Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 II 339



102 II 339

48. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. Juni 1976 i.S. X.
gegen Y Regeste

    WIR-Buchungsaufträge.

    Art. 20 OR. Eine Vereinbarung, die gegen vertragliche Rechte Dritter
verstösst, ist nicht schlechthin rechts- oder sittenwidrig (Erw. 2).

    Art. 20 und 184 OR. Auch WIR-Guthaben können verkauft werden, obwohl
sie nicht in einem Wertpapier verkörpert sind (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Garageinhaber X., Mitglied der WIR-Wirtschaftsring-Genossenschaft,
musste von Autokäufern häufig sogenannte "WIR-Checks" entgegennehmen. Mit
Hilfe von Y., ebenfalls WIR-Genossenschafter, konnte er vom November
1973 bis September 1974 wiederholt grössere Posten mit einem Einschlag
in Bargeld umwandeln. Dabei übernahm Y. jeweils von X. unterzeichnete
und datierte WIR-Buchungsaufträge ohne Angabe eines Empfängers in der
entsprechenden Rubrik. Dafür erteilte Y. entsprechende Gutschriften. Er
blieb für die Gutschrift vom 4. Juni 1974 Fr. 19'456.-- schuldig und
bezahlte auch Fr. 47'241.--, die das letzte (fünfte) und ohne Gutschrift
abgewickelte Geschäft betrafen, nicht. Diese Säumnis hing damit zusammen,
dass die Gesellschaft Z. über welche Y. jeweils die WIR-Checks abgesetzt
hatte, nach dem Tode ihres wirtschaftlichen Inhabers in Konkurs geriet.

    B.- X. klagte gegen Y. auf Zahlung der ausstehenden Fr. 66'697.-- nebst
Zins. Der Appellationshof des Kantons Bern wies die Klage am 2. Dezember
1975 ab. Das Bundesgericht hiess sie auf Berufung des Klägers gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Handel mit WIR-Guthaben verstösst gegen den Zweckgedanken der
WIR-Genossenschaft, die den Warenaustausch unter den Genossenschaftern
fördern will (vgl. BGE 95 II 178). Die Kontobedingungen der Genossenschaft
untersagen daher den Mitgliedern, WIR-Guthaben zu kaufen oder zu verkaufen
und Blanko-Buchungsaufträge (ohne Namen des Empfängers) auszustellen
("Verbot des WIR-Handels"). Die Vorinstanz prüfte und verneinte die Frage
nach der Nichtigkeit des Vertrages, weil der Beklagte die WIR-Guthaben
nicht erworben, sondern bloss vermittelt habe, so dass für ihn die
Verletzung der genossenschaftlichen Treuepflicht nicht Grundlage der
Parteivereinbarung gewesen sei.

    Ob der Beklagte als Käufer oder, wie die Vorinstanz annimmt,
bloss als Beauftragter handelte, ändert nichts daran, dass er sich
am verbotenen WIR-Handel beteiligte und gegen die genossenschaftliche
Treuepflicht verstiess. Nach der Rechtsprechung und Lehre ist indessen
eine Vereinbarung, die gegen vertragliche Rechte Dritter verstösst,
nicht schlechthin rechts- oder sittenwidrig. Es müssen noch weitere
Umstände hinzukommen, welche die Pflichtverletzung als besonders
anstössig erscheinen lassen (vgl. BGE 74 II 166, 34 II 686, 26 II 142;
VON TUHR/SIEGWART, OR I, S. 236 und 240; BECKER, N. 50 zu Art. 19
OR). Solche Umstände können nicht schon darin gesehen werden, dass die
Parteien über WIR-Buchungsaufträge in Verletzung der genossenschaftlichen
Kontobedingungen verfügt haben.

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz ist der Auffassung, die Vereinbarung der Parteien
könne nicht als Kauf verstanden werden, da der Verkäufer dem Käufer das
Eigentum am Kaufgegenstand zu verschaffen habe (Art. 184 Abs. 1 OR). Das
sei bei "WIR-Checks" nicht möglich, da es sich nicht um Wertpapiere,
sondern um blosse Buchungsaufträge handle.

    Unmöglichkeit nach Art. 20 OR ist nur anzunehmen, wenn sie von Anfang
an bestanden hat; die versprochene Leistung muss aus tatsächlichen
oder rechtlichen Gründen überhaupt nicht erbracht werden können (BGE
95 II 554, 96 II 21). Davon kann hier nicht die Rede sein. Es ist
bekannt, dass mit sogenannten "WIR-Checks" in beträchtlichem Ausmass
Handel getrieben wird (BGE 95 II 178). Im vorliegenden Fall haben die
Parteien denn auch die WIR-Geschäfte bis Ende Juli 1974 reibungslos
abgewickelt. Die Vorinstanz verkennt, dass nicht nur körperliche Sachen
Gegenstand eines Kaufvertrages sein können, wie man aus der Pflicht des
Verkäufers zur Eigentumsverschaffung ableiten könnte (GUHL/MERZ/KUMMER,
OR, S. 295). Es können auch Rechte verkauft werden, namentlich Forderungen
(OSER/SCHÖNENBERGER, N. 3 zu Art. 184 OR), auch wenn sie, wie das für
WIR-Buchungsaufträge zutrifft (BGE 95 II 181), nicht in einem Wertpapier
verkörpert sind. Der blanko unterzeichnete WIR-Buchungsauftrag bietet dem
Erwerber die Aussicht, nach Bezeichnung des Empfängers auf dem Papier, die
Umbuchung durch die WIR-Zentrale zu erwirken und damit den entsprechenden
Gegenwert in Waren zu erhalten. Diese Möglichkeit verschaffte der Kläger
dem Beklagten mit der Übergabe der Blanko-Buchungsaufträge. Es kommt
daher für die rechtliche Beurteilung nichts darauf an, dass der Kläger
wusste, der Beklagte werde die Buchungsaufträge weitergeben. Freilich
war dieses Vorgehen für den Beklagten mit Risiken verbunden, sei es dass
er keinen Endabnehmer finden konnte, sei es dass die WIR-Zentrale die
Umbuchung verweigerte. Das hindert aber die Annahme eines Kaufs nicht
(vgl. LAUTNER, Der "WIR"-Verrechnungsverkehr, Diss. Zürich 1964, S. 189;
OTT, Das WIR-Geld, SJZ 54 [1958], S. 148).

    Der Kläger hat Anspruch auf den Kaufpreis, wenn er seinerseits
erfüllt hat. Das trifft hier zu. Er hatte dem Beklagten mindestens die
freie Verfügung über die Blanko-Buchungsaufträge einzuräumen. Fragen kann
sich, ob er auch dafür zu sorgen hatte, dass eine Umbuchung auf bestimmte
WIR-Konten zustande komme. So wird die Auffassung vertreten, die Abtretung
von WIR-Guthaben geschehe zahlungshalber und es fehle an der Erfüllung,
wenn der Empfänger die Buchungsaufträge erfolglos zur Umbuchung vorweist
(OTT, aaO, S. 147/48). Diese Meinung kann hier bestanden haben, stellte
doch der Beklagte dem Kläger schriftliche Schuldanerkennungen erst aus,
wenn die Buchungsaufträge nach den Mitteilungen der Z. über die Konten
verschiedener Empfänger abgewickelt waren. Damit übereinstimmend behauptete
der Kläger im kantonalen Verfahren, alle dem Beklagten übergebenen
Buchungsaufträge seien seinem Konto belastet worden. Dass es sich auch
beim fünften Geschäft so verhielt, geht aus dem Schreiben des Klägers
vom 12. September 1974 an den Beklagten hervor, welches die Empfänger
der Buchungsaufträge bereits nannte. Es dürfte daher ein Versehen sein,
wenn der Kläger in der Berufungsschrift ausführt, er habe zwar jeweils
nachträglich von der WIR-Genossenschaft die Umbuchungen erfahren,
wisse aber nicht, wer die letzten WIR-Guthaben erworben habe. Aus
den erwähnten Belastungen ergibt sich auch, dass die vom Beklagten im
kantonalen Verfahren erwähnte Sperre des klägerischen WIR-Kontos erst
später wirksam geworden sein kann. Selbst wenn man also mit OTT (aaO
S. 147/48) annehmen wollte, die Umbuchung der abgetretenen WIR-Guthaben
gehöre zur Erfüllungspflicht des Verkäufers, wäre hier diese Voraussetzung
(im Unterschied zu dem in BGE 95 II 177 beurteilten Tatbestand) erfüllt.