Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 II 297



102 II 297

44. Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. September 1976 i.S. Cevitch
gegen Konkursmasse Reiss & Co. Bankiers in Liquidation. Regeste

    Rechtliches Schicksal des Erlöses aus der Rückzahlung einer Obligation,
welcher der auf bewahrenden Bank (die den Titel in ein fremdes Sammeldepot
gelegt hatte) kurz vor dem Entzug der Bewilligung zur Ausübung des
Bankgewerbes und der nachfolgenden Konkurseröffnung gutgeschrieben wird.

    1. Es wird kein Massa-Anspruch (Art. 262 Abs. 1 SchKG) des Deponenten
begründet (E. 1).

    2. Subrogation bzw. Aussonderung im Sinne von Art. 401 OR? (E. 2
und 3).

Sachverhalt

    A.- Die Bragi S.A. mit Sitz in Luxemburg gab im Jahre 1969 (neben
verschiedenen andern Wertschriften) die Obligation US Dollar 10'000.--,
6 3/4%, Republic of Austria, 1982, der Bank Reiss & Co., Zürich,
ins Depot, wobei sie sich gleichzeitig ein Konto eröffnen liess. Die
Bank legte die Titel in ein zentrales Sammeldepot der Schweizerischen
Bankgesellschaft. Nach der Darstellung des Klägers soll diese die
Wertschriften zur Verwahrung an die Union de Banques Suisses Cedel S.A.,
Luxemburg, weitergegeben haben.

    B.- Mit Verfügung der Eidgenössischen Bankenkommission vom 21. März
1972 wurde der Reiss & Co. in Anwendung von Art. 23quinquies BankG die
Bewilligung zur Ausübung des Bankgewerbes entzogen und festgestellt,
die Gesellschaft trete in Liquidation. Zur Liquidatorin ernannte die
Aufsichtsbehörde die Neutra Treuhand A.G., Zürich, die zuvor schon als
Beobachterin im Sinne von Art. 23quater BankG tätig gewesen war.

    Mit Stichtag 15. März 1972 war inzwischen die von der Bragi
S.A. hinterlegte Obligation zur Rückzahlung ausgelost worden, worauf
die Schweizerische Bankgesellschaft der Reiss & Co. am 21. März 1972 den
Erlös von US Dollar 9'987.50, Wert 15. März 1972, gutschrieb; bei dieser
soll die Gutschriftsanzeige allerdings erst am 24. März 1972 eingegangen
sein. Die Liquidatorin buchte am 27. März 1972 auf das Konto der Bragi
S.A. eine Gutschrift von US Dollar 9'975.-- (= Fr. 38'154.35), welche
sie am 26. Juni 1972 auf ein mit "K" gekennzeichnetes Konto übertrug.

    Am 4. Juli 1972 bewilligte das Handelsgericht des Kantons Zürich der in
Liquidation stehenden Bank eine Nachlassstundung. Nachdem die Genehmigung
des Nachlassvertrages verweigert worden war, wurde am 8. August 1973 der
Konkurs eröffnet.

    C.- Als Rechtsnachfolger der unterdessen aufgelösten Bragi
S.A. verlangte Jasha Cevitch bei der Konkursverwaltung die Auszahlung des
Betrages von Fr. 41'107.20 (= Saldo des Kontos "K") als Massaschuld. Mit
Verfügung vom 17. Juni 1974 wurde das Begehren abgewiesen und die Forderung
in der 5. Klasse kolloziert. Am 25. September 1975 erhob Cevitch beim
Handelsgericht des Kantons Zürich Klage gegen die Konkursmasse auf Zahlung
von Fr. 41'107.20 nebst Zins zu 6% seit 15. März 1972.

    D.- Das Handelsgericht wies die Klage mit Urteil vom 16. März 1976
ab, nachdem es festgestellt hatte, dass Gegenstand der Klage ohnehin
nur die sich aus der Rückzahlung der Obligation ergebende Gutschrift von
Fr. 38'154.35 sein könne.

    E.- Diesen Entscheid hat der Kläger beim Bundesgericht mit Berufung
angefochten, wobei er folgende Rechtsbegehren stellt:

    "1. Es sei das Urteil des Handelsgerichtes des Kantons Zürich vom 16.

    März 1976 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger

    Fr. 38'154.35 nebst Zins zu 5% seit dem 22. März 1972, eventuell
seit 28.

    März 1972 zu bezahlen;

    eventuell, für den Fall der Abweisung des Hauptantrages:

    2. Es sei das Urteil des Handelsgerichtes des Kantons Zürich vom
16. März

    1976 aufzuheben und die Sache zur Vervollständigung des Sachverhaltes
und
   neuer Entscheidung an die kantonale Instanz zurückzuweisen."

    Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Kläger geht zunächst davon aus, der Eingang des Erlöses aus
der Rückzahlung der hinterlegten Obligation bei der Reiss & Co. sei auf
den 24. März 1972 festzulegen, d.h. auf den Tag, an welchem der Bank
die Gutschriftsanzeige der Schweizerischen Bankgesellschaft zugegangen
sei. Das Guthaben sei mithin erst nach dem von der Eidgenössischen
Bankenkommission verfügten Entzug der Bewilligung zur Ausübung des
Bankgewerbes entstanden. Da die aufsichtsbehördliche Schalterschliessung
in ihren Wirkungen der Konkurseröffnung gleichzusetzen sei, stelle das
sich aus der Rückzahlung der Obligation ergebende Forderungsrecht einen
Massa-Anspruch dar.

    Nach Auffassung des Handelsgerichtes wurde das Recht der Bragi
S.A. am Wertpapier schon am 15. März 1972 - dem für die ausgeloste
Rückzahlung massgebenden Stichtag - durch einen auf den Erlös gerichteten
Forderungsanspruch ersetzt. Ob die an dieser Ansicht geübte Kritik des
Klägers, der geltend macht, das Wertpapier sei nicht ohne weiteres am
Stichtag "untergegangen", begründet ist, mag dahingestellt bleiben. Denn
aus der Tatsache, dass die Schweizerische Bankgesellschaft der Reiss &
Co. den Rückzahlungsbetrag am 21. März 1972 gutschrieb, ergibt sich, dass
der Titel spätestens an jenem Tag der Anleihensschuldnerin zurückgegeben
worden sein musste. Gleichzeitig trat an die Stelle des dinglichen
Anspruches der Bragi S.A. auf Herausgabe der deponierten Obligation
(Art. 475 Abs. 1 OR) ein schuldrechtlicher Anspruch im Sinne von Art. 481
OR auf Entrichtung des gutgeschriebenen Rückzahlungserlöses (vgl. BGE
78 II 253/54 E. c). Zu diesem Zeitpunkt aber hatte die Verfügung der
Eidgenössischen Bankenkommission ihre Wirkung noch nicht entfalten können,
traf sie doch erst am 22. März 1972 beim Rechtsvertreter der Reiss &
Co. ein (zur Rechtswirksamkeit: vgl. IMBODEN/RHINOW, Schweizerische
Verwaltungsrechtsprechung, Band I, Nr. 35, S. 217 sub V in Verbindung
mit Nr. 84, S. 527 sub a).

    Ist somit die Geldforderung noch vor der Schalterschliessung
entstanden, könnte von einer Massaschuld im Sinne von Art. 262 SchKG -
die ihrem Wesen nach erst bei oder nach Eröffnung des Konkurses entstehen
kann - selbst dann nicht gesprochen werden, wenn - was übrigens äusserst
fraglich ist - die Wirkungen des Konkursbeschlags im vorliegenden Fall
auf diesen Zeitpunkt zurückzubeziehen wären. Der Anspruch ist ausserdem
ohnehin nicht im Zusammenhang mit der Eröffnung oder Durchführung des
Konkurses bzw. der Liquidation begründet worden (vgl. Art. 262 Abs. 1
SchKG). Aus dieser Sicht ist die Berufung demnach abzuweisen.

Erwägung 2

    2.- Hilfsweise beruft sich der Kläger auf Auftragsrecht. Er macht
geltend, die Reiss & Co. sei beauftragt gewesen, den Erlös aus der
Rückzahlung der Obligation in eigenem Namen, jedoch für Rechnung seiner
Rechtsvorgängerin, der Bragi S.A., einzukassieren; er habe daher einen
Subrogations-, allenfalls einen Aussonderungsanspruch im Sinne von
Art. 401 OR.

    a) Die Vorinstanz ist der Ansicht, das Verhältnis zwischen der Bank und
der Bragi S.A. habe in einem gewöhnlichen Hinterlegungsvertrag bestanden,
wobei jene ermächtigt gewesen sei, die Wertschriften in ein fremdes
Sammeldepot zu legen. Dass die Zinsen und der Rückzahlungserlös bei einer
Drittbank eingegangen seien, sei nicht Ausfluss eines von der Hinterlegung
getrennten, besonderen Auftrages mit fiduziarischem Charakter. Die Reiss
& Co. habe keine Verpflichtungen übernommen, die über die sich schon aus
dem Hinterlegungsvertrag ergebenden hinausgegangen seien. Dem kann nicht
beigepflichtet werden.

    b) Bei der Hinterlegung besteht die Vertragsleistung des Aufbewahrers
einzig darin, die vom Hinterleger anvertraute Sache zu übernehmen
und an einem sicheren Ort aufzubewahren (Art. 472 Abs. 1 OR). Gemäss
Depotreglement, das der Würdigung des zwischen der Bragi S.A. und der
Reiss & Co. geschlossenen Vertrages zugrunde zu legen ist, verpflichtete
sich diese jedoch darüber hinaus namentlich zu folgenden Leistungen (§
18 des Depotreglementes):

    - Einzug oder bestmögliche Verwertung fälliger Zins- und
Dividendenscheine sowie zur Rückzahlung gelangender Titel,

    - Überwachung von Auslosungen, Kündigungen, Konversionen, Bezugsrechten
und Amortisationen von Wertpapieren,

    - Bezug neuer Couponsbogen und Umtausch von Interimsscheinen gegen
definitive Titel.

    Nach § 19 des Depotreglementes hatte die Bank die einkassierten
Beträge der Deponentin auf deren Konto gutzuschreiben.

    Diese Dienstleistungen haben auftragsrechtlichen Charakter und sprengen
den Rahmen des Hinterlegungsvertrages. Die zwischen der Bragi S.A. und
der Bank geschlossene Vereinbarung ist daher als auf die Verwahrung und
Verwaltung von Wertpapieren gerichtetes gemischtes Rechtsgeschäft zu
verstehen (vgl. BGE 94 II 169 E. 2 mit Hinweisen; UMBRICHT-MAURER, Das
Depotgeschäft, Zürich 1976, S. 2; dazu auch BGE 101 II 123 E. 1). Mit
Bezug auf die Verwaltung der hinterlegten Obligation durch die Reiss &
Co. sind mithin die Art. 394 ff. OR durchaus anwendbar.

    c) Nach Art. 401 Abs. 1 OR gehen Forderungsrechte, die der Beauftragte
für Rechnung des Auftraggebers in eigenem Namen gegen Dritte erworben hat,
auf den Mandanten über, sobald dieser seinerseits allen Verbindlichkeiten
aus dem Auftragsverhältnis nachgekommen ist. Entgegen der Auffassung des
Klägers wird die Subrogation von Gesetzes wegen begründet (Legalzession),
sobald die Voraussetzungen erfüllt sind; eine Mitwirkung des Beauftragten
ist nicht erforderlich (Art. 166 OR; vgl. dazu GAUTSCHI, Subrogation und
Aussonderung von beweglichem Treuhandvermögen, in SJZ 72/1976, S. 321
sub Ziff. 25 und S. 326 sub Ziff. 53; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 6 und 7 zu
Art. 401 OR).

    Dass die Reiss & Co. als indirekte Stellvertreterin der Bragi
S.A. auftrat und somit den Anspruch auf den Rückzahlungserlös zwar
in eigenem Namen, aber für Rechnung der Hinterlegerin erwarb, scheint
die Beklagte nicht bestreiten zu wollen. Wird weiter angenommen, die
Bragi S.A. sei ihren vertraglichen Verpflichtungen als Auftraggeberin
nachgekommen, so hatte diese nach der Rückzahlung der Obligation und
dem Eingang des Erlöses bei der Schweizerischen Bankgesellschaft das
Recht, die Auszahlung direkt dieser gegenüber zu verlangen. Mit der
Gutschrift des Rückzahlungserlöses auf dem Konto der Reiss & Co. ging der
Subrogationsanspruch indessen unter, kann doch eine Forderung nur solange
Gegenstand des Rechtsüberganges sein, als sie nicht durch gültige Erfüllung
an den Beauftragten erloschen ist (vgl. GAUTSCHI, N. 9 a zu Art. 401 OR;
in gleichem Sinne auch CL. REYMOND, L'arrêt Feras Anstalt et consorts c.
Vallugano S.A. et l'évolution de la jurisprudence du Tribunal fédéral
sur l'acte fiduciaire, JdT 1974 I S. 598). Dass die Bragi S.A. nach
den klägerischen Angaben am 22. März 1972, dem der Gutschrift durch
die Schweizerische Bankgesellschaft folgenden Tag, bei der Reiss & Co.
vorgesprochen und die Herausgabe der Obligation verlangt haben soll, was
der Kläger angesichts der Rückzahlung als Geltendmachung des Anspruchs
auf Forderungsabtretung ausgelegt wissen möchte, hilft ihm demnach
schon aus diesem Grunde nicht. Die Subrogation hätte überdies ohnehin
nur gegenüber dem Drittschuldner, der Schweizerischen Bankgesellschaft,
wirksam geltend gemacht werden können (vgl. Art. 167 OR; dazu auch MERZ,
Legalzession und Aussonderungsrecht gemäss Art. 401 OR, in Erhaltung
und Entfaltung des Rechts in der Rechtsprechung des Schweizerischen
Bundesgerichts, S. 463, BGE 99 II 399 E. 8a). Weshalb eine Anzeige an
die Schweizerische Bankgesellschaft unterblieb, braucht hier nicht näher
abgeklärt zu werden. Der Einwand des Klägers, seine Rechtsvorgängerin habe
nicht gewusst, wo die Reiss & Co. ihrerseits die Wertschriften hinterlegt
hatte, ist jedenfalls unbehelflich. Die Bank war gemäss Depotreglement
befugt, die Titel in ein fremdes Sammeldepot zu legen, und es hätte der
Bragi S.A. freigestanden, die Hinterlegungsstelle in Erfahrung zu bringen.

Erwägung 3

    3.- Zu prüfen bleibt, ob dem Kläger als Rechtsnachfolger der Bragi
S.A. - in sinngemässer Anwendung von Art. 401 Abs. 3 OR - ein Anspruch auf
Aussonderung des Rückzahlungserlöses aus der Konkursmasse einzuräumen sei.

    a) Das Bundesgericht hat in BGE 99 II 393 ff. ausgeführt, dem
Auftraggeber sei im Konkurs des Beauftragten dort ein Aussonderungsrecht
zuzugestehen, wo vom Beauftragten einkassiertes Geld einem Sonderkonto
des Auftraggebers gutgeschrieben wird und von den andern Mitteln des
Beauftragten getrennt bleibt (S. 398 E. 7). Es lagen jenem Urteil ganz
besondere Umstände zugrunde: Ein Bankinstitut hatte von zahlreichen
Kunden auf Grund fiduziarischer Verträge Geld entgegengenommen, das auf
Sonderkonten gutzuschreiben war und das es alsdann in eigenem Namen, aber
auf Rechnung und Gefahr der Kunden nach deren Weisungen für eine begrenzte
Zeit Dritten auszuleihen hatte. Die zurückbezahlten Darlehenssummen
wurden jeweils sogleich wieder auf die Sonderkonten gebucht, die übrigens
in der Geschäftsbilanz nicht aufgeführt wurden und deren Bestände somit
nach aussen nicht als Vermögen der Bank erschienen. Die Fiduziarin hatte
zudem nach jeder Rückzahlung bei den Kunden neue Instruktionen einzuholen.

    b) Eine derartige Ausscheidung des aus der Rückzahlung der Obligation
stammenden Betrages hat hier nach den verbindlichen Feststellungen der
Vorinstanz nicht stattgefunden. Der Erlös wurde vielmehr dem (ordentlichen)
Depositenkonto der Bragi S.A. gutgeschrieben, wo auch Guthaben aus andern
Geschäften zu finden Waren. Letzteres gilt übrigens auch für das mit
"K" gekennzeichnete Konto, von dem der Kläger behauptet, es sei von der
Liquidatorin in der Meinung eröffnet worden, dass es wirtschaftlich nicht
zur Liquidationsmasse gehöre und dass sein Saldo dem Inhaber vollumfänglich
ausbezahlt werden solle. Wenn das Handelsgericht unter diesen Umständen
darauf verzichtete, die verantwortlichen Organe der Liquidatorin zum
Zweck der Eröffnung des Kontos "K" einzuvernehmen, hat es nicht gegen
Bundesrecht verstossen. Es besteht auch sonst kein Anlass, die Sache zu
einer Aktenergänzung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die für die Begründung eines Aussonderungsanspruches erforderliche
Individualisierung hätte nur dadurch geschaffen werden können, dass der
Rückzahlungserlös gleich nach dem Eintreffen der Gutschriftsanzeige der
Schweizerischen Bankgesellschaft auf ein separates, neu anzulegendes
Konto gebucht worden wäre, über das allein die Bragi S.A. hätte verfügen
dürfen (vgl. dazu BGE 102 II 109 E. II/2a am Ende). Auf das mit "K"
gekennzeichnete Konto, das übrigens - wie ausgeführt - bereits andere,
der Rückzahlung der Obligation fremde Buchungen enthielt, wurde der Erlös
indessen erst am 26. Juni 1972, d.h. rund drei Monate nach der Gutschrift
durch die Schweizerische Bankgesellschaft, übertragen.

    Die Berufung erweist sich somit auch insofern als unbegründet, als
sie sich auf Auftragsrecht stützt.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichts des
Kantons Zürich vom 16. März 1976 bestätigt.