Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 95



101 IV 95

26. Urteil des Kassationshofes von 7. März 1975 i.S. Schweizerische
Bundesanwaltschaft gegen B. Regeste

    Verordnung vom 10. Januar 1973 über die Kleinkredit- und
Abzahlungsgeschäfte, Art. 1 lit. b. Unter das Verbot, durch unaufgeforderte
Zustellung von Drucksachen und Streuprospekten für Abzahlungsgeschäfte
zu werben, fällt auch die Verteilung solcher Prospekte als Beilage einer
Zeitung oder Zeitschrift.

Sachverhalt

    A.- Im Herbst 1973 hat die Einzelfirma F. B., Import-Versand, als
Beilage der Zeitschrift "Schweizerischer Beobachter" einen 16 Druckseiten
umfassenden Prospekt "Hazy Osterwald: ça c'est de la musique", der unter
anderem für den Abschluss von Abzahlungsgeschäften wirbt, verteilen lassen,
und zwar als lose Beilage der Zeitschrift.

    B.- Mit Verfügung von 26. März 1974 bestrafte das Eidg. Finanz-
und Zolldepartement die Firma wegen vorsätzlicher Widerhandlung gegen
Art. 1 lit. b der Verordnung des Bundesrates vom 10. Januar 1973 über
die Kleinkredit- und Abzahlungsgeschäfte, sowie wegen einer andern hier
nicht interessierenden Widerhandlung gegen die gleiche Verordnung zu einer
Busse von Fr. 200.--, gestützt auf Art. 10 Abs. 1 des Bundesbeschlusses
vom 20. Dezember 1972 über Massnahmen auf dem Gebiete des Kreditwesens.

    Die Firma verlangte gemäss Art. 324 f. BStP die gerichtliche
Entscheidung, worauf der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichtes
Zürich sie von der Widerhandlung gegen Art. 1 lit. b der Verordnung
freisprach und die Busse für das verbleibende Delikt auf Fr. 100.--
ansetzte.

    Eine von der Schweizerischen Bundesanwaltschaft gegen diesen Freispruch
eingereichte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde hat das Obergericht des
Kantons Zürich am 30. Oktober 1974 abgewiesen.

    C.- Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt die
Bundesanwaltschaft, der Beschluss des Obergerichtes sei aufzuheben und
die Sache zur Verurteilung der Firma an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Firma beantragt Abweisung der Beschwerde; die Vorinstanz verzichtet
auf Gegenbemerkungen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 1 lit. b der Verordnung über die Kleinkredit- und
Abzahlungsgeschäfte (VKA) in der Fassung vom 10. Januar 1973 (AS 1973 88)
wie auch in der Fassung vom 16. Januar 1974 (SR 951.911) ist es untersagt,
durch unaufgeforderte Zustellung von Drucksachen und Streuprospekten für
Abzahlungsgeschäfte zu werben. Zweck dieser den Bundesbeschluss vom 20.
Dezember 1972 über Massnahmen auf dem Gebiet des Kreditwesens (BMK, SR
951.90) ausführenden Verordnung sind die Einschränkung des Kreditvolumens
und die Bremsung der Nachfrage (BBl 1972 II 1556 f.).

    Verlangt ein Interessent das Werbematerial, so darf es ihm zugestellt
werden. Strafbar ist dagegen die Zustellung derartiger Drucksachen,
ohne dass der Empfänger sie angefordert hat. Dabei ist rechtlich ohne
Belang, wer als Absender auftritt, d.h. ob ein Prospekt direkt von dessen
Auftraggeber, von einem Adressenverlag, einem Presseunternehmen oder
einer anderen Person verschickt wird.

    Fällt nach den Umständen als Strafe eine Busse von nicht mehr als
10'000 Franken in Betracht und wird die Widerhandlung im Geschäftsbetrieb
einer Einzelfirma begangen, so kann diese bestraft und von der Verfolgung
der verantwortlichen Person Umgang genommen werden (BMK Art. 10 Abs. 4).

Erwägung 2

    2.- Das Kriterium der Aufforderung wurde unter anderem gewählt, um
die finanzielle Lage der Informations- und Meinungspresse nicht durch eine
Schmälerung des bisherigen Inseratenvolumens zu erschweren. Massgebend war
die Überlegung, der Käufer oder Abonnent einer Zeitung oder Zeitschrift
wolle jeweils das ganze Presseerzeugnis erwerben, also auch die darin
enthaltene Werbung. Diese falle daher nicht unter das Verbot unverlangter
Zustellung von Werbematerial für Abzahlungsgeschäfte.

Erwägung 3

    3.- Das Obergericht verweist auf die Erfahrungstatsache, dass schon
lange vor Inkrafttreten der VKA gelegentlich oder regelmässig Prospekte
als Beilagen von Zeitungen und Zeitschriften zugestellt wurden. Da
die Pressewerbung absichtlich vom Verbot gemäss Art. 1 VKA ausgenommen
werden sollte, sei die Verzeigte mit Recht freigesprochen worden. Eine
unaufgeforderte Zustellung von Streuprospekten im Sinne der Verordnung
liege nur vor, wenn die Reklamen selbständig, unabhängig von einem
Presseerzeugnis verteilt würden.

    Demgegenüber hält die Bundesanwaltschaft daran fest, der Käufer
oder Abonnent einer Zeitschrift könne wohl die Abgabe eines Exemplares
einschliesslich der Inseratenseiten erwarten und verlangen, nicht aber
die zusätzliche Abgabe einer von der betreffenden Zeitschrift völlig
losgelösten Drucksache, die ausschliesslich für das Angebot eines
Versandhauses werbe.

Erwägung 4

    4.- Wer eine Zeitung oder Zeitschrift kauft oder abonniert, will die
vollständigen Exemplare des Presseerzeugnisses erhalten. Das gilt auch
für den Inseratenteil, gleichgültig, ob der Erwerber sich im Einzelfall
für einzelne oder alle Inserate interessiert oder daran kein Interesse
hat. Möglicherweise ist er auch am Textteil nur in beschränktem Umfang
interessiert. Trotzdem ist davon auszugehen, dass er die Zeitung oder
Zeitschrift als Ganzes verlangt.

    Anders verhält es sich mit Prospekten, wie sie erfahrungsgemäss in
Presseerzeugnissen gelegentlich und bisweilen auch nur einem Teil der
Auflage beigelegt werden. Zwar trifft es zu, dass dieses Werbemittel
nicht neu ist. Es bildet jedoch eher die Ausnahme und unterscheidet
sich auch meist in Format, Umfang und graphischer Gestaltung deutlich
vom Presseerzeugnis und den darin erscheinenden Inseraten. Diese Art
der Werbung ist nicht so verbreitet, dass gesagt werden könnte, der
durchschnittliche Käufer oder Abonnent rechne mit der Beilage solcher
Prospekte und verlange somit deren Zustellung.

    Durch diese engere Auslegung werden die schutzwürdigen Interessen der
Meinungspresse, die bei Erlass der VKA berücksichtigt werden sollten,
nicht verletzt. Die Beschränkung der direkten Werbung durch Prospekte
dürfte im Gegenteil die eigentliche Inseratenwerbung in Zeitschriften und
Zeitungen fördern. Umgekehrt würde durch die vom Obergericht vertretene
Auffassung einer Umgehung des Verbots der Zustellung unverlangter Prospekte
Tür und Tor geöffnet, indem Werbematerial aller Art durch Zeitungen und
Zeitschriften verbreitet werden könnte.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene
Entscheid aufgehoben und die Sache zur Verurteilung der Beschwerdegegnerin
an die Vorinstanz zurückgewiesen.