Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 230



101 IV 230

51. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. Juni 1975
i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Regeste

    Art. 55 SVG; Art. 1 Abs. 1 und 6, 3 BRB über die Feststellung der
Angetrunkenheit von Strassenbenützern vom 14. Februar 1968.

    Die im BRB enthaltenen Vorschriften sollen in Verbindung mit der
genannten Gesetzesbestimmung eine Garantie für die fehlerlose Feststellung
des Grades der Angetrunkenheit bilden. Deshalb kommt ihnen in Grenzfällen
oder bei begründeten Zweifeln über die Zuverlässigkeit der Blutprobe die
Bedeutung zu, das Beweisfundament zu verstärken.

Sachverhalt

    A.- Am 16. Juni 1973, kurz nach Mitternacht, lenkte X. bei
einer Alkoholkonzentration von 2,2 Gewichtspromillen im Blut seinen
Personenwagen von Endingen/AG nach Lengnau und anschliessend über
Niederweningen-Oberweningen in Richtung Dielsdorf. In Sünikon-Steinmaur
kam es zu einer Kollision mit dem von S. gesteuerten Personenwagen.

    B.- Das Bezirksgericht Dielsdorf sprach X. am 3. Juli 1974 schuldig
des Fahrens in angetrunkenem Zustand im Sinne von Art. 91 Abs. 1 SVG und
bestrafte ihn mit 4 Wochen Gefängnis als Zusatzstrafe zum Urteil desselben
Gerichts vom 20. Juni 1973.

    Auf Berufung des Verurteilten hin bestätigte das Obergericht des
Kantons Zürich am 6. Februar 1975 den erstinstanzlichen Entscheid.

    C.- X. führt eidg. Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf
Freisprechung von Schuld und Strafe.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 55 in Verbindung
mit Art. 91 SVG, sowie von Art. 2 und 3 des BRB vom 14. Februar 1968
über die Feststellung der Angetrunkenheit von Strassenbenützern. Er macht
geltend, das Blut sei ihm nicht vom Arzt, sondern von einer Hilfsperson
(Krankenschwester) entnommen worden, ohne die vorgeschriebenen zusätzlichen
Untersuchungen vorzunehmen. Da die in dieser Hinsicht strengen Vorschriften
nicht erfüllt worden seien, dürfe nicht trotzdem gestützt auf die Blutprobe
wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand verurteilt werden.

    a) Nach Art. 55 SVG ist bei Anzeichen von Angetrunkenheit am Steuer
der Fahrzeugführer einer geeigneten Untersuchung zu unterziehen, wobei
insbesondere die Blutprobe angeordnet werden kann. Es ist richtig, dass
der Gesetzgeber die schweren Folgen einer Verurteilung wegen Fahrens in
angetrunkenem Zustand nur bei Gewähr für eine zuverlässige Feststellung
des Blutalkoholgehalts eintreten lassen wollte. Insbesondere war bei der
Schaffung des SVG immer noch umstritten, ob nicht häufiger, als allgemein
angenommen, Fehler bei der Blutentnahme und -untersuchung unterliefen,
die das Ergebnis verfälschen könnten. Häufigste Fehlerquellen waren
die Verwendung von Alkohol zur Desinfektion der Einstichstelle oder
der Instrumente und die Verwechslung von Blutproben. Auch war die
Zuverlässigkeit der Rückschlüsse aus einem bestimmten Blutalkoholgehalt
auf die Fahrtüchtigkeit noch sehr angefochten; es wurde daher gefordert,
wenn immer möglich auch noch andere medizinische Untersuchungen
(z.B. Reaktionstests) durchzuführen, um zu gesicherten Ergebnissen zu
gelangen (Sten.Bull. NR 1957, S. 214 ff.; StR 1958, S. 115).

    Seither sind, nicht zuletzt als Folge der strengen Vorschriften und
der neueren Erkenntnisse, die Blutentnahmen und -untersuchungen allgemein
sehr viel zuverlässiger geworden. Auch das medizinische Hilfspersonal
kennt genau die Faktoren, die ausschlaggebend sind, und wendet die
richtigen Methoden an. Die oben erwähnten, früher mitunter anzutreffenden
Fehlerquellen werden in aller Regel ausgeschaltet. Dieser Entwicklung
ist bei der Auslegung gewisser Vorschriften Rechnung zu tragen.

    b) Art. 55 SVG verlangt zur Feststellung der Angetrunkenheit
neben der Blutprobe nicht ausdrücklich die Durchführung weiterer
Untersuchungen. Art. 1 Abs. 1 des genannten BRB erklärt die Blutprobe
als "die geeignete Untersuchungsmassnahme". In Abs. 3 der zitierten
Bestimmung werden ergänzend die Vorprobe durch ein Atemprüfgerät und
in Abs. 6 die Feststellung der Angetrunkenheit auf Grund von Zustand
und Verhalten des Fahrzeugführers erwähnt, namentlich für den Fall,
wo die Blutprobe nicht vorgenommen werden kann. Der BRB hält sich damit
im Rahmen des Gesetzes. Der Beschwerdeführer rügt mit Recht nicht, dass
solche zusätzlichen Untersuchungen unterlassen worden seien.

Erwägung 2

    2.- Dagegen erblickt die Beschwerde eine Verletzung von Art.  3 BRB
in dem Umstand, dass nicht ein Arzt, sondern eine Krankenschwester die
zusätzlich medizinisch feststellbaren Anzeichen von Angetrunkenheit im
vorgeschriebenen Formular vermerkt habe.

    a) Nach der Aktenlage und den Ausführungen des Bezirksgerichts -
die Vorinstanz schweigt sich zu diesem Punkte aus - hat anlässlich der
Blutentnahme einzig die Operationsschwester Mara P. den Beschwerdeführer
gesehen. Sie hat die Blutentnahme durchgeführt und anscheinend
auch die "medizinisch feststellbaren Anzeichen von Angetrunkenheit
untersucht". Diese wurden auf Grund der mündlichen Angaben der
Operationsschwester später von Dr. med. S. in das in Art. 2 Abs. 2 BRB
erwähnte Formular übertragen, worauf der Arzt dieses mit "Sr. Mara"
unterschrieb. Das Bezirksgericht hat dieses Vorgehen in wohlwollender
Weise als "recht eigenartig" bezeichnet.

    b) Art. 3 BRB hat den Charakter einer Beweisnorm. Sie hat in
Verbindung mit Art. 55 SVG die Funktion einer Garantie für die fehlerlose
Feststellung über den Grad der Angetrunkenheit. Dabei kommt insbesondere
der vorgeschriebenen Untersuchung auf medizinisch feststellbare Anzeichen
die Bedeutung zu, in Grenzfällen oder bei begründeten Zweifeln über die
Zuverlässigkeit der Blutprobe das Beweisfundament zu verstärken. Diese
subsidiäre Bedeutung ergibt sich bereits aus Art. 1 Abs. 1 BRB. Die
Missachtung von Art. 3 BRB führt nur dann zur Aufhebung einer Bestrafung
wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand, wenn sich ergibt, dass die
Feststellung der Angetrunkenheit sich entscheidend auf die fehlerhaften
Massnahmen stützt oder dass bei ordnungsgemässer Durchführung der
Untersuchung die belastende Feststellung möglicherweise widerlegt werden
oder doch fragwürdig erscheinen könnte.

Erwägung 3

    3.- Das Bezirksgericht hat sich Rechenschaft gegeben über die
in Verbindung mit der Ausfüllung des Formulars und der Untersuchung
vorgekommenen Mängel. Es hat in diesem Zusammenhang deshalb nicht
nur einen Bericht von Dr. med. S. eingeholt, in dem Sr. Mara als sehr
gewissenhafte und erfahrene Operationsschwester geschildert wird, die
schon viele Blutproben erhoben hat; vielmehr hat es auch Mara P. selbst
als Zeugin befragt und dabei ausser ihren Aussagen noch einen persönlichen
Eindruck der befragten Person gewonnen. Zudem wurde ein Gutachten des
Gerichtlich medizinischen Instituts über die fragliche Blutentnahme
eingeholt. Das Gericht stellt in Würdigung all dieser Beweiserhebungen
fest, dass die Blutentnahme unter Beachtung aller ärztlichen und in diesem
Zusammenhang auch rechtlich relevanten Regeln vorgenommen worden sei. Die
Operationsschwester verfügt nach Auffassung des Bezirksgerichtes über
die erforderlichen Kenntnisse auf dem betreffenden Gebiet und ist bei
den Blutentnahmen zuverlässig vorgegangen.

    Diese Beweiswürdigung ist für den Kassationshof verbindlich
(Art. 277bis Abs. 1 BStP). Damit ist aber auch gesagt, dass die Vorinstanz
nicht auf das mit Mängeln behaftete Formular abstellte, sondern auf ein
eingehendes, ergänzendes Beweisverfahren, das zugleich auch ein Abstellen
auf das Ergebnis der Blutprobe erlaubte. Unter diesen Umständen blieben die
vom Beschwerdeführer gerügten Fehler anlässlich der Blutentnahme und des
Begleitformulars ohne Wirkung auf das Strafurteil. Es kann deshalb offen
bleiben, ob nicht nur die Blutentnahme als solche, sondern auch die im
Formular zu vermerkenden Feststellungen an der Person des Fahrzeugführers
einer ausgebildeten Hilfskraft überlassen werden dürfen.