Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 62



101 IV 62

17. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. Februar 1975 i.S. T.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    1. Art. 285 Ziff. 1 StGB. Gewalt gegen Beamte.

    "Tätlich angreifen" setzt nicht voraus, dass der körperliche Kontakt
vom Täter ausgeht; entscheidend ist einzig, dass der Täter als erster
gegen den Beamten während einer Amtshandlung tätlich wird (Erw. 2b).

    2. Art. 18 Abs. 2 StGB. Vorsatz. Ein bestimmter Beweggrund gehört
nicht dazu (wohl aber zur Absicht); das Handlungsmotiv kann denn auch
ausserhalb des Vorsatzes liegen (Erw. 2c).

Sachverhalt

    A.- T. stand unter dem Verdacht, widerrechtlich konzessionspflichtige
radioelektrische Sende- und Empfangseinrichtungen zur Lautübertragung
betrieben zu haben. Tatsächlich hatte er, wie sich später ergab, dies
seit November 1971 wiederholt getan. Am 16. Juni 1972 wollten die Beamten
N. und B. im Auftrag der Generaldirektion PTT am Wohnort T.'s eine sog.
Installationskontrolle durchführen, zu der sie den Kantonspolizisten Z.
beizogen, da T. bei früheren Ermittlungen erhebliche Schwierigkeiten
bereitet hatte. Sie wiesen sich gegenüber T.'s Mutter aus, worauf diese
sie in die Wohnung eintreten liess und ihrem Sohn rief, es seien zwei
Herren von der PTT und die Polizei da. Als T. nach einiger Zeit widerwillig
erschien, fragte er die Beamten, was sie wollten, und bemerkte, nachdem sie
ihm von ihrem Auftrag Kenntnis gegeben hatten, sie sollten verschwinden,
ansonst er die Polizei benachrichtigen werde. Z. erwiderte, diese sei schon
anwesend. Obschon sich alle drei bereits ausgewiesen hatten, verlangte
T., nochmals den Ausweis des Z. zu sehen, worauf dieser ihn dem T. vor
die Augen hielt. T. verlangte, den Ausweis in die Hand nehmen zu können,
was der Polizist unter Hinweis auf einen entsprechenden Dienstbefehl
verweigerte. T. begehrte daraufhin den Dienstbefehl zu sehen, was Z. zur
Bemerkung veranlasste, er solle sich anständig benehmen. Darauf entriss
ihm T. den Ausweis. Als Z. versuchte wieder in dessen Besitz zu gelangen,
schlug T. um sich und versetzte dem Polizisten einen Fusstritt in den
Unterleib. Mit Hilfe der beiden PTT-Beamten konnte T. schliesslich
festgehalten und ihm der Ausweis weggenommen werden. Z. versuchte dann
polizeiliche Verstärkung anzufordern. Obschon ihm Vater T. erlaubt hatte,
das Telephon zu benutzen, hinderte der Sohn T. ihn daran und schlug
wieder zu, ohne indessen zu treffen. Als Z. ihn aufforderte, mit auf den
Polizeiposten zu kommen, und ihn am Arm fasste, setzte sich T. erneut
zur Wehr und beruhigte sich erst, nachdem die von der Nachbarwohnung aus
angeforderte polizeiliche Verstärkung eingetroffen war. Die beabsichtigte
Kontrolle konnte dann durchgeführt werden.

    B.- Das Bezirksgericht Bülach verurteilte T. am 20. Dezember 1973
wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte (Art. 285 Ziff. 1 StGB) sowie
wegen wiederholter und fortgesetzter Widerhandlung gegen Art. 42 Abs. 1
lit. a des BG betr. den Telegraphen- und Telephonverkehr vom 14. Oktober
1922 (TVG) zu 21 Tagen Gefängnis. Am 10. September 1974 bestätigte das
Obergericht des Kantons Zürich den erstinstanzlichen Entscheid.

    C.- T. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache zu seiner
Freisprechung von der Anklage der Gewalt und Drohung gegen Beamte an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Hinsichtlich der Anklage der Gewalt gegen Beamte ist unbestritten,
dass die von den PTT-Beamten und dem beigezogenen Polizisten beabsichtigte
Installationskontrolle eine rechtmässige Amtshandlung war und dass
alle drei Beamten, insbesondere auch der Polizist befugt waren, sie
vorzunehmen. Der Beschwerdeführer bestreitet einzig, Gewalt angewendet
bzw. den Polizisten tätlich angegriffen und vorsätzlich gehandelt zu haben.

    a) Die Gewaltanwendung stellt T. mit der Begründung in Abrede,
es fehlten Anhaltspunkte dafür, dass das Entreissen des Ausweises
mit irgendwelcher Gewalt geschehen sei. Damit beschränkt er den dem
angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt in unzulässiger
Weise. Die Vorinstanz hat die Gewaltanwendung darin gesehen, dass der
Beschwerdeführer auf den Polizisten einschlug und ihm einen Fusstritt in
den Unterleib versetzte, als dieser ihn festhielt und versuchte, den ihm
entrissenen Ausweis wieder an sich zu nehmen. Inwiefern das Obergericht
bei diesem allein massgeblichen Sachverhalt den Begriff der Gewalt im
Sinne des Art. 285 Ziff. 1 StGB verkannt haben sollte, legt T. nicht dar.

    b) Der Beschwerdeführer wendet sodann ein, er habe den Polizisten
nicht angegriffen; ein Angriff setze voraus, dass der körperliche Kontakt
vom Täter ausgehe. Das treffe hier nicht zu. Der Polizist habe ihn zuvor
festgehalten, womit der körperliche Kontakt hergestellt gewesen sei.

    Das Obergericht hat den Beschwerdeführer wegen gewalttätiger Hinderung
einer Amtshandlung schuldig gesprochen und bloss subsidiär angenommen,
er wäre auch bei Verneinung dieses Tatbestandes zu bestrafen, weil er
den Polizisten während einer Amtshandlung tätlich angegriffen habe. Wie
dargetan, hält das vorinstanzliche Urteil im Hauptpunkt stand, soweit es
überhaupt zu überprüfen war. Ein dem Obergericht in der Eventualbegründung
unterlaufener Irrtum würde deshalb dem Beschwerdeführer nicht helfen. Im
übrigen wäre ihm entgegenzuhalten, dass Art. 285 Ziff. 1 StGB nicht bloss
von Angreifen, sondern von tätlichem Angreifen spricht. Verb und Adjektiv
sind dabei als Einheit zu verstehen. Ein solcher Angriff aber ist entgegen
der Meinung des Beschwerdeführers durchaus denkbar, auch wenn bereits
vor dem tätlichen Angriff ein körperlicher Kontakt zwischen dem Angreifer
und dem Angegriffenen bestanden hat; denn nicht jeder körperliche Kontakt
schliesst einen tätlichen Angriff ein. Wäre dem anders, dann müsste immer
dann, wenn die Polizei in Ausübung einer amtlichen Verrichtung gegenüber
einem Widerspenstigen physische Gewalt anwendet (z.B. Festhalten beim
Abführen auf den Polizeiposten; zwangsweises Räumen eines Wirtshauses
zur Polizeistunde: ZBJV 88 S. 87, SJZ 59 S. 42 f.) und der Festgehaltene
plötzlich auf die Polizeibeamten einzuschlagen beginnt, ein solcher Angriff
verneint werden, weil die Beamten zuvor notwendigerweise mit dem Täter in
körperlichen Kontakt gekommen waren. Das kann nicht der Sinn des Gesetzes
sein. Entscheidend ist einzig, dass der Täter als erster gegen den Beamten
während einer Amtshandlung tätlich wird.

    c) Weiter wirft der Beschwerdeführer dem Obergericht vor, zu
Unrecht den Vorsatz bejaht zu haben. Es sei unbestritten, dass er keinen
Anlass gehabt habe, die Installationskontrolle zu verhindern oder zu
verzögern. Diese sei schliesslich von ihm gestattet worden und erfolglos
verlaufen. Zudem halte das Obergericht dafür, dass die Auseinandersetzung
auf eine Kleinigkeit, nämlich die Weigerung des Polizisten, den Ausweis
aus der Hand zu geben, zurückzuführen sei. Daraus ziehe es jedoch den
unzutreffenden Schluss, dass diese Umstände unerheblich seien, weil auf
das Motiv nichts ankomme; es verkenne, dass mit dem Motiv auch der Vorsatz
entfalle und dass er deswegen hätte freigesprochen werden müssen.

    Die Behauptung, es sei "unbestritten", dass er keinen Anlass gehabt
habe, die Kontrolle zu verhindern oder zu verzögern, ist schon deswegen
nicht zu hören, weil sie dem Obergericht nicht vorgetragen wurde und dieses
deshalb mit keinem Wort dazu Stellung bezogen hat. Es geht daher nicht an,
das heutige Vorbringen als unbestritten zu bezeichnen.

    Sodann verwechselt der Beschwerdeführer Handlungsmotiv und
Handlungsentschluss (BGE 100 IV 181). Der von Art. 285 Ziff. 1 StGB
geforderte Handlungsentschluss (Vorsatz) erschöpft sich im Wissen des
Täters, dass er durch die Gewaltanwendung oder Drohung gegenüber einer
Person, von der er weiss, dass sie in amtlicher Eigenschaft auftritt,
eine Amtshandlung tatsächlich bzw. möglicherweise hindert, und im Wollen
oder Inkaufnehmen dieses Erfolges. Ein bestimmter Beweggrund ist nicht
Tatbestandserfordernis. Dieser kann denn auch ausserhalb des Vorsatzes
liegen (z.B. Schikane, Rache, Verheimlichen bestimmter Tatsachen usw.) und
wurde deshalb von der Vorinstanz mit Recht als unerheblich bezeichnet
(LOGOZ, N 3 C zu Art. 285). Anders wäre es nur, wenn Art. 285 Ziff. 1
StGB ein Absichtsdelikt wäre (HAFTER, AT S. 118, III 1; SCHWANDER, S. 92),
was jedoch nicht zutrifft.

    Nach den verbindlichen Feststellungen des Obergerichtes hat T. die
amtliche Eigenschaft der drei Beamten und ihren Auftrag gekannt. Auch
hat er gewusst, dass die gewalttätige Widersetzlichkeit eine Hinderung
der Amtshandlung zur Folge haben könnte, und dies in Kauf genommen. Dass
er eine Amtshandlung nicht verhindern wollte, ist unbehelflich, weil ein
Verhindern nicht Tatbestandsmerkmal ist (BGE 71 IV 101, 90 IV 139). Das
Obergericht hat somit den Vorsatz zu Recht bejaht.