Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IV 138



102 IV 138

34. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. August 1976 i.S. E.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen. Regeste

    Art. 45 Abs. 2 und 3 JVG; fahrlässiges Jagenlassen von Hunden.

    1. Wann jagt ein Hund? (Erw. 4).

    2. Fahrlässigkeit des Hundehalters (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- E. besitzt einen Appenzeller Hund und einen Labradorbastard. Am
24. September 1974 stellte der Jagdaufseher P. und am 3. Oktober 1974
der Jagdpächter V. fest, dass die beiden Hunde in Neuhausen am Rheinfall
im Gebiet Niederbuck-Ziegelberg-Nachtweid Rehe verfolgten.

    B.- Am 17. Februar 1975 bestrafte die Polizeidirektion des Kantons
Schaffhausen E. wegen Übertretung von Art. 45 Abs. 2 JVG und § 15 der
kantonalen Verordnung über den Naturschutz mit einer Busse von Fr. 250.--.

    Auf Einsprache des Gebüssten führte die Polizeidirektion ein
übertretungsstrafamtliches Verfahren durch und wies die Einsprache am 11.
September 1975 ab.

    Gegen diesen Entscheid rekurrierte E. beim Bezirksrichter Schaffhausen.
Dieser wies das Rechtsmittel am 10. Mai 1976 ebenfalls ab und verurteilte
E. wegen wiederholten fahrlässigen Jagenlassens von Hunden gemäss
Art. 45 Abs. 2 und 3 JVG zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von
Fr. 250.--.

    C.- E. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Bezirksrichters sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer macht geltend, der Bezirksrichter habe den
Begriff des Jagens im Sinne des JVG verkannt. Damit von Jagen im Sinne
des Gesetzes gesprochen werden könne, müsse "ein Hund jagdbare Tiere
nachhaltig verfolgen in der Absicht und mit der Aussicht, das Tier zu
erlegen". Hier sei nur nachgewiesen, dass die Hunde Rehwild auf einer
Strecke von ca. 50 m bzw. während einer kurzen Phase verfolgt hätten. Der
Zeuge V. habe zwar angegeben, er habe den Eindruck, dass die Hunde in der
Lage gewesen wären, ein Reh zu reissen. Es sei jedoch weder nachgewiesen,
dass das geschehen sei, noch auch nur, dass die Rehe nachhaltig verfolgt
worden wären mit der Aussicht, sie zu erlegen. Als Herdenhunde hätten
die Tiere des Beschwerdeführers das Wild nicht getötet und somit nicht
gejagt; auszugehen sei nämlich vom wahren Willen des Gesetzgebers,
der bei der Aufstellung des Art. 45 JVG an Hunde gedacht habe, die
zum Wildern dressiert seien und dafür eingesetzt würden, nicht aber
an "Stadthunde", die einmal von ihrem Meister im Gelände frei laufen
gelassen würden. Ziel des Art. 45 JVG sei es, den Wilderer zu treffen,
nicht den loyalen Hundehalter, dessen Hund einmal für kurze Augenblicke
einem jagdbaren Wildtier nachsetze. Die Hunde des Beschwerdeführers hätten
als Herden- und Hofhunde ihrem angeborenen Charakter nach nicht gejagt,
sondern höchstens spielerisch oder in Verfolgung eines Hirteninstinktes
kurze Zeit einem Wildtier nachgesetzt, um gleich zurückzukehren, sobald
sich der Abstand zum flüchtenden Wild vergrösserte.

    a) Nach Art. 45 Abs. 2 und 3 JVG macht sich strafbar, wer während
der geschlossenen Jagdzeit Hunde vorsätzlich oder fahrlässig jagen lässt
bzw. wer dies während der offenen Jagdzeit ohne Berechtigung tut.

    Zur Entscheidung steht die Auslegung des Begriffs des Jagenlassens
eines Hundes und insbesondere die Frage, wann ein Hund jage. Die vom
Beschwerdeführer gegebene Umschreibung dieses Begriffs schliesst
offensichtlich an die Definition des Jagens an, wie sie von der
Rechtsprechung für die menschliche Tätigkeit des Jagens gemäss Art. 40
JVG gegeben wurde (BGE 99 IV 105). Darauf kann jedoch zur Kennzeichnung
eines tierischen Verhaltens nicht ohne weiteres zurückgegriffen werden,
insbesondere nicht insoweit, als jene Begriffsumschreibung ein Handeln
mit einer bestimmten Absicht fordert und damit auf nur dem Menschen
eigene geistige Fähigkeiten Bezug nimmt. Zum andern will Art. 45 Abs. 2
und 3 JVG nicht - wie der Beschwerdeführer meint - allein den Wilderer
treffen, sondern es soll auch das Wild in seiner Ruhe gegen streunende
Hunde schlechthin geschützt werden, unbekümmert darum, ob der Hundehalter
sein Tier aufs Wildern abgerichtet hat oder nicht. Entsprechend ist denn
auch der Begriff des Jagens eines Hundes weiter zu fassen als derjenige
des Jagens durch einen Menschen.

    Schon unter der Herrschaft des alten JVG vom 24. Juni 1904 hat
das Bundesgericht in Auslegung des Begriffs des Jagenlassens eines
Hundes (Art. 6 lit. b) erklärt, dass unter "Jagen" nicht nur eine nach
Art oder Dauer näher bestimmte Jagdwildverfolgung, namentlich nicht
bloss das Wirken eines speziellen Jagdhundes im Sinne eines für den
fachmännischen Jadgbetrieb besonders abgerichteten oder vermöge seiner
Rasseneigenschaften hiezu ohne weiteres geeigneten Hundes, sondern jede
Verfolgung von Jagdwild durch irgend einen Hund zu verstehen sei (BGE
41 I 219/220). Der Begriff des Jagenlassens von Hunden und damit des
Jagens durch solche Tiere wurde ins JVG vom 10. Juni 1925 übernommen,
ohne dass den Materialien ein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen wäre,
dass der Gesetzgeber von dem Sinn, den das Bundesgericht jenem Begriff
in Anwendung des alten Gesetzes beigelegt hatte, hätte abrücken wollen
(s. BBl 1922 I 365 und den Vergleich der beiden Gesetzestexte). Vielmehr
wurde vom Berichterstatter im Ständerat ausdrücklich darauf hingewiesen,
dass Art. 45 JVG alle Hundearten erfasse, und er hat dabei wegen ihrer
besonderen Gefährlichkeit für das Wild bloss als Beispiel die Wolfshunde
erwähnt (Sten.Bull. StR 1924 S. 371). Es besteht deshalb kein Grund,
von der Rechtsprechung zum früheren Gesetz abzuweichen, zumal auch das
einschlägige Schrifttum zur neuen Jagdgesetzgebung unter Jagen eines Hundes
im Sinne des Art. 45 Abs. 2 und 3 JVG irgendwelche Wildverfolgung durch
irgendwelchen Hund versteht (DÜRR, Jagd und Vogelschutz, S. 34; s. für
die analoge zürcherische Ordnung BAUR, Zürcher Jagdrecht, 2. Aufl. S. 90).

    b) Geht man vom Gesagten aus und stellt man auf den von der Vorinstanz
verbindlich festgestellten Sachverhalt ab (Art. 277bis Abs. 1 BStP),
so kann keinem Zweifel unterliegen dass die Hunde des Beschwerdeführers
Rehwild gejagt haben. Am Abend des 24. September 1974 sah Jagdaufseher
P., wie die beiden Hunde stumm drei Rehe über ein Feld in den nächsten
Wald verfolgten, und am 3. Oktober 1974 stellte der Jagdpächter V. fest,
dass sie einer Rehgeiss mit zwei Jungen nachsetzten. Ob sie dies nach Art
eines Jagdhundes und während längerer Dauer taten, ist ebenso belanglos wie
die Frage, ob sie in der Lage gewesen wären, das gehetzte Wild zu erlegen.

Erwägung 5

    5.- Der Tatbestand des Jagenlassens von Hunden setzt neben der
jagdlichen Tätigkeit des Tieres eine schuldhafte Unterlassung des
Hundebesitzers voraus, nämlich den Hund nicht an dem Ausleben seines
Wildverfolgungstriebs gehindert zu haben. In diesem Zusammenhang macht E.
geltend, einem Hund, der nicht als Jäger bekannt sei, müsse freier
Auslauf zugestanden werden. Der "Herr", der ihm diesen gewähre, mache
sich nicht strafbar. Er habe gewusst, dass seine Hunde nicht jagten,
weshalb er auch habe in Kauf nehmen dürfen, dass sich die Tiere einmal von
seinem Gärtnereibetrieb entfernten. Selbst wenn aber nachgewiesen wäre,
dass seine Hunde entgegen aller Erfahrung gejagt hätten, so müsste er
freigesprochen werden, weil er damit nicht habe rechnen müssen. Es falle
ihm keine Fahrlässigkeit zur Last.

    Daran ist soviel richtig, dass es bei der Beurteilung des Verschuldens
des Hundehalters in der Tat auch auf dessen Kenntnis der Eigenschaften und
Verhaltensweisen von Hunden im allgemeinen und seines eigenen Tieres im
besonderen ankommt. Nach dem angefochtenen Urteil hat der Beschwerdeführer
indessen im kantonalen Verfahren eingeräumt, dass in jedem Hund von der
Züchtung aus dem Wolf her noch ein gewisser Jagdtrieb vorhanden ist, dem
das Tier mehr oder weniger häufig und intensiv nachlebt. Ist dem aber so,
dann muss der Halter eines Hundes, selbst wenn dieser nicht als Jagdhund
dressiert ist und unter der Aufsicht seines Herrn auch nicht zu jagen
pflegt, mit der Möglichkeit rechnen, dass der in seinem Tier schlummernde
Trieb bei gebotener Gelegenheit, namentlich beim unbeaufsichtigten
Umherstreunen im Jagdgebiet, ausbreche. Zwar ist dem Hundebesitzer
unter Vorbehalt einer ausdrücklich anderslautenden kantonalen Regelung
nicht zuzumuten, dass er von vorneherein jede entfernte Möglichkeit der
Wildverfolgung durch seinen Hund unterbinde und insbesondere sein Tier
auf Jagdgebiet selbst dann an die Leine nehme, wenn er jenen Trieb des
Tieres durch blosse Vermahnung mit Lauten oder Zeichen zu beherrschen
vermag (BGE 41 I 220). Mit diesem Fall kann aber jener nicht verglichen
werden, wo der Hundebesitzer sein Tier ohne jede Aufsicht auf Jagdgebiet
sich umhertreiben lässt. Hier liegt nicht nur die Möglichkeit eines
jederzeitigen Ausbrechens des Jagdtriebs nahe, sondern diesem ist wegen
der fehlenden Beaufsichtigung des Tieres auch keine Schranke gesetzt. Das
aber hatte auch dem Beschwerdeführer bei gebotener Vorsicht nicht entgehen
können. Indem er dessen ungeachtet die Hunde nicht nur einmal, sondern am
24. September und am 3. Oktober 1974 abends frei und ohne jede Aufsicht
auf Jagdgebiet hat umherstreunen und jagen lassen, hat er die ihm durch die
Jagdgesetzgebung aufgetragene Pflicht als Hundehalt fahrlässig missachtet;
ein solches Umherlaufenlassen von Hunden in einem Jagdgebiet liegt nicht
mehr innerhalb der Grenzen erlaubter Tierhaltung.