prüfe und den Sachverhalt im Lichte des
in Erwägung 2 Gesagten neu beurteile. Dabei wird insbesondere auch den
Ausführungen der Beschwerdeführerin in der Antwort vom 3. Oktober 1975
auf die bundesamtliche Vernehmlassung Rechnung zu tragen sein. In ihrer
Eingabe legt die Firma ausführlich dar, weshalb ein Preisvergleich mit den
Präparaten Achromycin und Chloromycetin nicht zutreffend sein könne. Wie
es sich damit verhält, wird von der Verwaltung festzustellen sein.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen,
dass der vorinstanzliche Entscheid und die Verfügung vom 27. November 1974
aufgehoben werden und die Sache an das Bundesamt für Sozialversicherung
zurückgewiesen wird zwecks zusätzlicher Abklärung im Sinne der Erwägungen
und Neubeurteilung des Falles.