Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 II 102



101 II 102

21. Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. Januar 1975 i.S. Lüscher gegen
"Annabelle" Verlagsgesellschaft. Regeste

    Verlagsvertrag. Urheberrecht.

    Art. 380 OR. Die Übertragung urheberrechtlicher Befugnisse ist
Wesensmerkmal des (echten) Verlagsvertrages (Erw. 1).

    Art. 1 Abs. 2 URG. Voraussetzungen des urheberrechtlichen Schutzes
von Abhandlungen und wissenschaftlichen Beiträgen (Erw. 2b).

    Art. 381 Abs. 1 OR und Art. 9 Abs. 2 URG. Umfang der Nutzungsrechte
des Verlegers (Erw. 3).

    Art. 42 URG und 50 Abs. 3 OR. Selbständige Urheberrechtsverletzung
oder blosse Begünstigung einer solchen durch den Verleger, der einen
Zeitschriftenbeitrag wider den Willen des Urhebers einem Dritten zur
Veröffentlichung überlässt (Erw. 4)?

Sachverhalt

    A.- Die Verlagsgesellschaft "Annabelle" veröffentlichte in der von
ihr herausgegebenen Zeitschrift "Annabelle", Ausgabe vom 17. Mai 1972,
rechtmässig einen bei Prof. Dr. Max Lüscher bestellten Artikel unter dem
Titel "Farbe bekennen: Das Abenteuer mit visualisierten Gefühlen". Die
Parteien hatten sich telephonisch dahin geeinigt, dass Prof. Lüscher
Wohnraumbilder in farblicher Hinsicht populärwissenschaftlich besprechen
sollte. Er erhielt für die Arbeit nach seiner Darstellung ein Honorar
von Fr. 600.--, nach jener der Beklagten ein solches von Fr. 700.--.

    Ohne die Zustimmung Prof. Lüschers einzuholen, ermächtigte die
"Annabelle" Verlagsgesellschaft anfangs Juni 1972 den Herausgeber der
deutschen Kundenzeitschrift "Besser Wohnen" des Einrichtungshauses Scherer
in Freiburg, den Artikel Prof. Lüschers ebenfalls zu veröffentlichen, was
denn auch unter Anführung seines Namens als Verfasser und mit dem Vermerk,
die Arbeit werde mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift "Annabelle"
veröffentlicht, geschah. Die Verlagsgesellschaft "Annabelle" erhielt
dafür im Oktober 1972 DM 120.-- oder umgerechnet Fr. 142.20. Prof. Lüscher
stellte sich in der Folge auf den Standpunkt, die "Annabelle" sei nicht
berechtigt gewesen, den Artikel von Dritten abdrucken zu lassen, und
forderte von ihr Fr. 5'000.-- Schadenersatz, jedoch ohne Erfolg.

    B.- Prof. Lüscher klagte in der Folge gegen die "Annabelle"
Verlagsgesellschaft auf Zahlung von Fr. 5'000.--, nebst 5% Zins ab
5. April 1973.

    Die I. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich hiess die Klage
am 2. Mai 1974 im Betrag von Fr. 142.20 nebst Zins gemäss Klagebegehren
gut.

    C.- Der Kläger hat gegen dieses Urteil die Berufung an das
Bundesgericht erklärt. Er beantragt, die Klage gutzuheissen, eventuell
die Sache an die Vorinstanz zur Festsetzung des Schadens und neuer
Entscheidung zurückzuweisen.

    Die Beklagte begehrt Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Beklagte hält im Berufungsverfahren daran fest, dass
die Rechtsbeziehungen der Parteien nicht als Verlagsvertrag, sondern
als Auftrag zu würdigen seien; sie habe daher die "Urheberrechte" am
Artikel des Klägers vollumfänglich erworben. Es liege ihrer Ansicht
nach ein gleichartiger Fall vor, wie bei einem Artikel der Tagespresse,
der üblicherweise unter Angabe der Quelle durch andere Presseorgane
weitergegeben werden könne.

    a) Der Kläger hat der Beklagten nicht die Besorgung von Geschäften
oder die Leistung von Diensten im Sinne des Art. 394 Abs. 1 OR,
sondern die Lieferung einer zur Veröffentlichung bestimmten Abhandlung
versprochen. Zudem fehlen für die Annahme eines Auftrages jegliche
Anhaltspunkte dafür, dass zwischen den Parteien ein besonderes
Vertrauensverhältnis bestanden und der Kläger sich verpflichtet hat,
Weisungen der Beklagten entgegenzunehmen und ihr Rechenschaft abzulegen
(vgl. Art. 397, 398 und 400 OR). Auftragsrecht scheidet somit aus.
Dasselbe gilt für die Bestimmungen des Werkvertrages, auf die sich die
Beklagte im kantonalen Verfahren berufen hat, da diese das Ergebnis von
Arbeiten an körperlichen Sachen zum Gegenstand haben (vgl. BGE 98 II 311).

    b) Unter diesen Umständen steht ausser Frage, dass auf das streitige
Rechtsverhältnis die Bestimmungen des Verlagsvertrages anzuwenden
sind. Durch einen solchen Vertrag verpflichtet sich der Urheber eines
literarischen oder künstlerischen Werkes (Verlagsgeber), das Werk
einem Verleger zum Zwecke der Herausgabe zu überlassen, und dieser,
das Werk zu vervielfältigen und zu verbreiten (Art. 380 OR). Die
Übertragung urheberrechtlicher Befugnisse ist also Wesensmerkmal
des (echten) Verlagsvertrages. Ist ein Werk gemeinfrei, so sind die
Regeln über den Verlagsvertrag sinngemäss anwendbar - sog. unechter oder
uneigentlicher Verlagsvertrag - (vgl. TROLLER, Immaterialgüterrecht II, 2.
Aufl. S. 924). Ein (echter oder unechter) Verlagsvertrag kann sich,
wie aus Art. 382 Abs. 2 OR erhellt, auch auf die Veröffentlichung von
Zeitungsartikeln und kleineren Beiträgen in Zeitschriften beziehen.

Erwägung 2

    2.- a) Nach eigener Darstellung der Beklagten hatte der Kläger
die ihm zur Verfügung gestellten Wohnraumbilder in farblicher Hinsicht
popularwissenschaftlich zu besprechen und die von ihr bezeichneten Farben
besonders zu behandeln, was er in Abwandlung einer Schablone des nach
ihm benannten Farbtestes in dem in ihrer Zeitschrift veröffentlichten
Artikel getan habe. Die Beklagte anerkennt damit, dass der Kläger die ihm
übertragene Aufgabe selbständig ausgeführt hat. Dabei kommt nichts darauf
an, dass ihm die Beklagte für die Besprechung Photos zur Verfügung gestellt
und bestimmte Farben besonders bezeichnet hat. Sie könnte nach Art. 382
Abs. 2 OR ein allfälliges Urheberrecht an der bestellten Abhandlung nur
dann geltend machen, wenn der Kläger den Artikel inhaltlich in allen
Einzelheiten nach ihren Weisungen hätte gestalten müssen, so dass er
bloss als Gehilfe bei der Ausführung einer fremden Idee zu betrachten wäre
(vgl. OSER/SCHÖNENBERGER, N. 2 zu Art. 393 OR; GUHL/MERZ/KUMMER, OR S. 427;
BGE 74 II 116). Dass letzteres der Fall sei, behauptet die Beklagte selber
nicht und ist schon deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger unter dem
Titel des Zeitschriftenbeitrages ausdrücklich als Verfasser genannt ist.

    b) Zu prüfen ist sodann, ob der vom Kläger verfasste Beitrag als
urheberrechtlich geschütztes Werk angesehen werden muss. lst das der Fall,
so ist die Berufung unabhängig vom Streitwert zulässig (Art. 45 Abs. 1 OG).

    Nach der Rechtsprechung sind Abhandlungen oder Beiträge
wissenschaftlicher Art nach Art. 1 Abs. 2 URG geschützt, wenn sie durch
eine eigenartige Geistesschöpfung von individuellem Gepräge gekennzeichnet
sind. Dabei wird der Schutz schon dann gewährt, wenn bloss ein geringer
Grad selbständiger Tätigkeit vorliegt (vgl. BGE 100 II 172 Erw. 7, 88 IV
126 mit Hinweisen).

    Es kann nicht bezweifelt werden, dass der vom Kläger entwickelte
Farbtest nach Form und Inhalt das von der Rechtsprechung verlangte Mass
an Originalität und Individualität aufweist. Dass er wissenschaftlich
angeblich nicht unangefochten sei, ändert an der Schutzfähigkeit nichts
(vgl. GUHL/MERZ/KUMMER, aaO S. 426). Falls der streitige Artikel eine
"weitere Abwandlung einer Schablone des bekannten Lüscher-Farbtestes"
darstellt, wie die Beklagte im Berufungsverfahren erneut behauptet, handelt
es sich nach zutreffender Ansicht des Obergerichtes um eine allenfalls
veränderte Wiedergabe des Originals, die gleich wie dieses geschützt ist
(vgl. Art. 4 Abs. 1 Ziff. 2 URG).

Erwägung 3

    3.- Es fragt sich sodann, inwieweit die Beklagte die Nutzungsrechte
an dem vom Kläger verfassten Beitrag erworben hat. Nach Art. 381 Abs. 1
OR werden die Rechte des Urhebers insoweit und solange dem Verleger
übertragen, als es für die Ausführung des Vertrages erforderlich
ist. Daraus ist mangels gegenteiliger Abrede mit der Vorinstanz zu
schliessen, dass die Nutzungsrechte der Beklagten auf die einmalige
Veröffentlichung des Artikels in ihrer Zeitschrift beschränkt
waren. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 9 Abs. 2 URG,
wonach "die Übertragung eines im Urheberrecht enthaltenen Rechtes"
die Übertragung anderer Teilrechte nicht in sich schliesst, wenn nichts
Gegenteiliges verabredet ist. Diese Bestimmung ist nach der im Schrifttum
vertretenen Auffassung dahin zu verstehen, dass der Urheber im Zweifel
keine weitergehenden Befugnisse überträgt, als es der Vertragszweck
erfordert (TROLLER, aaO S. 895 mit Hinweisen). Daraus ergibt sich, dass
die Beklagte die fragliche Abhandlung Dritten nicht ohne Zustimmung des
Klägers zur Veröffentlichung übergeben durfte.

Erwägung 4

    4.- Die Vorinstanz ist der Ansicht, die Beklagte habe selber keine
Urheberrechtsverletzung begangen, sondern eine solche im Sinne von Art.
50 Abs. 3 OR bloss begünstigt, weshalb der Kläger als Schadenersatz
nur die Vergütung beanspruchen könne, welche sie sich von der deutschen
Zeitschrift ausbedungen habe.

    Der Kläger stellt sich in erster Linie auf den Standpunkt, die Beklagte
habe durch ihr Verhalten, das als Urheberrechtsanmassung zu bezeichnen
sei, das Inverkehrbringen des geschützten Werkes bewirkt und dadurch das
Urheberrecht des Klägers selbständig verletzt.

    Nach Art. 42 URG ist zivilrechtlich verfolgbar, wer in Verletzung
des Urheberrechts u.a. "ein Werk durch irgendein Verfahren wiedergibt"
(lit. a) oder "Exemplare eines Werkes verkauft, feilhält oder sonst in
Verkehr bringt" (lit. b). Die zivilrechtliche Haftung aus einer Übertragung
des Urheberrechts richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen des OR
(Art. 44 URG).

    a) Zu prüfen ist zunächst, ob die Beklagte eine Urheberrechtsverletzung
im Sinne des Art. 50 Abs. 3 OR bloss begünstigt hat, wie die Vorinstanz
annimmt.

    Nach dieser Bestimmung haftet der Begünstiger nur insoweit, als er
einen Anteil am Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden
verursacht hat. Daraus leitet die Vorinstanz ab, die zivilrechtliche
Begünstigung sei "auch vor Ausübung der Haupttat denkbar, indem sie in
diesem Falle eine Mitwirkung zum Inhalt" habe, die weniger weit gehe
als jene der Gehilfenschaft. Das trifft nicht zu. Der Umstand, dass
das Gesetz bei der Beteiligung an einer unerlaubten Handlung zwischen
Anstifter, Urheber und Gehilfen einerseits und Begünstiger anderseits
unterscheidet und für ihr Verhalten ganz verschiedene Rechtsfolgen vorsieht
(vgl. Art. 50 Abs. 1 und 3 OR), gestattet es nicht, die Begünstigung als
eine Gehilfenschaft minderen Grades aufzufassen. Die Beteiligung vor oder
bei der Schädigung betrifft den Urheber, Anstifter oder Gehilfen, jene nach
vollendeter Tat dagegen den Begünstiger, da er den bereits eingetretenen
Erfolg sichert, z.B. durch Weiterveräusserung einer gestohlenen Sache
(vgl. VON TUHR/SIEGWART, OR I S. 395; BECKER, N. 6 und 7 zu Art. 50 OR; VON
BÜREN, OR, Allgem. Teil, S. 281 N. 574; BGE 77 II 305, wo der Begünstiger
dem Hehler nach Art. 144 StGB gleichgestellt wird). Daraus folgt, dass der
Begünstiger mangels adäquaten Kausalzusammenhanges nicht für den Schaden
haftet, der durch die Haupttat verursacht wird, sondern nur für den
Schaden verantwortlich ist, der durch seine Begünstigungshandlung entsteht.

    Die Beklagte ist auf den Plan getreten, bevor das Urheberrecht des
Klägers durch die Veröffentlichung seines Artikels in der deutschen
Zeitschrift verletzt worden ist. Blosse Begünstigung scheidet daher aus.

    b) Nach Feststellung der Vorinstanz wurde die Zweitveröffentlichung
durch die Beklagte wesentlich gefördert indem sie unter bestimmten
Bedingungen (z.B. unter anderem Bezeichnung der Quelle "Annabelle")
und ohne Hinweis auf ihre fehlende Berechtigung die vermeintliche
Druckerlaubnis erteilte. Zudem verstärkte sie den Eindruck,
verfügungsberechtigt zu sein noch dadurch, dass sie sich für die Wiedergabe
des Artikels eine Vergütung versprechen liess und dies in ihren Bedingungen
mit dem Ausdruck "Copyright" in Verbindung brachte. Die Beklagte konnte
als Verlegerin darüber nicht im Zweifel sein, dass sie den Artikel ohne
ausdrückliche Zustimmung des Klägers Dritten nicht zur Veröffentlichung
überlassen durfte. Indem sie den Herausgeber der Zeitschrift "Besser
Wohnen" über die Rechtslage pflichtwidrig nicht aufklärte - ob absichtlich
oder fabrlässig sei dahingestellt - und mit ihm die erwähnte Vereinbarung
traf, bewirkte sie, dass das Werk des Klägers gegen dessen Willen
und damit widerrechtlich in Verkehr gebracht wurde. Darin liegt eine
Urheberrechtsanmassung, mithin eine selbständige Rechtsverletzung. Es
verhält sich ähnlich wie beim mittelbaren Täter im Strafrecht, der
einen andern Menschen als sein wenigstens nicht vorsätzliches Werkzeug
benützt, um durch ihn eine strafbare Tat auszuführen (vgl. BGE 77
IV 91). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz hatte die vermeintliche
Zustimmung der Beklagten zur Veröffentlichung des Artikels nicht bloss
die Entfernung eines psychologischen Hindernisses beim Herausgeber
der deutschen Zeitschrift zur Folge. Nichts deutet nämlich darauf hin,
dass er zur Veröffentlichung des Artikels in jedem Fall entschlossen
war, wie auch immer die Stellungnahme der Beklagten zu seinem Gesuch
um Druckerlaubnis lauten mochte. Die Vorinstanz stellt vielmehr selber
fest, dass der Herausgeber der deutschen Zeitschrift die Veröffentlichung
des vom Kläger verfassten Beitrages ausdrücklich von der "Genehmigung"
der Beklagten abhängig machte. Das Verhalten der Beklagten war somit
für die Urheberrechtsverletzung kausal. Auf die Ansicht der Vorinstanz,
das Urheberrecht des Klägers hätte auch ohne die rechtlich belanglose
Zustimmung der Beklagten verletzt werden können, kommt daher nichts an.

Erwägung 5

    5.- Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache an die
Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die Höhe des Schadens abkläre.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts
(I. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 2. Mai 1974 aufgehoben und
die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.