Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IB 182



102 Ib 182

29. Urteil vom 22. September 1976 i.S. Genossenschaft Hobel gegen SBB
und Eidg. Schätzungskommission 10. Kreis. Regeste

    Art. 19 lit. c EntG, Grundstückgewinnsteuer.

    Bei Anlass der Enteignung erhobene Grundstückgewinnsteuern sind dem
Enteigneten auch dann nicht zu vergüten, wenn diesem infolge Landabtausch
kein Grundstückgewinn in Geld zufliesst (Ergänzung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Die Genossenschaft Hobel, die in Zürich einen Schreinereibetrieb
führt, tauschte im November 1970 mit den SBB in einem als
Expropriationsvertrag bezeichneten Vergleich eine Parzelle gegen eine
andere. Die Parteien vereinbarten ferner:

    "Die aus diesem Rechtsgeschäft resultierende Grundstückgewinnsteuer ist
   von der Expropiatin zu alleinigen Lasten zu übernehmen. Sie behält
   sich jedoch vor, die von ihr zu bezahlende Grundstückgewinnsteuer als
   mittelbaren Schaden gegenüber der SBB im laufenden Enteignungsverfahren
   geltend zu machen."

    Die Stadt Zürich setzte in der Folge die von der Genossenschaft
Hobel zu leistende Grundstückgewinnsteuer auf Fr. 93'910.-- fest. Die
Genossenschaft war - und ist noch heute - der Auffassung, dass die Steuer
in der genannten Höhe geschuldet war, und liess daher die Einschätzung in
Rechtskraft erwachsen. Am 30. Januar 1975 meldete sie den Betrag der Steuer
als Enteignungsforderung an. Sie wusste zwar, dass das Bundesgericht in
BGE 100 Ib 71 ff. bestätigt hatte, dass die anlässlich einer Enteignung
erhobenen Grundstückgewinnsteuern nach Art. 19 EntG vom Enteigner nicht zu
vergüten sind, hielt aber dafür, dies gelte nur für den Regelfall, dass
dem Enteigneten ein Grundstückgewinn in Geld zufliesse, nicht dagegen,
wenn ihm der Enteigner im Rahmen eines Enteignungsvertrages Realersatz
leiste. Die SBB bestritten die Entschädigungspflicht für die Steuern
mit der Begründung, die bundesgerichtliche Rechtsprechung sei auch im
vorliegenden Fall anwendbar, und zudem habe die Genossenschaft Hobel die
Grundstückgewinnsteuer zu Unrecht anerkannt.

    Der vom Präsidenten der Eidg. Schätzungskommission (ESchK) des
10. Kreises eingeholte Amtsbericht der Finanzdirektion des Kantons
Zürich vom 29. Juli 1975 bejahte, dass die der Genossenschaft Hobel
auferlegte Steuer tatsächlich geschuldet gewesen sei. Die ESchK
entschied darauf, dass die Grundstückgewinnsteuer vom Enteigner nicht zu
entschädigen sei, und wies deshalb die Forderung am 11. März 1976 ab. -
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde verlangt die Genossenschaft Hobel
die Aufhebung dieses Entscheides und die Zusprechung des Betrages von
Fr. 93'910.-- nebst Zins. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab,
aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die ESchK konnte ohne Verletzung von Bundesrecht davon ausgehen,
die seitens der Stadt Zürich von der Beschwerdeführerin geforderte
Grundstückgewinnsteuer sei nach zürcherischem Recht geschuldet; der
Amtsbericht der kantonalen Finanzdirektion erbrachte dafür den nach
Bundesrecht genügenden Beweis. Es kann nicht Aufgabe des Bundesgerichts
sein, im vorliegenden Verfahren die Richtigkeit der Auffassung der
Finanzdirektion zu überprüfen.

    Wohl kann man sich fragen, ob bei einem Landabtausch im Rahmen eines
Enteignungsverfahrens überhaupt im Sinne von § 161 Abs. 1 StG des Kantons
Zürich ein "Gewinn erzielt" wird; es mag auch stossend sein, wenn das
kantonale Steuergesetz einen zwangsweisen Landabtausch im Rahmen eines
Enteignungsverfahrens nicht einer Güterzusammenlegung oder Quartierplanung
im Sinne von § 161 Abs. 3 lit. e StG gleichstellt (vgl. dazu ERNST HÖHN,
Die Problematik der zürcherischen Grundstückgewinnsteuer, ZBl 59/1958, 218;
KUTTLER, Die Bodenversteuerung als Rechtsproblem, ZSR 1964 II 214). Allein
für das vorliegende Verfahren ist vom Bestehen der Steuerschuld
auszugehen. Kein bundesrechtlicher Grundsatz hindert den Kanton Zürich,
auch bei Tauschgeschäften die Wertsteigerung auf dem in Tausch gegebenen
Grundstück zu erfassen. Selbst harte und allenfalls unbillige Entscheide
im kantonalen Steuerrecht halten gegebenenfalls vor dem Willkürverbot und
der Eigentumsgarantie stand, wenn sie als systemkonforme Auslegungen des
kantonalen Steuergesetzes betrachtet werden müssen (vgl. BGE 102 Ia 224
E. c). Auf jeden Fall liegt keine Güterzusammenlegung oder Quartierplanung
im Sinne von § 161 Abs. 3 lit. e StG vor. Die Beschwerdeführerin konnte
aus Art. 18 EntG auch keinen Rechtsanspruch auf Realersatz ableiten.

    Zu prüfen ist vielmehr ausschliesslich, ob in Durchbrechung der
Grundsätze von BGE 100 Ib 71 ff. ausnahmsweise der Enteigner für die
von der Enteigneten bezahlte Grundstückgewinnsteuer aufzukommen hat,
wenn die Enteignete für das enteignete Grundstück kein Geld, sondern
ein Ersatzgrundstück in annähernd gleicher Grösse und Lage erhalten hat,
auf dem sie ihr Gewerbe weiterführen kann.

Erwägung 2

    2.- In BGE 100 Ib 74 hat das Bundesgericht bestätigt, dass der
Enteignete grundsätzlich weder die volle Grundstückgewinnsteuer überwälzen
könne noch jenen Teil, um den die Steuer höher ausfällt, weil infolge der
vorzeitigen Veräusserung ein höherer Steuersatz zur Anwendung kommt. In
der Regel sei es jedenfalls zu rechtfertigen, dass der Enteignete diesen
Nachteil auf sich nehmen müsse, da er dafür auch früher in den Besitz
des Gegenwertes des Wertzuwachses gelange. Im genannten Urteil kam
dem Beschwerdeführer dieser Vorteil der freien Verfügbarkeit über die
Entschädigungssumme zu; das Urteil betraf also einen Regelfall. Die
heutige Beschwerdeführerin war hingegen in ihrer Verfügungsbefugnis
stärker eingeengt; sie musste froh sein, dass ihr von der Enteignerin
überhaupt ein Ersatzgrundstück zum Tausch angeboten wurde.

    Die SBB und die ESchK halten jedoch dafür, dass es unerheblich sein
müsse, ob der Enteigner dem Enteigneten eine Tauschliegenschaft anbieten
kann oder ob der Enteignete selbst ein Ersatzgrundstück suchen muss. In
beiden Fällen sei die Enteignung nicht der Rechtsgrund, sondern nur der
äussere Anlass zur Besteuerung eines Grundstückgewinnes. Diese Steuer
beruhe auf dem Wertzuwachs und sei nur nebensächlich mit der Enteignung
verbunden - insofern, als der Wertzuwachs mit der Enteignung sichtbar
werde. Der Bund könne nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass der
kantonale Gesetzgeber keine befriedigende Regelung geschaffen habe, etwa
indem er einen zeitlichen Aufschub der Besteuerung in Enteignungsfällen
gewähre. Also müsse der Enteignete als Steuerpflichtiger diese öffentlichen
Lasten tragen.

    a) Diese Auffassung hat die logische Konsequenz für sich. Es ist
schwer einzusehen, weshalb der Enteigner schlechter gestellt werden
soll, wenn er dem Enteigneten ein Ersatzgrundstück anbieten kann, als
wenn er lediglich Entschädigung bezahlt und es dem Enteigneten überlässt,
selbst ein Ersatzgrundstück zu suchen. Im einen wie im andern Fall hat der
Enteigner den Wertzuwachs des enteigneten Grundstücks nicht verursacht, und
für den Enteigneten als Inhaber des Gewerbebetriebes besteht grundsätzlich
die gleiche Zwangslage. Er kommt durch die Enteignung nicht in den Besitz
eines frei verfügbaren Gegenwertes, sondern muss sich ein - in der Regel
wertgleiches - Ersatzgrundstück beschaffen. Wirtschaftlich gesehen wird
deshalb in beiden Fällen kein frei verfügbarer Gewinn realisiert. Wenn
der kantonale Steuergesetzgeber Enteignungen mit Landabtausch nicht den
Landumlegungen nach Nationalstrassengesetz gleichstellt, sondern die
Grundstückgewinnsteuer erhebt (REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, N. 166 zu §
161 StG), ist nicht einzusehen, weshalb bei Enteignungen mit Landabtausch
innerhalb der steuerberechtigten Gemeinde eine Steuerüberwälzung auf den
Enteigner stattfinden soll, in allen andern Fällen dagegen nicht. Mit oder
ohne Zurverfügungstellen eines Ersatzgrundstückes durch den Enteigner
löst die zwangsweise Handänderung die Grundstückgewinnsteuer aus. Die
Problematik des Kausalzusammenhangs zwischen der Enteignung und der
durch die Steuer verursachten Vermögensverminderung des Enteigneten ist
in beiden Fällen die gleiche.

    b) Das Hauptargument der Beschwerdeführerin geht dahin, es sei kein
Mehrwert realisiert worden, weil die Beschwerdeführerin ein Grundstück
in gleicher Grösse und Lage erhalten habe; wenn ein Steuergesetz so hart
sei, dass auch nicht realisierte Mehrwerte versteuert werden müssten,
so erscheine die Vermögenseinbusse des Enteigneten als mittelbare Folge
der Enteignung. Nach dieser Auffassung ist eine Grundstückgewinnsteuer
dann als weiterer Nachteil im Sinne von Art. 19 lit. c EntG zu betrachten,
wenn sie den Enteigneten besonders hart trifft. Das soll nach Meinung der
Beschwerdeführerin bei einem Landabtausch wie hier der Fall sein. Allein
der Umstand, ob eine durch die Enteignung ausgelöste Steuer bestimmte
Enteignete härter oder schwächer trifft als andere, kann kein taugliches
Kriterium dafür sein, ob die Steuer ausnahmsweise als Nachteil im Sinne
von Art. 19 lit. c EntG zu betrachten und deshalb vom Enteigner statt
vom Enteigneten zu tragen ist. Der blosse Umstand, dass der Enteigner -
im vorliegenden Fall der Bund - zahlungskräftiger ist als der Enteignete,
kann kein Grund zur Überwälzung von harten Steuerlasten sein. Entweder
rechnet das EntG die öffentlichen Lasten zu den Nachteilen im Sinne von
Art. 19 lit. c EntG oder nicht; es kann keine Ausnahme gemacht werden
nach dem Kriterium, wie schwer die Steuer die Enteigneten trifft.

    c) Entscheidend ist ferner, dass bei voller Überwälzung der
Grundstückgewinnsteuer auf die Enteignerin die Enteignete mehr als den
blossen Nachteilsausgleich erhielte. Denn durch die Bezahlung wird eine
Steuerschuld gelöscht, die ohne Enteignung weiterhin latent auf dem
Grundbesitz der Enteigneten gelastet hätte, auch wenn ungewiss ist,
wann es zu einer Realisierung des Grundstückgewinnes gekommen wäre.

    d) Aus den zivilrechtlichen Lehren über den adäquaten
Kausalzusammenhang lässt sich für die Lösung des vorliegenden Falles nichts
gewinnen. Steuern wirken für den Steuerträger immer vermögensmindernd und
nach dem in BGE 100 Ib 74 erneut überprüften Willen des Gesetzgebers müssen
diese Vermögensminderungen nicht vom Enteigner übernommen werden. Die
Beschwerdeführerin kann deshalb keine Ausnahmebehandlung beanspruchen, auch
wenn sie auf das Ersatzgrundstück angewiesen war und somit wirtschaftlich
gesehen nicht die Möglichkeit hatte, über die Gegenleistung für die
enteignete Liegenschaft frei zu verfügen. Selbst wenn die Argumentation,
die das Bundesgericht in BGE 100 Ib 74 zur Rechtfertigung der Lösung des
Gesetzgebers angeführt hat, im vorliegenden Falle nicht durchgreift,
muss es dennoch bei der vom Gesetzgeber gewollten Lösung bleiben. Die
Beschwerde ist daher abzuweisen.