Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 II 12



102 II 12

3. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Januar 1976 i.S. von
Schumacher & Co. gegen Waldvogel. Regeste

    Art. 267a Abs. 4 OR. Will der Vermieter die Vertragsbedingungen
im Sinne dieser Bestimmung durch den Richter ändern lassen, so hat er
das Gesuch bereits im Verfahren zu stellen, in dem über die vom Mieter
beantragte Verlängerung des Mietverhältnisses zu entscheiden ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                         Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Klägerin hat sich mit dem Entscheid des Obergerichtes über die
von ihr einseitig vorgenommene Mietzinserhöhung abgefunden. Sie macht nur
noch geltend, der Vermieter dürfe den Richter entgegen der Auffassung
des Obergerichtes nicht bloss im Verfahren über die Erstreckung des
Mietverhältnisses, sondern auch nachher um Anpassung des Vertrages im
Sinne von Art. 267a Abs. 4 OR ersuchen.

    a) Nach Art. 267a Abs. 4 OR hat die richterliche Behörde einem
begründeten Gesuch des Vermieters um Änderung der Vertragsbedingungen
angemessen Rechnung zu tragen. Diese Bestimmung ist nicht für sich allein
oder bloss nach ihrem Wortlaut, sondern nach dem gesamten Zusammenhang,
in dem sie steht, auszulegen. Die Art. 267a bis 267f OR sind unter dem
gemeinsamen Randtitel "Erstreckung des Mietverhältnisses" eingeordnet;
sie regeln, wie aus den einzelnen Vorschriften erhellt, insbesondere
die Voraussetzungen und die Wirkungen der Erstreckung sowie das
Verfahren. Schon das spricht dafür, dass ein Gesuch im Sinne von Art.
267a Abs. 4 mit der Erstreckung des Mietverhältnisses zusammenhangen
muss und darüber im gleichen Verfahren zu entscheiden ist. Dass in der
Bestimmung von "einem begründeten Gesuch des Vermieters" die Rede ist,
steht dem nicht entgegen; diese Wendung stellt bloss klar, dass der Richter
die Vertragsbedingungen nicht von Amtes wegen, sondern bloss auf Begehren
des Vermieters anpassen darf (R. JEANPRETRE, La prolongation des baux à
loyer, in Dixième Journée juridique de Genève 1970 S. 144).

    Die Gesetzesmaterialien enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass
der Vermieter ausserhalb des Verfahrens, in dem über die vom Mieter
beantragte Verlängerung des Mietverhältnisses zu entscheiden ist, eine
Änderung der Vertragsbedingungen verlangen dürfe. Der Bundesrat führte in
der Botschaft zu Art. 267a Abs. 4 (= Abs. 3 des Entwurfes) vielmehr aus,
der Richter könne in seinem Urteil anordnen, unter welchen neuen oder
geänderten Bedingungen das Mietverhältnis fortzusetzen sei (BBl 1968 II
857). Mit diesem Urteil meinte er aber den Entscheid über die vom Mieter
verlangte Erstreckung des Vertragsverhältnisses.

    b) Das Obergericht geht zutreffend davon aus, dass das Mietverhältnis
im Falle der Erstreckung im übrigen unter den bisherigen Bedingungen
fortgesetzt wird, wenn der Vermieter den Richter nicht ersucht,
Vertragsbestimmungen zu ändern, insbesondere den Mietzins für die Dauer der
Erstreckung an eine allfällige Steigung der Lebenskosten anzupassen. Es
lässt sich daher nicht Sagen, die Fortsetzung des Mietverhältnisses
sei nicht mehr vertraglicher Art, sondern beruhe bloss auf einem
Gestaltungsurteil des Richters, wie die Klägerin behauptet. Das Gesetz
lässt eine Änderung der übrigen Vertragsbedingungen nur auf Gesuch des
Vermieters zu, was von der Klägerin mit Recht dahin ausgelegt wird, der
Vermieter könne so Nachteile, die ihm durch den richterlichen Eingriff
in die Vertragsdauer entstehen, wieder ausgleichen. Dieser Zweck kann
aber auch erreicht werden, wenn der Vermieter das Gesuch um Änderung
der Vertragsbedingungen nur im Verfahren über die Verlängerung des
Mietverhältnisses stellen darf.

    Daraus folgt ferner, dass es bei dieser Änderung entgegen der
Annahme der Klägerin nicht darum gehen kann, den Vertrag irgendwelchen
Tatsachen, die während der Verlängerung des Mietverhältnisses eintreten,
anzupassen. Unter welchen Voraussetzungen eine ausserordentliche Änderung
der Umstände nach Art. 269 Abs. 1 OR zur Aufhebung des Vertrages oder nach
Art. 2 Abs. 2 ZGB zur Behebung eines Missverhältnisses zwischen Leistung
und Gegenleistung durch den Richter führen kann, ist hier so wenig zu
entscheiden wie die Frage, ob der Vermieter ein entsprechendes Begehren
auch noch stellen dürfe, wenn der Entscheid über die Erstreckung des
Mietverhältnisses bereits rechtskräftig ist (vgl. nicht veröffentlichtes
Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Februar 1975 i.S. SUVA gegen
Gössler). Die Klägerin macht übrigens nicht geltend, dass hier ein
solches Missverhältnis vorliege oder die Umstände sich nachträglich
für sie in nicht voraussehbarer Weise geändert hätten. Dazu kommt, dass
jede Vertragspartei sich auf Art. 269 Abs. 1 OR und Art. 2 Abs. 2 ZGB,
aber nur der Vermieter sich auf Art. 267a Abs. 4 OR berufen darf. Aus
den beiden ersten Bestimmungen kann deshalb nichts für die Auslegung der
letzteren gewonnen werden.

Erwägung 2

    2.- Ein Gesuch im Sinne von Art. 267a Abs. 4 OR nach dem Entscheid
über die Erstreckung des Mietverhältnisses noch zuzulassen, wäre wegen der
Interessen der Beteiligten auch sachlich nicht gerechtfertigt. Die Klägerin
meint freilich, aus diesen Interessen ergebe sich gerade das Gegenteil.

    a) Gewiss könnten Nachteile, die dem Vermieter aus der Erstreckung
erwachsen, auch nachträglich ausgeglichen werden. Der Richter hat
die Interessen des Vermieters jedoch schon nach Art. 267a Abs. 1
OR mitzuberücksichtigen und zu würdigen. Je nach dem Ergebnis dieser
Würdigung kann er sodann die Erstreckung verweigern, sie zeitlich
sogar auf Monate beschränken und Vertragsbedingungen für die Dauer der
Erstreckung ändern, wenn der Vermieter dies verlangt. Eine dem Entscheid
vorausgehende Interessenabwägung entspricht somit nicht bloss dem Text
des Gesetzes, sondern auch seinen sozialrechtlichen Grundgedanken, auf
denen die Kündigungsbeschränkung im Mietrecht beruht.

    Die Anpassung von Vertragsbedingungen nur im Erstreckungsverfahren
zuzulassen, ist aus der Sicht des Vermieters wie des Mieters geboten. Der
Vermieter kann in diesem Verfahren z.B. eine Mietzinserhöhung erwirken,
die seinen Vorstellungen entspricht, für den Mieter aber nicht mehr
tragbar ist. Jede Partei kann daher ihr Verhalten im Prozess sowie ihre
Rechtsmittel nach dieser Interessenlage ausrichten, der Mieter zudem
sein Begehren auf Erstreckung des Vertragsverhältnisses zurückziehen,
wenn er dessen Beendigung einer Anpassung vorzieht.

    Dass der Vermieter im Erstreckungsverfahren angeblich keine
genügenden Angaben machen kann, um den Mietzins neu festzusetzen, hilft
der Klägerin nicht. Das Obergericht hält ihr mit Recht entgegen, dass
Art. 267a Abs. 4 OR dem Vermieter nicht die Möglichkeit verschaffen will,
den Mietzins nach umfassenden Abklärungen neu festzulegen; der Zweck der
Bestimmung erschöpft sich darin, den Vertrag an die durch die Erstreckung
geschaffenen Lage anzupassen. Darüber kann der Vermieter sich aber
schon im Erstreckungsverfahren Rechenschaft geben und dies ist ihm auch
zuzumuten (R. GMÜR, Die Rechte des Mieters, 2. Aufl., S. 105; P. WEGMANN,
in SJZ Bd. 69 S. 186; M. MOSER, Die Erstreckung des Mietverhältnisses nach
Art. 267a - 267f OR, Diss. Freiburg 1975, S. 116). Ebensowenig hilft der
Klägerin, dass der Vermieter Anlass haben kann, sein Gesuch um Änderung
des Vertrages von der Dauer der Erstreckung abhängig zu machen. Das
Bundesrecht hindert ihn nicht daran, das Gesuch z.B. nur für den Fall
zu stellen, dass das Mietverhältnis um mehr als ein Jahr erstreckt wird.

    b) Die Interessen des Mieters würden ungleich stärker betroffen,
wenn er nach dem rechtskräftigen Entscheid über die Erstreckung des
Mietverhältnisses noch mit einer Änderung des Vertrages zu seinen
Ungunsten, namentlich mit einer Erhöhung des Mietzinses rechnen
müsste. Selbst wenn seine Interessen in einem weiteren Entscheid über die
Anpassung des Vertrages angemessen berücksichtigt würden, müsste er sich
in seinem verständlichen Vertrauen, das Mietverhältnis sei im Entscheid
über die Erstreckung zu den bisherigen Bedingungen verlängert worden,
enttäuscht sehen. Er könnte auf diesen Entscheid nicht mehr zurückkommen,
noch sich durch Rückzug seines Erstreckungsbegehrens einer Verlängerung
des Vertrages zu ihm unerwünschten Bedingungen entziehen.

    Der Vermieter kann dagegen durch ein rechtzeitiges Gesuch dafür
sorgen, dass über das Erstreckungsbegehren und die Anpassung des
Vertrages im gleichen Verfahren geurteilt wird. Eine nachträgliche
Änderung erweckt vor allem dann Bedenken, wenn der Vermieter darauf
ausgeht, einen lästigen Mieter vorzeitig loszuwerden. Das Mietgericht
erblickte im vorliegenden Fall den Hauptgrund für die massive Erhöhung
des Mietzinses denn auch darin, den Mieter noch vor Ablauf der von ihm
erwirkten Verlängerung des Mietverhältnisses zur Aufgabe der Geschäftsräume
zu bewegen. Aber auch in allen andern Fällen würde die Vertragsänderung
dem Mieter aufgezwungen, wenn der Vermieter auch nachträglich noch über
die Anpassung entscheiden lassen dürfte. Solches Hinauszögern widerspräche
dem Grundgedanken des Gesetzes und verstiesse gegen den Grundsatz von
Treu und Glauben, der von den Parteien auch im Prozess zu beachten ist
(vgl. JEANPRETRE, aaO S. 144; MOSER, aaO S. 114; ferner für das deutsche
Recht, H. ROQUETTE, Neues soziales Mietrecht, 1969 S. 60, Nr. 74/5;
GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 2. Aufl. S. 237 ff.).

    c) Davon abgesehen besteht ein grundsätzlicher Anspruch beider
Parteien zu wissen, was zwischen ihnen für die Dauer der Erstreckung
als Vertragsinhalt gilt. Die Klägerin geht mit Recht selber davon aus,
dass die Anpassung wie die Erstreckung an die durch Kündigung beendigte
Vertragsdauer anschliessen muss; sie verlangt denn auch, dass der neue
Mietzins rückwirkend auf den 1. Oktober 1974 festgesetzt werde. Dass
Rückwirkung mit Bezug auf den Mietzins eine starke Belastung bedeuten
und mit Bezug auf andere Vertragsbedingungen unter Umständen illusorisch
sein kann, ändert daran nichts. Auch wenn das Abänderungsgesuch während
des Erstreckungsprozesses gestellt wird, kann möglicherweise das Urteil
erst nach dem Kündigungstermin ergehen und deshalb der Vertragsinhalt
erst rückwirkend bestimmt werden.

    Unerträglich würde dies, wenn der Vermieter, wie die Klägerin
behauptet, sein Gesuch um Anpassung des Vertrages noch während der ganzen
Dauer der Erstreckung stellen könnte. Es bliebe während dieser ganzen
Zeitspanne, die bis zu drei Jahren gehen kann (Art. 267a Abs. 2 OR),
nicht nur völlig offen, was definitiv als Vertragsinhalt zu gelten hat,
sondern sogar, ob der Vermieter überhaupt eine Änderung verlangt. Solche
Unsicherheit ist jedoch gerade im Verhältnis zwischen Mieter und
Vermieter zu vermeiden (BGE 99 II 170, 101 II 90). Wenn das Gesetz
für das Anpassungsgesuch des Vermieters keine Verwirkungsfrist setzt,
erlaubt dies daher nicht den von der Klägerin gezogenen Schluss, dass
das Gesuch während der ganzen Erstreckungsperiode gestellt werden könne;
einer solchen Frist bedarf es vielmehr schon deshalb nicht, weil ein
nachträgliches Gesuch überhaupt ausgeschlossen ist.

    Diese Auffassung wird auch im Schrifttum vertreten, soweit man sich
darin zur Streitfrage, sei es ausdrücklich oder wenigstens dem Sinne
nach, bereits geäussert hat (JEANPRETRE, aaO S. 149, GMÜR, aaO S. 104;
W. SPRENGER, Entstehung, Auslegung und Auflösung des Mietvertrages
für Immobilien, Diss. Zürich 1972, S. 179; ROQUETTE, aaO S. 54 N. 61;
W. LANGENSIEPEN, Kündigungsbeschränkungen aus sozialen Gründen im Deutschen
und Schweizerischen Mietrecht, Diss. Bern 1973, S. 42).