Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 V 81



101 V 81

14. Urteil vom 29. April 1975 i.S. Sch. gegen Caisse de compensation
de la Fédération genevoise des sociétés de détaillants und Kantonale
Rekurskommission für die Ausgleichskassen Regeste

    Art. 20 Abs. 3 und Art. 23 Abs. 4 AHVV.

    - Persönliche Beitragspflicht des als Treuhänder an einer
Kollektivgesellschaft beteiligten Versicherten.

    - Wer beitragspflichtig ist, bestimmt sich nicht nach steuerrechtlichen
Kriterien.

Sachverhalt

    A.- Der in Basel wohnhafte Sch. ist Direktor der Firma O. AG.
Als deren Treuhänder ist er im August 1970 in die Kollektivgesellschaft
D. & Co. eingetreten. Die zum Erwerb der Beteiligung an der Firma D. & Co.
erforderlichen Mittel wurden von der Firma O. AG aufgebracht, welcher auch
sämtliche Erträgnisse aus der durch Sch. ausgeübten Beteiligung zufliessen.
Grundlage des Treuhandverhältnisses ist der Treuhandvertrag vom 18. Oktober
1971. Darnach ist Sch. Gesellschafter der D. & Co., welche Stellung er
"gänzlich für Rechnung und Gefahr" der Aktiengesellschaft innehat; deren
Weisungen und Richtlinien sind für ihn verbindlich; die Entschädigung
für die Tätigkeit als Gesellschafter "ist in derjenigen inbegriffen,
welche er für seine übrige Tätigkeit als Direktor des Auftraggebers und
dessen Konzerngesellschaften erhält".

    Die Caisse de compensation de la Fédération genevoise des sociétés
de détaillants stellte fest, dass Sch. für die ersten sechs Monate
seiner Tätigkeit in der D. & Co. einen Gewinnanteil von Fr. 330'112.--
erhalten hatte, rechnete diesen Betrag auf ein Jahreseinkommen um
und ermittelte nach Abzug des Zinses des im Betrieb investierten
Eigenkapitals ein Einkommen von Fr. 628'774.--. Auf dieser Grundlage
setzte die Ausgleichskasse die von Sch. für die Zeit vom August 1970 bis
September 1971 geschuldeten persönlichen Sozialversicherungsbeiträge
fest. Die entsprechende Kassenverfügung vom 21. Oktober 1971 ist von
der AHV-Rekurskommission des Kantons Genf am 12. Mai 1972 bestätigt
worden. Die dagegen eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde hat das
Eidg. Versicherungsgericht mit Entscheid vom 26. Oktober 1972 abgewiesen
(BGE 98 V 191).

    B.- Mit Verfügung vom 8. April 1974 eröffnete die Ausgleichskasse
dem Sch., dass er für die Jahre 1974 und 1975 persönliche
Sozialversicherungsbeiträge von je Fr. 53'640.-- zu bezahlen habe. Dieser
Forderung legte sie ein nach Abzug des Eigenkapitalzinses verbliebenes
mittleres Jahreseinkommen von Fr. 670'515.-- aus selbständiger
Erwerbstätigkeit der Jahre 1971/72 zugrunde.

    C.- Sch. liess gegen diese Verfügung bei der Kantonalen
Rekurskommission für die Ausgleichskassen, Basel, Beschwerde erheben, indem
er unter anderem geltend machte: Die Erträgnisse aus der Beteiligung an
der D. & Co. würden ungeschmälert der Aktiengesellschaft abgeliefert. Die
Eidgenössische Wehrsteuerverwaltung habe es bezüglich der Wehrsteuer als
zulässig anerkannt, dass seine Beteiligung an der Kollektivgesellschaft
D. & Co. der O. AG zugerechnet werde. In diesem Sinn sei die kantonale
Wehrsteuerverwaltung bei der Steuerveranlagung 1973/74 vorgegangen. Weil
die Steuerverwaltung den Ertrag aus der "Beteiligung D." nicht als
Erwerbseinkommen des Sch., sondern als Ertrag der O. AG qualifiziert habe,
dürften auf diesem Ertrag keine Sozialversicherungsbeiträge erhoben werden.

    Die Vorinstanz hat die Beschwerde am 27. Juni 1974 abgewiesen.

    D.- Diesen Entscheid zieht Sch. mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
an das Eidg. Versicherungsgericht weiter. Er lässt beantragen, der
Entscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass er für die
Zahlungen der D. & Co. nicht beitragspflichtig sei. Zur Begründung wird
im wesentlichen vorgebracht: Bei der Beurteilung, ob der innerhalb einer
Kollektivgesellschaft erzielte Ertrag abgabepflichtiges Erwerbseinkommen
sei, habe die Ausgleichskasse auf gesellschaftsinterne Verhältnisse
abzustellen, wenn diese von den Beteiligten bewiesen werden. Darum sei
vorliegend die gewählte Konstruktion für die Beteiligung der O. AG an der
D. & Co. massgebend, die eine Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen
auf den Erträgnissen der D. & Co. nicht zulasse. Zweifellos wäre es
durch eine andere Rechtsgestaltung möglich gewesen, jeden Anschein
einer Beitragspflicht zu vermeiden. Im Vertrauen darauf, dass
die Steuerverwaltungen wie die andern abgaberechtlichen Behörden
praxisgemäss von den tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten
ausgehen, sei ein einfacher und klarer Treuhandvertrag gewählt worden. Die
beteiligten Steuerverwaltungen hätten denn auch entschieden, dass die
der O. AG aus der Beteiligung D. & Co. zustehenden Erträge von dieser
zu versteuern seien. In gleicher Weise habe die Ausgleichskasse, die an
die steuerrechtliche Qualifikation gebunden sei, zu verfahren.

    Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung beantragen
die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- In seinem Urteil vom 26. Oktober 1972 hat das Eidg.
Versicherungsgericht erkannt, dass der zwischen Sch. und der O. AG
abgeschlossene Treuhandvertrag für die D. & Co. eine "res inter alios
acta" sei. Zu den Teilhabern der Kollektivgesellschaft gehöre Sch.,
nicht die O. AG. Sch. kämen Dritten gegenüber alle Verpflichtungen
zu, welche das Gesetz den Mitgliedern einer Kollektivgesellschaft
auferlege. Zu diesen Verpflichtungen gehöre auch die Entrichtung von
Sozialversicherungsbeiträgen als Selbständigerwerbender auf dem ihm
zukommenden Netto-Gewinnanteil. Die Beitragspflicht bestehe ohne Rücksicht
darauf, ob der Beitragspflichtige den Anteil zu seinem Nutzen verwenden
oder einer natürlichen oder juristischen Person zu Eigentum übertrage. Das
Gericht führte weiter aus, dass die Sozialversicherung dann von dieser
Betrachtungsweise abgehen und sich an die wirtschaftliche Wirklichkeit
halten müsste, wenn die Parteien beabsichtigt hätten, durch ihre
Vereinbarungen eine Beitragspflicht zu umgehen (BGE 98 V 192 Erw. 3). -
Diese Rechtsprechung basiert auf dem allgemeinen Grundsatz, dass die
Beitragsordnung der AHV sich in der Regel an die nach aussen kundgemachten
rechtlichen Verhältnisse zu halten hat (EVGE 1967 S. 227). In dem soeben
zitierten Urteil hat das Eidg. Versicherungsgericht übrigens auch erklärt,
dass die Beiträge auf dem Anteil am Reingewinn, welcher auf den an einer
Kommanditgesellschaft treuhänderisch beteiligten Kommanditär entfällt,
von diesem entrichtet werden müssen.

    Ebenfalls im Urteil vom 26. Oktober 1972 hat das
Eidg. Versicherungsgericht unter Berufung auf EVGE 1967 S. 227 aber
auch darauf hingewiesen, dass die Beiträge von treuhänderisch erzieltem
Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit regelmässig von jener
Person bezahlt werden müssen, die der Fiskus als dafür steuerpflichtig
bezeichnet. Die Frage wurde offen gelassen, ob die Ausgleichskasse im
Falle des Sch. durch eine spätere definitive Steuermeldung gebunden wäre,
wenn sich aus dieser Meldung ergäbe, dass der Fiskus die Gewinnanteile
aus der D. & Co. bei der O. AG besteuert hat (BGE 98 V 194 Erw. 5).

Erwägung 2

    2.- An der im Urteil vom 26. Oktober 1972 dargelegten Rechtsprechung
(insbesondere Erwägungen 2-4) ist festzuhalten, weshalb auf jene
Darlegungen verwiesen werden kann. Hingegen ist heute zu prüfen, ob
die Tatsache, dass sowohl der eidgenössische wie der kantonale Fiskus
für den Gewinnanteil 1971/72 des Sch. aus seiner Beteiligung an der
D. & Co. die Fiduziantin O. AG und nicht den Treuhänder besteuern, auch
beitragsrechtlich zu einer neuen Betrachtungsweise des seit dem Urteil vom
26. Oktober 1972 unveränderten Gesellschafts- und Treuhandverhältnisses
führen muss.

Erwägung 3

    3.- Als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit gilt das
in selbständiger Stellung erzielte Einkommen unter anderem aus
Handel und Gewerbe, einschliesslich der Anteile der Teilhaber von
Kollektivgesellschaften, soweit sie den gesetzlich abzugsfähigen
Eigenkapitalzins übersteigen (Art. 9 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit
Art. 17 lit. c und Art. 18 Abs. 2 AHVV). Art. 20 Abs. 3 AHVV bestimmt
ferner unter dem Randtitel "Beitragspflichtige Personen", dass die
Teilhaber von Kollektivgesellschaften die Beiträge von dem gemäss Art. 17
lit. c AHVV berechneten Anteil am Einkommen der Personengesamtheiten
zu entrichten haben. Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass die in
einer Kollektivgesellschaft realisierten Geschäftsgewinne Einkommen aus
selbständiger Erwerbstätigkeit darstellen und beitragsrechtlich von den
"Teilhabern" zu verabgaben sind. Teilhaber einer Kollektivgesellschaft
können nur die natürlichen Personen sein, welche die Kollektivgesellschaft
gemäss Art. 552 OR bilden. Grundsätzlich ist jede einzelne dieser
Personen für ihren Gewinnanteil beitragspflichtig, soweit er den zum
Abzug zugelassenen Eigenkapitalzins übersteigt.

    Diese Ordnung geht einer abweichenden steuerrechtlichen
Betrachtungsweise schon deshalb vor, weil der Treuhandvertrag nur
die daran beteiligten Personen verpflichten, mithin keine darüber
hinausgehenden gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse begründen
kann. Aber auch abgesehen davon, muss der Treuhänder den auf ihn
entfallenden Gewinnanteil aus der Kollektivgesellschaft jedenfalls dort
AHV-rechtlich selber verabgaben, wo der Treugeber selber überhaupt nicht
der Beitragspflicht unterworfen werden könnte. Denn das AHV-rechtliche
Postulat lückenloser Erfassung des Arbeitseinkommens hat ohnehin
Priorität gegenüber den Veranlagungsvorschriften des Art. 23 Abs. 1 und
4 AHVV, wonach die Steuerbehörden das massgebende Einkommen anhand der
Wehrsteuerveranlagung zu ermitteln und die Ausgleichskassen sich an die
Angaben der Steuerbehörden zu halten haben. In diesem Zusammenhang ist
folgendes zu beachten:

    Das Wehrsteuerrecht bestimmt nicht, wer für treuhänderisch erworbenes
Einkommen steuerpflichtig ist - ob der Treuhänder oder der Treugeber -,
sondern lässt wahlweise beide Lösungen zu (KÄNZIG, Wehrsteuer N. 25 zu
Art. 2). Wenn die Eidgenössische Steuerverwaltung am 19. November 1971
der heutigen Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers geschrieben hat:
"Vorliegend dürften die Verhältnisse genügend klar und übersichtlich
gestaltet worden sein, um eine direkte Zurechnung der auf den in
Frage stehenden Gesellschaftsanteil an der D. & Co. entfallenden
Faktoren bei der Treugeberin ... zu gestatten, sofern sie bei dieser
ordnungsgemäss verbucht werden", so liess sie sich allein davon leiten,
dass der Gewinnanteil besteuert werde; sie war mit der Besteuerung bei
der Fiduziantin einverstanden, sofern diese das dafür Erforderliche
vorkehre. Bei dieser Sachlage ist dem Bundesamt für Sozialversicherung
zuzustimmen, dass der wehrsteuerrechtlichen Bestimmung derjenigen Person,
die für den Gewinnanteil eines treuhänderischen Kollektivgesellschafters
steuerpflichtig ist, keine entscheidende Bedeutung dafür zukommt, ob und
gegebenenfalls von wem auf diesem Gewinnanteil Sozialversicherungsbeiträge
entrichtet werden müssen. In dieser Hinsicht sind die Ausgleichskassen
an die Angaben der Steuerbehörden nicht gebunden. Diese haben das für
die Beitragspflicht massgebende Erwerbseinkommen zu ermitteln und den
Ausgleichskassen verbindlich zu melden. Aber wer von diesem Einkommen
Sozialversicherungsbeiträge bezahlen muss, ist von der Ausgleichskasse
auf Grund des AHV-Rechts zu bestimmen.

    Im übrigen hat die Rechtsprechung zu Art. 23 Abs. 4 AHVV schon längst
erkannt, dass der Richter von rechtskräftigen Steuertaxationen unter
anderem dann abweichen darf, wenn sachliche Umstände gewürdigt werden
müssen, die steuerrechtlich belanglos, sozialversicherungsrechtlich aber
bedeutsam sind (BGE 98 V 188 Erw. 2 und dort zitierte Urteile).

Erwägung 4

    4.- Zusammenfassend ergibt sich, dass fiduziarische Verhältnisse
nichts daran ändern, dass die AHV-Beitragsordnung sich in der
Regel an die nach aussen - insbesondere durch das Handelsregister -
kundgemachten Rechtsverhältnisse zu richten hat (BGE 101 V 7, EVGE 1967 S.
227). Treuhandverhältnisse können, wenn überhaupt, die Beitragspflicht des
Treuhänders als Teilhaber einer Kollektivgesellschaft nur dann in Frage
stellen, wenn der Fiduziant diese Beitragspflicht rechtlich zu übernehmen
vermag. Im vorliegenden Fall ist die Treugeberin mangels natürlicher
Persönlichkeit ausserstande, die persönliche Beitragspflicht zu erfüllen.
Demzufolge hat Sch. selber von den auf ihn entfallenden Gewinnanteilen
aus der D. & Co. persönliche Beiträge zu entrichten.

    An diesem Ausgang des Verfahrens vermögen die Ausführungen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nichts zu ändern. Insbesondere ist es
belanglos, ob die für die Beteiligung der O. AG an der D. & Co. gewählte
Konstruktion steuerliche Vorteile bietet oder nicht und ob es durch eine
andere Rechtsgestaltung möglich gewesen wäre, die streitigen Beiträge
einzusparen.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.