Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 137



101 IV 137

36. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 11. Juli 1975 i.S.
Vogelsanger gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Regeste

    Art. 80 Ziff. 2 Abs. 6 StGB. Vorzeitige Löschung des Eintrags im
Strafregister. Ein "besonders verdienstliches Verhalten" verlangt mehr
als blosse Pflichterfüllung und Wohlverhalten.

Sachverhalt

    A.- Der 1945 geborene Ingo Vogelsanger, der am 18. März 1960
wegen Sachentziehung von der Jugendanwaltschaft Zürich einen Verweis
erhalten und am 31. Oktober 1963 durch das Bezirksgericht Zürich wegen
wiederholten Diebstahls, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs in eine
Anstalt für Jugendliche eingewiesen worden war, aus der er am 30. Januar
1965 mit einer Probezeit von einem Jahr entlassen wurde, liess sich in
der Zeit von Dezember 1966 bis Juni 1967 zahlreiche, zum Teil schwere
Straftaten zuschulden kommen, die er teils allein, zur Hauptsache aber im
Zusammenwirken mit Anderen beging. Er wurde deshalb am 4. Juli 1968 vom
Obergericht des Kantons Zürich wegen Raubes, vollendeten und versuchten
gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls, fortgesetzten Hausfriedensbruchs,
wiederholter und fortgesetzter Sachbeschädigung, vollendeten und versuchten
Betrugs, Irreführung der Rechtspflege, Entwendung eines Motorfahrzeugs
bzw. eines Fahrrads zum Gebrauch, wiederholten und fortgesetzten Fahrens
ohne Führerausweis und wiederholter und fortgesetzter Widerhandlung gegen
die kantonale Waffenverordnung zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus und vier
Jahren Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit verurteilt.

    Am 18. Januar 1970 wurde Vogelsanger aus der Strafhaft bedingt
entlassen. Es wurde ihm eine Probezeit von drei Jahren und die Weisung
auferlegt, Arbeitsplatz und Unterkunft nur im Einverständnis mit der
Schutzaufsicht zu wechseln und jederzeit über seine Einnahmen und Ausgaben
Rechenschaft zu geben. Er arbeitete zunächst als Automechaniker und trat
dann im Einverständnis mit der Schutzaufsicht in die Firma Vetropack AG
in Bülach über, wo er vom Werkstattarbeiter zum Instruktor aufstieg. Im
September 1970 hatte er die Tochter eines leitenden Angestellten der
Firma geheiratet.

    Nach dem obergerichtlichen Urteil bestanden gegen Vogelsanger
und seine Komplizen Schadenersatzforderungen von Fr. 50'000.--, wobei
der Anteil des Beschwerdeführers sich auf Fr. 16'000.-- belief. Auf
Verwendung des Sozialdienstes der Justizdirektion des Kantons Zürich
fanden sich die Gläubiger zu einem erheblichen Nachlass bereit, sodass
Vogelsanger schliesslich noch Fr. 3'500.-- bezahlen musste. Er beglich
diese Forderung mit geborgtem Geld, das er bis zum Ablauf der Probezeit
ratenweise pünktlich zurückzahlte. Auch sein sonstiges Verhalten während
der Probezeit war einwandfrei.

    B.- Am 3. März 1975 stellte Vogelsanger beim Obergericht des Kantons
Zürich ein Gesuch um vorzeitige Löschung des Strafregistereintrags, weil
er zur Weiterbildung ein Jahr in Amerika oder Kanada arbeiten wolle,
welchem Vorhaben jedoch der Eintrag im Strafregister entgegenstehe. Der
Sozialdienst der Justizdirektion des Kantons Zürich unterstützte das
Gesuch.

    Das Obergericht wies das Gesuch am 14. April 1975 ab, weil die
Voraussetzung des Art. 80 Abs. 6 StGB nicht erfüllt sei.

    C.- Vogelsanger führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, seinem
Begehren um vorzeitige Löschung der Eintragung im Strafregister sei
zu entsprechen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 80 Ziff. 1 Abs. 1 StGB löscht der Strafregisterführer
den Eintrag von Amtes wegen, wenn seit dem Urteil über die richterlich
zugemessene Dauer der Freiheitsstrafe hinaus bei Zuchthaus zwanzig
Jahre verstrichen sind. Gemäss Ziff. 2 Abs. 1 und 3 von Art. 80 kann
der Richter auf Gesuch des Verurteilten bei Zuchthaus die Löschung nach
zehn Jahren verfügen, wenn sein Verhalten es rechtfertigt und er den
gerichtlich oder durch Vergleich festgestellten Schaden, soweit zumutbar,
ersetzt hat und das Urteil bezüglich der Nebenstrafen vollzogen ist.
Schliesslich kann nach Abs. 6 die Löschung früher verfügt werden, wenn
ein besonders verdienstliches Verhalten des Verurteilten es rechtfertigt.

Erwägung 3

    3.- Im vorliegenden Fall sind seit der bedingten Entlassung (Art. 81
Abs. 2 StGB) nicht zehn, sondern nur fünfeinhalb Jahre verstrichen.
Eine vorzeitige Löschung ist daher nur möglich, wenn die Voraussetzung
des Art. 80 Ziff. 2 Abs. 6 StGB gegeben ist.

    a) Im Unterschied zur früheren Ordnung des Art. 80 Abs. 3 StGB,
der hiefür eine besonders verdienstliche "Tat" forderte, die nach der
Rechtsprechung ein ausserordentliches, an Selbstaufopferung grenzendes Tun
voraussetzte (BGE 79 IV 8), genügt heute ein besonders verdienstliches
"Verhalten". Der französische Text der systematischen Sammlung spricht
zwar weiterhin von "acte particulièrement méritoire", obschon der Ständerat
einen Text mit dem Wort "conduite" angenommen (Sten.Bull. StR 1967 S. 44)
und die Kommission des Nationalrates in ihrem Antrag an die Kammer in der
zweiten Lesung eine analoge Fassung vorgesehen hatte. Sonderbarerweise
lag dann der Beratung im Nationalrat wieder ein Text mit dem Ausdruck
"acte particulièrement méritoire" zugrunde, ohne dass ein sachlicher Grund
hiefür ersichtlich wäre, zumal die deutsche, von diesem Rat angenommene
Fassung vom "Verhalten" sprach. In Übereinstimmung mit dem deutschen
Gesetzeswortlaut steht dann wiederum der italienische Text mit der Wendung
"condotta particolarmente meritoria".

    b) Mit dieser Änderung des Wortlauts wollte über die Voraussetzung der
besonders verdienstlichen Tat hinausgegangen werden, weil ihr meist etwas
Zufälliges und Einmaliges anhaftet, und ein besonders verdienstliches
Verhalten, dem oft lange Bemühungen zugrunde liegen können, einbezogen
werden, um damit dem Interesse an einer erleichterten Wiedereingliederung
des Gestrauchelten vermehrt Rechnung zu tragen (Botschaft, BBl 1965 I 585
unten; Sten.Bull. StR 1967 S. 44 Ziff. 4). Indessen begnügt sich auch der
revidierte Text nicht mit dem Erfordernis eines verdienstlichen Verhaltens,
sondern verlangt ein "besonders" verdienstliches Verhalten. Wohlverhalten
und redliches Bemühen bei der Wiedergutmachung des Schadens reichen dazu
nicht aus. Das zeigt schon die Systematik der gesetzlichen Ordnung. Kann
nämlich der Richter nach Art. 80 Ziff. 2 Abs. 1 und 3 StGB bei Zuchthaus
die Löschung auch nach zehn Jahren nur verfügen, wenn das Verhalten des
Verurteilten es rechtfertigt und er den gerichtlich oder durch Vergleich
festgestellten Schaden, soweit zumutbar, ersetzt hat, dann kann erst
recht eine vorzeitige Löschung gemäss Abs. 6 nur möglich sein, wenn der
Verurteilte mehr getan hat, als das Gesetz von ihm nach Art. 80 Ziff. 2
Abs. 1 verlangt. Die Anforderungen an das besonders verdienstliche
Verhalten können immerhin etwas gelockert werden, wenn die Dauer des
Wohlverhaltens sich dem Ende der zehnjährigen Frist des Art. 80 Ziff. 2
Abs. 3 StGB nähert (analog zu Art. 64 vorletzter Absatz StGB und BGE 73
IV 159), was hier aber nicht zutrifft.

    Das Obergericht hat die Rechtslage richtig erkannt, wenn es feststellt,
der Begriff des besonders verdienstlichen Verhaltens gebe zwar gegenüber
der früheren Regelung einen etwas weiteren Spielraum, doch müsse von einem
solchen Verhalten mehr als blosse Pflichterfüllung und Wohlverhalten
(Schadensdeckung, gute berufliche Beurteilung, geordnete persönliche
Verhältnisse usw.) erwartet werden, ansonst Art. 80 Ziff. 2 Abs. 6 StGB
seinen Sinn verlöre. Wenn die Vorinstanz hievon ausgehend zum Schluss
gelangte, die Akten des Falles erlaubten die Annahme eines besonders
verdienstlichen Verhaltens nicht und der Beschwerdeführer räume selber ein,
dass er ein solches nicht geltend zu machen vermöge, so muss es dabei
für den Kassationshof sein Bewenden haben. Der Begriff des besonders
verdienstlichen Verhaltens ist ein unbestimmter Gesetzesbegriff, dessen
Auslegung wohl Rechtsfrage ist, dessen Anwendung auf den konkreten Fall
aber vom Sachrichter eine ermessensmässige Wertung verlangt, in die das
Bundesgericht nur eingreift, wenn sie die Grenze einer pflichtgemässen
Würdigung überschreitet. Davon kann hier nicht die Rede sein.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.