Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IA 417



102 Ia 417

59. Auszug aus dem Urteil vom 29. September 1976 i.S. X. gegen Y. und
Appellationshof (II. Zivilkammer) des Kantons Bern Regeste

    Art. 4 BV; Arbeitsrecht.

    Ungültigkeit einer Übereinkunft, nach welcher der Arbeitnehmer auf
die Einhaltung der zwingend vorgesehenen Minimalkündigungsfrist durch
den Arbeitgeber verzichtet, um diesem die Einschränkung seiner Leistungen
zu erlauben.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- c) Wenn Art. 336b OR in Verbindung mit Art. 361 und 341 Abs. 1
OR den Arbeitnehmer gegen eine einseitige Kündigung des Vertrages
schützt, welche die minimale Kündigungsfrist von einem Monat nicht
berücksichtigt, so untersagt er den Parteien nicht, den Vertrag jederzeit
durch gegenseitige Übereinkunft aufzuheben, wobei diese Übereinkunft
selbst stillschweigend erfolgen kann, jedoch nicht vermutet werden darf
und unzweifelhaft sein muss (OSER/SCHÖNENBERGER, Komm. zum OR, 2. A.,
N. 2 zu Art. 345 S. 1307; HUG, Das Kündigungsrecht, Diss. Zürich 1926,
Band II, S. 38/9). Auf diese Art kann aber nicht vorgegangen werden,
wenn es sich nicht darum handelt, das Arbeitsverhältnis wirklich zu
beenden, sondern der Arbeitgeber den Arbeitnehmer einlädt, einen neuen
Vertrag im gleichen Unternehmen abzuschliessen, um zu erreichen, dass
der Arbeitnehmer auf gewisse Leistungen verzichtet, die er auf Grund der
zwingenden Bestimmungen des Gesetzes oder eines Gesamtarbeitsvertrages
beanspruchen könnte. Eine solche Änderung des Vertrages ist gemäss
Art. 341 Abs. 1 OR ungültig, da sie die Anwendung von Vorschriften zu
umgehen versucht, deren zwingende Natur zeigt, dass sie zum Schutze des
Arbeitnehmers aufgestellt worden sind. Beim Erlass des Art. 341 Abs. 1 OR
ging der Gesetzgeber von der Überlegung aus, dass sich der Arbeitnehmer
während der Dauer des Vertrages in den meisten Fällen in wirtschaftlicher
Abhängigkeit vom Arbeitgeber befinde und sich infolgedessen gezwungen
sehen könnte, einer Einschränkung seiner Rechte zuzustimmen, um den
Verlust seiner Stelle zu vermeiden. Soweit diese Einschränkung der Rechte
ein Abweichen von einer gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmung
bewirkt, welche zwingender Natur ist, ist sie rechtlich ungültig
(SCHWEINGRUBER, Kommentar zum Arbeitsvertrag, Ziff. 1 ff. zu Art. 341,
S. 314 ff.; BERENSTEIN, La nouvelle réglementation du contrat de travail,
in Mitteilungen des Schweiz. Anwaltsverbandes, Heft Nr. 45, September
1974, S. 16/17). Wenn dem Arbeitnehmer in Anwendung von Art. 336b OR eine
zwingend vorgesehene Minimalkündigungsfrist von einem Monat zugute kommt,
so dürfte eine Übereinkunft, durch die er auf die Einhaltung dieser Frist
verzichtet, um dem Arbeitgeber die Einschränkung seiner Leistungen zu
erlauben, vom Richter nicht geschützt werden.