Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 II 117



101 II 117

23. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. April 1975 i.S. Bank
Y gegen X. Regeste

    Stellvertretung.

    Art. 36 Abs. 1 OR. Der Vertreter hat nach Untergang der Vollmacht
gegenüber dem Vertragspartner des Vertretenen keinen Anspruch auf Auskunft
aus dem Vertretungsverhältnis (Erw. 4).

    Gemeinschaftsdepot. Grundsätzliche Anwendung der Bestimmungen über
den Auftrag. Solidarische Berechtigung der gemeinsamen Auftraggeber
(Art. 150 OR). Bei Bankgeschäften erlischt der Auftrag durch den Tod
eines Auftraggebers grundsätzlich nicht (Art. 405 Abs. 1 OR). Die Bank
ist dem überlebenden Vertragspartner nach Art. 400 Abs. 1 OR für die ganze
Dauer des Auftragsverhältnisses zur Rechenschaft verpflichtet (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- Die französischen Eheleute X. wurden am 26. November 1924 in
Frankreich getraut, wo sie ihren ersten Wohnsitz hatten. Mit Ehevertrag vom
6. November 1924 vereinbarten sie unter sich eine "communauté universelle
des biens" nach französischem Recht. Aus ihrer Ehe gingen die Söhne Roland
und Guy hervor.

    Am 30. März 1925 errichteten die Eheleute X. bei der Bank Y. unter den
Pseudonymen ... ein dépôt conjoint. Über dieses weiterhin gleichlautende
Depot bestimmte der Ehemann am 20. Dezember 1953 in dem Sinne dass der
Sohn Roland Eigentümer aller Werte, die beiden Eheleute selber und der Sohn
Guy dagegen Beauftragte seien und über das alle vier Personen selbständig
verfügen können. Am 11. Januar 1972 starb der Ehemann. Darauf ordnete
der Sohn Roland am 28. Januar 1972 die Saldierung des Kontos an und liess
die entsprechenden Werte auf sein eigenes Konto bei der gleichen Bank
überführen; am 26. März 1972 widerrief er zudem die Vollmachten zugunsten
seines Bruders und seiner Mutter über das genannte Konto.

    Im Hinblick auf die erbrechtliche Auseinandersetzung kam es zu
Meinungsverschiedenheiten zwischen der Witwe und dem Sohn Guy einerseits
und dem Sohn Roland anderseits.

    B.- Am 21. Mai 1973 klagte die Witwe des Erblassers beim
Appellationshof des Kantons Bern gegen die Bank Y. auf Auslieferung
sämtlicher Unterlagen über das streitige Konto. Sie verdeutlichte in der
Folge die Klage dahin, dass diese auch die blosse Einsichtnahme in die
Akten des Depots umfasse.

    Am 1. November 1974 verurteilte der Appellationshof des Kantons
Bern die Beklagte unter Strafandrohung, der Klägerin innert 14 Tagen
seit Rechtskraft des Urteils sämtliche das genannte Depot betreffenden
Urkunden zur Einsicht vorzulegen. Im übrigen wies er die Klage ab.

    C.- Das Bundesgericht bestätigte am 7. April 1975 das vorinstanzliche
Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Die Vorinstanz ist auf Grund der ihr bekannt gewordenen Urkunden
der Auffassung, die Klägerin sei durch Errichtung des Depots am 30.
März 1925 zunächst originär und sodann am 20. Dezember 1953 durch die von
ihrem Ehemann ausgestellte Vollmacht verfügungsberechtigt gewesen. Diese
Befugnis sei allerdings durch den Auftrag des Sohnes Roland auf Saldierung
des Kontos untergegangen. Das ändere aber nichts daran, dass die Klägerin
für die Dauer ihrer Bevollmächtigung gegenüber der Beklagten einen Anspruch
auf Akteneinsicht habe.

    Nach Ansicht der Beklagten steht der Klägerin schon deshalb kein
Anspruch auf Akteneinsicht zu, weil sie selber nicht behaupte, vor dem
Rückzug des Kontoguthabens im Jahre 1972 je von der Bevollmächtigung
durch ihren Ehemann Kenntnis gehabt zu haben. Richtig ist, dass die
Vollmachterteilung erst mit ihrer Mitteilung an den Vertreter wirksam
wird (BGE 99 II 41; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 20 und 21 zu Art. 32 OR; VON
TUHR/SIEGWART, OR I S. 309). Die Klägerin will sich im Prozess vorerst
nicht mehr an die Vollmacht erinnert, nicht aber von ihr überhaupt
keine Kenntnis erhalten haben. Das angefochtene Urteil enthält
keine entsprechende Feststellung, sondern stellt darauf ab, dass die
Beklagte auf Grund einer bei den Bankakten liegenden Mitteilung um
das Vollmachtsverhältnis gewusst habe. Wie es sich mit der Kundgabe
der Vollmacht an die Klägerin verhält und ob allenfalls über den
Wortlaut von Art. 33 Abs. 3 OR hinaus die Orientierung der Beklagten
vertretungsrechtlich eine Mitteilung an die Klägerin zu ersetzen vermag,
kann offen bleiben, da die im Jahre 1953 ausgestellte Vollmacht bei
Einleitung des Prozesses erloschen war und der Klägerin keinen Anspruch
mehr auf Auskunft gibt. Wohl ist der Vorinstanz darin beizupflichten,
dass Rechte, die der Vertreter auf Grund einer Vollmacht begründet hat,
durch deren Untergang nicht berührt werden. Sie verkennt aber, dass
diese Rechte nur noch vom Vertretenen selber oder dessen Rechtsnachfolger
geltend gemacht werden können. Ist die Vollmacht erloschen, so darf der
Vertreter davon keinen Gebrauch mehr machen, was sich daraus ergibt, dass
er nach Art. 36 Abs. 1 OR eine allfällige Vollmachtsurkunde zurückzugeben
hat. Daraus folgt, dass die Beklagte mit dem Erlöschen der Vollmacht
der Klägerin keine Auskunft mehr geben durfte und ihr gegenüber das
Bankgeheimnis wieder zu wahren hatte (vgl. ERB, Die Bankvollmacht,
Diss. Freiburg 1974, S. 242 und 247).

Erwägung 5

    5.- Zu prüfen ist anderseits, ob die Klägerin gegegenüber der Beklagten
einen Anspruch auf Akteneinsicht aus dem im Jahre 1925 zusammen mit
ihrem Ehemann errichteten "dépôt conjoint" herleiten kann. Nach dieser
Vereinbarung verpflichtete sich die Beklagte gegenüber beiden Eheleuten,
Geld und Wertschriften zur Verwahrung und Verwaltung entgegen zu nehmen. Es
wurde demnach ein Hinterlegungsvertrag und Auftrag, d.h. ein gemischtes
Rechtsgeschäft, begründet (vgl. BGE 94 II 169). Dabei lag das Schwergewicht
auf den Dienstleistungen der Beklagten, weshalb grundsätzlich Auftragsrecht
anzuwenden ist (BGE 94 II 169, 315, 96 II 149).

    Jeder der beiden Auftraggeber war gegenüber der Beklagten im Sinne
von Art. 150 OR solidarisch berechtigt ("créanciers solidaires"),
die hinterlegten Werte ganz oder teilweise herauszuverlangen, und die
Beklagte durfte gegebenenfalls mit befreiender Wirkung an einen von ihnen
leisten. Verfügte ein Ehegatte über sämtliche Werte des Depots, so wurde
dadurch das der Solidarforderung zugrunde liegende Rechtsverhältnis nicht
beendigt. Da der Auftrag auf einer gemeinsamen Willenskundgebung beider
Eheleute beruhte, konnte er auch nur gemeinsam widerrufen oder abgeändert
(z.B. durch Einbezug neuer Kontoinhaber) werden (BGE 94 II 318, ERB,
aaO S. 196 Anm. 2, GUGGENHEIM, SJK 1351, S. 10). Daraus ergibt sich, dass
der im Jahre 1925 begründete Kollektivauftrag die einseitigen Anordnungen
des Ehemannes der Klägerin im Jahre 1953 überdauerte. Das muss sich die
Beklagte umso mehr entgegenhalten lassen, als sie selber davon ausgeht,
die Klägerin habe von den Anordnungen ihres Ehemannes keine Kenntnis
gehabt. Sie behauptet das zwar nur für die Bevollmächtigung. Diese lässt
sich aber von den weiteren Verfügungen, die der Ehemann der Klägerin im
Schreiben vom 20. Dezember 1953 getroffen hat, nicht trennen.

    Es fragt sich sodann, ob mit dem Tod des Ehemannes der Klägerin vom
11. Januar 1972 das im Jahre 1925 begründete Auftragsverhältnis mit der
Beklagten erloschen ist. Das ist zu verneinen. Bei Bankgeschäften wird im
allgemeinen angenommen, dass der Tod des Auftraggebers den Vertrag nicht
beendigt. Zudem sieht im vorliegenden Fall die Vereinbarung vom Jahre
1925 vor, dass die Beklagte beim Tod eines der beiden Vertragspartner
die hinterlegten Werte dem andern herauszugeben hat, es sei denn, dieser
ermächtige sie, an die Erben des Verstorbenen zu leisten. Daraus ergibt
sich, dass mit dem Tod des Ehemannes der Klägerin das Auftragsverhältnis
mit der Beklagten nicht zu Ende ging, was Art. 405 Abs. 1 OR ausdrücklich
zulässt (vgl. BGE 94 II 316 E. 3). Ob die Beklagte unter diesen Umständen
die hinterlegten Werte dem Sohn Roland in der Folge auf Grund der vom Vater
im Jahre 1953 ausgestellten Vollmacht noch herausgeben durfte, kann offen
bleiben. Jedenfalls war sie für den ganzen Zeitraum der Klägerin gegenüber
zur Rechenschaft verpflichtet (Art. 400 Abs. 1 OR). Dazu gehört auch der
Anspruch auf Akteneinsicht, dem das Bankgeheimnis zu weichen hat. Da dieses
Recht der Klägerin schon als Vertragspartnerin der Beklagten zusteht,
braucht auf die ebenfalls vorgetragene güterrechtliche und erbrechtliche
Argumentation nicht eingetreten zu werden. Die Klägerin war, um sich
im Hinblick auf die Auseinandersetzung betreffend den Nachlass ihres
Ehemannes in tatsächlicher Hinsicht Klarheit zu verschaffen, genötigt, den
vorliegenden Prozess zu führen. Nur so konnte sie das weitere Schicksal des
im Jahre 1925 zusammen mit ihrem Ehemann begründeten Gemeinschaftsdepots,
das im Laufe der Ehe auf über 2 Mio. Franken angewachsen ist, erfahren. Die
Klage ist daher, soweit sie aufrechterhalten blieb, gutzuheissen und die
Berufung abzuweisen.