Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 II 25



101 II 25

8. Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. April 1975 i.S. Fankhauser
gegen Fankhauser. Regeste

    Verschaffungsvermächtnis (Art. 484 Abs. 3 ZGB)

    Der Erblasser ist befugt, eine Sache zu vermachen, die nicht ihm,
sondern einem Erben gehört (Erw. 1).

    Erbrechtliche Auflage (Art. 482 ZGB)

    Eine Auflage, die den Beschwerten verpflichtet, eine nicht im Nachlass
befindliche Sache einem Dritten zu übereignen, ist zulässig (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Am 24. Dezember 1971 starb in Marbach der 1895 geborene
Gottfried Fankhauser-Siegenthaler. Als gesetzliche Erben hinterliess
er neben acht weiteren Nachkommen die Söhne Daniel, Gottfried und
Johann. Hauptbestandteil des Nachlasses bilden das Grundstück Nr. 867,
Plan Nr. 19, 21, Lochsiten, in der Gemeinde Marbach, sowie das Grundstück
Nr. 93, oberste Lochsiten, Plan Blatt 3, in der Gemeinde Schangnau.

    Mit letztwilliger Verfügung vom 15. Juli 1971 hatte der Erblasser
unter anderem folgendes bestimmt:

    "II.

    Ich verfüge hiermit, dass nach meinem Ableben meine sämtlichen

    Liegenschaften auf der Ober-Lochsiten, mit rund 35 ha in der Gemeinde

    Marbach (Kanton Luzern) und mit gut 40 ha in der Gemeinde

    Schangnau (Kanton Bern) gelegen, zu einem Anrechnungswert der

    Katasterschatzung per Todestag (heute betragen diese in der Gemeinde

    Marbach Fr. 30'500 und in der Gemeinde Schangnau Fr. 63'720)

    a) zu 2/3 (zwei Drittel) an Sohn Johann Fankhauser, geboren

    24. April 1930,

    b) zu 1/3 (ein Drittel) an Sohn Gottfried Fankhauser, geboren

    4. August 1926,
   zukommen sollen. Die Aufzahlung bis zum gesamten Katasterwert hat nach
   der gleichen Verteilung, nämlich durch Johann Fankhauser mit

    2/3 (zwei Drittel) und durch Gottfried Fankhauser mit 1/3 (einem

    Drittel) zu erfolgen.

    III.

    Die Liegenschaft "Bühlhof", Gemeinde Marbach, Parz. Nr. 442,

    444, 447, 448, 505 und 532, gehört heute zu je 1/3 (je einem Drittel)
   meinen Söhnen Daniel, Gottfried und Johann Fankhauser. Nachdem ich
   verfügt habe, dass die 2/3 der Liegenschaften "Ober-Lochsiten" an

    Sohn Hans Fankhauser übergehen sollen, hat Hans Fankhauser nach
   meinem Ableben seinen 1/3 Anteil an der Liegenschaft "Bühlhof",

    Gemeinde Marbach, Parz. Nr. 442, 444, 447, 448, 505 und 532, ohne
   irgendwelche Entschädigung an meinen Sohn Daniel Fankhauser,

    Bühlhof, Schärlig, Gemeinde Marbach, abzutreten."

    B.- Am 2. Juli 1973 reichte Johann Fankhauser beim Amtsgericht
Entlebuch gegen seinen Bruder Daniel folgende Klage ein:

    "Es sei ungültig zu erklären die Verfügung unter III des Testamentes
   vom 15.7.1971 des am 24.12.1971 in Marbach verstorbenen Gottfried

    Fankhauser-Siegenthaler, Privat, geb. 6.11.1895, wohnhaft gewesen
   in Marbach, Bühl, Schärlig, wonach der Kläger seinen 1/3 Anteil an
   der Liegenschaft "Bühlhof", Gemeinde Marbach, Parzellen

    Nrn. 442, 444, 447, 448, 505 und 532, ohne irgendwelche Entschädigung
   an Daniel Fankhauser, Bühlhof, Schärlig, abzutreten habe."

    Zur Begründung der Klage machte er im wesentlichen geltend, die
angefochtene Verfügung sei rechtswidrig, da der Erblasser nicht befugt
sei, über eine fremde Sache zu verfügen; sie sei zudem ungültig, weil
der Erblasser sich in einem Irrtum darüber befunden habe, dass er nicht
über den "Bühlhof" verfügen dürfe. Mit Urteil vom 12. März 1974 hiess
das Amtsgericht Entlebuch die Klage gut und erklärte Ziff. III der
letztwilligen Verfügung vom 15. Juli 1971 als ungültig.

    Gegen dieses Urteil appellierte der Beklagte an das Obergericht des
Kantons Luzern. In Gutheissung der Appellation wies dieses am 24. September
1974 die Klage ab. Es betrachtete die Anordnung, der Kläger habe seinen
Anteil an der Liegenschaft "Bühlhof" an den Beklagten abzutreten, als
zulässige Auflage.

    C.- Mit der vorliegenden Berufung ans Bundesgericht beantragt
der Kläger, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Klage
gutzuheissen. Gestützt auf BGE 94 II 93 macht er geltend, der Erblasser
dürfe keine Auflage anordnen, die sich nicht auf die Erbmasse selbst oder
einen Teil derselben, sondern auf fremdes Vermögen beziehe. Sodann beruft
er sich weiterhin darauf, dass sich der Erblasser bei der Errichtung des
Testaments in einem Irrtum befunden habe.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- In Ziff. III seines Testaments ordnete der Erblasser an, der
Kläger habe dem Beklagten seinen Anteil am "Bühlhof" entschädigungslos
abzutreten. Die Vorinstanz erblickt in dieser Anordnung eine Auflage. Man
kann sich jedoch fragen, ob sie nicht als Vermächtnis zu qualifizieren
sei. Das Vermächtnis unterscheidet sich von der Auflage vor allem
dadurch, dass es nicht nur einen Anspruch der interessierten Personen auf
Vollziehung, sondern ein eigentliches Forderungsrecht des Begünstigten
begründet (TUOR, N. 10 zu Art. 482 und N. 7 zu Art. 484 ZGB; ESCHER,
N. 13 zu Art. 482 und N. 7 zu Art. 484 ZGB; HERZER, Erbrechtliche
Auflagen und Bedingungen, Diss. Zürich 1941, S. 40). Die Anordnung,
der Kläger habe seinen Anteil am "Bühlhof" an den Beklagten abzutreten,
kann nun kaum anders verstanden werden, als dass der Erblasser dem
Beklagten etwas zuwenden und ihm einen eigenen Anspruch auf diese
Zuwendung verschaffen wollte. Kann aber jemand aus eigenem Interesse eine
Leistung aus einer Verfügung von Todes wegen verlangen, so liegt in der
Regel nicht eine Auflage, sondern ein Vermächtnis vor (ESCHER, N. 13 zu
Art. 482 ZGB). Überhaupt spricht die Vermutung für das Vorliegen eines
Vermächtnisses, wenn in einer letztwilligen Verfügung eine bestimmte Person
vermögensrechtlich begünstigt wird (BECK, Grundriss des schweizerischen
Erbrechts, S. 87).

    Betrachtet man die streitige Anordnung als Vermächtnis, so ist sie
als zulässig anzusehen. Dass der Erblasser nur über sein eigenes Vermögen
letztwillig verfügen dürfe, trifft nämlich entgegen der Ansicht des Klägers
nicht schlechthin zu. Nach Art. 484 Abs. 3 ZGB wird zwar der Beschwerte
nicht verpflichtet, wenn der Erblasser eine bestimmte Sache vermacht und
sich diese in der Erbschaft nicht vorfindet. Dies gilt jedoch nur, sofern
kein anderer Wille des Erblassers aus der Verfügung ersichtlich ist. Ist
dies dagegen der Fall, so hat der Beschwerte dem Vermächtnisnehmer die
Sache zu verschaffen (sog. Verschaffungsvermächtnis; vgl. dazu BGE 91
II 97 ff.; TUOR, N. 20 ff., und ESCHER, N. 19 ff. zu Art. 484 ZGB). Dass
das Vermächtnis einer fremden Sache dem Willen des Erblassers entspreche,
ist nach der Lehre insbesondere dann anzunehmen, wenn sich der Erblasser
bewusst war, dass die Sache nicht ihm gehörte (ESCHER, N. 19 zu Art. 484
ZGB; BECK, aaO S. 78). So verhält es sich hier. In Ziff. III seines
Testamentes hält der Erblasser nämlich ausdrücklich fest, dass der
"Bühlhof" seinen Söhnen Daniel, Gottfried und Johann gehöre. Somit geht
aus der Verfügung selbst hervor, dass der Erblasser den Kläger bewusst
mit der Verpflichtung belasten wollte, den Anteil am "Bühlhof" an den
Beklagten abzutreten, obwohl dieser Anteil ihm nicht gehörte und auch
nicht Bestandteil seines Nachlasses bilden würde. Ein solches Vermächtnis
ist als gültig zu betrachten.

Erwägung 2

    2.- Zulässig wäre die streitige Anordnung aber auch dann, wenn man
sie mit dem Obergericht als Auflage qualifizieren wollte.

    a) In BGE 94 II 93 hat das Bundesgericht zwar ausgeführt, der Erblasser
könne durch eine Auflage nicht beliebige Verpflichtungen der Erben oder
Vermächtnisnehmer begründen, sondern nur solche, die sich auf das diesen
zufallende Vermögen, und zwar auf dessen Verwendung (oder Nichtverwendung)
zu bestimmten Zwecken bezögen (vgl. auch BGE 97 II 206.) Eine Verpflichtung
zur Übertragung einer Sache, die nicht zum Vermögen gehört, das dem
Beschwerten zufällt, könnte demnach nicht Gegenstand einer Auflage
sein. Indessen kann an dieser Auffassung nicht festgehalten werden. Das
Bundesgericht hat sie im erwähnten Entscheid damit begründet, die Auflage
sei eine Art der Verfügung von Todes wegen; Art. 481 ZGB, der von den
Verfügungsarten im allgemeinen handle, erlaube dem Erblasser aber nur,
"über sein Vermögen" zu verfügen. Dass dies nicht schlechthin zutrifft,
ergibt sich schon aus der Zulassung des Verschaffungsvermächtnisses in
Art. 484 Abs. 3 ZGB (vgl. dazu Erw. 1). Mit dieser Begründung lässt
sich daher die in BGE 94 II 93 vertretene Auffassung, eine Auflage
könne sich nur auf das dem Beschwerten zufallende Vermögen beziehen,
nicht rechtfertigen.

    Das Bundesgericht stützt seine Auffassung ferner auf die Bemerkung
ESCHERS in N. 13 zu Art. 482 ZGB, bei der Auflage handle es sich darum,
dass ein erbschaftlich Begünstigter das Selbstempfangene in bestimmter
Weise verwenden soll. Unter den Beispielen, die ESCHER an jener Stelle
anführt, gibt es aber auch solche, die sich nicht auf die Verwendung des
Empfangenen beziehen. Ja gerade bei den charakteristischen, seit jeher
als zulässig erachteten Auflagen ist dies nicht der Fall. So stehen etwa
Anordnungen über das Begräbnis, den Grabunterhalt, die Feuerbestattung
oder die Auflage an einen bedachten Orden, für die Seelenruhe des
Erblassers täglich eine Heilige Messe zu lesen (vgl. BGE 76 II 203),
in keiner direkten Beziehung zum zugewendeten Vermögen.

    Ein Indiz dafür, dass Gegenstand der Auflage nicht nur die
Verwendung des Empfangenen zu einem bestimmten Zweck sein kann, ergibt
sich schliesslich auch daraus, dass der Gesetzesredaktor eine Auflage,
deren Wert den Betrag dessen übersteigt, was der Beschwerte aus der
Erbschaft erhält, nicht als schlechthin ungültig erachtete. Vielmehr
vertrat er die Ansicht, dass sich der Beschwerte in einem solchen Fall
mit dem Begünstigten verständigen oder aber die Erbschaft ausschlagen möge
(EUGEN HUBER, Erläuterungen, 2. Ausg., I, S. 394).

    Es besteht daher kein Anlass, den Gegenstand der Auflage auf die
Verwendung des Empfangenen zu einem bestimmten Zweck zu beschränken
(vgl. auch MERZ, ZBJV 1970 S. 50).
   b) Zu prüfen bleibt, ob eine Auflage, die den Beschwerten
verpflichtet, eine nicht im Nachlass befindliche Sache einem Dritten
zu übereignen, zulässig sei. Sowohl im deutschen wie im französischen
Recht ist dies der Fall (SOERGEL/DIECKMANN, N. 12 zu § 2192 BGB;
STAUDINGER/SEYBOLD, N. 13 zu § 2192 BGB; KIPP/COING, Erbrecht, 12. Aufl.,
§ 65 II; PLANIOL/RIPERT, Traité pratique de droit civil français, 2. Aufl.,
V, N. 604/605; DALLOZ, Répertoire de droit civil, 2. Aufl., IV, Stichwort
"legs", N. 79). Es ist nicht einzusehen, wieso es sich im schweizerischen
Recht anders verhalten soll. Die erbrechtliche Auflage ist im Gesetz nur
unvollkommen geregelt. Da sie mit dem Vermächtnis nahe verwandt ist, drängt
es sich daher auf, die für dieses geltenden Bestimmungen entsprechend
anzuwenden (vgl. z.B. BGE 76 II 206/207; TUOR, N. 38 zu Art. 482 ZGB). Nach
der Lehre ist nun gerade auch die Bestimmung in Art. 484 Abs. 3 ZGB
über das Verschaffungsvermächtnis analoger Anwendung fähig. Demnach
ist auch die Verschaffungsauflage als gültig zu betrachten, sofern ein
entsprechender Wille des Erblassers aus der Verfügung ersichtlich ist
(TUOR, aaO; HERZER, aaO S. 79/80; BRENNI, L'onere successorio nel diritto
civile svizzero, Diss. Bern 1941, S. 64). Bedenken hiegegen bestehen
nicht. Wird der Beschwerte durch eine solche Auflage allzusehr belastet,
so mag er die Erbschaft ausschlagen, und wenn er in seinem Pflichtteil
verletzt wird, so kann er in analoger Anwendung von Art. 486 Abs. 1 ZGB
die Herabsetzung verlangen (diese Möglichkeit wurde von EUGEN HUBER,
aaO, zwar ausgeschlossen, entspricht aber der heute herrschenden Lehre;
vgl. BGE 99 II 381; ESCHER, N. 6, und TUOR, N. 10 zu Art. 486 ZGB; HERZER,
aaO S. 64 ff.; BECK, aaO S. 86). Zudem versteht sich von selbst, dass
sich auch eine Verschaffungsauflage im Rahmen der Rechtsordnung und der
guten Sitten zu halten hat (Art. 482 Abs. 2 ZGB).

    Dass im vorliegenden Fall der Erblasser den Kläger bewusst mit der
Verpflichtung belasten wollte, den Anteil am "Bühlhof" an den Beklagten
abzutreten, obwohl dieser Anteil ihm nicht gehörte, wurde bereits in
Erw. 1 dargetan. Die Verfügung wäre daher auch dann gültig, wenn man sie
als Auflage verstehen würde.

Erwägung 3

    3.- Betrachtet man die streitige Anordnung als gültig, so bleibt kein
Raum mehr für eine Irrtumsanfechtung mit der Begründung, der Erblasser
habe nicht gewusst, dass er über den Anteil des Klägers am "Bühlhof"
nicht habe verfügen dürfen.

    Die Berufung ist deshalb abzuweisen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes
(I. Kammer) des Kantons Luzern vom 25. September 1974 bestätigt.