Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 145



101 IV 145

38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 30. April 1975 i.S. X.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau Regeste

    Art. 110 Ziff. 5 und 253 StGB.

    1. Die öffentliche Urkunde über die Gründung einer AG stellt eine
Urkunde im Sinne von Art. 110 Ziff. 5 StGB dar (Erw. 2a).

    2. Erschleichung einer Falschbeurkundung, wenn eine Bargründung
vorgetäuscht wird, aber eine Sachübernahmegründung beabsichtigt ist
(Erw. 2b).

Sachverhalt

    A.- Anlässlich der Gründung der Firma Tricotex AG gaben X.  und Y. am
9. Juli 1964 gegenüber dem beurkundenden Notar die Erklärung ab, dass das
Grundkapital der neuen AG bar einbezahlt worden sei und nach Eintragung
der Gesellschaft im Handelsregister zur freien Verfügung derselben
stehe. Es wurde indessen verschwiegen, dass beabsichtigt war, die neue AG
unmittelbar nach ihrer Gründung Vermögenswerte übernehmen zu lassen, wobei
der geleistete Gegenwert dem ganzen Aktienkapital entsprach. Demnach wurde
vorgetäuscht, es handle sich um eine Bargründung, während in Wirklichkeit
eine Sachübernahmegründung vorgenommen wurde. Die erschlichene Urkunde
verwendete X. in der Folge für die Eintragung der Gesellschaft in das
Handelsregister des Kantons Thurgau.

    B.- Mit Urteil vom 24. Januar 1975 hat die Kriminalkammer des Kantons
Thurgau X. des Betruges sowie weiterer Delikte schuldig erklärt und zu
einer unbedingten Gefängnisstrafe von 13 Monaten verurteilt.

    C.- Der Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil hinsichtlich der Mittäterschaft bei Betrug,
der fortgesetzten Urkundenfälschung und der fortgesetzten Erschleichung
einer falschen Beurkundung aufzuheben. Die Sache sei zur Freisprechung
in den genannten Punkten und zur neuen Festsetzung der Strafe sowie zur
Gewährung des bedingten Strafvollzuges an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer wurde wegen Erschleichung einer falschen
Beurkundung (Art. 253 StGB) verurteilt, weil er bei der Gründung der
Tricotex AG gegenüber dem Notar eine Bargründung mit einem voll liberierten
Aktienkapital von Fr. 50'000.-- vorgetäuscht und unter Missachtung von
Art. 628 Abs. 2 OR verschwiegen habe, dass es sich in Wirklichkeit um eine
Sachübernahmegründung handelte. Dabei wurden die eingebrachten Maschinen
unmittelbar nach der Gründung aus dem zu diesem Zweck aufgenommenen
und fälschlich als Aktienkapital deklarierten Darlehen beglichen und
anschliessend das Darlehen zurückbezahlt.

    Nach Art. 253 StGB ist strafbar, wer durch Täuschung bewirkt,
dass ein Beamter oder eine Person öffentlichen Glaubens eine rechtlich
erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet (Abs. 1), und ferner, wer eine so
erschlichene Urkunde gebraucht, um einen andern über die darin beurkundete
Tatsache zu täuschen (Abs. 2).

    a) In der Beschwerde wird zu Recht nicht bestritten, dass die
öffentliche Urkunde über die Gründung einer Aktiengesellschaft sowohl
geeignet als auch dazu bestimmt ist, die von den Gründern darin bestätigten
Angaben (Art. 638 Abs. 2 OR) zu beweisen (BGE 101 IV 61). Infolgedessen
stellt sie eine Urkunde im Sinne von Art. 110 Ziff. 5 StGB dar. Dabei
spielt keine Rolle, ob die Urkundsperson die bestätigten Tatsachen
überprüft oder überprüfen kann (BGE 81 IV 243). Deshalb ist der Einwand
des Beschwerdeführers untauglich, dass der Notar nicht verpflichtet sei,
Parteierklärungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen, und dass seine
Mitwirkung bloss formeller Art sei. Wie diese an sich richtige Feststellung
das angefochtene Urteil entkräften könnte, ist nicht ersichtlich. Auch der
Hinweis des Beschwerdeführers auf ähnliche Manöver von Vertragsparteien
eines Ehevertrages geht fehl. Denn auch hier erfüllen bewusst falsche
Angaben über rechtserhebliche Tatsachen beim Vorliegen der übrigen
Voraussetzungen den Tatbestand des Art. 253 StGB.

    b) X. bestreitet, dass im vorliegenden Fall überhaupt eine rechtlich
erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet worden sei. Das Grundkapital
von Fr. 50'000.-- sei nämlich wirklich vorhanden gewesen. Die zum voraus
beabsichtigte und gleich nachher vorgenommene Verwendung für den Ankauf
von Maschinen führe höchstens zu einer zivilrechtlichen Nichtigkeit,
nicht aber zur Erfüllung eines Straftatbestandes.

    Von vornherein unbehelflich ist der Hinweis auf BGE 83 II 284 ff. Dass
die Verletzung des Art. 628 Abs. 2 OR zivilrechtlich die Nichtigkeit des
betreffenden Geschäftes bewirkt, schliesst nämlich eine Verurteilung
nach Art. 251 ff. StGB nicht aus. Das zitierte Urteil behandelt denn
auch gar nicht die strafrechtlichen Gesichtspunkte.

    Hingegen kann man sich in der Tat fragen, unter welchen Voraussetzungen
von einer Falschbeurkundung zu sprechen ist, wenn bei der Gründung einer
Aktiengesellschaft an sich richtig erklärt wird, das Aktienkapital sei voll
in bar einbezahlt, jedoch im voraus der Wille der Gründer dahin geht, das
Aktienkapital sofort in Sachwerte anzulegen. In solchen Fällen kann falsche
Beurkundung bzw. Erschleichung einer solchen nur dann angenommen werden,
wenn durch die betreffende Verurkundung Dritte getäuscht werden sollen
(siehe V. SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, Nr. 703a;
allgemein zur Täuschungsabsicht als Voraussetzung der vorsätzlichen
Urkundenfälschung: BGE 100 IV 182 mit Verweisungen). Diese Voraussetzung
darf nicht leichthin als erfüllt erachtet werden. Sie wird eher gegeben
sein, wenn die Täuschung durch eine öffentliche Urkunde bewirkt wird,
als wenn sie in einer Privaturkunde enthalten ist (siehe G. STRATENWERTH,
Schweizerisches Strafrecht, BT II, S. 487). Die beabsichtigte Täuschung
anlässlich der Gründung einer Gesellschaft kann auch dann vorliegen,
wenn eine wörtliche Auslegung des Urkundeninhaltes auf den Zeitpunkt der
Errichtung bezogen zwar zutrifft, aber dieser Inhalt nach dem Willen der
Parteien dazu bestimmt ist, Dritte zu täuschen und zu schädigen.

    Hält man sich an diese Abgrenzung, so hat die Vorinstanz durchaus
richtig entschieden. Bei der Gründung, der Tricotex AG fehlte das
erforderliche Kapital. Y. wollte mit X. zusammen eine Sachübernahmegründung
vornehmen, diese jedoch durch eine angebliche Bargründung tarnen. Beiden
Angeklagten war klar, dass die als voll liberiertes Aktienkapital von
Fr. 50'000.-- ausgewiesene Summe entgegen dem erweckten Anschein der
Gesellschaft gar nicht zur freien Verfügung stand, sondern auf dem Umweg
eines Maschinen "kaufs" und einer Darlehensrückzahlung der Gesellschaft
sofort wieder entzogen wurde (siehe Urteil des Kassationshofes vom 5. März
1975 i.S. X.). Vorgetäuscht wurde hier Eigenkapital, währenddem man in
Wirklichkeit kurzfristig aufgenommenes fremdes Geld verwendete. Dadurch
liefen die künftigen Lieferanten und Geldgeber Gefahr, zur Kreditgewährung
verführt und in der Folge geschädigt zu werden.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.