Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 173



101 IV 173

44. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. Juni 1975
i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Regeste

    Art. 237 Ziff. 1 Abs. 1 StGB. Nicht zur öffentlichen Verkehrsfläche
wird ein privater Vorplatz, wenn er unbefugterweise und entgegen einem
signalisierten Betretungs- und Fahrverbot auch von andern Personen als
dem Berechtigten benutzt wird.

Sachverhalt

    A.- Nachdem E., Chauffeur bei der Firma Y., am 20. Februar 1973 um
ca. 8.15 Uhr von dem von ihm geführten Lastwagen an der Laderampe seiner
Arbeitgeberfirma an der Eichstrasse 33 in Glattbrugg waren abgeladen
hatte, fuhr er mit seinem Fahrzeug auf der Eichstrasse in Richtung
Schaffhauserstrasse ein wenig vor, um die seitlichen Laden des Lastwagens
hochklappen zu können. An der Stelle, wo er zu diesem Zweck sein Fahrzeug
anhielt, blockierte er zwar den Verkehr auf der für die Durchfahrt eines
Personenwagens zu eng gewordenen Eichstrasse, liess jedoch für die von
der Schaffhauserstrasse herkommenden Motorfahrzeuge die Einfahrt in die
Liegenschaft des X., Eichstrasse 30, frei. X. hatte an der Wand seiner
Liegenschaft eine Verbotstafel folgenden Inhalts angebracht: "Das Betreten
und Befahren dieser Liegenschaft ist Unberechtigten zufolge gerichtlicher
Verfügung bei Polizeibusse bis zu Fr. 50.-- untersagt". Zusätzlich war
das Signal "Allgemeines Fahrverbot" (Nr. 201) an die Hauswand gemalt.

    In der Folge näherte sich X. mit seinem Personenwagen aus Richtung
Schaffhauserstrasse und beabsichtigte, in die Einfahrt zu seiner
Liegenschaft zu gelangen. Als er des angehaltenen Lastwagens und des
auf seinem Vorplatz stehenden Chauffeurs E., mit dem er von früher her
ein gespanntes Verhältnis hatte, ansichtig wurde, fuhr er statt dessen
geradeaus neben den Lastwagen, wo er auf dessen halber Höhe anhielt
und stark Signal gab. E., der an diesem Hupen Anstoss nahm, kam darauf
gestikulierend einige Schritte auf das Auto des X. zu. Dabei entstand
ein Wortwechsel. Als E. vor dem Wagen von X. stand, fuhr dieser auf jenen
derart zu, dass er überfahren worden wäre, wenn er sich nicht mit beiden
Händen auf der Motorhaube hätte abstützen und dann seitlich wegspringen
können.

    B.- Das geschilderte Vorkommnis veranlasste die Staatsanwaltschaft,
gegen X. Anklage wegen Gefährdung des Lebens gemäss Art. 129 Abs. 1 StGB
zu erheben.

    Das Bezirksgericht Bülach erachtete in seinem Urteil vom 19. Juni
1974 X. jedoch dieser Straftat nicht schuldig; dagegen sprach es ihn
der Störung des öffentlichen Verkehrs gemäss Art. 237 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
schuldig und bestrafte ihn mit 14 Tagen Gefängnis, für welche es ihm auf
eine Probezeit von 3 Jahren den bedingten Strafvollzug gewährte.

    Am 1. November 1974 bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich
diesen Entscheid.

    C.- Gegen das obergerichtliche Urteil führt
X. eidg. Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt Freisprechung, eventuell
Rückweisung der Sache an die Vorinstanz gemäss Art. 277 BStP.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt Abweisung
der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

    Gemäss Art. 237 Ziff. 1 Abs. 1 StGB macht sich u.a. strafbar, wer
vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der
Strasse, hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und
Leben von Menschen in Gefahr bringt.

    Schutzobjekt dieser Strafbestimmung ist danach der "öffentliche
Verkehr". Öffentlich ist der Verkehr dann, wenn er sich auf Strassen,
Strassenverzweigungen oder Plätzen abwickelt, welche nicht bloss dem
privaten Gebrauch dienen, sondern dem öffentlichen Verkehr geöffnet sind
(Art. 1 Abs. 2 VRV; BGE 95 IV 95 E. 2 und 92 IV 11 E. 1). Massgebend
ist dabei nicht, ob die Verkehrsfläche in privatem oder öffentlichem
Eigentum steht, sondern ob sie dem allgemeinen Verkehr dient, also einem
unbestimmbaren Personenkreis zur Verfügung steht, selbst wenn die Benutzung
nach Art oder Zweck eingeschränkt ist (BGE 92 IV 11 E. 1 in fine und 86
IV 31).

    Damit im vorliegenden Fall Art. 237 Ziff. 1 Abs. 1 StGB angewendet
werden kann, muss demnach der Beschwerdeführer sich auf einer jedermann
zum Verkehr geöffneten Strasse der Hinderung, Störung oder Gefährdung
des Verkehrs schuldig gemacht und dadurch wissentlich Leib und Leben von
Menschen in Gefahr gebracht haben. Daher ist es entgegen der Auffassung
der Vorinstanz nicht gleichgültig, ob sich der Beschwerdeführer der ihm
vorgeworfenen Handlungsweise auf der Eichstrasse selber oder aber auf
dem angrenzenden, entsprechend als privaten Vorplatz signalisierten
Raum schuldig gemacht hat. Die Eichstrasse ist eine jedermann
zugängliche öffentliche Strasse. Der fragliche Vorplatz hat jedoch
privaten Charakter; er ist denn auch durch ein rechtsgültig erlassenes,
publiziertes und signalisiertes Betretungs- und Fahrverbot dem allgemeinen
Verkehr entzogen. Es steht fest, dass der Beschwerdeführer die Beachtung
dieses Verbots sehr streng überwacht. Insbesondere E. kannte das Verbot
und wusste, dass dessen Missachtung vom Beschwerdeführer unter keinen
Umständen geduldet wurde. Es handelt sich hier somit zweifelsohne nicht
um einen öffentlichen Vorplatz, und der sich darauf abspielende Verkehr
ist nicht öffentlich im Sinne der eingangs erwähnten Bestimmung.

    Wohl erklärt das Obergericht, der fragliche Vorplatz sei, da er weder
durch einen Zaun noch andere bauliche Vorkehren vom Bereich der Eichstrasse
abgegrenzt sei, dem öffentlichen Verkehr zugänglich; der Beschwerdeführer
anerkenne selber, dass sein Vorplatz trotz der Verbote von vielen fremden
Motorfahrzeugführern befahren werde. Diese Argumentation geht indes von
einem unrichtigen Begriff des öffentlichen Platzes aus. Denn öffentlich
sind eine Strasse oder ein Platz und der Verkehr darauf nur, wenn
dieser sich mit und nicht gegen den (z.B. durch ein Verbot) ausdrücklich
bekundeten Willen des Berechtigten dort abwickelt. Nicht zur öffentlichen
Verkehrsfläche wird ein privater Vorplatz, wenn er unbefugterweise auch
von andern Personen als dem Berechtigten und entgegen einem signalisierten
Verbot benutzt wird (BGE 92 IV 12 E. 2). Die vom Obergericht angezogene
blosse Zugänglichkeit des Vorplatzes durch Dritte oder dessen dem Verbot
zuwiderlaufendes Befahren durch Unberechtigte genügen demnach nicht, dem
Vorplatz des Beschwerdeführers den privaten Charakter abzusprechen und ihn
zu einer öffentlichen Strasse im Sinne von Art. 1 Abs. 2 VRV zu machen. Der
sich auf dem fraglichen Vorplatz abspielende Verkehr hat deshalb nicht
öffentlichen Charakter, und dessen Behinderung, Störung oder Gefährdung
fällt daher nicht unter die Strafnorm des Art. 237 Ziff. 1 Abs. 1 StGB.

    Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben und die Sache
an das Obergericht zurückzuweisen zur Abklärung der Frage, ob das
dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verhalten sich im Bereiche
der öffentlichen Eichstrasse oder aber in demjenigen des privaten
Vorplatzes der Liegenschaft Kat.-Nr. 3679 abgewickelt hat. Sofern das
erstere zutrifft, wäre nach dem Gesagten Art. 237 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
anwendbar. Sollte sich der Vorfall aber auf dem privaten Vorplatz des
Beschwerdeführers abgespielt haben, dann käme diese Bestimmung nicht
zum Zuge. Das Obergericht wird dabei abzuklären haben, welche andere
Strafbestimmung gegebenenfalls auf das Verhalten des Beschwerdeführers
Anwendung zu finden hätte, und ob nach zürcherischem Strafprozessrecht
eine solche nachträgliche Änderung der Anklage und des Schuldspruchs noch
zulässig ist.