Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 II 81



102 II 81

14. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Juni 1976
i.S. Vanoli Betonwerk gegen Thomas Domenig und Mitbeteiligte. Regeste

    Art. 24 Abs. 3 OR. Diese Bestimmung gilt nur für Rechnungsfehler,
die in den übereinstimmenden Willensäusserungen beider Parteien zutage
treten (Erw. 1).

    Culpa in contrahendo setzt voraus, dass der Gegenpartei etwas
verschwiegen wird, das sie nicht kennt und nicht zu kennen verpflichtet
ist (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Die aus Architekt Domenig jun., Guido Caviezel und Johann Georg
Walt bestehende Baugesellschaft Hohenrätien (einfache Gesellschaft)
holte auf Formularen Angebote ein für die Herstellung und Lieferung
vorfabrizierter Betonelemente zu einem Mehrfamilienhaus und vergab diese
Arbeiten durch Werkvertrag vom 3./11. Januar 1972 der Vanoli Betonwerk
AG zu dem von ihr verlangten Preis von Fr. 93'191.--, abzüglich 2%
Skonto. Die Firmen AG für Baurationalisierung, Caluori AG und Baustoff
AG hatten auf Fr. 130'420.--, bzw. Fr. 141'109.--, bzw. Fr. 162'451.--
lautende Angebote gemacht. Die interne Berechnung der Baugesellschaft
Hohenrätien hatte einen Richtpreis von Fr. 125'000.-- ergeben.

    Am 23. Mai 1972 - die Ablieferung der Elemente hatte laut Werkvertrag
im April zu beginnen - teilte die Vanoli Betonwerk AG dem Bauführer
des Architekturbüros Domenig, Werner Bruckhaus, mit, sie habe die
zu Position 6 von Angebot und Werkvertrag genannten Stückpreise der
Fassadenplatten versehentlich auf Grund einer Höhe der Elemente von
0,53 m statt von 2,32 m berechnet. Am 26. Mai 1972 bestätigte sie
dies dem Architekturbüro schriftlich und verlangte die Erhöhung der
Preise für die Platten der Positionen 6a-6f von Fr. 16'695.-- auf
Fr. 69'975.--. Ihrer Schlussrechnung vom 18. September 1972 legte sie
die höheren Preise zugrunde. Die Baugesellschaft Hohenrätien lehnte das
verlangte Entgegenkommen mit Schreiben vom 30. Mai 1972 und dadurch ab,
dass sie die Schlussrechnung nur teilweise beglich. Die Vanoli Betonwerk
AG klagte daher gegen sie auf Nachzahlung von Fr. 51'153.-- nebst Zins.

    B.- Während das Bezirksgericht Plessur der Klägerin entsprechend dem
Unterschied zwischen ihrem Angebot und jenem der AG für Baurationalisierung
Fr. 36'512.-- nebst Zins zusprach, wies das Kantonsgericht von Graubünden
am 18. Dezember 1975 die Klage ab.

    C.- Die Klägerin beantragt mit der Berufung, das Urteil des
Kantonsgerichtes aufzuheben und die Beklagten solidarisch zu verpflichten,
ihr Fr. 36'512.-- nebst 5% Zins seit dem 18. Oktober 1972 zu zahlen.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Klägerin hält das Versehen, das ihr bei der Ausarbeitung des
Angebotes zu den Positionen 6a-6f unterlief, für einen Rechnungsfehler,
der gemäss Art. 24 Abs. 3 OR zu berichtigen sei.

    Art. 24 Abs. 3 OR gilt nur für Rechnungsfehler, die in den
übereinstimmenden Willensäusserungen beider Parteien zutage treten,
d.h. für Versehen, die den Parteien bei der Umrechnung vertraglicher
Grundlagen gemeinsam unterlaufen. Versehen bei der Ausarbeitung eines
Angebotes, welche die Gegenpartei nicht als Rechnungsfehler erkennen
kann, fallen nicht unter diese Bestimmung. Sie sind blosse Irrtümer im
Beweggrund, die unter der Voraussetzung des Art. 24 Abs. 1 Ziffer 4 OR
den Vertrag allenfalls einseitig unverbindlich machen können, nie aber
dem Irrenden Anspruch auf Berichtigung desselben geben (BGE 30 II 65,
71 II 243).

    Im vorliegenden Falle trifft Art. 24 Abs. 3 OR nicht zu. Die
Ausmasse der Fassadenplatten der Positionen 6a-6f sind freilich im
Angebot angegeben, besonders auch die Höhe von 2,32 m. Sie sind also
Grundlagen des Vertrages. Solche bilden z.B. auch die im Angebot genannten
Kubikinhalte des zu verwendenden Betons, die Gewichte der Stahlarmierung
und der Anschlusseisen, die Stückzahlen der zu liefernden Platten und
deren Einheitspreise. Mit Hilfe dieser und der übrigen zu Grundlagen
des Vertrages erhobenen Angaben des Angebotes lässt sich aber nicht
erkennen, wie die Klägerin die Einheitspreise bestimmt hat und dass
sie dabei versehentlich mit einer Plattenhöhe von 0,53 m statt 2,32 m
rechnete. Dieses Versehen wird selbst für den, der die Einheitspreise der
Balkonbrüstungen (Positionen 5) mit jenen der Fassadenplatten (Positionen
6) miteinander vergleicht, nicht als Rechnungsfehler erkennbar, denn auch
aus den Positionen 5 ist nicht zu ersehen, wie die Klägerin diese Preise
ermittelt hat. Der Fachmann kann vielleicht auf Grund dieses Vergleichs
mutmassen, die Klägerin habe die Preise der beiden Positionen nicht nach
den gleichen Grundsätzen bestimmt. Nach welcher Methode sie bei der einen
und nach welcher Methode sie bei der anderen kalkuliert haben mag, ist
aber nicht erkennbar. Selbst wenn ein Rechnungsfehler zu vermuten wäre,
bliebe unklar, bei welcher der beiden Positionen er unterlaufen und wie er
zu berichtigen sei. Auch die Vergleichung der Einheitspreise der Position
6 mit denen aller anderen Positionen hilft der Klägerin nicht. Ihre
Behauptung, die einfache Teilung des Stückpreises der Betonelemente
durch den Kubikinhalt ergebe für alle Positionen ausser Position 6 einen
Kalkulationspreis von Fr. 150.-- je Kubikmeter, trifft nicht zu. Zudem
kommt es nicht darauf an, wie die Klägerin kalkuliert hat. Der Preis je
Kubikmeter ist nicht Bestandteil übereinstimmender Willensäusserungen
der Parteien und damit des Vertrages.

Erwägung 2

    2.- Soweit die Klägerin den Vorwurf der culpa in contrahendo damit
begründet, Domenig als Vertreter der Beklagten habe ihren Irrtum erkannt,
ist sie nicht zu hören. Das Bundesgericht ist an die gegenteilige
tatsächliche Feststellung des Kantonsgerichtes gebunden, da sie weder
offensichtlich auf Versehen beruht noch unter Verletzung bundesrechtlicher
Beweisvorschriften zustande gekommen ist (Art. 43 Abs. 3, 55 Abs. 1 lit. c,
63 Abs. 2 OG). Die Beweiswürdigung, die von der Klägerin besonders unter
Hinweis auf die Aussage des Zeugen Bruckhaus beanstandet wird, kann mit
der Berufung nicht angefochten werden (BGE 95 II 452, 98 II 330).

    Nicht beizupflichten ist der Klägerin sodann in der Auffassung,
die Beklagten seien verpflichtet gewesen, den Unterschieden zwischen
den Einheitspreisen der Positionen 5 und 6 ihres Angebotes sowie den
Unterschieden zwischen den Angeboten der vier Bewerber genau nachzugehen,
und sie hätten gegen Treu und Glauben verstossen, indem sie es nicht
taten und die Klägerin nicht auf den Irrtum aufmerksam machten. Dabei
ist unerheblich, ob Domenig oder dessen Bauführer bei näherer Prüfung
wirklich hätten Verdacht schöpfen können, das Angebot beruhe auf einem
Versehen. Wer bei Vertragsverhandlungen nicht nach Irrtümern des Gegners
forscht, die dieser bei gehöriger Aufmerksamkeit selber wahrnehmen könnte,
handelt nicht gegen Treu und Glauben. Culpa in contrahendo setzt voraus,
dass der Gegenpartei etwas verschwiegen wird, das sie nicht kennt und
nicht zu kennen verpflichtet ist (BGE 68 II 303, 90 II 456, 92 II 333 Erw.
4b). Niemand ist gehalten, im Interesse des Gegners umsichtiger zu sein,
als dieser ist und sein kann. Die Klägerin war selber in der Lage, den
ihr unterlaufenen Fehler aufzudecken. Ja sie konnte dies besser als die
Beklagten, da sie im Gegensatz zu diesen ihre eigenen Grundsätze der
Kalkulation, besonders der Berechnung der Einheitspreise, kannte. Sie
war auch fachkundig. Ihr Angebot mit den Angeboten der Mitbewerber
zu vergleichen, war ihr allerdings nicht möglich. Aber der Unterschied
zwischen dem Gesamtbetrag ihres Angebotes und dem nächsthöheren der AG für
Baurationalisierung überstieg das im Baugewerbe vorkommende übliche Mass
nicht und verpflichtete die Beklagten unter dem Gesichtspunkt von Treu und
Glauben nicht, Mutmassungen über die Ursachen der Abweichung zu treffen
und die Klägerin zu benachrichtigen. Dem Besteller eines Werkes kann nicht
zugemutet werden, den Unternehmer vor dem Abschluss des Vertrages auf
Preisunterschiede zwischen den erhaltenen Angeboten aufmerksam zu machen
und ihm damit zu ermöglichen, das seine unter Behauptung von Irrtümern zu
erhöhen. Er darf gegenteils erwarten, dass der Unternehmer das Angebot mit
aller Sorgfalt ausarbeite und sich selbst dann dabei behaften lasse, wenn
er nach dem Vertragsschluss Fehler entdeckt. Anders entscheiden, hiesse
den Sinn der gesetzlichen Bestimmungen über Irrtum (Art. 23 ff. OR) und
über die Berichtigung von Rechnungsfehlern (Art. 24 Abs. 3 OR) missachten.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichts von
Graubünden vom 18. Dezember 1975 bestätigt.