Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IB 21



102 Ib 21

5. Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. April 1976 i.S. Schnydrig Hoch-
und Tiefbau AG gegen Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements des
Kantons Wallis Regeste

    Handelsregister. Herabsetzung des Grundkapitals. Irrtum.

    Ist die Erhöhung des Grundkapitals in das Handelsregister eingetragen
worden, so sind die zur Liberierung der Aktien verwendeten Beträge auch
Dritten gegenüber Teil des Grundkapitals und können daher nur im Verfahren
gemäss Art. 732 f. OR wieder den Reserven zugeschlagen werden (Erw. 2).

    Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR. Der Irrtum der Aktionäre über die
Besteuerung von Gratisaktien als Einkommen betrifft nur den Beweggrund
(Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Die Aktionäre der Schnydrig Hoch- und Tiefbau AG beschlossen
am 5. September 1975 in einer Universalversammlung, das Grundkapital
der Gesellschaft von Fr. 185'000.-- durch Ausgabe von 315 Namenaktien
zu Fr. 1'000.-- auf Fr. 500'000.-- zu erhöhen und die neuen Aktien aus
offenen Reserven zu liberieren. Der Beschluss wurde am 19. September
1975 in das Handelsregister eingetragen und am 30. September 1975 im
Schweizerischen Handelsamtsblatt veröffentlicht.

    Der Berater der Aktionäre soll kurz nachher festgestellt haben,
dass sie die gratis übernommenen neuen Aktien als Einkommen versteuern
müssten. Eine Universalversammlung vom 2. Dezember 1975 liess daher
öffentlich beurkunden, die Kapitalerhöhung vom 5. September sei für die
Aktionäre in Unkenntnis der steuerrechtlichen Folgen beschlossen worden;,
sie werde rückgängig gemacht und das Grundkapital bleibe auf der Höhe
von Fr. 185'000.--.

    B.- Das Handelsregisteramt Oberwallis lehnte die Eintragung dieses
Beschlusses am 22. Dezember 1975 mit der Begründung ab, das Grundkapital
könne nur im Verfahren gemäss Art. 732 ff. OR auf den früheren Betrag
von Fr. 185'000.-- herabgesetzt werden.

    Eine von der Schnydrig Hoch- und Tiefbau AG geführte Beschwerde wurde
vom Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartementes des Kantons Wallis am
30. Januar 1976 abgewiesen.

    C.- Die Schnydrig Hoch- und Tiefbau AG führt gegen diesen Entscheid
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie beantragt, ihn aufzuheben und den
Handelsregisterführer anzuweisen, den Widerruf des Beschlusses auf
Kapitalerhöhung einzutragen.

    Der Vorsteher des kantonalen Justiz- und Polizeidepartementes und das
Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beantragen, die Beschwerde
abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerdeführerin betrachtet den Beschluss vom 5.  September
1975 als gültig angemeldet und eingetragen. Sie hat ihn am 2. Dezember
1975 durch einen neuen Beschluss förmlich "rückgängig gemacht", Art. 3 der
Statuten entsprechend geändert und den neuen Beschluss zur Eintragung
angemeldet. Die vom Bundesgericht am 11. Februar 1975 i.S. Höchst
Aktiengesellschaft gegen Amt für geistiges Eigentum offengelassene
Frage, ob eine gegenüber einer Registerbehörde abgegebene Erklärung -
es handelte sich um den Rückzug eines Patentgesuches - unter Berufung
auf Irrtum widerrufen werden könne, stellt sich daher nicht. Vielmehr ist
zu entscheiden, ob die Art. 732-735 OR und Art. 84 HRegV nicht beachtet
zu werden brauchen, wenn das Grundkapital einer Aktiengesellschaft nur
deshalb herabgesetzt wird, weil eine vorausgegangene Erhöhung um den
gleichen Betrag unter wesentlichem Irrtum zustande gekommen ist.

Erwägung 2

    2.- Der Wortlaut der erwähnten Bestimmungen spricht für die Verneinung
dieser Frage. Nach Art. 732 Abs. 1 OR braucht das für die Herabsetzung
vorgesehene Verfahren nicht eingehalten zu werden, wenn eine Gesellschaft
das Grundkapital herabsetzt und es gleichzeitig durch neues und voll
einzubezahlendes Kapital ersetzt. Das ist zulässig, weil die Interessen
der bisherigen Gläubiger nicht beeinträchtigt werden.

    Die Art. 732 ff. OR bezwecken den Schutz der Gläubiger. Das ergibt
sich nicht nur aus Abs. 1 des Art. 732 OR, sondern auch aus Abs. 2, wonach
der Beschluss auf Herabsetzung des Grundkapitals nur gefasst werden darf,
wenn durch einen besonderen Revisionsbericht festgestellt ist, dass die
Forderungen der Gläubiger trotz der Herabsetzung des Kapitals voll gedeckt
sind. Der gleiche Gedanke spricht aus Art. 732 Abs. 4, wonach ein aus der
Kapitalherabsetzung allfällig sich ergebender Buchgewinn ausschliesslich
zu Abschreibungen zu verwenden ist. Der Zweck des Gläubigerschutzes
erhellt sodann namentlich aus Art. 733, der die Verwaltung verpflichtet,
den Herabsetzungsbeschluss dreimal im Schweizerischen Handelsamtsblatt
zu veröffentlichen und den Gläubigern bekanntzugeben, dass sie unter
Anmeldung ihrer Forderungen Befriedigung oder Sicherstellung verlangen
können, sowie aus Art. 734 OR, wonach die Herabsetzung des Grundkapitals
erst nach Ablauf der den Gläubigern gesetzten Frist von zwei Monaten
und nach der Befriedigung oder Sicherstellung der angemeldeten Gläubiger
durchgeführt und erst dann in das Handelsregister eingetragen werden darf,
wenn durch öffentliche Urkunde festgestellt ist, dass die Vorschriften
der Art. 732 ff. erfüllt worden sind. Art. 735 OR sieht eine Vereinfachung
des Verfahrens nur vor, wenn das Grundkapital zur Beseitigung einer durch
Verluste entstandenen Unterbilanz herabgesetzt wird und der Betrag der
Herabsetzung nicht grösser ist als der Fehlbetrag der Unterbilanz; in
einem solchen Falle können die Aufforderung an die Gläubiger und deren
Befriedigung oder Sicherstellung unterbleiben. Die Voraussetzung dieser
Vereinfachung bestätigt den erwähnten Zweck der Art. 732 ff. OR. Art. 84
HRegV sodann enthält nichts, was ihn zu widerlegen vermöchte.

    Ein Irrtum, in dem die Aktionäre befangen waren, als sie einen der
Herabsetzung vorausgegangenen Beschluss auf Erhöhung des Grundkapitals
fassten, kann daher nicht von der Einhaltung dieser Bestimmungen
entbinden. Er ändert nichts daran, dass die Gläubiger sich seit der
Eintragung der Statutenänderung über die Erhöhung des Grundkapitals auf
dieses verlassen durften (Art. 647 Abs. 3, 653 OR) und durch dasselbe
bestimmt worden sein können, ihre Forderungen zu erwerben oder stehen zu
lassen. Das Bundesgericht hat denn auch schon öfters entschieden, dass die
Zeichnung von Aktien nicht mehr wegen Willensmängeln angefochten werden
kann, sobald die Gesellschaft bzw. die Erhöhung ihres Grundkapitals in
das Handelsregister eingetragen worden ist (BGE 32 II 102 Erw. 6, 39 II
533 Erw. 3, 41 II 726 Erw. 10, 41 III 147 Erw. 3, 49 II 497, 51 II 181,
64 II 281). Auf dem gleichen Boden steht das Schrifttum (z.B. GUHL, SAG 7
165 ff., 185 ff.; SIEGWART, Vorbemerkungen zu Art. 629-639 N. 33; F. VON
STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft, 4. Aufl. 107, 302). Was aber
der Zeichner von Aktien nicht tun kann, muss auch der Aktiengesellschaft
verwehrt sein, wenn sie die neuen Aktien aus Reserven liberiert und sie
den Aktionären gratis abgibt. Sobald die Erhöhung des Grundkapitals in
das Handelsregister eingetragen worden ist, sind die zur Liberierung
verwendeten Beträge auch Dritten gegenüber Teil des Grundkapitals und
können daher nicht ohne Beachtung des Verfahrens nach Art. 732 OR wieder
den Reserven zugeschlagen werden.

    Die Auffassung der Beschwerdeführerin, die Interessen der Gläubiger
würden dadurch nicht verletzt, hält nicht stand, denn die Gesellschaft
kann über ihr Grundkapital - das den Gläubigern als Garantie gilt
(BGE 65 I 148 f.) - nicht frei verfügen, wohl aber über ihre Reserven,
soweit deren Verwendung nicht durch Art. 671 Abs. 3 OR beschränkt ist
(F. VON STEIGER, aaO 293). Die Beschwerdeführerin und ihre Aktionäre
haben kein schutzwürdiges Interesse, das Verfahren nach Art. 732 ff. OR
zu umgehen. Das Interesse, Kosten einzusparen, kann nicht berücksichtigt
werden, und ebensowenig kommt auf das allfällige fiskalische Interesse
der Aktionäre an der rückwirkenden Aufhebung der Kapitalerhöhung etwas an.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin hat das Verfahren nach Art. 732 ff. OR
nicht eingehalten. Die vorgelegten Erklärungen einiger Hauptgläubiger,
sie hätten gegen die Aufhebung der Kapitalerhöhung nichts einzuwenden,
und das Angebot der Beschwerdeführerin, auch von den übrigen Gläubigern
solche Erklärungen beizubringen, vermögen die vom Gesetz vorgeschriebenen
Massnahmen nicht zu ersetzen. Die Beschwerdeführerin verkennt insbesondere,
dass eine Anfrage an Personen, die sie als Gläubiger betrachtet, nicht
genügt. Durch öffentliche Bekanntmachung muss jedermann Gelegenheit
erhalten, auch allfällige der Beschwerdeführerin nicht bekannte Forderungen
anzumelden und deren Befriedigung oder Sicherstellung zu verlangen.

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerde wäre übrigens auch abzuweisen, wenn an sich ein
Beschluss auf Kapitalerhöhung unter Berufung auf Art. 24 OR ohne Beachtung
des vorgeschriebenen Verfahrens rückgängig gemacht werden könnte. Der
behauptete Irrtum der Aktionäre betraf nur den Beweggrund, was auch die
Beschwerdeführerin annimmt, beruft sie sich doch nur auf Art. 24 Ziff. 1
Abs. 4 OR. Nach dieser Bestimmung wäre der Irrtum nur wesentlich, wenn
die Irrenden den Sachverhalt, den sie sich vorstellten, nach Treu und
Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des "Vertrages"
betrachten durften (BGE 97 II 45 mit Hinweisen auf frühere Urteile). Wollte
man den Beschluss auf Erhöhung des Kapitals einem Vertrag gleichsetzen,
so wären die Gesellschaftsgläubiger die Gegenpartei der Beschwerdeführerin
oder der sich irrenden Aktionäre. Nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr
ist aber die Nichtbesteuerung von Gratisaktien als Einkommen der
Aktionäre nicht eine notwendige Grundlage der Kapitalerhöhung. Die
Gesellschaftsgläubiger dürfen gegenteils voraussetzen, die Kapitalerhöhung
werde nicht wegen des Interesses der Aktionäre, für die Gratisaktien nicht
besteuert zu werden, ohne Beachtung des Verfahrens nach Art. 732 ff. OR
zu Fall gebracht. Da nur die Gesellschaft ihre Schuldnerin ist, können
private Interessen der Aktionäre ihnen gegenüber keine Rolle spielen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.