Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 337



101 IV 337

80. Urteil des Kassationshofes vom 6. September 1975 i.S. B. gegen
Polizeiamt der Stadt Winterthur Regeste

    Art. 49 Abs. 4 lit. a, 54 Abs. 3 SSV.

    Wer beim Aufleuchten des gelben Lichtsignals nicht mehr vor der
Haltelinie anhalten kann, hat, sofern möglich, nach dieser, aber vor der
Verzweigung anzuhalten, insbesondere wenn eingangs der Kreuzung Rotlicht
Halt gebietet.

Sachverhalt

    A.- Am 6. Februar 1974 bog B. mit seinem Personenwagen in Winterthur
von der General-Guisanstrasse in die Tösstalstrasse ab. Als er an der
Signalampel vorbeifuhr, zeigte sie Rot. Hingegen ist nicht erstellt,
dass er schon die Haltelinie bei Rotlicht überquerte oder vor dieser noch
hätte anhalten können, als das Lichtsignal auf Gelb wechselte.

    B.- Der Einzelrichter des Bezirkes Winterthur erklärte B. der
Missachtung des Rotlichts (Art. 27 Abs. 1 SVG) schuldig und büsste ihn
mit Fr. 50.--. Eine Nichtigkeitsbeschwerde des B. wies das Obergericht
des Kantons Zürich am 11. Juni 1975 ab.

    C.- B. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung
der Sache an das Obergericht zu neuer Beurteilung. Das Polizeiamt der
Stadt Winterthur beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht führt aus, nach Art. 49 Abs. 4 lit. a SSV bedeute
gelbes Licht, wenn es auf Grün folgt, Halt für Fahrzeuge, die noch vor der
Verzweigung halten können. Ist wie vorliegend eine Haltelinie angebracht,
so sei vor dieser anzuhalten, sofern das möglich ist (Art. 54 Abs. 3
SSV). Ist dies nicht der Fall, so werde der Lenker dadurch nicht zur
freien Weiterfahrt berechtigt. Halt "vor der Verzweigung" bedeute nicht
nur Halt vor einer angebrachten Haltelinie oder der Ampel, sondern auch
noch Halt vor der eigentlichen Verzweigung, sofern dies möglich ist.

    Der Beschwerdeführer wendet ein, klare Verhältnisse würden nur
geschaffen durch eine Auslegung der Art. 49 und 54 SSV in dem Sinne,
dass der Lenker seine Reaktion von den beiden einzigen für ihn klar
erkennbaren Fixpunkten Lichtsignal und Haltelinie ausgehend leiten zu
lassen habe. Sobald er die Haltelinie überfahren habe, habe er seine
Aufmerksamkeit der Kreuzung zuzuwenden. Das Obergericht bringe neu den
Begriff der "eigentlichen Kreuzung" ins Spiel, womit eine Unsicherheit
ins Verkehrsgeschehen getragen werde.

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 54 Abs. 3 SSV zeigt die Haltelinie (Bild 413)
insbesondere bei Lichtsignalen an, wo die Fahrzeuge halten müssen. Das
heisst nicht, dass der Lenker, der beim Aufleuchten des gelben Lichtes
nicht vor dieser Linie halten konnte, unbekümmert weiterfahren darf. Wer
nach der Linie, aber vor der Verzweigung noch anhalten kann, muss es
tun. Das ist der Sinn von Art. 49 Abs. 4 lit. a SSV, der Art. 54 Abs. 3
SSV nicht widerspricht.

    Die Auslegung des Obergerichts verletzt also Bundesrecht
nicht. Dies umso weniger, als Zweck der Signallichter der Schutz
einer bestimmten Strassenfläche ist (Verzweigung, Fussgängerstreifen,
Baustelle, Engpass usw.). Dieser Zweck kann nur erreicht werden, wenn
das Anhalten zwingend ist, sobald das es gebietende Licht erscheint und
wenn es vor der geschützten Fläche möglich ist. Wäre das Anhalten nur
vorgeschrieben, sofern es vor der Haltelinie möglich ist, so wäre die
Verkehrssicherheit gefährdet durch die Möglichkeit des Zusammentreffens
zweier Strassenbenützer auf der geschützten Fläche.

    Im vorliegenden Fall ist der Entscheid der Vorinstanz umso mehr
zu billigen, als der Beschwerdeführer nicht nur vor der Verzweigung
hätte anhalten können, sondern ihm eingangs der Kreuzung Rotlicht Halt
gebot. Zwar kann es Fälle geben, wo trotz beginnender Rotlichtphase noch
weitergefahren werden darf, so etwa wenn ein korrekt bei Grün in die
Verzweigung eingefahrenes Fahrzeug unvorhersehbar aufgehalten wird (von
einem vorschriftswidrig kreuzenden Fussgänger usw.) und durch sofortige
Weiterfahrt eine Gefahrenquelle beseitigt wird. Kann dagegen wie hier
der Lenker sein Fahrzeug nach dem Haltebalken noch rechtzeitig vor dem
Rotlicht anhalten, sodass er nicht auf das Kreuzungsgebiet gerät, so ist
er dazu verpflichtet. Wesentliches Gebot ist, diejenige Strassenfläche
freizuhalten, die je nach Lichtsignal Verkehrsströmen verschiedener
Richtung vorbehalten ist.

Erwägung 3

    3.- Subsidiär macht der Beschwerdeführer Rechtsirrtum (Art.  20 StGB)
geltend. Zu Unrecht. Das Befahren einer Kreuzung in Missachtung des
Rotlichts ist eine Handlung, deren Gefährlichkeit für jeden Fahrzeuglenker
auf der Hand liegt. Der Beschwerdeführer konnte sich im Ernst nicht dazu
berechtigt halten.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.