Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 312



101 IV 312

71. Urteil des Kassationshofes vom 9. Oktober 1975 i.S. E. gegen
Generalprokurator des Kantons Bern Regeste

    Art. 273 StGB.

    1. Begriff des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes (Erw. 1).

    2. Schutzwürdig kann auch ein vertragswidriges Verhalten sein (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- A. handelt mit Bestandteilen von Radio- und Fernsehgeräten. Die
deutsche Firma B. übertrug ihm die Vertretung für Bestandteile
von Fernsehgeräten (Ablenkungseinheiten, Zeilentransformatoren,
Hochspannungsfassungen) für die Schweiz; umgekehrt verpflichtete sich
A., ausschliesslich bei der Firma B. die Teile zu kaufen, die diese ihm
anbieten konnte. A. fing jedoch an, gewisse Teile bei der Firma C. zu einem
Preis zu beziehen, der 40% unter demjenigen der Firma B. lag. Die Firma
C. bezog diese Teile bei der italienischen Fabrik D. Zwischen letzterer
und der Firma B. bestand ein Alleinvertriebsvertrag für Westeuropa
und Italien.

    Ab 9. April 1970 arbeitete E. als leitender Angestellter bei A. In
dieser Stellung erlangte E. Kenntnis sowohl von dem Vertrag zwischen A. und
der Firma B. wie von der Tatsache, dass A. in Verletzung des Vertrags
Bestandteile nicht von der Firma B. sondern von der Firma C. bezog.

    Am 31. Januar 1973 kündigte A. dem E. fristlos, weil er erfahren hatte,
dass dieser kurz zuvor einige Tage bei der Firma B. verbracht hatte und
bei dieser immer noch Material bestellte, obwohl A. bei den von der Firma
B. verlangten Preisen nicht mehr konkurrenzfähig war. Darauf teilte E. der
Firma B. telefonisch mit, dass A. entgegen dem mit ihr bestehenden Vertrag
Bestandteile aus Italien bezog; zum Beweis schickte er der Firma B. zwei
Fotokopien von Rechnungen der Firma C. an A.

    B.- Das Obergericht des Kantons Bern erklärte E. am 23. Mai 1975
des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes schuldig und verurteilte ihn zu
einer Busse von Fr. 300.--.

    C.- E. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf
Freisprechung. Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung
der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes gemäss Art. 273 StGB
macht sich u.a. schuldig, wer ein Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnis
einer fremden amtlichen Stelle oder einer ausländischen Organisation
oder privaten Unternehmung zugänglich macht. Art. 273 ahndet ein Delikt
gegen den Staat, wie das schon aus seiner Stellung im 13. Titel des
Strafgesetzbuches ersichtlich wird. Der Staat hat ein Interesse daran,
dass die unter seiner Gebietshoheit stehenden Personen gegen den Verrat
von wirtschaftlichen Belangen geschützt seien. Wer einer fremden amtlichen
Stelle oder einer ausländischen Organisation oder privaten Unternehmung
oder deren Agenten ein Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnis preisgibt,
beeinträchtigt schon dadurch die Interessen der nationalen Volkswirtschaft,
denn jeder schweizerische Geschäftsbetrieb bildet einen Teil der gesamten
schweizerischen Wirtschaft. Der Art. 273 StGB setzt nicht eine unmittelbare
Verletzung oder Gefährdung der staatlichen Interessen voraus. Denn in
jedem wirtschaftlichen Nachrichtendienst zum Nachteil eines in der Schweiz
ansässigen Unternehmens zu Gunsten des Auslands liegt notwendigerweise
eine mittelbare Verletzung oder Gefährdung der staatlichen Interessen,
was zur Erfüllung des Tatbestandes von Art. 273 genügt (BGE 98 IV 210 f.).

    Der Ausdruck "Geschäftsgeheimnis" umfasst alle Tatsachen des
wirtschaftlichen Lebens, an deren Geheimhaltung ein schutzwürdiges
Interesse besteht (BGE 98 IV 210).

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer hat ein Geschäftsgeheimnis des A.  verraten,
indem er der Firma B. Kenntnis gab vom Bezug von Fernsehbestandteilen
durch A. in Italien. A. hatte ein Geheimhaltungsinteresse an
dieser wirtschaftlichen Tatsache, weil der Warenbezug aus Italien der
vertraglichen Alleinbezugsverpflichtung gegenüber der Firma B. widersprach
und weil die im Vergleich zur Firma B. um 40% niedrigeren Preise
seines italienischen Lieferanten sein Geschäft überhaupt erst wieder
konkurrenzfähig gegenüber seiner schweizerischen Konkurrenz machten. Wie
gewichtig das Interesse an der Geheimhaltung war, erweist der Umstand,
dass nach dem Verrat die Firma B. die preisgünstigen Lieferungen des C. an
A. zu unterbinden vermochte. War aber allein durch die Geheimhaltung der
italienischen Bezugsquelle des A. dessen Konkurrenz- und Lebensfähigkeit
sicherzustellen, so bestand an jener sowohl für A. selbst wie für die
schweizerische Wirtschaft überhaupt ein schutzwürdiges Interesse.

    Daran ändert der Umstand, dass die Erhaltung der Konkurrenz- und
Lebensfähigkeit des Geschäftsbetriebes des A. nur über die Verletzung
seines Vertrages mit der Firma B. möglich war, nichts. Denn das
schutzwürdige Interesse muss sich nur auf die Geheimhaltung beziehen,
unbekümmert darum, ob die Tatsache selbst, um deren Geheimhaltung
es geht, legal sei oder nicht. Darum hat das Bundesgericht die
Schutzwürdigkeit des Geheimhaltungsinteresses auch bejaht, wenn es sich
bei der geheimzuhaltenden Tatsache um im Ausland nicht bloss illegales,
sondern sogar strafbares Verhalten handelte (Schmuggel, Devisenvergehen
usf.; BGE 65 I 47 und 330, 71 IV 218, 74 IV 102). Erst recht kann die
Geheimhaltung einer Tatsache schützenswert sein, wenn sie bloss in einem
vertragswidrigen Verhalten besteht, wie im vorliegenden Fall.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.