Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 II 99



101 II 99

20. Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. März 1975 i.S. Beer gegen Hermann
Lanz AG. Regeste

    Abgangsentschädigung.

    Art. 339b OR ist nicht anwendbar auf ein Dienstverhältnis, das vor
dem 1. Januar 1973 endete, dessen Vertragsbestimmungen aber nicht an
die neuen Vorschriften über den Arbeitsvertrag angepasst worden sind.

Sachverhalt

    A.- Ernest Beer war seit Herbst 1945 bei der Holzwarenfabrik Murgenthal
AG im Aussendienst tätig, deren Betrieb 1952 von der Hermann Lanz AG
übernommen wurde. Im Januar 1972 kündigte die Firma Lanz das am 10. März
1958 erneuerte Arbeitsverhältnis mit Beer auf den 31. März 1972.

    B.- Im August 1973 klagte Beer gegen die Hermann Lanz AG auf Zahlung
von Fr. 12'974.-- nebst 5% Zins seit 1. April 1972. Er machte geltend, die
Beklagte schulde ihm eine Abgangsentschädigung im Sinne von Art. 339b OR.

    Das Handelsgericht des Kantons Aargau wies die Klage am 22. August
1974 ab.

    C.- Der Kläger hat Berufung eingelegt. Er beantragt, das Urteil
des Handelsgerichtes aufzuheben und sein Klagebegehren gutzuheissen,
eventuell die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Er wirft dem Handelsgericht vor, Art. 7 Abs. 1 der Schluss- und
Übergangsbestimmungen zu den revidierten Titeln 10 und 10bis des OR
(Arbeitsvertrag) falsch ausgelegt zu haben. Sein Vertrag mit der Beklagten
habe keine dem neuen Recht widersprechenden Abreden enthalten, folglich
keiner Anpassung bedurft; er könne sich entgegen der Annahme der Vorinstanz
auf Art. 339b OR berufen.

    Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene
Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Bundesgesetz vom 25. Juni 1971 über den Arbeitsvertrag (AS
1971 S. 1465 ff.), das am 1. Januar 1972 in Kraft getreten ist, enthält
in Art. 7 Abs. 1 der Schluss- und Übergangsbestimmungen eine selbständige
Regel über die Anpassung altrechtlicher Verhältnisse. Sie ist im Interesse
der Rechtssicherheit und der einheitlichen Rechtsanwendung aufgenommen
worden und geht den Art. 2 bis 4 SchlT ZGB über die Rückwirkung neuen
Rechts vor (vgl. Botschaft zum Entwurf, BBl 1967 II 426/7). Eine ähnliche
Regel hat der Gesetzgeber bereits dem Bundesgesetz vom 13. Juni 1941
über das Anstellungsverhältnis der Handelsreisenden (Art. 20 Abs. 2)
sowie dem Bundesgesetz vom 4. Februar 1949 über den Agenturvertrag (II
Art. 1 Abs. 2) als Übergangsbestimmung beigefügt.

    Nach Art. 7 Abs. 1 hatten die Parteien von Arbeitsverträgen, die bei
Inkrafttreten des Gesetzes bereits bestanden, die Vertragsbestimmungen
innert der Frist von einem Jahr den neuen Vorschriften über den
Arbeitsvertrag anzupassen. Die Frist begann mit dem Inkrafttreten des
Gesetzes am 1. Januar 1972 zu laufen und endete am 31. Dezember 1972. Seit
Ablauf der Frist, d.h. vom 1. Januar 1973 an, sind die neuen Vorschriften
auf alle Arbeitsverträge anwendbar. Art. 7 Abs. 1 unterscheidet somit
einzig zwischen Verträgen, die innerhalb der Frist angepasst worden sind,
und solchen, bei denen dies nicht geschehen ist. Für die ersteren gelten
die neuen Bestimmungen vom Tage der Anpassung, für die letzteren vom
1. Januar 1973 an.

    Dass bloss Verträge, die dem neuen Recht widersprachen, angepasst
werden sollten, wie der Kläger unter Berufung auf SCHWEINGRUBER (Kommentar
zum Arbeitsvertrag, S. 423/4) anzunehmen scheint, ist weder dem Wortlaut
noch dem Sinn der Übergangsbestimmung zu entnehmen. Diese schrieb die
Anpassung für alle Arbeitsverträge vor, gleichviel ob die Verträge sich
mit dem neuen Recht vertrugen oder im Vergleich damit lediglich Lücken
aufwiesen. Für den Fall, dass die Anpassung innert der einjährigen Frist
unterblieb, lässt Art. 7 Abs. 1 das neue Recht wiederum ohne Rücksicht auf
den Inhalt der Verträge erst vom 1. Januar 1973 an gelten. Über diese klare
Regel könnte der Richter nur hinwegsehen, wenn der Gesetzgeber bestimmte
Vorschriften des neuen Rechts, z.B. jene über die Abgangsentschädigung,
selber mit sofortiger Wirkung auf alle Arbeitsverträge anwendbar erklärt
hätte. Das ist in einer Übergangsbestimmung des Bundesgesetzes über den
Agenturvertrag geschehen (Art. 1 Abs. 1; AS 1949 I 807), trifft hier aber
nicht zu.

    Art. 7 Abs. 1 wird auch im Schrifttum so verstanden, ausser von
SCHWEINGRUBER, dessen Auffassung jedoch nicht überzeugt und im Gesetzestext
keine Stütze findet. Es wird insbesondere hervorgehoben, dass die Auslegung
der Bestimmung angesichts deren klaren Wortlautes keine Schwierigkeiten
biete und im Unterschied zu Art. 7 Abs. 2 keine Kontroversen ausgelöst
habe (W. HUG, La nouvelle législation sur le contrat de travail, Onzième
Journée Juridique 9 octobre 1971, S. 110; U. STREIFF, Leitfaden zum neuen
Arbeitsvertragsrecht, S. 249; H. WOHLMANN, zu einigen Lücken im neuen
Arbeitsvertragsrecht, Aspekte der Rechtsentwicklung, S. 89; H. MEYER,
Arbeitsvertragsrecht und Personalvorsorge, SJZ 69 S. 229; K. SOVILLA,
Mitteilungen des Schweizerischen Anwaltsverbandes, Heft 45 S. 21). Die
Auslegung dieser Autoren deckt sich zudem mit der Rechtsprechung, Lehre
und den Gesetzesmaterialien zu ähnlichen Übergangsbestimmungen (BGE 83
II 39 Erw. 2; G. MEISTER, Praktischer Leitfaden zum Bundesgesetz über
den Agenturvertrag, S. 68; BBl 1940 II 1350 und 1947 III 696).

    Dass Art. 7 Abs. 1 wegen der Rückwirkung des neuen Rechts auf
altrechtliche Verhältnisse zu Ungleichheiten führen kann, ist dem
Gesetzgeber entgegen den Einwänden des Klägers nicht entgangen. Er war
sich dessen bewusst, hat aber eine klare und einfache Lösung getroffen,
um jede Rechtsunsicherheit auszuschliessen und eine einheitliche
Anwendung des neuen Rechts zu gewährleisten. Die vom Kläger befürwortete
Auslegung widerspricht diesen Grundgedanken des Gesetzes und würde
die Rechtsanwendung erheblich erschweren, was weitere Gründe für ihre
Ablehnung sind.

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall wäre somit Art. 339b OR nur anwendbar,
wenn die Parteien das Vertragsverhältnis noch vor dessen Beendigung am
31. März 1972 den Vorschriften des neuen Rechts angepasst hätten. Da sie
das nicht getan haben, ist der Berufung des Klägers, der seine Forderung
einzig mit Art. 339b OR zu begründen versucht, der Boden entzogen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichtes des
Kantons Aargau vom 22. August 1974 bestätigt.