Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 II 59



102 II 59

10. Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. März 1976 i.S. Control Data AG
gegen Schweizerische Bankgesellschaft Regeste

    Art. 48 Abs. 1 OG; Begriff des Endentscheides.

    Gegen den letztinstanzlichen Entscheid, der ein im Verfahren nach § 292
Ziff. 5 der zürcherischen Zivilprozessordnung gestelltes Befehlsbegehren
abweist, ist die Berufung nicht zulässig (Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Mit Eingabe vom 16. April 1975 stellte die Control Data AG
(Klägerin) beim Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirkes
Zürich das Begehren, es sei die Schweizerische Bankgesellschaft (Beklagte)
zu verpflichten, ihr alle sie und/oder das UBISCO-Projekt betreffenden
Akten zur Einsicht vorzulegen. Das allgemein gefasste Begehren wurde durch
eine in 14 Abschnitte gegliederte Aufstellung ergänzt, in welcher einzelne
Kategorien der vorzulegenden Akten näher umschrieben wurden. Zur Begründung
machte die Klägerin geltend, sie habe mit der Beklagten im Dezember 1971
eine Vereinbarung zum Zwecke der Verwirklichung des sog. UBISCO-Projektes
(Union Bank Information System Concept) geschlossen. Die Beklagte habe
ihre Mitwirkung an diesem Projekt im Oktober 1974 eingestellt und sich
trotz entsprechender Aufforderung geweigert, die Arbeit wieder aufzunehmen
und die fälligen Zahlungen zu leisten. Hierauf habe sie, die Klägerin,
den Rücktritt vom Vertrag erklärt und sich eine Schadenersatzforderung
vorbehalten. Sie habe nun die Absicht, die Schadenersatzansprüche
prozessual geltend zu machen. Zur vollständigen Begründung ihrer Klage
sei jedoch erforderlich, dass sie in die Akten der Beklagten Einsicht
nehmen könne, soweit diese sie bzw. das UBISCO-Projekt beträfen.

    Die Beklagte beantragte, das Begehren der Klägerin sei von der
Hand zu weisen oder eventuell abzuweisen. Sie führte im wesentlichen
aus, sie habe bereits am 14. März 1975 beim Handelsgericht eine Klage
gegen die Klägerin anhängig gemacht, worauf diese eine Widerklage
angekündigt habe. Streitgegenstand des vor Handelsgericht hängigen
Prozesses bildeten die Schadenersatzansprüche, die auf Grund der
Vereinbarungen der Parteien aus dem Fehlschlagen des UBISCO-Projektes
resultierten. Zufolge der Rechtshängigkeit jenes Prozesses entfalle die
Zuständigkeit des Einzelrichters im summarischen Verfahren zur Beurteilung
des vorliegenden Editionsbegehrens. Das Begehren sei aber auch materiell
nicht begründet, da der Klägerin auf Grund des zwischen den Parteien
bestehenden Rechtsverhältnisses kein Anspruch auf Akteneinsicht zukomme
und sie im übrigen ihr Interesse an einer solchen auch nicht genügend
glaubhaft gemacht habe.

    Mit Entscheid vom 21. Mai 1975 wies der Einzelrichter das Begehren
der Klägerin ab. Er erachtete das Editionsbegehren teilweise als zu wenig
abgegrenzt und deshalb unzulässig; in einem gewissen Umfang verneinte
er seine Zuständigkeit mit Rücksicht auf die Möglichkeit der Klägerin,
einzelne Anträge schon in Verbindung mit der Klageantwort im Prozess
vor Handelsgericht zu stellen, und im übrigen gelangte er zum Schluss,
das Editionsbegehren sei aus materiellen Gründen bzw. wegen Fehlens eines
schützenswerten Interesses abzuweisen.

    B.- Gegen die einzelrichterliche Verfügung rekurrierte die Klägerin
an das Obergericht des Kantons Zürich. Dieses hiess den Rekurs in ganz
geringem Umfange gut und verpflichtete die Beklagte, die in Ziffer 1 des
Dispositivs näher bezeichneten Akten der Klägerin in ihren Geschäftsräumen
zur Einsicht vorzulegen. Zur Hauptsache wurde der Rekurs jedoch abgewiesen.

    C.- Die Klägerin erhob gegen den obergerichtlichen Beschluss vom
24. November 1975 sowohl Nichtigkeitsbeschwerde beim Kassationsgericht
des Kantons Zürich als auch Berufung beim Bundesgericht. Mit der Berufung
stellt sie den Antrag, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben
und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese über ihre
Editionsbegehren auf Grund des kantonalen Rechtes neu entscheide. Zur
Begründung wird geltend gemacht, das Obergericht habe den Editionsanspruch
nach Bundesrecht beurteilt statt nach kantonalem Recht, aus welchem er
sich bei richtiger Betrachtung ergebe; die fälschliche Anwendung von
Bundesrecht stelle einen Berufungsgrund dar.

    D.- Das Kassationsgericht des Kantons Zürich beurteilte die
Nichtigkeitsbeschwerde mit Entscheid vom 20. Februar 1976. Auf Grund von §
345 zürch. ZPO, wonach die Nichtigkeitsbeschwerde unzulässig ist, soweit
zur Behebung der gerügten Mängel die Berufung an das Bundesgericht zur
Verfügung steht, prüfte es zunächst, ob auf die Beschwerde eingetreten
werden könne. Dabei gelangte es zur Auffassung, das Bundesgericht
werde voraussichtlich auf die von der Klägerin erhobene Berufung nicht
eintreten. Mit Rücksicht darauf unterzog es die Nichtigkeitsbeschwerde
einer materiellen Prüfung, wobei es zu deren Abweisung gelangte.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Es ist zu prüfen, ob ein mit Berufung anfechtbarer Endentscheid
im Sinne von Art. 48 Abs. 1 OG vorliegt. Ein solcher setzt nach der
Rechtsprechung voraus, dass der kantonale Richter über den streitigen
Anspruch materiell befunden oder dessen Beurteilung aus einem Grunde
abgelehnt hat, der endgültig verbietet, dass der gleiche Anspruch zwischen
den gleichen Parteien nochmals geltend gemacht wird (BGE 100 II 287 Erw. 1;
98 II 154/155 mit Hinweisen). Der angefochtene Entscheid wurde gestützt auf
§ 292 Ziff. 5 zürch. ZPO im Befehlsverfahren gefällt, das eine Unterart
des summarischen Verfahrens darstellt. Die Rechtskraft einer solchen
Entscheidung ist beschränkt, da der ordentliche Richter nach § 105 Abs. 2
zürch. ZPO daran nicht gebunden ist. Eine im summarischen Verfahren
beurteilte Sache kann daher dem ordentlichen Richter grundsätzlich
nochmals zum Entscheid unterbreitet werden (vgl. BGE 100 II 287 Erw. 1
mit Hinweisen).

Erwägung 2

    2.- Nachdem das Bundesgericht die Berufungsfähigkeit von Entscheiden,
die im zürcherischen Befehlsverfahren ergangen waren, wegen deren
beschränkten Rechtskraftwirkung früher allgemein verneint hatte (so
noch in BGE 81 II 85), milderte es in der Folge die Voraussetzungen für
die Zulassung der Berufung. Der heutige Stand der Rechtsprechung lässt
sich in der Weise zusammenfassen, dass obergerichtliche Entscheidungen
betreffend Befehlsbegehren auf dem Wege der Berufung an das Bundesgericht
weitergezogen werden können, sofern das Begehren gutgeheissen und der
Beklagte zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet worden ist, ohne dass
dadurch zwangsläufig ein ordentliches Verfahren ausgelöst würde (wie dies
bei den vorsorglichen Massnahmen der Fall ist). Der endgültige Charakter
solcher Entscheidungen wird im Hinblick darauf bejaht, dass die dem
Beklagten auferlegte Verpflichtung in der Regel doch während längerer Zeit
ihre Wirkungen entfaltet und sogar Gegenstand von Vollstreckungsmassnahmen
(z.B. Ausschaffung eines aus der Wohnung gewiesenen Mieters) bilden kann
(vgl. BGE 100 II 288/289 Erw. 1). Das zürcherische Obergericht hat in
einem Entscheid, der noch vor dem letztgenannten Bundesgerichtsurteil
ergangen, jedoch erst nach dessen Fällung publiziert worden ist, den
Anwendungsbereich von § 105 Abs. 2 zürch. ZPO nunmehr in dem Sinne
eingeschränkt, dass es gewissen Entscheidungen, die ein Befehlsbegehren
schützen, materielle Rechtskraft auch im Verhältnis zum ordentlichen
Verfahren zuerkannt hat (ZR 73/1974, Nr. 10, S. 27/28). Damit wurde
solchen Entscheiden über den Gesetzeswortlaut hinaus ein in jeder Hinsicht
endgültiger Charakter verliehen.

Erwägung 3

    3.- Im vorliegenden Fall wurde das Befehlsbegehren der Klägerin zur
Hauptsache abgewiesen. Nur insofern ist es vor Bundesgericht streitig,
da einzig die Klägerin Berufung erhoben hat. Nach der in BGE 100
II 288/289 wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die
Berufungsfähigkeit des angefochtenen Entscheides mithin zu verneinen. Da
der ordentliche Richter daran nicht gebunden ist und dem Urteil der
Vorinstanz deshalb kein endgültiger Charakter zukommt, kann die Klägerin
die zu ihren Ungunsten beurteilten Fragen jenem erneut zum Entscheid
unterbreiten (vgl. STRÄULI/HAUSER, 2. A, N. 1 zu § 105 ZPO, S. 198).
Anders verhielte es sich freilich, wenn die zürcherischen Gerichte auch
einem solchen Urteil entgegen § 105 Abs. 2 zürch. ZPO unbeschränkte
Rechtskraftwirkung zuerkennen sollten. Das ist bis heute aber nicht
geschehen. Das Obergericht hat seine neue Praxis einstweilen ausdrücklich
auf Verfügungen beschränkt, mit denen ein Befehlsbegehren geschützt wird
(vgl. ZR 73/1974, Nr. 10, S. 28). Auch das Kassationsgericht ist bei
der Beurteilung der von der Klägerin erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde
davon ausgegangen, dem ein Befehlsbegehren abweisenden Entscheid komme
im Sinne der bundesgerichtlichen Praxis kein endgültiger Charakter zu.

    Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung weiter zu lockern,
besteht kein Anlass. Der Grund für die Bejahung der Berufungsfähigkeit
von Entscheidungen, die ein Befehlsbegehren schützen, liegt darin, dass
dem zu einem bestimmten Verhalten Verpflichteten vor allem mit Rücksicht
auf die Gefahr der Vollstreckung die Möglichkeit offenstehen soll,
das Bundesgericht anzurufen. Der Rechtsschutz wäre in der Tat höchst
unvollkommen, wenn vorerst die Vollstreckung einer bundesrechtswidrigen
Entscheidung geduldet werden müsste und das Bundesgericht erst im
Zusammenhang mit einem nachfolgenden ordentlichen Verfahren angerufen
werden könnte. Wird hingegen ein Befehlsbegehren im kantonalen Verfahren
abgewiesen, so ist dem unterlegenen Kläger zuzumuten, vor der Anrufung
des Bundesgerichts einen materiell rechtskräftigen Entscheid des
ordentlichen Richters herbeizuführen. Er muss dann zwar hinnehmen, dass
es unter Umständen längere Zeit dauert, bis ein mit dem Bundesrecht
übereinstimmender Zustand hergestellt werden kann; doch droht in der
Zwischenzeit wenigstens keine Vollstreckung. Im übrigen ist einem Kläger
unbenommen, von Anfang an den Weg des ordentlichen Prozesses zu beschreiten
(vgl. STRÄULI/HAUSER, N. 1 zu § 277 ZPO, S. 396).

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Berufung wird nicht eingetreten.