Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IB 257



102 Ib 257

44. Urteil vom 25. Juni 1976 i.S. Fridolin Durrer AG gegen Schweiz.
Eidgenossenschaft und Rekurskommission der Eidg. Militärverwaltung Regeste

    Militärorganisation, Quartierleistungspflicht, Entschädigung.

    Die Schadenersatzforderung eines Kantonnementgebers gegen den Bund
wegen Abbestellung einer von der Truppe zunächst beanspruchten Unterkunft
beurteilt sich nicht nach Art. 22, sondern nach Art. 30 Abs. 2 MO. Der
Betroffene hat demnach nicht Widerrechtlichkeit der Schadenszufügung
darzutun, sondern nur den behaupteten Schaden und dessen Kausalzusammenhang
mit dem Militärdienst (Erw. 4).

    Haftet der Bund nicht, wenn der Schaden durch höhere Gewalt oder
durch Selbstverschulden des Geschädigten verursacht worden ist? Frage
offengelassen (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- Gemäss einer Vereinbarung vom 22. Dezember 1971 hatte sich
die Fridolin Durrer AG als Eigentümerin des Berghauses Tannalp auf
Melchsee-Frutt gegenüber dem Oberkriegskommissariat (OKK) verpflichtet,
der Truppe, ausgenommen während der Ferienzeit, Räumlichkeiten für
Einquartierungen gegen bestimmte Entschädigungen zur Verfügung zu stellen.

    Am 12. Februar 1973 rekognoszierte der Fourier der Füs Kp I/42 auf
Tannalp hinsichtlich der Unterbringung seiner Einheit im bevorstehenden
Wiederholungskurs (10./14. Mai-2. Juni 1973) und besprach sich mit dem
Leiter des Berghauses. Mit Schreiben vom 28. April 1973 bestätigte er
diesem, die Kompanie werde den Wiederholungskurs auf Tannalp absolvieren
und daher im Berghaus Quartier nehmen.

    Mit Brief vom 2. Mai 1973 teilte der Fourier dem Leiter des Berghauses
jedoch mit, er habe vom Regimentsstab soeben Bescheid erhalten, dass
der Wiederholungskurs der Füs Kp 1/42 nicht auf Tannalp stattfinden
werde. Wegen der ungünstigen Wetterverhältnisse werde die Kompanie in
Engelberg einquartiert. Das Schreiben vom 28. April 1973 sei daher als
annulliert zu betrachten.

    Die Fridolin Durrer AG akzeptierte diese Absage nicht. Sie machte
geltend, sie habe auf Grund der Bestellung alle Vorbereitungen zur
Einquartierung der Truppe getroffen, insbesondere auch das nötige Personal
eingestellt, und verlangte Schadenersatz im Betrage von Fr. 5571.40.

    Das OKK lehnte eine Entschädigungspflicht ab. Einen Rekurs der
Fridolin Durrer AG gegen diesen Entscheid wies die Rekurskommission
der Eidg. Militärverwaltung am 18. März 1975 gestützt auf Art. 22 MO
ab. Sie nahm an, eine widerrechtliche Schädigung liege nicht vor. Im
Bereich der hier in Frage stehenden relativen Rechte werde für die
Annahme der Widerrechtlichkeit zusätzlich zur Rechtsverletzung ein
schuldhafter Verstoss gegen Sorgfaltsnormen verlangt. Im vorliegenden
Fall habe jedoch die Truppe nicht schuldhaft gehandelt. Der Entscheid,
die Kompanie in Engelberg einzuquartieren, sei wegen der aussergewöhnlich
grossen Schneemassen in der Gegend der Tannalp geboten gewesen.

    Gegen den Entscheid der Rekurskommission führt die Fridolin Durrer
AG Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie beantragt, die Eidgenossenschaft
sei zu verurteilen, ihr Fr. 5571.40 nebst Zins zu 5% seit 17. Mai 1973
zu bezahlen; eventuell sei die Sache an die Vorinstanz, weiter eventuell
an die "zuständige Bundesbehörde" zur Neubeurteilung zu weisen. Es wird
geltend gemacht, die Truppe habe der Beschwerdeführerin rechtswidrig und
schuldhaft Schaden zugefügt, wofür der Bund einzustehen habe.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der angefochtene Entscheid stützt sich auf öffentliches
Recht des Bundes im Gebiete der Militärverwaltung und ist
von einer eidg. Rekurskommission ausgegangen (Art. 98 lit. e
OG). Keiner der Ausschlussgründe der Art. 99-102 OG ist gegeben. Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher zulässig. Es ist darauf
einzutreten.

Erwägung 2

    2.- In der Sache selbst geht es in erster Linie um den massgebenden
Haftungsgrundsatz. Die Rekurskommission gründet ihren Entscheid auf Art. 22
MO. Die Beschwerdeführerin lässt die Frage offen; sie beruft sich einfach
auf alle einschlägigen Bestimmungen des öffentlichen, eventuell auch des
privaten Rechtes. Indes hat das Bundesgericht das anwendbare Recht von
Amtes wegen zu finden.

Erwägung 3

    3.- Auf die Vereinbarung vom 22. Dezember 1971 vermag die
Beschwerdeführerin ihren Entschädigungsanspruch nicht zu stützen. Diese
Vereinbarung schafft nicht eine vertragliche, sondern sie konkretisiert die
bereits von Gesetzes wegen bestehende Einquartierungspflicht und regelt die
Entschädigungsansätze. Sie ist im Hinblick auf Art. 32 des Beschlusses der
Bundesversammlung vom 30. März 1949 über die Verwaltung der schweiz. Armee
(BVA) getroffen worden, wonach der Bund für die Benützung von Kasernen,
kasernenmässig eingerichteten Gebäuden und Barackenlagern, die nicht
ihm gehören, mit den Eigentümern Verträge abschliesst. Nichts deutet
darauf hin, dass mit der Vereinbarung die Einquartierung im Berghaus
Tannalp auf eine andere rechtliche Basis, namentlich auf diejenige eines
privatrechtlichen Vertrages habe gestellt werden wollen. Die Abmachung
enthält denn auch keine für die Beurteilung der Streitigkeit erhebliche
Regelung. Die Vorinstanz geht zu Recht davon aus, dass die Vereinbarung
die gesetzliche Ordnung der Bundeshaftung nicht geändert hat. Aus dem
Bestehen des Vertrages kann somit nicht abgeleitet werden, dass die
Grundsätze der Art. 97ff. OR anwendbar seien.

Erwägung 4

    4.- a) Nach Art. 30 MO sind die Gemeinden und Einwohner verpflichtet,
den Truppen Unterkunft und Verpflegung zu gewähren (Abs. 1 Ziff. 1);
sie erhalten dafür vom Bunde eine angemessene Entschädigung (Abs. 2). Die
Beschwerdeführerin macht den Bund für Schaden haftbar, der ihr daraus
entstanden sein soll, dass die Truppe eine Unterkunft im Berghaus Tannalp
zunächst beansprucht, dann aber noch vor der Belegung wieder abbestellt
hat. Die Schadenersatzforderung gründet sich auf angeblich schädigendes
Verhalten der Truppe bei Inanspruchnahme der Quartierleistungspflicht im
Sinne von Art. 30 Abs. 1 Ziff. 1 MO. Für die Beurteilung einer solchen
Forderung ist die besondere Vorschrift des Art. 30 Abs. 2 MO massgebend.

    In den Fällen der Haftpflicht des Bundes nach Art. 22 und 23 MO
entstehen die Rechtsbeziehungen des Geschädigten zum Bund durch die
widerrechtliche Handlung des Wehrmannes bzw. durch den Unfall. Diese
schädigenden Ereignisse treten ohne und gegen den Willen des Bundes
ein. Dagegen sind die auf die Quartierleistungspflicht gegründete
Inanspruchnahme privaten Eigentums und die damit verbundene Schädigung
des Betroffenen vom Bunde vorgesehen und gewollt, und sie beruhen auf
besonderer gesetzlicher Ermächtigung. In diesem Fall ist die Schädigung
somit rechtmässig. Sie begründet - ähnlich wie die Enteignung - die
ebenfalls im Gesetz vorgesehene Verpflichtung des Bundes, dem Betroffenen
eine angemessene Entschädigung zu leisten (Art. 30 Abs. 2 MO). Diese
Pflicht des Bundes ist das Korrelat der Quartierleistungspflicht.

    Der hier geltend gemachte Schaden ist demnach weder ein Schaden aus
widerrechtlicher Handlung noch ein Unfallschaden im Sinne der Art. 22 und
23 MO. Er stellt freilich auch keinen Sachschaden im Sinne der Art. 86-88
BVA dar. Aber er ist wie dieser ein Schaden aus bewusster und gewollter
Inanspruchnahme privaten Eigentums durch die Truppe. Die Inanspruchnahme
gedieh im vorliegenden Fall zwar nicht bis zur faktischen Belegung des
Quartiers. Aber sie geschah eindeutig durch die Reservation anlässlich der
Rekognoszierung und durch den Brief des Fouriers vom 28. April 1973. Auch
diese Phase der Inanspruchnahme ist von rechtlicher Bedeutung, sofern
sie einen Schaden auslöste. Die Haftung des Bundes für solchen Schaden
ergibt sich somit aus Art. 30 MO. Der Betroffene hat demnach nicht
Widerrechtlichkeit der Schadenszufügung darzutun, sondern lediglich den
behaupteten Schaden und dessen Kausalzusammenhang mit dem Militärdienst.

    b) Demgegenüber vermögen die Bedenken der Rekurskommission nicht
aufzukommen. Der Hinweis auf Art. 39 Abs. 1 BVA erweist sich als
unbehelflich. Diese Bestimmung legt nur fest, dass die Entschädigungen
für die Benützung der Räumlichkeiten vom Tage der Übernahme bis zum
Tage der Rückgabe auszurichten sind. Daraus lässt sich als Meinung des
Gesetzgebers herauslesen, dass die Truppe grundsätzlich und auf jeden Fall
für die tatsächliche Dauer einer Unterkunftsbelegung Entschädigungen zu
entrichten hat, nicht aber, dass Vergütungen für anderweitige Schäden
aus der Inanspruchnahme der Quartierleistungspflicht ausgeschlossen
sein sollen. Ein solcher Schluss wäre schon deshalb nicht zulässig, weil
gemäss Art. 39 Abs. 3 BVA in den Entschädigungsansätzen für die Benützung
von Unterkunftsräumlichkeiten nicht nur die Vergütung für Gebrauch und
normale Abnützung der beanspruchten Räumlichkeiten, Einrichtungen und
Gerätschaften inbegriffen ist, sondern auch die Vergütung für das Aus-
und Einräumen sowie für die Reinigung. Engagiert ein Kantonnementgeber für
diese Arbeiten nötige Hilfskräfte und lässt er das Quartier herrichten,
so liegt der Gedanke nahe, dass auch nach dem BVA solche Aufwendungen
zu entschädigen sind, unabhängig davon, ob das Quartier effektiv belegt
wurde oder nicht. Aus dieser Sicht kann die Regelung, wie sie in den
verschiedenen Beschlüssen über die Verwaltung der Armee hinsichtlich
der Quartierentschädigungen enthalten ist, entgegen der Auffassung der
Rekurskommission nicht als abschliessend betrachtet werden. Die Art. 79
und 87 BRB vom 26. November 1975 über die Verwaltung der schweiz. Armee,
aus denen die Rekurskommission ableitet, dass der Kantonnementgeber eine
vorübergehende oder vorzeitige Dislokation der Truppe entschädigungslos
hinzunehmen habe, vermögen als Bestimmungen eines untergeordneten Erlasses
die Tragweite des Art. 30 MO nicht einzuschränken.

Erwägung 5

    5.- Art. 23 MO und Art. 87 BVA schliessen die Haftung des Bundes für
Schäden, die durch höhere Gewalt oder durch Verschulden des Geschädigten
selbst verursacht worden sind, ausdrücklich aus. Art. 30 MO, nach
welchem die vorliegende Streitigkeit zu beurteilen ist, enthält keine
entsprechende Bestimmung. Immerhin kann man sich fragen, ob der gleiche
Grundsatz nicht auch in solchen Fällen anzuwenden sei. Die Frage kann
indes hier offengelassen werden, wenn sich ergibt, dass der Schaden weder
auf höhere Gewalt noch auf Selbstverschulden zurückgeführt werden kann.

    Es wird nicht behauptet, dass der Schaden durch Verschulden von
Personen, für deren Verhalten die Beschwerdeführerin selber verantwortlich
wäre, verursacht worden sei. Dagegen wird geltend gemacht, er sei
infolge höherer Gewalt entstanden. Die Rekurskommission ist allerdings
auf diesen vom OKK vorgebrachten Einwand formell nicht eingetreten, da
sie die Streitigkeit unter dem Gesichtswinkel des Art. 22 MO beurteilt
hat. Sie hat jedoch zur Frage der Rechtswidrigkeit und eines allfälligen
Verschuldens von Militärpersonen Ausführungen gemacht, mit denen sie
sinngemäss das Vorliegen höherer Gewalt ebenfalls bejaht hat.

    Unter höherer Gewalt wird ein unvorhersehbares, aussergewöhnliches
Ereignis verstanden, das mit dem "Betrieb" des Haftpflichtigen nicht
zusammenhängt, sondern mit unabwendbarer Gewalt von aussen hereinbricht
(OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht, 4. Aufl. 1975, Bd. I S. 118; BGE 91
II 487 E. 8, 100 II 142). Hier sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt:
Schneefälle im Gebirge im Frühjahr sind selbst dann, wenn sie das normale
Mass übersteigen, nicht so aussergewöhnlich, dass mit ihnen nicht gerechnet
werden muss (vgl. BGE 100 II 142). Das schädigende Ereignis war demnach
weder unvorhersehbar noch aussergewöhnlich. Zudem wurde die Belegung des
Quartiers mit Schreiben vom 28. April 1973 bestätigt, also erst nach den
Schneefällen von Mitte April. Sie wurde nicht deshalb widerrufen, weil
die Schneeräumung auf der Strasse nach Melchsee-Frutt unmöglich geworden
wäre, sondern weil das Militär die Schneeräumungsarbeiten mit einer
Woche Verspätung aufnahm. Diese Verspätung ist darauf zurückzuführen,
dass auf die Luftseilbahn Stöckalp-Frutt Rücksicht genommen wurde,
die ihren Betrieb eine Woche länger, als ursprünglich vorgesehen worden
war, aufrechterhielt; die Schneeräumungsarbeiten auf der Strasse hätten
die Skipiste unpassierbar gemacht. Wenn das Militär sich entschloss,
auf die Luftseilbahn und deren Benützer Rücksicht zu nehmen, auf die
Quartiervorbereitungen der Beschwerdeführerin jedoch nicht, so beruht
dies nicht auf höherer Gewalt. Die Verspätung in der Schneeräumung auf
der Strasse war keineswegs unvermeidlich. Die Haftpflicht des Bundes kann
daher nicht unter Berufung auf höhere Gewalt ausgeschlossen werden.

    Ob die Truppe eine Sorgfaltsnorm verletzt und damit schuldhaft
gehandelt habe, kann offen bleiben. Die Haftung des Bundes besteht hier
unabhängig vom Verschulden des Wehrmannes. Ist aber die Haftung zu bejahen,
so kann auch dahingestellt bleiben, ob das Militär mit dem Widerruf des
Belegungsbescheides den Grundsatz von Treu und Glauben verletzt habe.

Erwägung 6

    6.- Der Entscheid der Rekurskommission, der die Haftung des Bundes
gestützt auf Art. 22 MO verneint, verletzt demnach Bundesrecht und ist
aufzuheben.

    Der angefochtene Entscheid enthält keine Ausführungen darüber, ob
der Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Verhalten des Militärs
und den einzelnen geltend gemachten Schadenspositionen gegeben ist. Die
Rekurskommission hat auch die Höhe der Ersatzansprüche nicht überprüft. Sie
hat ferner offengelassen, ob die Beschwerdeführerin das ihr Zumutbare
unternommen habe, um den ihr durch die Abbestellung der Unterkunft
drohenden Schaden abzuwenden oder mindestens zu vermindern. Auch die
erste Instanz, das OKK (Art. 39 Abs. 4 BVA), hatte sich mit diesen Fragen
nicht auseinandergesetzt. Die Sache ist daher an das OKK zurückzuweisen
(Art. 114 Abs. 2 OG).

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird insofern gutgeheissen, als der angefochtene
Entscheid aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der
Erwägungen an das Eidg. Oberkriegskommissariat zurückgewiesen wird.