Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 II 277



101 II 277

46. Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Oktober 1975
i.S. Aktiengesellschaft B. gegen A. Regeste

    Art. 340a OR; Konkurrenzverbot mit Karenzentschädigung.

    1. Auslegung und Rechtsfolgen eines entgeltlichen Konkurrenzverbotes,
das mit einer massiven Konventionalstrafe verbunden ist (Erw. 1a).

    2. Berufswechsel des Arbeitnehmers, der deswegen eine Verdiensteinbusse
erleidet und die Karenzentschädigung beansprucht (Erw. 1b und c).

    3. Die Entschädigung ist nicht erst nach Ablauf der Verbotsdauer
fällig, wenn sie gemäss Abrede monatlich geschuldet ist (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- A. ist gelernter Elektromechaniker und spezialisiert auf
elektrische Messgeräte. Am 1. September 1964 trat er in die Dienste
der Aktiengesellschaft B., die Regel- und Steuergeräte herstellt und
vertreibt. Im Dezember 1966 gab die Gesellschaft den Angestellten
bekannt, sie müsse ihnen wegen Vorkommnissen der letzten Monate ein
Konkurrenzverbot auferlegen und von allen, die an der Fortsetzung
des Dienstverhältnisses interessiert seien, mit sofortiger Wirkung
entsprechende Anstellungsverträge verlangen.

    A. war damit einverstanden. Er verpflichtete sich, während zwei Jahren
nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht für ein Unternehmen, das
Erzeugnisse gemäss Programm der Aktiengesellschaft B. herstellt oder
vertreibt, tätig zu sein. Es wurde ihm insbesondere verboten, mit einem
solchen Unternehmen ein festes Arbeitsverhältnis oder ein freies Beratungs-
oder Vertretungsverhältnis einzugehen, ein solches Unternehmen selbst
einzurichten, zu erwerben oder sich daran finanziell zu beteiligen. Das
Konkurrenzverbot galt für das Gebiet der europäischen Industrieländer
(Ziff. 2 des Vertrages).

    Die Aktiengesellschaft B. versprach dem A. für die Dauer des
Verbotes monatlich eine Entschädigung, die 75% der zuletzt von ihm
bezogenen Leistungen gemäss Vertrag ausmachen sollte, wenn die Firma
das Arbeitsverhältnis auflöste. Für den Fall, dass A. kündigte, wurde
die Entschädigung auf 50% dieser Leistungen festgesetzt. Was er während
der Dauer des Verbotes durch anderweitige Arbeit erwarb, musste er sich
auf die Entschädigung anrechnen lassen. Er hatte darüber auf Verlangen
und am Ende jedes Vierteljahres auch unaufgefordert Auskunft zu geben
(Ziff. 4 des Vertrages).

    Im Juli 1972 kündigte A. das Arbeitsverhältnis auf den 31. Januar
1973. Auf seine Anfrage hin bestätigte ihm die Gesellschaft, dass sie am
Konkurrenzverbot festhalte.

    Nach seinem Austritt aus der Firma eröffnete A. eine Judoschule. Er
forderte von der Aktiengesellschaft B. wiederholt, erstmals am 29. Februar
1973, die ihm in Ziff. 4 des Vertrages zugesagten Leistungen. Die
Gesellschaft lehnte ab.

    B.- Im April 1974 klagte A. gegen die Aktiengesellschaft B. auf Zahlung
von Fr. 11'269.50, die sie ihm bis 31. Januar 1974 schulde. Er verlangte
ferner 5% Zins seit 1. August 1973 und behielt sich weitere Ansprüche für
den Zeitraum vom 1. Februar 1974 bis 31. Januar 1975 vor. Im Verfahren
setzte er die Klagesumme auf Fr. 10'415.50 herab.

    Das Handelsgericht des Kantons Zürich hiess die Klage am 17. März
1975 in diesem Betrage mit 5% Zins ab 1. August 1973 gut.

    C.- Die Beklagte beantragt dem Bundesgericht auf dem Wege der Berufung,
dieses Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, eventuell die Sache
an das Handelsgericht zurückzuweisen.

    Die Beklagte macht wie schon im kantonalen Verfahren geltend, eine
Entschädigung gemäss Ziff. 4 des Vertrages setze nach dem Sinn und Wortlaut
der Bestimmung wie nach Treu und Glauben voraus, dass der Arbeitnehmer
sich um eine gleichwertige Anstellung in seinem (bisherigen) Berufe bemühe;
diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. Zwischen dem Konkurrenzverbot und
dem Einkommensverlust des Klägers bestehe zudem kein Zusammenhang. Das
angefochtene Urteil verletze Art. 1 Abs. 1, 2 und 8 ZGB sowie Art. 18
Abs. 1 und 44 OR.

    D.- Der Kläger hält das angefochtene Urteil für richtig und beantragt,
es zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Handelsgericht geht mit der Beklagten davon aus, dass
es einem Arbeitnehmer nach Art. 2 ZGB grundsätzlich nicht freisteht,
während der Dauer des Konkurrenzverbotes irgend eine schlecht bezahlte
Stelle anzunehmen oder gar nichts zu tun und vom früheren Arbeitgeber
die vertraglich vereinbarte Karenzentschädigung zu verlangen. Es hält
der Beklagten jedoch entgegen, sie habe dem Kläger ein umfassendes
Konkurrenzverbot auferlegt und dieses mit einer massiven Konventionalstrafe
von rund Fr. 36'000.-- verbunden, folglich damit rechnen müssen,
dass er sich einem andern Berufe zuwenden könnte, um seinen Verdienst
sicherzustellen und dem Verbot und der Strafe auszuweichen. Es könne auch
nicht ernsthaft bezweifelt werden, dass zwischen seiner Verdiensteinbusse
und dem Verbot ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe. Aus dem Wortlaut
der streitigen Vertragsbestimmung könne die Beklagte nichts zu ihren
Gunsten ableiten. Nach dem Sinn der Bestimmung seien aber beide
Parteien der Meinung gewesen, dass der Kläger für die Erschwerung
des Fortkommens zufolge des Verbotes entschädigt werden solle; bei
dessen Umfang habe der Kläger keine Möglichkeit gesehen, in seinem
bisherigen Beruf eine gleichwertige Stelle zu finden. Es sei daher
durchaus sinnvoll und widerspreche Treu und Glauben nicht, Ziff. 4 des
Vertrages so auszulegen, dass die Karenzentschädigung auch zum Ausgleich
von Nachteilen und Verdiensteinbussen geschuldet sei, welche der Kläger
durch den Berufswechsel erlitten habe.

    a) Diese Würdigung von Ziff. 4 des Vertrages durch das Handelsgericht
verletzt das Gesetz nicht. Sie entspricht dem Grundsatz, dass
Willensäusserungen nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern nach dem
Zusammenhang, in dem sie stehen, und nach den gesamten Umständen,
unter denen sie abgegeben wurden, auszulegen sind (BGE 92 II 348,
97 II 73/4, 99 II 285). Das Handelsgericht stellt die Frage nach dem
Sinn und Zweck der streitigen Abrede übrigens nicht anders, als die
Beklagte sie unter Berufung auf A. HÄFLIGER (Das Konkurrenzverbot im
neuen Arbeitsvertragsrecht, Diss. Zürich 1974 S. 102) gestellt wissen
will. Nach diesem Autor kommt es in erster Linie auf den Inhalt des
Vertrages und, falls ihm nichts entnommen werden kann, auf den Zweck der
Karenzentschädigung an, nämlich auf den Ausgleich der Erschwerung, welche
der zur Konkurrenzenthaltung verpflichtete Arbeitnehmer zu ertragen hat.

    Dass das Konkurrenzverbot umfassend und die Konventionalstrafe
scharf ausgefallen ist, liegt auf der Hand und ist dem Handelsgericht
nicht entgangen. Das erste erhellt insbesondere aus dem in Ziff. 1
des Vertrages umschriebenen Arbeitsbereich des Klägers, das zweite aus
der Höhe der angedrohten Strafe. Schon deshalb lässt sich nicht sagen,
wenn man der Auffassung des Handelsgerichtes über die Voraussetzungen der
Karenzentschädigung folge, verliere diese nicht nur ihren rechtlichen
Charakter, sondern als Vergütung für Einkommenseinbussen auch ihren
Rechtsgrund, wie die Beklagte einwendet. Davon kann umsoweniger die Rede
sein, als der Berechtigte auch beim entgeltlichen Konkurrenzverbot keinen
Anspruch darauf hat, dass der Verpflichtete weiterhin im bisherigen
Tätigkeitsgebiet tätig ist. Der Verpflichtete braucht diesfalls, wie
bereits in BGE 78 II 236 klargestellt worden ist, seine Arbeitskraft
nicht den Interessen des Berechtigten zu reservieren, sondern darf jede
ausserhalb des Verbotes liegende Tätigkeit ausüben, also auch einen andern
Beruf ergreifen. Daran ist festzuhalten, gleichviel ob der Berechtigte
mit einem Berufswechsel des Verpflichteten rechnen musste oder nicht. Für
einen gelernten und innerhalb seines Faches spezialisierten Arbeitnehmer
bedeutet in der Regel schon das blosse Konkurrenzverbot eine empfindliche
Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens. Weshalb der Belastete darüber
hinaus dem Berechtigten bei angedrohtem Verlust der Karenzentschädigung
auch noch verpflichtet sein sollte, sein wirtschaftliches Fortkommen allein
im Gebiete bisheriger Berufstätigkeit zu suchen, ist nicht zu ersehen.

    Ziff. 4 des Vertrages schliesst eine berufliche Umstellung des Klägers
nicht aus. Auch deutet nichts darauf, dass die Parteien eine solche
Einschränkung stillschweigend zum Inhalt der Bestimmung gemacht hätten
und dass das Handelsgericht einen dahin gehenden wirklichen Vertragswillen
verkannt habe, wie die Beklagte annimmt. Das folgt insbesondere nicht schon
daraus, dass bei der Berechnung der geschuldeten Karenzentschädigung von
den bisherigen vertraglichen Leistungen der Beklagten auszugehen ist. Wenn
damit, wie die Beklagte ihrerseits unterstellt, kommende Verdiensteinbussen
ausgeglichen werden sollten, musste die Entschädigung notwendigerweise an
das letzte Einkommen des Klägers anknüpfen, gleichviel woraus sich die
Einbussen ergaben. Die Beklagte anerkennt, dass ein Konkurrenzverbot,
das den Verpflichteten zu beruflicher Umstellung zwingt, nach Art. 340a
OR unverbindlich ist. Das heisst jedoch nicht, dass dem Verpflichteten
auch eine frei gewählte Umstellung verwehrt sei. Ein solches Verbot liefe
vielmehr wie eine Verpflichtung zur Umstellung auf eine vom Gesetz verpönte
unbillige Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens hinaus.

    Ein Garantievertrag im Sinne von Art. 111 OR schliesslich liegt
nicht vor. Die Beklagte hat dem Kläger nicht die Leistung eines Dritten
versprochen, sondern sich selber zu einer begrenzten Entschädigung
verpflichtet, auf die der Kläger sich freilich künftige Leistungen eines
Dritten anrechnen lassen sollte. Die Bemerkung des Handelsgerichtes,
die Beklagte habe dem Kläger gemäss Vertrag höchstens 50% des bisherigen
Verdienstes garantiert, ist nicht anders zu verstehen.

    b) Eine berufliche Umstellung kann somit weder als Verletzung der
Abrede über ein entgeltliches Konkurrenzverbot, noch als Verstoss gegen
Treu und Glauben gewertet werden. Dass der Kläger den Beruf gewechselt hat,
rechtfertigt solche Vorhalte ebenfalls nicht. Nach dem angefochtenen Urteil
hat er die Judoschule nicht von ungefähr eröffnet; er liess sich schon
früher zum Judolehrer ausbilden, besass also die nötigen Fähigkeiten und
Kenntnisse für die neue Tätigkeit, als er die Stelle bei der Beklagten
verliess. Bei dieser Sachlage schadet ihm nicht, dass er sich für einen
Wechsel entschied und es nicht darauf ankommen lassen wollte, ob er
als spezialisierter Elektromechaniker in einer anderen Sparte einer
der bisherigen gleichwertige Stellung finde und dann Gefahr laufe, das
Konkurrenzverbot zu verletzen und die Konventionalstrafe auszulösen.

    Die Beklagte rechnete übrigens selber nicht damit, dass der mit
einem umfassenden Konkurrenzverbot belastete Kläger anderweitig ohne
Schwierigkeiten eine mindestens gleichwertige Stellung finden werde. Sonst
wäre nicht zu verstehen, dass sie Verdiensteinbussen des Klägers für
wahrscheinlich hielt und dafür eine Entschädigung vorsah. Dass sie dies
von sich aus, nicht erst auf Verlangen des Klägers tat, zeigt, wie sehr
sie am Konkurrenzverbot interessiert war. Dafür spricht auch, dass die
Beklagte ungeachtet der in Ziff. 6 des Vertrages vorbehaltenen Möglichkeit
nicht auf das Verbot verzichtete, als der Kläger das Arbeitsverhältnis
kündigte. Der Berufswechsel des Klägers bot für eine Einhaltung des
Konkurrenzverbotes zudem mehr Gewähr als die weitere Betätigung im
bisherigen Arbeitsbereich; er schloss eine Verletzung des Verbotes
sogar aus. Der Versuch der Beklagten, sich ihrer Pflicht zur Zahlung der
Karenzentschädigung zu entziehen, entbehrt daher jeder Rechtfertigung.

    c) Durfte der Kläger somit den Beruf ohne Nachteil für seinen
Anspruch auf die Karenzentschädigung wechseln, so ist der Behauptung
der Beklagten, das Handelsgericht habe die von ihr angeführten
Bundesrechtssätze verletzt, die Grundlage entzogen. Bei diesem Ergebnis
hatte die Vorinstanz keinen Anlass, über Betätigungsmöglichkeiten des
Klägers im bisherigen Berufe Beweise zu erheben. Dass das umfassende
Konkurrenzverbot sodann nicht nur im natürlichen, sondern auch im
Rechtssinne kausal war für die Verdiensteinbussen des Klägers, lässt sich
im Ernst nicht bestreiten. Es war nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge
und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet, eine Einkommensverminderung
von der Art der eingetretenen zu begünstigen (BGE 96 II 396, 98 II 291).

Erwägung 2

    2.- Die Beklagte hält auch an ihrem Eventualstandpunkt fest, wonach die
eingereichte Teilklage unzulässig und eine Karenzentschädigung jedenfalls
erst nach Ablauf der Verbotsdauer geschuldet sei. Falls sie damit behaupten
will, das Handelsgericht habe die Klage entgegen prozessualen Vorschriften
zugelassen, ist auf ihre Einwände nicht einzutreten, da mit der Berufung
nur die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden kann (Art. 43 Abs. 1,
55 Abs. 1 lit. c OG). Materiellrechtlich sind die Einwände unbegründet;
sie sind weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn der Vertragsbestimmung
vereinbar, was der Beklagten schon vom Handelsgericht auseinandergesetzt
worden ist.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichts des
Kantons Zürich vom 17. März 1975 bestätigt.