Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 II 11



101 II 11

4. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. April 1975 i.S. Z.
Regeste

    Wegnahme eines Kindes gemäss Art. 284 ZGB; örtliche Zuständigkeit.

    Örtlich zuständig ist die Behörde am Wohnsitz des Kindes
bzw. desjenigen Elternteils, dessen elterliche Gewalt durch die Wegnahme
eingeschränkt werden soll; in zeitlicher Hinsicht ist die Einleitung des
Administrativverfahrens massgebend.

Sachverhalt

    A.- Am 20. November 1973 beschloss der Gemeinderat von X.  gestützt
auf Art. 284 ZGB die Wegnahme des Kindes A.Z. aus Pflege und Erziehung
seines verwitweten Vaters und verpflichtete letzteren zu monatlichen
Unterhaltsbeiträgen von Fr. 300.--.

    Diesen Beschluss zog Z. an das Bezirksamt weiter. Er bestritt vorab
die örtliche Zuständigkeit des Gemeinderates X. mit der Begründung, er
sei seit 15. November 1973 im Kanton Zürich wohnhaft. Überdies machte
er geltend, die Voraussetzungen für die angeordnete Massnahme seien gar
nicht erfüllt. Mit Entscheid vom 6. März 1974 wies das Bezirksamt die
Beschwerde ab.

    Diesen Entscheid zog Z. vor das Obergericht des Kantons Aargau,
das die Beschwerde mit Urteil vom 12. September 1974 abwies.

    Mit Eingabe an das Bundesgericht vom 19. Januar 1975 erklärte Z.,
er erhebe gegen das obergerichtliche Urteil sowohl Nichtigkeits- als auch
staatsrechtliche Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Formelles)

Erwägung 2

    2.- a) Zur Wegnahme eines Kindes im Sinne von Art. 284 Abs. 1 ZGB
enthält das Gesetz keine Bestimmung über die örtliche Zuständigkeit. Die
Rechtsprechung hat diese Lücke durch analoge Anwendung von Art. 376 Abs. 1
ZGB (Bevormundung) gefüllt (BGE 89 II 14). Zuständig ist somit die Behörde
am Wohnsitz des Kindes bzw. desjenigen Elternteils, dessen elterliche
Gewalt durch die Wegnahme eingeschränkt werden soll. In zeitlicher Hinsicht
ist - entsprechend der Praxis zur Entmündigung (BGE 95 II 515; 50 II
98 E. 3) - die Einleitung des Administrativverfahrens massgebend. Auch
beim Verfahren nach Art. 283 ff. ZGB soll sich der betroffene Elternteil
nämlich nicht durch einen Wohnsitzwechsel der Massnahme entziehen können.

    b) Im Kanton Aargau ist der Gemeinderat die sachlich zuständige
Vormundschaftsbehörde (§ 59 Abs. 1 des aargauischen Einführungsgesetzes
zum ZGB). In dieser Eigenschaft hat der Gemeinderat von X. bereits am
15. Oktober 1973 A.Z. in der Person von Amtsvormund Y. einen Beistand
bestellt und letzteren ersucht, "sich sofort der Verhältnisse anzunehmen
und der Vormundschaftsbehörde Bericht und Antrag über seine Wahrnehmungen
bzw. über das weitere Vorgehen zu stellen". Damit hat er jenes Verfahren
eingeleitet, das mit dem Entscheid vom 20. November 1973 seinen Abschluss
fand. Massgebliches Datum für die Begründung der örtlichen Zuständigkeit
(der aargauischen Behörden) war demnach der 15. Oktober 1973. Daran vermag
auch die Tatsache, dass die Ermittlungen dem Beistand übertragen worden
waren, nichts zu ändern. Da der Beschwerdeführer nicht behauptet, er habe
schon am 15. Oktober 1973 seinen Wohnsitz nach Zürich verlegt gehabt,
ist die Beschwerde in diesem Punkt abzuweisen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.