Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 II 41



101 II 41

11. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Juni 1975 i.S. L.
gegen B. Regeste

    Erbteilung (Art. 604 ZGB); Verhältnis des kantonalen Prozessrechtes
zum Bundeszivilrecht.

    Die (gestützt auf kantonales Prozessrecht) an die Substantiierung
der Rechtsbegehren einer Erbteilungsklage gestellten Anforderungen dürfen
der Durchsetzung des bundesrechtlich gewährleisteten Teilungsanspruches
nicht entgegenstehen. Jedenfalls darf vom Erbteilungskläger auch dann
nicht die Aufstellung eines genauen Teilungsplanes verlangt werden,
wenn seine Klage auf ein vollstreckbares Teilungsurteil abzielt.

Sachverhalt

    A.- Der am 30. September 1970 verstorbene B. hinterliess als
gesetzliche Erben sechs Kinder aus erster Ehe (die heutigen Kläger)
sowie seine dritte Ehefrau (die Beklagte).

    Mit eigenhändiger letztwilliger Verfügung vom 1. Juni 1959 hatte der
Erblasser u.a. die Kinder aus erster Ehe auf den Pflichtteil gesetzt und
die verfügbare Quote seiner dritten Ehefrau zugewiesen. Dieses Testament
hat er am 25. Juni 1968 ergänzt.

    B.- Am 16. Dezember 1970 sandte der vom Erblasser ernannte
Willensvollstrecker allen Erben eine Kopie des von der kantonalen
Steuerverwaltung erstellten Vermögensstatus, wobei er um Stellungnahme bis
Ende Jahr ersuchte. Nachdem er keine Antworten erhalten hatte, stellte er
am 6. März 1972 einen "Erbteilungsakt" auf, worin er festhielt, dass das
gesamte Nachlassvermögen Frauengut sei und der Ehefrau überlassen werde;
eine Teilung falle somit dahin. Den Erben wurde eine vierzehntägige Frist
angesetzt, um den "Erbteilungsakt" durch Klage allenfalls anzufechten.

    C.- Innert Frist leiteten die Kinder aus erster Ehe gegen die
überlebende dritte Ehefrau des Erblassers Klage ein mit folgenden
Rechtsbegehren:

    "1. Es sei der Nachlass des am 30. September 1970 in Chur verstorbenen

    B. ... darin inbegriffen der Nachlass der 1927 verstorbenen Frau

    M. B. festzustellen.

    2. Es sei der Erbteil der Kläger festzustellen.

    3. Es sei der Nachlass des B. sel. zu teilen."

    Mit Urteil vom 31. Oktober 1973 hiess das Bezirksgericht die Klage
gut und verpflichtete die Beklagte, den Klägern insgesamt Fr. 20'716.83
oder jedem einzelnen Fr. 3'452.80 zu bezahlen.

    Das Kantonsgericht hob am 8. Juli 1974 auf Berufung der Beklagten hin
das erstinstanzliche Urteil auf und trat auf die Klage nicht ein, mit der
Begründung, die Rechtsbegehren seien nicht genügend substantiiert worden.

    D.- Gegen dieses Urteil haben die Kläger sowohl kantonale als auch
eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde eingereicht. Erstere haben sie
indessen am 3. Februar 1975 zurückgezogen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Formelles).

Erwägung 2

    2.- Die Kläger berufen sich auf den Nichtigkeitsgrund des Art. 68
Abs. 1 lit. a OG (Anwendung von kantonalem Recht statt des massgebenden
eidgenössischen Rechts) und bringen im wesentlichen vor, sie hätten ihr
Rechtsbegehren in Übereinstimmung mit der Auffassung des Bundesgerichts
und der massgebenden Kommentatoren formuliert; das (umfassende)
Begehren auf Feststellung des Nachlasses und der Erbteile sowie auf
Teilung des Nachlasses sei zulässig und genügend; eine weiter gehende
kantonalrechtliche Substantiierungspflicht sei unbeachtlich.

Erwägung 3

    3.- a) Der Anspruch auf Teilung der Erbschaft ergibt sich aus
Art. 604 Abs. 1 ZGB, mithin aus Bundesrecht. Die nähere Ausgestaltung
des Erbteilungsverfahrens, wozu namentlich auch der Umfang der
Substantiierungspflicht mit Bezug auf die Klagebegehren gehört, ist
demgegenüber grundsätzlich dem kantonalen Prozessrecht vorbehalten. Dieses
wiederum hat jedoch auf die bundesrechtlichen Vorschriften über die
Teilungsart (Art. 607 ff. ZGB) Rücksicht zu nehmen und darf namentlich der
Durchsetzung des bundesrechtlich gesicherten materiellen Teilungsanspruches
nicht entgegenstehen.

    b) Die Klageschrift enthält zunächst den Antrag, es seien aus dem
Nachlass vorweg die Vermögenswerte auszuscheiden, die im Zeitpunkt ihres
Todes im Eigentum der Mutter der Kläger gestanden hätten. Dabei wird auf
ein Inventar verwiesen, das von der Vormundschaftsbehörde aufgenommen
worden sei.

    Sodann führen die Kläger aus, die Liegenschaft in R. habe der Erblasser
1927 für Fr. 7'000.-- gekauft und 1967 für Fr. 60'000.-- verkauft. Der
erzielte Barerlös von Fr. 36'000.--, der eingebrachtes Mannesgut darstelle,
sei laut Testament vom 25. Juni 1968 zusammen mit weiteren Fr. 12'000.--
für Abzahlungen an das Haus B. verwendet worden. Die Behauptung der
Beklagten, der Erblasser habe den Verkaufserlös bis zu seinem Tode
verbraucht, weisen die Kläger zurück. Sie erklären, der Erblasser sei
bis zu seinem 70. Altersjahr voll berufstätig gewesen und habe alsdann
noch aushilfsweise für seine frühere Arbeitgeberin weiter gearbeitet. Als
Beweis für ihre Vorbringen nennen sie die verschiedenen Kaufverträge,
das Testament vom 25. Juni 1968 sowie die Lohnausweise.

    Ferner wird in der Klageschrift darauf hingewiesen, dass in dem (wegen
Formmangels ungültigen) Testament vom 29. Januar 1969 von Obligationen
die Rede sei, die bei einer Bank in V. hinterlegt seien. Im Nachlass habe
sich denn auch ein Verzeichnis von Wertschriften im Gesamtbetrag von
Fr. 50'000.-- gefunden, welche mit den im Schriftstück vom 29. Januar
1969 erwähnten Obligationen identisch seien. Wie aus den einschlägigen
Unterlagen hervorgehe, stellten sie ebenfalls Mannesgut dar. Der
Erbteilungsakt des Willensvollstreckers aber lasse sie unberücksichtigt.

    Was die auf der Rückseite des Wertschriftenverzeichnisses angeführten
Sparguthaben betreffe, so habe der für das Depot bei der Kantonalbank
verfügungsbevollmächtigte Schwiegersohn des Erblassers das Bankfach
praktisch leer vorgefunden. Da die Beklagte ebenfalls Zugang zu diesem
Bankfach gehabt habe, sei sie aufzufordern, über die Verwendung der
hinterlegten Beträge Auskunft zu geben. Ihre Behauptung, sie sei
begütert gewesen und das heute vorhandene Vermögen sei ihr Eigentum,
werde bestritten.

    Abschliessend beziffern die Kläger die von ihnen beanspruchte Erbquote
mit je 1/6 von 9/16.

Erwägung 4

    4.- a) Bestünde der väterliche Nachlass lediglich aus Bargeld,
so hätten die Kläger ohne weiteres ein betragsmässig bestimmtes
Rechtsbegehren stellen können. Sie haben indessen stets geltend gemacht,
zum eingebrachten Gut des Erblassers seien auch die auf dem von ihnen
eingereichten Verzeichnis angeführten Wertschriften sowie weitere
(in Bankfächern hinterlegte) Guthaben zu zählen. Mag dieser Standpunkt
zutreffen oder nicht, bei der Beurteilung der Voraussetzungen an die
Formulierung der Rechtsbegehren hatte die Vorinstanz auf jeden Fall von
den vorgebrachten Tatsachenbehauptungen auszugehen.

    Das Kantonsgericht ist der Ansicht, die Kläger hätten aufgrund
ihrer Vorstellung von der Zusammensetzung des Nachlasses bestimmte
Gegenstände bzw. den entsprechenden Geldwert herausverlangen und
durch Eventualbegehren alle Alternativen berücksichtigen können. Dabei
übersieht es jedoch, dass das Bundeszivilrecht, von Teilungsvorschriften
des Erblassers abgesehen, keinen Anspruch auf Zuweisung bestimmter Objekte
gewährleistet. Die Erben haben bei der Teilung alle den gleichen Anspruch
auf die Gegenstände der Erbschaft (Art. 610 Abs. 1 ZGB); erst durch die
Losbildung und allfällige Losziehung erfolgt die Zuweisung an die einzelnen
Erben (Art. 611 ZGB). Ebenso unbegründet ist der Vorwurf, die Kläger hätten
sich an den Willensvollstrecker wenden und von ihm verlangen können, dass
er ihnen über ihre Annahmen und Vermutungen Gewissheit verschaffe. Die
Vervollständigung des Erbschaftsinventars wird ja u.a. gerade Gegenstand
des Beweisverfahrens im Teilungsprozess bilden müssen.

    b) Wie bereits dargelegt, geht der Anspruch aus Art. 604 Abs. 1
ZGB, Teilungsvorschriften des Erblassers vorbehalten, nur auf Vornahme
der Teilung, nicht auch auf Zuweisung bestimmter Objekte. Mit Recht
vertreten TUOR/PICENONI (N. 4f und 4g zu Art. 604 ZGB) sowie eine
Reihe dort zitierter Autoren in Übereinstimmung mit der neueren Praxis
(vgl. namentlich BGE 69 II 369 Erw. 7) allerdings die Auffassung, der
angerufene Richter habe allenfalls ein vollstreckbares Urteil zu fällen,
d.h. ein solches, das die Teilung durchführt und die Verteilung der
Erbschaftsbestandteile auf die einzelnen Erben durch die Vollzugsorgane
unmittelbar ermöglicht. Dies ändert jedoch nichts daran, dass - entgegen
der Ansicht von KEHL (SJZ 1952 S. 40 rechte Spalte unten) - von einem
Kläger die Aufstellung eines genauen Teilungsplanes nicht verlangt
werden kann.

    c) Die Kläger haben immerhin eine bestimmte Zusammensetzung des
Nachlasses (Bestand und Umfang) behauptet und zum Beweis verstellt. Ferner
haben sie einen erbrechtlichen Anspruch (ihren Pflichtteil) - bezogen auf
die eingebrachten Güter und den noch festzustellenden weiteren Nachlass
des Erblassers - geltend gemacht. In ihrer Klagebegründung haben sie
notgedrungen dem Umstand Rechnung getragen, dass der Willensvollstrecker
das gesamte Vermögen als Frauengut bezeichnet und dass die Beklagte
eingewendet hatte, das eingebrachte Mannesgut sei beim Tode des Erblassers
nicht mehr vorhanden gewesen. Mit ihren Ausführungen haben die Kläger
jedenfalls sinngemäss erklärt, welche Feststellungen zu treffen seien und
wie zu teilen sei. Das muss genügen (vgl. ESCHER, 3. Aufl., N. 5 d zu
Art. 604 ZGB). Im einzelnen ergeben sich die folgenden Rechtsbegehren:
Feststellung des Nachlasses (aufgrund der entsprechenden Behauptungen
und Beweisanträge), Feststellung der klägerischen Erbteile (quotenmässig
richtigerweise mit insgesamt 9/16 angegeben) und Teilung des Nachlasses.

    Indem die Vorinstanz die Substantiierung der klägerischen
Rechtsbegehren als ungenügend erachtete, obschon diese die Fällung eines
vollstreckbaren Teilungsurteils erlaubt, hat sie sich in Widerspruch zum
Bundesrecht gesetzt: Sie hat statt des massgebenden eidgenössischen Rechts
kantonales Recht angewendet. Bei der vorliegenden Sachlage gestützt auf
kantonale Prozessvorschriften nicht auf die Klage einzutreten und damit
deren materielle Beurteilung zu versagen, läuft auf eine Vereitelung des
bundesrechtlichen Teilungsanspruches hinaus.

    Das Bundesgericht hat in BGE 75 II 256 erklärt, auch wenn das kantonale
Prozessrecht es zulasse, dass vor den kantonalen Instanzen einfach
Feststellung und Teilung des Nachlasses beantragt werde, müssten mit
der Berufung ans Bundesgericht konkrete Anträge über die Art der Teilung
gestellt werden. JOST (Der Erbteilungsprozess im schweizerischen Recht,
S. 73) ist der Ansicht, das Bundesgericht scheine damit den Anforderungen
des kantonalen Prozessrechts an die Formulierung des Teilungsbegehrens
den Vorrang einräumen zu wollen. Jenes Urteil hatte jedoch lediglich
die an die Berufungsschrift gestellten Anforderungen sowie die besondere
Natur der eidgenössischen Berufung als revisio in iure zum Gegenstand,
welche verbieten, dass vor Bundesgericht lediglich der Antrag auf neue
Feststellung und Teilung des Nachlasses gestellt wird. Aus ihm kann
zugunsten der Auffassung der Vorinstanz und der Beklagten daher nichts
abgeleitet werden.

    Der angefochtene Entscheid, der übrigens umso stossender ist, als das
kantonale Prozessrecht es bei Forderungsklagen, bei denen die Höhe von
einem Beweisverfahren abhängt, ausdrücklich genügen lässt, dass zunächst
nur die grundsätzliche Feststellung der Zahlungspflicht verlangt wird
(Art. 172 und 205 Abs. 1 Ziff. 3 des Gesetzes über die Zivilrechtspflege),
ist somit aufzuheben.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Kantonsgerichts
vom 8. Juli 1974 aufgehoben; die Sache wird zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückgewiesen.