Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IB 97



102 Ib 97

18. Urteil vom 14. Juli 1976 i.S. Fernandez gegen Regierungsrat des
Kantons Basel-Stadt Regeste

    Fremdenpolizei: Widerruf der Zusicherung einer Aufenthaltsbewilligung.

    - Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (E. 1).

    - Voraussetzungen für den Widerruf einer Aufenthaltsbewilligung oder
Zusicherung; Bedeutung des Einzelfalles (E. 2-4).

Sachverhalt

    A.- Die Adullam-Stiftung Basel, Krankenhaus und Altersheim,
erhielt von der kantonalen Fremdenpolizei am 3. Juni 1975 die auf ein
Jahr befristete Zusicherung der Aufenthaltsbewilligung für die spanische
Staatsangehörige Encarnacion Fernandez, die als Hausangestellte beschäftigt
werden sollte. Als Grundlage für die Zusicherung diente ein auf dem dafür
vorgesehenen Formular gestelltes Gesuch um Erteilung des Stellenantritts,
in dem Encarnacion Fernandez ihrem Passeintrag gemäss als "ledig"
bezeichnet wurde. Bei der Einreise stellte die Fremdenpolizei fest, dass
im Reisepass der Gesuchstellerin drei Kinder eingetragen sind. Abklärungen
ergaben, dass die Gesuchstellerin in den Jahren 1959-1962 vier Kinder
geboren hatte, von denen das älteste nicht im Pass eingetragen wurde. Die
Kinder entsprossen einer in Marokko mit einem Marokkaner geschlossenen Ehe,
die im Jahre 1969 durch Verstossung von Seiten des Ehemannes aufgelöst
wurde. Dabei wurden die älteren drei Kinder dem Vater, das jüngste der
Mutter zugesprochen; alle vier leben beim Vater.

    Die Fremdenpolizei hielt dafür, dass die Zusicherung aufgrund
falscher Angaben erteilt worden sei, da die Gesuchstellerin ihre vier
Kinder verschwiegen habe. Sie verfügte den Widerruf der Zusicherung
und forderte Encarnacion Fernandez auf, die Schweiz zu verlassen. Der
Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt hat eine gegen die Widerrufsverfügung
gerichtete Beschwerde abgewiesen mit der Begründung, der Familiennachzug,
der unter den gegebenen Umständen nicht ausgeschlossen werden könne,
sei unerwünscht. Das Bundesgericht heisst die dagegen eingereichte
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Ausländer, dem eine Aufenthaltsbewilligung zugesichert
worden ist, hat grundsätzlich einen Rechtsanspruch darauf, dass ihm
die Bewilligung auch erteilt wird, sofern dem nicht besondere Gründe
entgegenstehen. Der Ausschliessungsgrund von Art. 100 lit. b Ziff. 3
OG findet deshalb keine Anwendung. Selbst wenn man annehmen wollte,
die Zusicherung verschaffe keinen Rechtsanspruch auf Erteilung der
fremdenpolizeilichen Bewilligung, so wäre die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
dennoch zulässig. Die Zusicherung müsste als begünstigende Verfügung
betrachtet werden, deren Widerruf beim Bundesgericht angefochten
werden kann, wie sich aus Art. 101 lit. d OG ergibt. Auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Regierungsrat und EJPD gehen in ihren Meinungen auseinander über
die Frage, welche Rechtsgrundlage für die Beurteilung der Beschwerde
massgebend ist. Der Regierungsrat hält dafür, dass sich die Erteilung
der Bewilligung trotz der vorgängigen Zusicherung nach Art. 15 Abs. 2
und Art. 16 Abs. 1 ANAG beurteile, dass den kantonalen Behörden also ein
weites Ermessen zustehe. Das EJPD vertritt demgegenüber die Auffassung,
es liege ein Widerruf einer Zusicherung vor, dessen Zulässigkeit sich nach
Art. 9 Abs. 2 lit. a ANAG bestimme. Die Voraussetzungen für einen Widerruf
seien erfüllt, da bei Einreichung des Gesuches entweder falsche Angaben
gemacht oder wesentliche Tatsachen wissentlich verschwiegen worden seien.

Erwägung 3

    3.- Art. 9 Abs. 2 lit. a ANAG bestimmt, dass eine
Aufenthaltsbewilligung widerrufen werden kann, wenn der Ausländer sie durch
falsche Angaben oder wissentliches Verschweigen wesentlicher Tatsachen
erschlichen hat.

    Entgegen der Ansicht des EJPD kann nicht gesagt werden, dass die
Beschwerdeführerin die Zusicherung der Aufenthaltsbewilligung erschlichen
hat:

    Die Beschwerdeführerin war berechtigt, den Zivilstand anzugeben, der in
ihrem Reisepass eingetragen war und ihrem Heimatrecht entsprach. Hätte sie
ihren Zivilstand mit "geschieden" angegeben, so hätte die Angabe zwar den
tatsächlichen Verhältnissen besser entsprochen, doch wäre ein Unterschied
zum Passeintrag entstanden, und streng rechtlich wäre die Angabe nach
spanischem Recht ungenau gewesen. Aus der Angabe ihres Zivilstandes mit
"ledig" darf der Beschwerdeführerin deshalb kein Vorwurf gemacht werden.

    Es wäre ohne Zweifel erwünscht, im Hinblick auf allfälligen
späteren Familiennachzug zu wissen, ob der Ausländer, der um eine
fremdenpolizeiliche Bewilligung nachsucht, Kinder hat, auch wenn für
diese keine Bewilligung verlangt wird. Es ist jedoch Sache der zuständigen
Behörde, im Gesuchsformular die entsprechende Frage zu stellen. Unterlässt
sie dies, kann der Gesuchsteller nicht wissen, dass die Beantwortung
der Frage für die schweizerischen Behörden eine "wesentliche Tatsache"
darstellt.

    Eine Frau kann Kinder haben, gleichgültig ob sie ledig, verheiratet,
verwitwet oder geschieden ist. Aus der Angabe des Zivilstandes mit
"ledig" durften die kantonalen Behörden nicht mit hinreichender Sicherheit
schliessen, die Beschwerdeführerin habe keine Kinder. Es ist Aufgabe der
Fremdenpolizei, nach den "wesentlichen Tatsachen" zu fragen. Unterlässt
sie dies, so kann sie dem Gesuchsteller nicht vorwerfen, er habe durch
falsche Angaben oder durch wissentliches Verschweigen wesentlicher
Tatsachen die Aufenthaltsbewilligung erschlichen. Der Widerruf der
fremdenpolizeilichen Bewilligung kann deshalb nicht auf Art. 9 Abs. 2
lit. a ANAG gestützt werden.

Erwägung 4

    4.- a) Wie der Regierungsrat zutreffend festgestellt hat, kann eine
zugesicherte Aufenthaltsbewilligung noch in weiteren Fällen verweigert
werden, auch wenn die Zusicherung nicht erschlichen worden ist.

    Gemäss Art. 6 Abs. 2 ANAV kann der Ausländer vom Ausland aus ein Gesuch
um Zusicherung der Aufenthaltsbewilligung stellen, und auch der Arbeitgeber
in der Schweiz kann ein solches Gesuch stellen. Nach der Einreise und
der Anmeldung des Ausländers sind dann die Aufenthaltsverhältnisse
zu regeln. Es ist zu entscheiden, ob eine Bewilligung erteilt wird und
welcher Art diese sein soll. Dabei sind vor allem sofort die wirklichen
Absichten des Ausländers hinsichtlich des Zweckes und der Dauer seines
Aufenthaltes festzustellen (Art. 6 Abs. 1 ANAV).

    Aus dieser Bestimmung, deren Gesetzmässigkeit nicht angefochten ist,
ergibt sich, dass die Zusicherung der Aufenthaltsbewilligung keineswegs
vorbehaltlos erfolgen kann; vielmehr haben die zuständigen Behörden
das Recht und die Pflicht, durch Befragung des eingereisten Ausländers
zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Bewilligung
erfüllt sind. Immerhin bedeutet die Nichterteilung der Bewilligung
einen Widerruf einer amtlichen Zusage, die ähnlich wie der Widerruf
einer erteilten Bewilligung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben
zu beurteilen ist. Dies führt zu einer Einschränkung des Ermessens der
kantonalen Behörden bei der Erteilung oder Verweigerung einer zugesicherten
Aufenthaltsbewilligung. Ähnlich wie bei der Überprüfung des Widerrufs
von Verwaltungsakten ist nach Treu und Glauben abzuwägen zwischen den
Interessen des Gesuchstellers, dass sich die Behörde an die Zusicherung
hält, und dem öffentlichen Interesse an der rechtsgleichen Erteilung
fremdenpolizeilicher Bewilligungen. Bei dieser Interessenabwägung ist
gegebenenfalls auch ein unbeabsichtigter Irrtum der Behörde in Betracht
zu ziehen, wenn es sich im Lichte des wahren Sachverhaltes rechtfertigt,
eine zugesicherte Bewilligung nicht zu erteilen, oder eine bereits erteilte
Bewilligung zu widerrufen (BGE 98 Ib 250 f. E. 4b; 93 I 395).

    In diesem Sinne berufen sich Regierungsrat und EJPD auf das
Kreisschreiben der Eidgenössischen Fremdenpolizei vom 30. Juli 1975 zur
Verordnung des Bundesrates vom 9. Juli 1975 über die Begrenzung der Zahl
der erwerbstätigen Ausländer. In Ziffer 10.9 dieses Kreisschreibens
werden die kantonalen Fremdenpolizeibehörden angewiesen, bei der
Erteilung einer Bewilligung an einen ausländischen Arbeitnehmer in jedem
Fall abzuklären, welche Auswirkungen sich im Einzelfall hinsichtlich
des Familiennachzuges ergeben würden, in der Meinung, dass dort, wo
die Gegengründe überwögen, auch dem Familienhaupt als Arbeitskraft die
nachgesuchte Bewilligung zu verweigern sei. Nach dieser Bestimmung hatten
die Basler Behörden die Pflicht, die Auswirkungen der Tatsache abzuklären,
dass die Beschwerdeführerin Mutter von vier minderjährigen Kindern
ist. Grundsätzlich geht der Wille des Gesetzgebers und des Bundesrates
dahin, die Gesamtzahl der Ausländer in der Schweiz zu stabilisieren und
allmählich herabzusetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es erwünscht,
neue Aufenthaltsbewilligungen vornehmlich solchen Arbeitskräften zu
erteilen, die nicht nach der Wartefrist von 15 Monaten Ehegatten und Kinder
nachziehen möchten und, unter Wahrung der Rechtsgleichheit, gegebenenfalls
auch nachziehen könnten. Es erscheint zulässig, solchen Arbeitnehmern
bei der Regelung der Aufenthaltsverhältnisse nach erfolgter Einreise
zu erklären, sie könnten im kommenden Jahr nicht mit einer Verlängerung
ihrer Aufenthaltsbewilligung rechnen, und dies auch nicht bei Abgabe einer
Erklärung, wonach sie unter Verzicht auf das Recht zum Familiennachzug
ihre Kinder nicht in die Schweiz kommen lassen wollten; die zuständige
Behörde darf im Rahmen des ihr eingeräumten pflichtgemässen Ermessens
Aufenthaltsbewilligungen an Elternteile verweigern, die dauernd von ihrer
Familie getrennt leben müssten, wenn ihnen der Familiennachzug verweigert
würde. Das Kreisschreiben betont jedoch, dass jeder Einzelfall geprüft
werden muss; absolute Regeln lassen sich also nicht aufstellen. Immerhin
ist es mit dem ANAG vereinbar, zur Vermeidung der dauernden Trennung von
Familien eine Aufenthaltsbewilligung nicht zu erneuern, selbst wenn diese
Verfügung eine gewisse Härte bedeutet.

    b) Die Anwendung dieser Grundsätze vermag aus zwei Gründen den
Widerruf der der Beschwerdeführerin gegenüber abgegebenen Zusicherung
nicht zu rechtfertigen. Zum einen war nicht zu entscheiden, ob die auf
ein Jahr zugesicherte Aufenthaltsbewilligung nach Ablauf eines Jahres
nach freiem Ermessen zu verlängern sei oder nicht; zu entscheiden war
vielmehr, ob die zugesicherte Aufenthaltsbewilligung verweigert werden
könne, weil die Beschwerdeführerin möglicherweise nach Ablauf dieses
Jahres ein Einreisegesuch für eines oder mehrere ihrer Kinder stellen
könnte. Für das im vorliegenden Verfahren allein zu beurteilende erste
Aufenthaltsjahr 1975/1976 kam eine Vergrösserung der ausländischen
Wohnbevölkerung durch den Nachzug des Kindes Fatiha zum vorneherein nicht
in Betracht. Zum zweiten könnte, selbst wenn schon jetzt die Verlängerung
der Aufenthaltsbewilligung zu beurteilen wäre, nicht übersehen werden, dass
unter den gegebenen Umständen kaum je ein Aufenthaltsgesuch für die 14-17
Jahre alten Kinder gestellt werden dürfte; drei dieser vier Kinder sind dem
in Marokko lebenden Vater zugesprochen worden, und auch das vierte könnte
der Mutter nur mit Zustimmung des Vaters, bei dem es lebt, herausgegeben
werden. Zudem hat die Mutter vor dem spanischen Konsulat eine beglaubigte
Erklärung abgegeben, sie werde die Kinder nicht zu sich nehmen. Wie immer
dieser Umstand von den zuständigen Behörden bei Beurteilung des Gesuches
um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu beurteilen sein wird, er
kann jedenfalls nicht ein genügendes öffentliches Interesse begründen,
um die Verweigerung der zugesicherten Aufenthaltsbewilligung für das
nunmehr bereits abgelaufene Jahr zu rechtfertigen. Die Beschwerde ist
deshalb gutzuheissen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss des Regierungsrates
des Kantons Basel-Stadt vom 28. Oktober 1975 aufgehoben.