Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IB 137



102 Ib 137

24. Urteil des Kassationshofes vom 11. Juni 1976 i.S. W. gegen
Regierungsrat des Kantons Luzern Regeste

    Art. 4 der Verordnung 1 zum StGB.

    Die Kantone können die Höchstdauer der in der Form der
Halbgefangenschaft vollziehbaren Strafen auf weniger als drei Monate
begrenzen.

Sachverhalt

    A.- Das Obergericht des Kantons Luzern verurteilte W. am 19.  Dezember
1974 zu einem Monat Gefängnis, abzüglich einen Tag Untersuchungshaft,
und widerrief gleichzeitig den vom Amtsstatthalteramt Luzern-Stadt am 13.
August 1973 für eine Gefängnisstrafe von acht Tagen gewährten bedingten
Strafvollzug.

    Das Amtsstatthalteramt Luzern-Land lehnte am 13. Oktober 1975 ein
Gesuch des Verurteilten um Vollzug der beiden Gefängnisstrafen in
Form der Halbgefangenschaft ab. Die gegen diese Verfügung geführte
Verwaltungsbeschwerde wies der Regierungsrat des Kantons Luzern am
22. März 1976 gestützt auf § 1 Abs. 1 der von ihm am 7. April 1975
erlassenen Verordnung über den Vollzug kurzfristiger Freiheitsstrafen ab,
welcher die Form der Halbgefangenschaft nur für die Vollstreckung von
Freiheitsstrafen bis zu einem Monat zulässt.

    B.- W. führt gegen diesen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde
mit dem Antrag, die Sache an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung
zurückzuweisen, eventuell den Vollzug der gegen ihn ausgesprochenen
Freiheitsstrafen in Form der Halbgefangenschaft zu gewähren. Er
macht geltend, gemäss Art. 4 Abs. 1 der Verordnung des Bundesrates
zum Schweizerischen Strafgesetzbuch vom 13. November 1973 (VStGB 1)
seien, wenn ein Kanton den Vollzug von Freiheitsstrafen in der Form der
Halbgefangenschaft einführe, sämtliche Gefängnisstrafen von nicht mehr
als drei Monaten in dieser Weise zu vollstrecken. Die Verweigerung der
Halbgefangenschaft für die an ihm zu vollziehenden Strafen sei daher
bundesrechtswidrig.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Die vom Bundesrat gestützt auf Art. 397bis StGB erlassene
Verordnung vom 13. November 1973 zum Schweizerischen Strafgesetzbuch
(VStGB 1: SR 311.01) gestattet in Art. 4 Abs. 1 den Kantonen, für
Einschliessungsstrafen, Haftstrafen und Gefängnisstrafen bis zu drei
Monaten den Vollzug in der Form der Halbgefangenschaft (semi-détention)
einzuführen. Diese besteht darin, dass der Verurteilte nur die Ruhe-
und Freizeit in der Anstalt zu verbringen hat, seine bisherige Arbeit
oder Ausbildung aber ausserhalb der Anstalt fortsetzen kann (Abs. 3).

    Art. 4 VStGB (1) schafft die bisher fehlende Rechtsgrundlage für den
Vollzug kurzer Freiheitsstrafen in der Form der Halbgefangenschaft,
die schon früher vereinzelt Anwendung fand. Die Kantone werden
indessen zur Einführung dieser Vollzugsform nur ermächtigt, nicht
verpflichtet. Abgesehen davon, dass der Bund den zulässigen Maximalrahmen
festsetzt, wird die den Kantonen erteilte Ermächtigung in keiner Richtung
eingeschränkt oder mit Auflagen versehen. Sie sind also nicht bloss frei,
die Halbgefangenschaft einzuführen oder davon abzusehen, sondern es wird
ihnen auch anheimgestellt, in welcher Weise und in welchem Umfang sie von
der Befugnis Gebrauch machen wollen. Das schliesst auch die Möglichkeit
ein, die Halbgefangenschaft auf einzelne der in der Verordnung genannten
Strafarten zu beschränken oder nur für Strafen von kürzerer Dauer
einzuführen. Ein Kanton, der einen Versuch mit der Halbgefangenschaft
machen will, ist also nicht gehalten, sie für Gefängnisstrafen bis zu
drei Monaten zu gewähren, sondern kann, wie es im Kanton Luzern geschehen
ist, die Grenze der Strafdauer z.B. auf einen Monat herabsetzen. Gegen
die vom Beschwerdeführer vertretene Auffassung, dass die Kantone nur
die Wahl hätten, entweder die bundesrechtliche Höchstdauer der Strafen
anzunehmen oder aber auf die Einführung der Halbgefangenschaft überhaupt
zu verzichten, spricht schon der Wortlaut der Verordnung, der den Ausdruck
"gestatten" verwendet, der weiter geht als das Wort "können", und dass
die Verordnung nur die Art der Freiheitsstrafen und die obere Grenze
der Strafdauer festlegt, im übrigen aber keine abschliessende Ordnung
aufstellt, sondern die Regelung der Voraussetzungen und Bedingungen der
Halbgefangenschaft den Kantonen überlässt. Die vom Beschwerdeführer
gewünschte Auslegung würde sich auch mit dem Sinn und Zweck der
Verordnung nicht vertragen. Die Einrichtung der Halbgefangenschaft
ist bei der grossen Mehrheit der Kantone auf Widerstand gestossen, und
vor einer obligatorischen Einführung müssen, wie aus den Erläuterungen
des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 7. November
1973 hervorgeht, vorerst Erfahrungen gesammelt werden, die unter den
gegebenen Umständen nur zu erhalten sind, wenn den Kantonen ein weiter
Ermessensspielraum eingeräumt wird. Dass eine fakultative Ordnung der
vorliegenden Art eine unterschiedliche Behandlung der Verurteilten zur
Folge hat, ist unvermeidlich und muss in Kauf genommen werden.

    § 1 Abs. 1 der luzernischen Verordnung vom 7. April 1975 über den
Vollzug kurzfristiger Freiheitsstrafen ist somit nicht bundesrechtswidrig
und demzufolge auch nicht der Entscheid des Regierungsrates, die
Halbgefangenschaft für eine länger als einen Monat dauernde Gefängnisstrafe
abzulehnen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.