Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 II 7



102 II 7

2. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. Januar 1976 i.S. A.
gegen Bank X. Regeste

    Umwandlung einer geschuldeten, aber nicht erzwingbaren Sachleistung
in eine Geldschuld.

    1. Art. 43 ff. OG. Berufung gegen einen sog. Taxationsentscheid gemäss
§ 376 zürch. ZPO; Voraussetzungen (Erw. 1).

    2. Art. 63 Abs. 2 OG. Schätzung einer Briefmarkensammlung anhand von
Indizien als Tatfrage. Anwendung von Art. 42 Abs. 2 OR (Erw. 2)?

    3. Art. 8 ZGB. Wer eine Wertsteigerung der Briefmarken behauptet und
dafür ein Gutachten beantragt, ist zum Beweise zuzulassen (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Der Arzt A. hinterlegte am 28. September 1965 bei der Bank X. drei
versiegelte Pakete, enthaltend "erstklassige Briefmarken" im Werte von
angeblich mindestens Fr. 150'000.--. Die Marken dienten als Sicherheit
für ein Darlehen in diesem Betrage, das A. von B. erhielt. Im Juli 1966
liess A. die Sicherheit durch Schuldbriefe ersetzen. Als er daraufhin
die Briefmarken zurückverlangte, behauptete die Bank, sie habe ihm die
drei versiegelten Pakete längst zurückerstattet. A. bestritt dies, was
die Bank ihm nicht widerlegen konnte.

    B.- Im September 1971 klagte A. gegen die Bank X. und deren
Vizedirektor auf Herausgabe der Marken.

    Das Bezirksgericht Horgen wies die Klage ab. Auf Appellation des
Klägers hiess das Obergericht des Kantons Zürich sie am 4. März 1974
gegen die Bank jedoch gut und verpflichtete diese, die drei versiegelten
Pakete mit den Marken unverzüglich herauszugeben. Das Urteil konnte nicht
vollstreckt werden, da die Beklagte die Marken angeblich nicht mehr besass.

    C.- Am 30. Juli 1974 stellte der Kläger gestützt auf § 376 zürch. ZPO
das Begehren, es sei ihm der Geldwert, den die streitigen Briefmarken
am 4. März 1974 hatten, nebst 7% Zins seit diesem Datum zuzusprechen;
eventuell habe ihm die Beklagte Fr. 181'551.80 nebst Zins seit 15. Juli
1966 zu bezahlen.

    Der Einzelrichter des Bezirksgerichtes Horgen setzte am 17. Oktober
1974 den Wert der Marken auf Fr. 150'000.-- fest, verurteilte die Beklagte
zur Zahlung dieses Betrages und wies die Klage im übrigen ab.

    Der Kläger legte dagegen Rekurs ein, der vom Obergericht des Kantons
Zürich durch Beschluss vom 27. Februar 1975 abgewiesen wurde.

    D.- Die Erben des A., der am 31. Januar 1975 gestorben ist, haben
die Berufung erklärt. Sie beantragen, den Beschluss des Obergerichtes
aufzuheben und das Begehren des Klägers vom 30. Juli 1974 gutzuheissen
oder die Sache zur Durchführung eines Beweisverfahrens an das Obergericht
zurückzuweisen.

    Die Beklagte beantragt, auf die Berufung nicht einzutreten oder
sie abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Ist die Herausgabe einer beweglichen Sache im zürcherischen
Befehlsverfahren nicht erzwingbar, so kann der Berechtigte gemäss §
376 ZPO den Geldwert der Sache beanspruchen (Abs. 1). Der Wert ist auf
Verlangen des Gläubigers im summarischen Verfahren, nötigenfalls durch
Abnahme von Beweisen, zu ermitteln; seine Festsetzung hat die Wirkung
eines rechtskräftigen Urteils (Abs. 2).

    Die Beklagte bestreitet, dass ein im sog. Umwandlungs- oder
Taxationsverfahren gemäss § 376 ZPO ergangener Entscheid mit der Berufung
an das Bundesgericht weitergezogen werden kann. Diese Bestimmung stehe im
Abschnitt über die Vollstreckung von Urteilen und erlaube dem Richter nur,
den Geldwert einer Sache, die nicht mehr herausgegeben werden könne,
festzustellen und zuzusprechen. Das Verfahren gleiche deswegen zwar
einem Schadenersatzprozess, diene aber nur der Vollstreckung einer nicht
mehr erfüllbaren Leistung; ein Schaden, der ausserhalb der gerichtlich
zugesprochenen Sache liege, könne nicht geltend gemacht werden.

    Dem ist vorweg entgegenzuhalten, dass die kantonalen Instanzen im
Taxationsverfahren kein Schadenersatzbegehren zu beurteilen, sondern
eine geschuldete, aber nicht erzwingbare Sachleistung in eine Geldschuld
umzuwandeln hatten. Dass sodann der Beschluss der letzten kantonalen
Instanz über die Umwandlung mit der Berufung angefochten werden kann,
hat das Bundesgericht schon im Entscheid 30 II 563 ff. angenommen. Es
hielt das Rechtsmittel für zulässig, weil die im Taxationsverfahren
festgesetzte Geldforderung auf dem gleichen Schuldgrund beruht wie die
nicht erfüllbare Sachleistung, die bei der Umwandlung zu beachtenden
Grundsätze ebenfalls dem materiellen Bundesrecht angehören und weil durch
den Taxationsentscheid eine Zivilrechtsstreitigkeit endgültig erledigt
wird. Dass der Entscheid nicht Urteil, sondern Beschluss genannt werde, sei
unerheblich; ebenso ob er von einem ordentlichen oder besonderen Gericht
und in welcher Prozessart er gefällt werde. Es hilft der Beklagten daher
nicht, dass der Geldwert einer nicht erbringbaren Sachleistung seit 1913,
als die heute noch geltende ZPO in Kraft getreten ist, im beschleunigten
Verfahren festgesetzt wird (vgl. auch BGE 20 S. 79). Entgegen der
Annahme der Beklagten anerkennen übrigens auch STRÄULI/HAUSER (Gesetze
über die zürcherische Rechtspflege II, 2. Aufl. N. 4 zu § 376 ZPO),
dass Taxationsentscheide mit der Berufung angefochten werden können.

    Im gleichen Sinn hat das Bundesgericht mit Bezug auf Urteile
entschieden, die im zürcherischen Befehlsverfahren gemäss §§ 292 ff. ZPO
gefällt werden. Auch diesfalls genügt für die Zulässigkeit der Berufung,
dass das summarische Verfahren zur endgültigen Beurteilung eines
zivilrechtlichen Anspruches führte und kein ordentliches vorbehalten
wurde (BGE 82 II 562 Erw. 3, 90 II 463 Erw. 1). Hier verhielt es sich
nicht anders. Da auch die weiteren Voraussetzungen - Anfechtung eines
Endentscheides und Streitwert von wenigstens Fr. 8'000.-- - erfüllt sind,
ist auf die Berufung der Erben A. einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht führt aus, nach dem zwischen A. und B.
abgeschlossenen Darlehensvertrag müsse als bewiesen gelten, dass
der Kläger der Bank als Sicherheit für die geliehenen Fr. 150'000.--
Briefmarken in eben diesem Wert übergeben habe. Ein Beweis dafür, dass
die Marken zur Zeit der Übergabe mehr wert gewesen seien, liege dagegen
nicht vor und könne nicht erbracht werden, da eine Expertise sich als
zwecklos erweise. Dass die Banken den Wert von Pfändern durchwegs unter
deren Nominalwert anzusetzen pflegten, helfe dem Kläger nicht, zumal die
Bank hier bloss als Treuhänderin aufgetreten sei.

    Zu Unrecht rügen die Berufungskläger, das Obergericht habe
dabei die in Art. 42 Abs. 2 OR enthaltenen Grundsätze verletzt oder
überhaupt nicht angewendet. Die Vorinstanz schloss aus den gesamten
Umständen, insbesondere aus der Höhe der Darlehenssumme und der Rolle
der Beteiligten, die Briefmarken hätten im Zeitpunkt der Hingabe den Wert
des Darlehens erreicht, jedoch nicht übertroffen. Dieser Schluss ist für
das Bundesgericht verbindlich. Er enthält keine rechtliche Wertung von
Tatsachen, sondern beruht auf Würdigung des Beweisergebnisses, zu dem
auch das nachträgliche Verhalten der Beteiligten und die Quittung der
Bank gehörten. Dass er sich nicht auf einen direkten Beweis, sondern bloss
auf Indizien stützt, ändert nichts (BGE 75 II 102). Auch der Schluss aus
Indizien auf einen bestimmten Wert einer Sache ist tatsächlicher Natur
und deshalb der Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen (vgl. BGE
75 II 102, 76 II 193 Erw. 3, 77 II 293, 84 II 537, 86 II 313 Erw. 3).

    Eine Schätzung im Sinne von Art. 42 Abs. 2 OR hätte übrigens von den
gleichen Anhaltspunkten ausgehen müssen, folglich zu keinem andern Ergebnis
geführt, zumal der Kläger dem gewichtigen Indiz, das die Vorinstanz in
der Höhe des Darlehens erblickte, nichts Gleichwertiges entgegenzuhalten
wusste. Diese Bestimmung ist zudem nur anwendbar, wenn ein ziffermässiger
Nachweis ausgeschlossen ist (BGE 84 II 11, 89 II 219/20, 97 II 218 und
dort angeführte Urteile).

Erwägung 3

    3.- Die Berufungskläger machen ferner geltend, die nicht mehr
auffindbaren Briefmarken hätten seit der Verpfändung an Wert gewonnen;
sie seien am 4. März 1974, als die Beklagte zur Herausgabe verpflichtet
wurde, erheblich mehr wert gewesen als bei ihrer Übergabe, was die
Vorinstanz verkenne.

    Das Obergericht hielt auch "eine Expertise über eine allfällige
Wertsteigerung" der Briefmarken bis zum 4. März 1974 für nutzlos, da
vorerst durch optische Begutachtung der Marken ein zuverlässiger Wert
ermittelt werden müsste; das sei unbestrittenermassen aber nicht möglich,
folglich auch die Wertsteigerung nicht mehr festzustellen.

    Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Gewiss könnte der
genaue Wertzuwachs nur nach einer vorausgehenden optischen Begutachtung der
Marken festgestellt werden, da deren Wert je nach den Qualitätsmerkmalen
nicht bloss sehr verschieden sein, sondern auch unterschiedlich steigen
konnte. Die streitigen Marken hatten nach der Feststellung des Obergerichts
im September 1965 jedoch einen Wert von Fr. 150'000.--; ihre allgemeine
Wertsteigerung kann daher auch ohne optische Begutachtung einigermassen
zuverlässig ermittelt werden. Es ist gerichtsnotorisch, dass jedenfalls
wertvolle Briefmarkensammlungen die allgemeine Inflation mitmachten und
zu höheren Preisen gehandelt wurden, als die Flucht in die Sachwerte das
grösste Ausmass erreichte. Das muss angesichts ihres Wertes im September
1965 auch von den streitigen Marken gelten; es kann keinem Zweifel
unterliegen, dass sie seitdem in ihrem Wert gestiegen sind. Der Kläger hat
denn auch ausdrücklich den Geldwert der Marken vom 4. März 1974 verlangt
und beantragt, es sei darüber eventuell eine Expertise durchzuführen. Sein
Begehren betraf eine rechtserhebliche Tatsache, weshalb er gemäss Art. 8
ZGB Anspruch darauf hatte, zum Beweise zugelassen zu werden.

    Der angefochtene Beschluss ist daher gestützt auf Art. 64 Abs. 1
OG aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Diese hat, wenn nötig mit Hilfe von Sachverständigen, näher
abzuklären, wie stark Briefmarken der streitigen Art seit September 1965
bis März 1974 durchschnittlich im Wert gestiegen sind. Sie hat alsdann
je nach dem Ergebnis den Geldwert, der für die nicht mehr erbringbare
Sachleistung zuzusprechen ist, neu festzusetzen.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird gutgeheissen, der Beschluss des Obergerichtes (II.
Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 27. Februar 1975 aufgehoben und die
Sache zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.