Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 II 254



102 II 254

37. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 19. August 1976 i.S.
Kollektivgesellschaft Wüthrich & Zahnd gegen Steimle. Regeste

    Erstreckung des Mietverhältnisses.

    1. Art. 267a Abs. 1 OR. Die Folgen einer Geschäftsverlegung begründen
für sich allein keine Härte im Sinne dieser Bestimmung.

    2. Art. 267a Abs. 2 OR. Der Mieter hat sich schon auf die Kündigung
hin ernsthaft um andere Räume zu bemühen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

    Die Klägerin räumt ein, dass der Richter ein Verschulden oder
Mitverschulden des Mieters an einer eintretenden Härte zu berücksichtigen
hat, wenn der Vermieter es beweist. Sie wirft dem Appellationshof dagegen
eine Verletzung von Art. 267a Abs. 1 OR vor, weil er einer Härte, die in
der Schwierigkeit bestehe, im bisherigen Quartier Ersatzräume zu finden,
einer schuldhaft unterlassenen Miete von Räumen in einem andern Quartier
gegenüberstelle. Ein Mietobjekt in einem andern Quartier würde die vom
Appellationshof selber als Folge eines Quartierwechsels angenommene
Härte nicht beseitigen, sondern bedeuten, dass der Mieter die Härte
in Kauf nehme. Dazu sei die Klägerin nicht verpflichtet. Auf das erste
Erstreckungsbegehren hin dürften ausserdem die Anforderungen an den Mieter,
Ersatzräume zu suchen, nicht allzu hoch gestellt werden.

    Diese Einwände gehen nicht nur an der Begründung des angefochtenen
Urteils, sondern auch am Sinn und Zweck des Art. 267a OR vorbei. Es ist
zum vorneherein fraglich, ob und inwieweit die Notwendigkeit, dass der
Mieter sein Geschäft wegen Kündigung der bisherigen Räume verlegen muss,
überhaupt als nicht zu rechtfertigende Härte im Sinne des Gesetzes gelten
und zu einer Erstreckung des Mietverhältnisses führen kann. Gewiss können
die Folgen einer Geschäftsverlegung für einen Geschäftsinhaber unangenehm
oder sogar hart sein. Sie gehören jedoch zur Kündigung und werden durch
eine Verlängerung des Mietverhältnisses nicht aufgehoben, sondern bloss
aufgeschoben. Die Verlängerung kann daher erst sinnvoll sein, wenn sie mit
der Verschiebung der Geschäftsverlegung zugleich eine Milderung der Folgen
verspricht, also erwarten lässt, dass der Umzug später für den Mieter
weniger nachteilig sein werde, als er bei Ablauf der Kündigungsfrist
wäre. Das kann z.B. zutreffen, wenn begründete Aussicht besteht, dass
der Mieter dannzumal Ersatzräume finden werde, die sich vorerst noch im
Bau befinden oder näher liegen, preislich günstiger sind oder sich für
ihn sonstwie besser eignen.

    Dass hier solche Umstände vorliegen, ist den Akten nicht zu entnehmen
und wird von der Klägerin auch nicht behauptet. Namentlich deutet
nichts darauf hin, dass eine längere Erstreckung des Mietverhältnisses
der Klägerin ermöglichen würde, im bisherigen Quartier zu bleiben. Nach
den Feststellungen des Appellationshofes hat die Klägerin sich gar nicht
bemüht, Ersatzräume im gleichen Quartier zu finden; erwiesen ist bloss,
dass sie über den Kauf oder die Miete einer Liegenschaft in einem anderen
Quartier verhandelt und erst noch das Scheitern dieser Verhandlungen
verschuldet hat.

    Art. 267a OR macht freilich in Abs. 2 erst die zweite Erstreckung des
Mietverhältnisses von der Bedingung abhängig, dass der Mieter während der
(ersten) Erstreckungsfrist das ihm vernünftigerweise Zumutbare unternommen
hat, um die Härte abzuwenden. Aber auch wenn an sein Verhalten in der
ersten Phase ein weniger strenger Massstab anzulegen ist, versteht sich von
selbst, dass er nicht untätig bleiben darf, sondern schon auf die Kündigung
hin sich ernsthaft um andere Räume zu bemühen hat. Das Gesetz gibt ihm
keinen absoluten Anspruch auf Erstreckung des Mietverhältnisses. Dieses
hört nach Ablauf der gesetzlich zulässigen Fristen auf jeden Fall auf,
und der Mieter muss ausziehen. Sinn und Zweck der Verlängerung liegen
offensichtlich darin, dem Mieter für die Suche neuer Räume mehr Zeit
zu lassen, als ihm nach der ordentlichen Kündigungsfrist zur Verfügung
stände. Das tut aber auch der Vermieter, wenn er, wie hier, ein volles
Jahr vor Auflösung des Vertragsverhältnisses kündigt (BGE 99 II 170/71).