Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 11



101 IV 11

4. Urteil des Kassationshofes vom 21. März 1975 i.S. Rebmann gegen
Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB.

    Ob ein während der Probezeit begangenes Verbrechen oder Vergehen
als leicht zu bewerten sei, entscheidet sich aufgrund aller objektiven
und subjektiven Umstände. Fälle, die das breite Feld durchschnittlicher
Taten nicht übersteigen, sind nicht ohne weiteres leicht im Sinne der
genannten Bestimmung. Die Grenze kann nicht schematisch bei einer für die
neue Tat ausgesprochenen Gefängnisstrafe von einem Monat gezogen werden.

Sachverhalt

    A.- 1. Am 16. Mai 1968 verurteilte der Gerichtspräsident IX von
Bern Rebmann wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln zu zehn Tagen
Gefängnis. Er gewährte ihm den bedingten Strafvollzug und setzte die
Probezeit auf vier Jahre an.

    2. a) Am 5. September 1969 wurde in Mailand zum Nachteil der Società
Ittica Elbana ein Personenwagen Alfa Romeo im Werte von Fr. 10'000.--
bis 11'000.-- gestohlen und durch einen Unbekannten in die Schweiz
verbracht. Am 8. September 1969 wurde das Fahrzeug verzollt und
in der Folge durch einen unbekannten Dritten Rebmann telefonisch
angeboten. Rebmann verwies den Dritten an Grossniklaus und erklärte
diesem, mit der Herkunft des Wagens stimme etwas nicht, aber die Gefahr
der Entdeckung sei gering. Rebmann hatte weder den Anbieter noch das
Fahrzeug gesehen, schöpfte jedoch Verdacht, dass das letztere durch eine
strafbare Handlung erworben worden sei. Er verlangte keine Provision.

    b) Am 21. Oktober 1969 wurde in Mailand zum Nachteil des Maveri ein
Personenwagen Porsche gestohlen und durch Pirovano in die Schweiz verbracht
und von Rebmann verzollt. Durch Vermittlung Hofers wurde der Wagen von
Pirovano zuerst Acklin angeboten. Dieser wollte ihn jedoch nicht kaufen
und wies Hofer und Acklin an Rebmann. In Rothenbühler fand Rebmann einen
Interessenten. Rothenbühler unterschrieb bei Rebmann einen Kaufvertrag
und drückte den ursprünglich eingesetzten Preis von Fr. 15'500.-- auf
Fr. 10'000.-- herab. Diesen Betrag händigte er Pirovano aus, als er mit
diesem im gekauften Wagen sass, während Rebmann draussen wartete. Rebmann
hatte Verdacht geschöpft, die Sache mit dem Porsche sei "faul" und deshalb
Rothenbühler gewarnt. Rebmann erhielt keine Entschädigung.

    c) Am 29. Dezember 1969 wurde in Mailand ein weiterer Porsche
gestohlen, durch Pirovano in die Schweiz verbracht und am 8. Januar 1970
durch Frau Wiedmer verzollt. Pirovano brachte das Fahrzeug nach Zürich zu
Hofer, der bei der Vermittlung des Wagens durch Rebmann an Grossniklaus
half. Rebmann wusste, dass er mit einem auf unrechtmässige Weise erlangten
Auto handelte. Er erhielt keine Vermittlungsentschädigung.

    B.- Mit Urteil vom 3. Juli 1974 wurde Rebmann vom Strafamtsgericht
Bern der wiederholten Hehlerei schuldig erklärt und zu vier Monaten
Gefängnis bedingt verurteilt.

    Mit Entscheid vom gleichen Tag verzichtete das Strafamtsgericht
darauf, den dem Angeschuldigten im Urteil vom 16. Mai 1968 gewährten
bedingten Vollzug für die zehntägige Gefängnisstrafe zu widerrufen;
dagegen verwarnte es den Verurteilten.

    Auf Appellation Rebmanns und der Staatsanwaltschaft hin setzte
das Obergericht des Kantons Bern am 11. Oktober 1974 die bedingte
Gefängnisstrafe wegen Hehlerei auf drei Monate herab. Gleichzeitig ordnete
es den Vollzug der am 16. Mai 1968 ausgesprochenen Gefängnisstrafe von
zehn Tagen an.

    C.- Rebmann führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, von der
Anordnung des Vollzuges sei abzusehen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Vorinstanz begründet ihren Entscheid vorerst damit, dass nach
ihrer Rechtsprechung ein leichter Fall im Sinne des Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2
StGB nur bis zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat angenommen werde.
Bloss aussergewöhnliche Umstände rechtfertigten es, eine mit einer höheren
Freiheitsstrafe geahndete Tat als leichten Fall zu qualifizieren. Solche
seien in der vorliegenden Strafsache nicht gegeben.

    Die in Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB stehende Wendung "in leichten
Fällen" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Seine Anwendung lässt im
konkreten Fall dem Sachrichter einen Spielraum, der sich von der Betätigung
des Ermessens nicht scharf trennen lässt. In Überprüfung solcher Entscheide
legt sich der Kassationshof eine gewisse Zurückhaltung auf (BGE 98 Ib
467 E. 3a, 481 E. 3a, 509 E. 2; 97 I 535 E. 3a).

    Der Kassationshof hat bereits in BGE 98 IV 251 E. 3c zur Frage Stellung
bezogen, wann ein während der Probezeit begangenes neues Verbrechen
oder Vergehen im Sinne von Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB als "leicht" zu
gelten hat. Art und Dauer der erneut ausgesprochenen Freiheitsstrafe
bieten wohl einen wichtigen Anhaltspunkt für die Bewertung der Tat durch
den kantonalen Sachrichter. Sie können aber für den Kassationshof, der
die Tat selbständig bewerten muss, schon deshalb nicht einziges Kriterium
sein, weil die Gerichte nicht immer nach gleich strengen Massstäben die
Strafe zumessen. Letztlich muss auch der Kassationshof auf Grund aller
objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalles prüfen, ob der neuen
Tat ein leichtes oder ein nicht mehr leicht zu nehmendes Verschulden
zugrunde liege und ob allenfalls aussergewöhnliche Umstände in Betracht
gezogen werden müssen. Ergänzend sei klargestellt, dass nicht jeder Fall,
der nicht das breite Feld durchschnittlicher Taten übersteigt und in
diesem Sinne nicht als "schwer" angesehen werden kann, als "leicht" im
Sinne des Art. 41 Ziff. 3 StGB gelten kann, wie der Kassationshof schon
im nicht veröffentlichten Teil des Urteils vom 15. Mai 1972 i.S. Stierli
erkannt hat.

    Nach diesen Grundsätzen erscheint die von der Vorinstanz vorgenommene
schematische Grenzziehung bei einem Monat Gefängnis für sich allein
genommen als ein zu starres Kriterium und entspricht nicht dem Sinne
von Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB. Wenn Art. 38 Ziff. 4 Abs. 1 StGB
die Vollzugsbehörden ermächtigt, auf eine Rückversetzung des bedingt
Entlassenen selbst dann zu verzichten, wenn er für die neue Tat zu einer
Gefängnisstrafe von drei Monaten unbedingt verurteilt wurde, ist nicht
einzusehen, weshalb der Richter in seinem Ermessen stärker eingeschränkt
sein sollte. Wenn Art. 41 StGB dem Richter keine solche Grenze setzte, dann
offensichtlich deshalb, weil man seinem Ermessen von der neu ausgefällten
Strafe her keine formalen Grenzen setzen wollte.

    Hätte die Vorinstanz den Vollzug der seinerzeit bedingt ausgesprochenen
Gefängnisstrafe ausschliesslich mit der Begründung angeordnet, eine
Gefängnisstrafe von drei Monaten könne zum vorneherein nicht oder nur
bei Vorliegen ausserordentlicher Umstände als "leichter Fall" angesehen
werden, so hätte sie den unbestimmten Rechtsbegriff nicht nach Sinn und
Zweck der Vorschrift ausgelegt.

    Sie hat indes zusätzlich geprüft, ob nach den objektiven und
subjektiven Umständen ein leichter Fall vorliege.

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer zunächst vor, als
angesehener und loyal geltender Garagist habe er harmlos und mit mehr
Gewicht auftreten können als ein in den Geschäftskreisen bekannter Hehler.
Dieser Betrachtungsweise kann nicht zugestimmt werden. Nach Art. 63
StGB wirkt der gute Ruf, soweit er dem wirklichen Leben entspricht,
strafmindernd. Diesen Ruf missbraucht zu haben, um besser hehlen zu
können, wirft die Vorinstanz dem Beschwerdeführer nicht vor. Wäre er darauf
ausgegangen, hätte er bei den Kaufinteressenten kaum jeweils durchblicken
lassen, dass der Erwerb der vermittelten Autos nicht rechtmässig erfolgt
sei. Dadurch verlor er den Verhandlungspartnern gegenüber den Anschein,
ein integrer Geschäftsmann zu sein.

    Schwerer wiegt der von der Vorinstanz erhobene Vorwurf eines
zwielichtigen Charakters, weil der Beschwerdeführer die Interessenten
einerseits vor dem Kauf der gestohlenen Fahrzeuge gewarnt, sie anderseits
aber wieder beschwichtigt habe.

    Zwar trifft der im angefochtenen Urteil verwendete Ausdruck "im
Zwielicht" die Sache nicht genau. Dass Hehler untereinander sich über
Verdachtselemente und das grössere oder geringere Risiko, entdeckt zu
werden, äussern, liegt im Rahmen der Hehlerei und lässt die Tat noch nicht
als besonders verwerflich oder schwer erscheinen. Immerhin ist erkennbar,
dass der Beschwerdeführer nicht unüberlegt und leichtfertig zum Hehler
wurde, dass er vielmehr bedacht vorgegangen und die Risiken abgewogen hat
und im Vertrauen darauf, die Tat werde zu keiner Strafverfolgung führen,
das Risiko selber auf sich genommen und auch die Kaufinteressenten
beschwichtigt hat. Der von der Vorinstanz gezogene Schluss von dieser
Handlungsweise auf einen entsprechenden Charakter ist tatsächlicher
Natur und bindet den Kassationshof (Art. 273 Abs. 1 lit. b, 277bis
Abs. 1 BStP). Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer wiederholt half,
Diebesgut von beachtlichem Wert umzusetzen, und dass er sich, wenn
auch als Randerscheinung, in einen internationalen und gross angelegten
illegalen Verkehr mit gestohlenen Autos einschaltete. Das Motiv der Tat
steht zwar nicht restlos fest. Die Vermutung allein, geschäftliche Gründe
"dürften" den Beschwerdeführer zur Tat verleitet haben, ist noch keine
bindende Feststellung, da sie die gesetzliche Unschuldsvermutung nicht zu
beseitigen vermag (BGE 76 IV 191, E. 3, 78 IV 178 E. 4). Mit Bestimmtheit
verneint die Vorinstanz aber die Behauptung, blosse Gutmütigkeit hätte den
Beschwerdeführer zum Hehler werden lassen. Daran kann der Kassationshof
nicht vorbeigehen (Art. 277bis Abs. 1 BStP). Der Beschwerdeführer wurde
auch nicht durch äussere Umstände zur Tat gedrängt.

    Bei Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte wiegt die dreimalige
Hehlerei objektiv und subjektiv nicht mehr leicht. Ohne Bundesrecht zu
verletzen, konnte die Vorinstanz daher einen "leichten Fall" im Sinne des
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB verneinen. Dass die Hehlerei das Mittelmass
nicht überschritten hat und in diesem Sinne nicht als schwer angesehen
werden kann, macht sie noch nicht zu einem "leichten Fall" im Sinne der
genannten Bestimmung. Hat man es aber nicht mehr mit einem "leichten Fall"
zu tun, erweist sich die Beschwerde als unbegründet.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.