Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 V 54



102 V 54

14. Urteil vom 7. April 1976 i.S. Bundesamt für Industrie, Gewerbe und
Arbeit gegen Hürlimann und Rekurskommission des Kantons Zug Regeste

    Art. 15 Abs. 1 und Art. 16 Abs. 1 AlVG. Beginn der gemäss
kantonalem Recht obligatorischen Mitgliedschaft bei einer
Arbeitslosenversicherungskasse (Erw. 2).

    Art. 11 Abs. 1 AlVV. Rechtswirkungen der formlosen Anmeldung (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Hürlimann gehörte ab 1. Januar 1973 der obligatorischen
Arbeitslosenversicherung an. In der Zeit vom 5. März 1974 bis 3. April
1975 war er in Johannesburg/Südafrika tätig. Nach der Rückkehr in die
Schweiz stellte er am 6. Juni 1975 ein Gesuch um Ausrichtung einer
Arbeitslosenentschädigung.

    Die Arbeitslosenversicherungskasse teilte dem Gesuchsteller am 16. Juli
1975 mit, das Versicherungsverhältnis sei wegen des Auslandsaufenthaltes
auf den 31. Dezember 1974 erloschen. Die Neuaufnahme in die Kasse erfolge
auf den 1. Juni 1975. Die Taggeldberechtigung beginne somit am 1. Juli
1975, wobei ein Einkaufsgeld von Fr. 60.-- zu entrichten sei.

    B.- Gegen diese Verfügung erhob Hürlimann Beschwerde mit dem Antrag
auf Auszahlung der Arbeitslosenentschädigung ab 6. Juni 1975.

    Die kantonale Rekurskommission stellte fest, massgebend für
die Begründung des Versicherungsverhältnisses sei der Zeitpunkt
der zivilrechtlichen Wohnsitznahme, welche am 30. Mai 1975 erfolgt
sei. Der Beschwerdeführer sei demnach zu Recht auf den 1. Juni 1975 in
die Versicherung aufgenommen worden. Eine Taggeldberechtigung bestehe
ab 1. Juli 1975; das Einkaufsgeld betrage Fr. 50.-- (Entscheid vom
10. Oktober 1975).

    C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde macht
das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) geltend,
auch beim bestehenden kantonalen Versicherungsobligatorium werde die
Kassenmitgliedschaft mit dem Beitrittsgesuch oder, wenn es an einem
solchen fehle, mit der Zuweisungsverfügung an die öffentliche Kasse
begründet. Massgebend könne weder der Zeitpunkt der Wohnsitznahme noch
derjenige der Anmeldung bei der Einwohnerkontrolle sein ...

    Der Beschwerdegegner hat sich zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht
vernehmen lassen.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Es ist unbestritten, dass die seit dem 1. Januar 1973
bestandene Mitgliedschaft des Beschwerdegegners bei der kantonalen
Arbeitslosenversicherung wegen Auslandsaufenthaltes erloschen
ist, nachdem auch die Voraussetzungen zu einem Weiterbestand
des Versicherungsverhältnisses im Sinne der Art. 18 Abs. 3 AlVG
und 4 Abs. 3 AlVV nicht erfüllt waren. Streitig ist dagegen, in
welchem Zeitpunkt der Beschwerdegegner nach seiner Rückkehr in die
Schweiz die Kassenmitgliedschaft erworben hat und ein Taggeldanspruch
frühestens entstanden sein konnte. Dabei ist davon auszugehen, dass der
Beschwerdegegner dem kantonalen Versicherungsobligatorium gemäss § 14 des
zugerischen Einführungsgesetzes vom 15. Mai 1972 zu den Bundesgesetzen über
die Arbeitsvermittlung und über die Arbeitslosenversicherung untersteht.

Erwägung 2

    2.- a) Die Vorinstanz nimmt an, für den Erwerb der Kassenmitgliedschaft
sei der Zeitpunkt der zivilrechtlichen Wohnsitznahme massgebend; nachdem
der Beschwerdegegner am 30. Mai 1975 mit der Absicht dauernden Verbleibens
in die Schweiz zurückgekehrt sei, sei er gemäss Art. 16 Abs. 1 AlVG
mit Wirkung ab 1. Juni 1975 in die Kasse aufzunehmen. Diesen Zeitpunkt
erachtete zunächst auch die Kasse als massgebend; in der Vernehmlassung
an die Vorinstanz bezeichnete sie dagegen den 1. Juli 1975 als ersten
Mitgliedschaftstag mit der Begründung, entgegen ihrer ursprünglichen
Annahme sei die Anmeldung bei der Einwohnerkontrolle der Wohnsitzgemeinde
nicht am 30. Mai, sondern erst am 5. Juni 1975 erfolgt.

    Das BIGA macht demgegenüber geltend, auf den Zeitpunkt der
Wohnsitznahme könne schon im Hinblick auf den Grundsatz der freien
Kassenwahl nicht abgestellt werden. Beim Entstehen der Versicherungspflicht
stehe noch nicht fest, welcher Kasse der Pflichtige beitreten werde; es
müsse ihm eine angemessene Frist eingeräumt werden, um ein Beitrittsgesuch
bei der Kasse seiner Wahl zu stellen. Erst wenn er innert nützlicher
Frist vom Wahlrecht nicht Gebrauch mache, könne er durch Verfügung der
für die Durchführung des Versicherungsobligatoriums zuständigen Behörde
der öffentlichen Kasse zugewiesen werden. Daraus ergebe sich, dass für den
Beginn der Mitgliedschaft der obligatorischen Versicherung ebenfalls das
Datum des Beitrittsgesuches oder, wenn ein solches nicht gestellt werde,
dasjenige der Zuweisungsverfügung an die öffentliche Kasse massgebend sei.

    b) Dieser Auffassung ist beizupflichten. Sie trägt dem Umstand
Rechnung, dass die Arbeitslosenversicherung auch dort, wo sie obligatorisch
erklärt wird, keine Versicherung von Gesetzes wegen begründet und sich die
Rechte und Pflichten des Versicherten aus dessen persönlicher Zugehörigkeit
zu einer Arbeitslosenversicherungskasse ergeben. Die in Art. 15 Abs. 1
AlVG gewährleistete freie Kassenwahl setzt voraus, dass zwischen der
Versicherungspflicht als solcher und der Kassenmitgliedschaft unterschieden
wird. Das Versicherungsobligatorium beseitigt lediglich die Freiwilligkeit
des Kassenbeitritts in dem Sinne, dass sich der Nichtversicherte einer
anerkannten Kasse anzuschliessen hat; eine zwangsweise Zuweisung an
die öffentliche Kasse erfolgt nur, wenn der Versicherungspflichtige
dieser Pflicht nicht nachkommt. Das Versicherungsverhältnis wird
folglich nicht schon damit begründet, dass die Voraussetzungen der
Versicherungspflicht erfüllt sind; vielmehr bedarf es eines Beitrittes
des Versicherungspflichtigen selbst bzw. einer Zuweisung seitens der
für die Durchführung des Obligatoriums zuständigen Behörde (vgl. HOLZER,
Kommentar zum Bundesgesetz über die Arbeitslosenversicherung, S. 37 und
77; VÖKT, Rechtsstellung und Rechtsbeziehungen der Kassen nach dem neuen
Bundesgesetz über die Arbeitslosenversicherung, Diss. Basel 1954, S. 142,
sowie BGE 101 V 129).

    Demnach kann für den Beginn der Kassenmitgliedschaft weder
der Zeitpunkt der zivilrechtlichen Wohnsitznahme noch derjenige der
Anmeldung bei der Einwohnerkontrolle massgebend sein. Es kann daher auch
offenbleiben, ob sich der Beschwerdegegner bereits am 30. Mai oder erst
am 5. Juni 1975 bei der Gemeinde zurückgemeldet hat.

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 11 Abs. 1 AlVV hat die Anmeldung bei der
Arbeitslosenversicherung auf besonderem Formular zu erfolgen. Ein
solches hat der Beschwerdegegner der Kasse am 10. Juli 1975
zugestellt. Bei der genannten Bestimmung handelt es sich indessen um
eine blosse Ordnungsvorschrift. Meldet sich der Beitrittswillige mit
formlosem Schreiben an, kommt er jedoch der Aufforderung der Kasse,
sich rechtsgenüglich anzumelden, unverzüglich nach, so sind die
Rechtswirkungen der Anmeldung auf das erste Schreiben zurückzubeziehen
(vgl. für die Invalidenversicherung ZAK 1970 S. 499). Im vorliegenden
Fall kann daher das Taggeldgesuch vom 6. Juni 1975 als massgebender
Zeitpunkt der Anmeldung gelten. Das Gesuch wurde vom Beschwerdegegner in
der Meinung unterbreitet, er sei noch Kassenmitglied, welcher Auffassung
zunächst auch die Arbeitslosenversicherungskasse war. Im übrigen hat
sich der Beschwerdegegner nach Erhalt des amtlichen Formulars ohne Verzug
formrichtig angemeldet. Der Beginn seiner Mitgliedschaft ist in Anwendung
von Art. 16 Abs. 1 AlVG somit auf den 1. Juli 1975 festzusetzen.

Erwägung 4

    4.- Gemäss Ziff. II/1 des Bundesbeschlusses über Massnahmen auf dem
Gebiete der Arbeitslosenversicherung und des Arbeitsmarktes zur Bekämpfung
von Beschäftigungs- und Einkommenseinbrüchen vom 20. Juni 1975, in Kraft
seit dem 1. Juli 1975, ist die ordentliche Wartefrist in Abweichung von
Art. 25 Abs. 1 AlVG für Personen, die sich bis zum 31. Dezember 1975 bei
einer anerkannten Arbeitslosenversicherungskasse anmelden, auf einen Monat
verkürzt worden. Der Beschwerdegegner ist daher frühestens ab 1. August
1975 taggeldberechtigt. Ob die Voraussetzungen des Taggeldanspruches in
diesem Zeitpunkt erfüllt waren, wird zunächst von der Kasse zu prüfen
sein. Immerhin geht aus den Akten hervor, dass der Beschwerdegegner am
9. Juli 1975 eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hat.

Erwägung 5

    5.- Versicherte, die während der Geltungsdauer des genannten
Bundesbeschlusses in eine Kasse eintreten, haben in Abweichung von Art. 16
Abs. 4 AlVG ein Einkaufsgeld von Fr. 60.-- zu entrichten. Versicherte,
die weniger als 6 Monate vor Inkrafttreten des Bundesbeschlusses in
eine Kasse eingetreten sind und vor Ablauf von 6 Monaten seit Eintritt
Leistungen beanspruchen, zahlen ein Einkaufsgeld von Fr. 10.-- für jeden
Monat, um den die gesetzliche Wartefrist verkürzt wurde (Ziff. II/2 des
Bundesbeschlusses).

    Nachdem der Beschwerdegegner entgegen der Annahme der Vorinstanz
erst auf den 1. Juli 1975 Kassenmitglied geworden ist, hat er das volle
Einkaufsgeld von Fr. 60.-- zu entrichten.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der
vorinstanzliche Entscheid und die Kassenverfügung vom 16. Juli 1975
aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beschwerdegegner die
Kassenmitgliedschaft auf den 1. Juli 1975 erworben hat und das
Einkaufsgeld Fr. 60.-- beträgt.